September NE 226 - Kapitel 5
Nach dem Hinweis von Bea war ich aufgesprungen und wollte sofort die Akte dieser Patientin auf weitere Anhaltspunkte untersuchen. Am besten heute noch bei dieser falschen Mutter vorbeifahren und sie ins Kreuzverhör nehmen. Doch Lorenz und Bea hatten mir vehement Einhalt geboten. Ärztliche Schweigepflicht! Nach ermüdenden Diskussionen hatte mir Bea erzählt, dass der Neugeborenen-Test mit Genanalyse von einem Labor in Russland gemacht worden war, was unüblich und ihr deshalb aufgefallen war. Aber ansonsten biss ich bei den beiden auf Granit.
Lorenz hatte mir versichert, als einziger Erbe Einsicht in alle Familiengeschäfte zu haben, und dass er bei so etwas niemals mitmachen würde. Schon allein deshalb, weil ein Skandal unnötig Aufmerksamkeit auf ihn und Bea lenken würde. Das kam mir glaubwürdig vor.
Nun saß ich schlecht gelaunt in einem Hauskleid auf dem Sofa in unserer Suite und schaufelte einen Becher Schokoladeneis in mich hinein. Schokokuchen hatte die Hotelküche nicht vorrätig gehabt. Bei der nächsten Hotelbuchung würde ich mich da vorab erkundigen! Mein Verdacht hatte sich erhärtet, ich hatte tatsächlich einen Hinweis gefunden, obwohl ich es schon aufgegeben hatte, aber nun kam ich wieder nicht weiter.
„Warum Deutschland?", fragte ich mehr mich selbst.
„Blonde Babys kommen in Deutschland vermutlich einfach gut an", sagte Vasili, der hinter mir am Esstisch saß und an seinem Rechner an seinen Fotografien arbeitete.
Ich klopfte mit dem Löffel einen ungeduldigen Takt auf dem Eiskarton. „Nehmen wir an, die Patientin hat im Urlaub von dem Angebot erfahren, sich ein hübsches russisches Kind kaufen zu können. Dann bricht sie die Kinderwunsch-Behandlung ab, damit sie später behaupten kann, in der Zeit schwanger gewesen zu sein."
„Hör bitte auf mit dem Geklopfe."
Ich nahm noch einen großen Löffel Eis. „Der Verbrecher sucht werdende Eltern mit passendem Aussehen und passendem Geburtstermin aus. Dann entführt er den Säugling, schmuggelt ihn nach Deutschland und übergibt ihn den neuen Eltern."
„Hör endlich auf mit dem Geklopfe!"
Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich wieder damit begonnen hatte. Ich steckte den Löffel ins Eis und stellte es beiseite. „Das Baby braucht eine Geburtsurkunde und einen Gentest. Das muss gefälscht werden, weil sonst jemand erkennt, dass die Gene mit denen der angeblichen Eltern nicht übereinstimmen."
Er brummte. „Du hast es geschafft, ich gebe auf." Er stand auf und setzte sich mir gegenüber auf das Sofa.
Frustriert nahm ich eines der kleinen Sofakissen und knautschte es mir den Händen. „Wir haben einfach keine Namen, weder von der Patientin, noch vom Labor. Wir haben noch nicht mal genug Beweise, um damit zur Polizei zu gehen." Ich war das Kissen beiseite, holte den Eisbecher zurück und aß weiter, während Vasili mir grübelnd gegenübersaß.
Schließlich sagte er: „Wenn das Baby übergeben worden ist, zahlen die Grundbesitzer sicher eine astronomische Summe an den Entführer. Das müsste doch auffallen."
„Bankgeheimnisse werden fast noch besser geschützt als Gesundheitsdaten."
„Jetzt wäre es echt geschickt, mit einer einflussreichen Familie in Russland verwandt zu sein", sagte er und seine Augen leuchteten amüsiert.
Ich sah ihn eine Weile überrascht an. Dann sprang ich vom Sofa auf, stellte den Eisbecher so ungeschickt auf den Tisch, dass er umfiel und auslief, nahm mir aber keine Zeit für Schadensbegrenzung, sondern hechtete zu meinem Niki.
Mein erster Impuls war es gewesen, sofort meinen Vater anzurufen. Dieser hatte beste Kontakte und war in der Lage, etwas über die Geldeingänge auf den Konten der Familie Lenevka in Erfahrung zu bringen. Doch bevor ich ihn darauf ansprach, sollte ich mich unbedingt gut vorbereiten. Also hatte ich stattdessen meinen Bruder angerufen und ihm die Geschichte bis ins kleinste Detail geschildert.
Aleksandr hatte vorgeschlagen, selbst mit unserem Vater zu sprechen. Da er in Petersburg war, war das sicher einfacher als über das Niki. Unser Plan war, meinem Vater klar zu machen, was auf dem Spiel stand, wenn sich meine Vermutung als Wahrheit herausstellte.
Wenn die Familie Lenevka enorme Summen anhäufte, könnte sie damit weiteres Land erwerben und dadurch an Macht gewinnen. Es war außerdem gut möglich, dass weitere Familien an solchen Geschäften beteiligt waren und sich so bereicherten. Das wäre nicht zuletzt auch den Familien der Goldenen Sieben ein Dorn im Auge. Und was vielleicht das Wichtigste war: wurde eine Familie eines Vergehens solchen Ausmaßes beschuldigt, wurde ihnen eine empfindlich hohe Geldstrafe auferlegt. Sie müsste eine Summe zahlen, die sie nur durch den Verkauf von Land zusammen bekommen würde. Eine hervorragende Gelegenheit für meine Familie, weiter an Grund und damit Macht zu gewinnen.
Mein Bruder versprach mir, in einem geeigneten Moment mit unserem Vater zu sprechen und sich dann bei mir zu melden, sobald er eine Rückmeldung zu den Geldgeschäften der Familie Lenevka bekommen hatte. So blieb mir also erst mal nichts, außer auf eine Rückmeldung von Aleksandr zu warten.
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