Oktober NE 225 - Kapitel 1

„Das ist die Höhe!", beschwerte ich mich, „In absolut jedem Fach sollen wir irgendeinen Artikel oder gleich eine ganze Abhandlung verfassen. Wann soll ich denn das alles machen?"

Vasili öffnete noch nicht mal die Augen. „Wenn das die Semester vor uns hinbekommen haben, schaffen wir das auch."

Ich schnaubte und setzte mich auf. Es war ein schöner Tag im Oktober. Wir hatten es uns auf der Liegewiese im Park auf dem Campus bequem gemacht und genossen die warme Sonne auf der Haut.

Leider hatte er dafür sein Shirt ausgezogen und ich wusste nicht, wo ich hinschauen sollte. Sein muskulöser Oberkörper zog meine Blicke magisch an und ich konnte mich schlecht konzentrieren. Deshalb widmete ich mich intensiv dem Stapel Zeitschriften, die ich mir zur Durchsicht mitgebracht hatte und blätterte eine davon durch. „Stöhnst du nie über zu viele Aufgaben?"

„Nein, ich stöhne nur im Bett."

Fast hätte ich mich verschluckt. Ich überspielte das schnell mit einem missbilligenden Schnalzen der Zunge und sah ihn böse an. Er sah mir ruhig in die Augen und es artete zu einem Blickduell aus. Immerhin musste ich ihm dabei nicht auf die gebräunte Brust schauen.

„Du kannst gerne mal dabei sein", flüsterte er.

Ich brach sofort den Blickkontakt ab und stand auf. Er hatte eine Linie überschritten und ich wollte instinktiv die Flucht ergreifen.

Er griff schnell nach meinem Handgelenk. „Setz dich wieder", bat er, „Tut mir leid, ich erwähne es nie wieder."

Ich beschloss, nicht wie ein Kind davonzulaufen und ließ mich wieder auf die Wiese nieder.

Um ihm nicht in die Augen und schon gar nicht auf die definierten Bauchmuskeln schauen zu müssen, zog ich eine andere Zeitschrift heran und begann, darin zu blättern, ohne sie wirklich zu sehen. Ich musste erst mal meine Gedanken ordnen.

Das letzte Mal, als mir als Grundbesitzerin beim Feiern ein Kerl mit so einer billigen Anmache kam, habe ich meinen hochhackigen Schuh abgestreift und ihm damit eins übergebraten. Ok, ich hatte zu dem Zeitpunkt bereits viel intus, aber immerhin habe ich noch so viel Verstand gehabt, nicht mit dem spitzen Teil zuzuschlagen. Warum reagierte ich also diesmal nicht mit Ekel oder Wut? Warum entfachte der Gedanke an einen im Bett stöhnenden Vasili ein kleines Feuer in meinem Unterleib? Das durfte doch jetzt echt nicht wahr sein!

„Nimmst du nächste Woche an Exkursion teil?", fragte er.

Dankbar über den Themenwechsel legte ich die Zeitschrift beiseite. „Ja, natürlich. Eine große Nachrichtenagentur mal von innen zu sehen, lasse ich mir ganz sicher nicht entgehen." Ohne Zeitschrift als Ablenkung ruhte mein Blick nach kurzer Zeit auf seinem wohlgeformten Bizeps.

Zum Glück war bereits ein anderer Zeitvertreib im Anmarsch. Vasilis Zimmernachbar Finn und Ina, die gemeinsam mit den beiden Fotografie studierte, setzten sich zu uns. Eine Weile unterhielten wir uns darüber, was wir uns von der Exkursion erhofften. Doch dann mussten Vasili und Finn zu ihrem Esperanto-Kurs aufbrechen.

„Der Kurs wurde geteilt, ich habe meinen erst morgen früh." Ina lächelte mir zu, legte sich auf den Rücken und schloss die Augen.

Ich wusste von ihr nur, dass sie bei Gruppenprojekten mit Finn oder Vasili zusammengearbeitet hatte.

„Man erzählt sich, Vasili sei der Beste in seinem Jahrgang, stimmt das?", fragte ich.

„Ja, das stimmt", bestätigte sie, ohne die Augen zu öffnen, „Nicht nur im Jahrgang. Die Dozenten überschlagen sich bald noch wegen ihm. Er bekommt Top-Punktzahlen in allen Kursen." Sie öffnete die Augen, sah mich an und grinste. „Aber man darf ja auch einiges erwarten, wenn einer ein Kunstförder-Stipendium der Goldenen Sieben bekommen hat."

Diese elitäre Gruppe verfolgten mich selbst noch als Grundlose! Meine Mutter gehörte seit Jahren zum Gremium, das die Stipendien vergab. Bei dem Gedanken, dass sie beim Auswahlverfahren Vasilis Fotografien ihre Stimme gegeben hatte, musste ich schmunzeln. Die Auswahl erfolgte stets anonym, meine Mutter lernte die Personen hinter den Kunstwerken erst kennen, wenn diese das Ergebnis der Förderung auf einer Kunstausstellung der Goldenen Sieben zeigten.

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