Oktober NE 226 - Kapitel 2

„Wir brauchen schwarze Grundlosen-Kleidung, damit wir nicht auffallen. So was tragen die Ganoven in den Filmen immer, wenn sie irgendwo einsteigen. Die könntest du doch besorgen." Ich drehte mich im Bett zu Vasili um. Der hob kurz verschlafen einen Augendeckel, brummte und schlief dann offensichtlich weiter. Ich piekte ihn leicht in den Oberarm, doch es kam nur ein weiteres missmutiges Brummen zurück.

Ich stand auf und schob die Vorhänge am Fenster beiseite. Doch die Sonne hatte es noch nicht über die Nachbarhäuser geschafft und der Effekt war nicht so spektakulär, wie ich es mir erhofft hatte. Er drehte sich vom Fenster und mir weg und zog die Bettdecke höher über sich. Ich setzte mich schwungvoll auf meine Seite des Bettes. „Die dunkle Kleidung sollten wir sofort kaufen. In ein paar Tagen kann sich keiner von der Kleiderausgabestelle mehr an uns erinnern", drängte ich. Er ignorierte mich weiterhin.

Ich kroch zu ihm unter die Bettdecke und kuschelte mich an seinen nackten Rücken. „Mit meinen roten Haaren falle ich viel zu sehr auf", flüsterte ich, „Du solltest die Kleidung allein kaufen gehen."

Er seufzte. „Darf ich ausschlafen, wenn ich heute Urlaub nehme?", grummelte er und rückte von mir ab.

„Urlaubsantrag wegen dringend zu erledigender Arbeit abgelehnt", gurrte ich und rückte ihm nach. Ich legte meinen Arm um ihn und meine Hand auf seine Brust. Dann ließ ich sie ganz langsam abwärts gleiten.

„Was wird das?", murmelte er, als ich seinen Bauchnabel hinter mir ließ. Klang schon um einiges weniger müde.

„Sexuelle Belästigung eines Angestellten", sagte ich in sachlichem Ton und biss mir auf die Zunge, um nicht lachen zu müssen.

„Alles, um mich aus dem Bett zu bekommen?", fragte er amüsiert und kein bisschen müde mehr. Dann fügte er hinzu: „Ich habe nicht gesagt, du sollst aufhören."

Als wir es schließlich an den Frühstückstisch geschafft hatten, kam ich wieder auf das Thema Ganoven-Kleidung zu sprechen. „Gehst du nach dem Essen gleich los zum Einkaufen?"

„Ich habe eine schwarze Hose und einen dunkelblauen Pulli, das kann ich anziehen. Du hast ebenfalls eine schwarze Hose, alles was du brauchst ist ein dunkler Pulli."

„Das stimmt", überlegte ich. Dann drängte ich ihn weiter: „Kaufst du jetzt also gleich den schwarzen Pulli für mich?"

Vasili schüttelte zu meiner großen Überraschung den Kopf. „Die Kleiderausgabestellen sind nicht wie die feinen Läden für Deinesgleichen. Die gehören alle zu einer der Grundbesitzer-Familien. Wenn ich da als russischer Nicht-Angestellter auftauche und einen Damenpulli möchte, fällt das total auf."

Ich ärgerte mich, dass ich den einen dunkelblauen Pulli verschenkt hatte, den ich während des Studiums besessen hatte. Den hätte ich jetzt gut gebrauchen können! „Kann ich was von dir anziehen?", fragte ich verzweifelt.

„Falls es dir nicht aufgefallen ist, sind dir meine Sachen viel zu weit. Das würde auf der Straße seltsam wirken und wenn wir im Haus sind, solltest du dich auch bewegen können, ohne was umzuwerfen."

Er hatte schon recht, diese ganzen Muskeln mussten ja auch irgendwo Platz haben. Ich würde mich auch niemals beschweren, aber jetzt, in diesem Moment, wäre eine Bohnenstange als Freund praktisch gewesen.

„Bevor du mich durch einen Fotografen ersetzt, der deine Kleidergröße hat...", begann er und sah mich einen Moment prüfend an. Ich fühlte mich irgendwie ertappt. „Du wolltest doch noch die Besucherkarte mit der Einbrecher-ID organisieren? Frag doch einfach Bea ob sie dir was zum Anziehen leiht?"

„Kommt doch rein", begrüßte uns Lorenz erfreut, als er spät am Abend Vasili und mir die Tür öffnete. Ich hatte ihm und Bea nicht den Stress machen wollen, uns so kurzfristig auch noch bekochen zu müssen, deshalb hatte ich vorgeschlagen, dass wir erst nach dem Abendessen vorbeischauen würden. Wie Vasili mir mehrfach unter die Nase gerieben hatte, hätten wir beide heute tatsächlich gemütlich ausschlafen können.

„Am Niki hat es sich dringend angehört, aber ich hatte den ganzen Tag Termine und zu Bea kann ich euch nicht schicken, das würde auffallen", sagte Lorenz. Ich stutzte kurz, dann fiel mir wieder ein, dass sie Kinderärztin war.

„Jetzt bin ich aber gespannt, um was es geht." Lorenz führte uns zu den Sofas, wo Bea bereits saß und uns ebenso erfreut begrüßte. „Aber zuerst noch den Wein einschenken, so viel Gastfreundschaft muss sein", sagte Bea lächelnd und goss Rotwein in vier Weingläser, die bereit standen. „Lorenz hat extra nochmal Wein von Dieto Rosenblatt rausgesucht. Wir hatten tatsächlich noch welchen." Ich studierte kurz die Weinflasche vom Kaiserstuhl, bevor wir uns zuprosteten und einen Schluck tranken.

„Wir haben herausgefunden, dass eure Patientin mit dem verdächtigen Baby zur Familie Riederwald gehört", warf ich in den Raum und beobachtete dabei genau die Gesichtszüge von Lorenz.

„Du brauchst mich gar nicht so anzustarren", sagte dieser und schmunzelte, „Es freut mich sehr, dass du eine andere Quelle gefunden hast. Als Arzt sage ich dir, dass ich trotzdem nichts sagen darf, aber als Freund nicke ich." Er nickte einmal übertrieben deutlich, lehnte sich auf dem Sofa zurück und trank einen Schluck Wein.

„Wir haben einen Plan ausgeheckt, wie wir bei dieser Familie an weitere Informationen kommen könnten", fuhr ich vorsichtig fort, „Ich möchte euch nicht mit reinziehen, deshalb lasse ich die Details aus. Wenn das alles vorbei ist, treffen wir uns einfach wieder auf eine Flasche Wein und dann erzähle ich euch gerne alles. Für die Umsetzung des Plans brauche ich eine Besucherkarte mit einer ID, die mit einer Null beginnt. Solche Karten nutzt ihr doch sicher im Ärztehaus?"

Gespannt hielt ich die Luft an, bis Bea langsam nickte. „Ich kann euch eine Karte geben. Aber die ID fangen nie mit einer Null an."

„Ich weiß, gerade deshalb brauche ich so eine", sagte ich.

Nach einem weiteren Schluck Wein fügte ich hinzu: „Ich brauche auch noch einen dunklen Grundlosen-Pulli, kann ich mir einen von dir leihen?"

Bea sah mich abschätzend an. „Dir ist klar, dass ich einen Kopf kleiner bin als du?", fragte sie, „Meine Pullis sind an dir wahrscheinlich bauchfrei."

„Mich würde es nicht stören", sagte Vasili und zwinkerte mir zu. Ich sah meine Felle davonschwimmen und ignorierte ihn einfach. Schon wieder kein Pulli, das durfte doch nicht wahr sein!

„Kann ich was von einem deiner Söhne ausleihen?", fragte ich Bea.

Diese schüttelte entschieden den Kopf. „Wir helfen dir gerne, aber unsere Kinder ziehen wir da auf keinen Fall mit rein." Ich erschrak und entschuldigte mich sofort. Ich wollte keine Kinder mit einem Einbruch in Verbindung bringen. „Ich hole erst mal die Besucherkarte. Das geht eh am besten jetzt, wenn niemand auf der Station ist." Mit diesen Worten stand Bea auf und verließ Lorenz Wohnung durch die Wendeltreppe im Schrank.

„Die Jungs sind wieder im Internat für das neue Schuljahr, wir könnten beweisen, dass sie zum Tatzeitpunkt nicht hier waren", sagte Lorenz mit ernster Miene, „Aber mir wäre es auch lieber, wenn wir kein Alibi für sie finden müssten."

„Wir finden eine andere Lösung", versicherte ich ihm. Schließlich kam mir ein neuer Gedanke. „Kann ich einen Pulli über eine Kleiderausgabe deiner Familie kaufen?"

„Das ginge durchaus, aber ein offizieller Kauf lässt sich später nachvollziehen. Ich weiß ja nicht, was ihr mit dem Pulli vorhabt, aber da wir uns kennen, käme da irgendwann jemand drauf. Ich müsste ihn aus dem Lager entwenden, da ich da aber nie hin gehe, wäre das zu auffällig."

Ich überlegte, ob ich es nicht etwas übertrieb mit dem geheimen Beschaffen eines Pullis. Ich hatte ja nicht vor, ihn am Tatort liegen zu lassen. Wenn alles glatt ging, würde die Familie Riederwald erst durch meinen Artikel den Verdacht bekommen, dass ich vielleicht im Haus gewesen war. Aber wenn doch etwas schief ging und sich mein Verdacht mit den entführten Babys auch noch als falsch herausstellte waren wir vielleicht froh, wenn wir keine Spuren hinterlassen hatten, die man zu uns zurückverfolgen konnte.

Vasili und Lorenz begannen ein Gespräch über eine Fotografie-Ausstellung, die ich vor kurzem mit ihm besucht hatte. Meine Gedanken drehten sich um die Möglichkeiten, die die Polizei heutzutage wohl zur Verbrechensbekämpfung hatte und die in Büchern und Filmen nicht erwähnt wurden.

Da öffnete sich die Tür zum Schrank und Bea trat ein. Sie hielt triumphierend eine Besucherkarte und einen schwarzen Pulli vor sich hoch. „Wo hast du den jetzt her?", fragte ich erstaunt.

„Wir wollen schon seit Wochen die alten Fundsachen mal wegwerfen, die seit einem Jahr keiner abgeholt hat", erklärte Bea mit einem Grinsen, „Ich wusste doch, dass da ein dunkler Männerpulli dabei war. Er ist mir etwas zu weit und viel zu lang, er sollte dir also einigermaßen passen." Erleichtert nahm ich beides entgegen.

Anastasia war kurz davor, den Pulli selbst zu stricken! Wobei sie aber ebenfalls gescheitert wäre, sie kann nicht stricken. :D

Deine Sonja

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