November NE 226 - Kapitel 1
Sobald ich die Daten für meinen Artikel aufgearbeitet hatte, stellte ich die Beweise und alles, was ich sonst herausgefunden hatte, zusammen. Ich schickte diese Unterlagen an die Polizei in Frankfurt und erstattete Anzeige gegen die Familie Riederwald. Noch viel wichtiger war, dass ich die gleichen Unterlagen auch an die Polizei in Moskau schickte und die Familie Lenevka anzeigte. Der Polizei die für die Region zuständig war, in der die Familie Lenevka Land besaß, traute ich nicht. Nun hatte die Polizei Zeit, die Beschuldigten festzunehmen und durch Hausdurchsuchungen weitere Beweise zu sichern. Ich machte mich derweil ans Schreiben des Artikels.
Als ich den Artikel eine Woche später fertig gestellt hatte, versuchte ich mein Glück und bot ihn als Exklusiv-Story dem Grundbesitzeral an, der größten Zeitschrift für Grundbesitzer in Deutschland. Der Artikel wurde tatsächlich gekauft, und das sogar für die stolze Summe, die ich dafür angesetzt hatte. Ich platzte fast vor Stolz, als ich eine Woche später die Ausgabe mit meinem Artikel als Titelgeschichte in Händen hielt. Wie mir mein Ansprechpartner beim Grundbesitzeral berichtete, wurden von der Ausgabe mit meinem Artikel zehnmal mehr Online-Ausgaben weltweit verkauft wie sonst üblich, die Zeitschrift wurde auf einmal von Grundbesitzern weltweit gelesen. Da jeder Grundbesitzer Esperanto sprach, war dies auch problemlos möglich.
In den nächsten Tagen brachten Zeitungen und Zeitschriften weltweit Artikel zu den Kindesentführungen heraus und beriefen sich auf meinen Artikel im Grundbesitzeral. Ich war über Nacht bekannt geworden. Ich bekam viele Interview-Anfragen, von denen ich mir ein paar aussuchte, die mir zusagten. So wählte ich nur welche aus, die auch nach einem Interview mit Vasili gefragt hatten, doch dieser ließ sich immer nur zu ein paar kurzen Statements überreden.
Dem Grundbesitzeral gaben wir das ausführlichste Interview, er wollte gleich einen Folgeartikel nachschieben. Dort wurde auch mein Studium in Nürnberg nochmal ausführlich angesprochen und ich war stolz, dass ich einen Teil des Interviews auf Deutsch geben konnte.
Ich gab bewusst auch Interviews für Medien, die Nachrichten für Grundlose verbreiteten. Die Interviews wurden dafür in die jeweilige Landessprache übersetzt. Ich ließ mir stets versichern, dass der Grundton nicht geändert wurde und in den Artikeln dazu nie über Grundbesitzer hergezogen wurde. Ich begrüßte es, wenn in Begleitartikeln die Probleme der Grundbesitzer mit der Fruchtbarkeit thematisiert wurden.
Neben Interviewanfragen bekam ich auch einige gutbezahlte Angebote zum Schreiben von Artikeln zu interessanten Themen. Doch nach meinem Artikel zur aufkeimenden Widerstandsbewegung in Norddeutschland und dem aktuellen Artikel, der schließlich gegen einen Grundbesitzer gerichtet war, sagte mir mein Baugefühl, dass ich dringend mal wieder meinen Vater besuchen sollte, um ihn zu beschwichtigen. Mein derzeitiger Erfolg würde ihn vielleicht sogar damit versöhnen, dass ich Journalistin geworden war.
Sobald ich die Interviews gegeben hatte und sich der Ansturm an Anfragen beruhigt hatte, flogen Vasili und ich nach Petersburg, um meine Eltern und meinen Bruder zu besuchen.
✩
Ich schleuderte Aleksandr mit gespielter Entrüstung das nächstbeste Kissen von meinem Bett entgegen, das er mit einer lässigen Armbewegung abwehrte. „Kannst du nicht mal anklopfen?", warf ich ihm vor.
Er war einfach so in mein Zimmer gestürmt. „Wieso? So kurz nach deiner Ankunft wirst du doch wohl kaum schon einen Mann auf dein Zimmer mitgenommen haben?", neckte er mich mit gespieltem Erstaunen.
Ich verdrehte die Augen und stand von meinem Bett auf, um ihn zur Begrüßung zu umarmen. Danach setzten wir uns beide nebeneinander auf mein Bett.
„Nochmal persönlich herzlichen Glückwunsch zu dem Artikel", sagte Aleksandr, „Den Namen Petuchow dürfte nun wirklich auch der Letzte auf dieser Welt kennen."
„Hoffentlich sieht es Vater auch so. Wie steht er dazu?", fragte ich besorgt. Bei meiner Ankunft war nur meine Mutter im Palast gewesen. Mein Vater würde erst morgen nach Petersburg kommen.
„Ich habe dir ja schon am Telefon erzählt, dass er nicht vergessen hat, dass er dir bei der Ermittlung der Bankdaten geholfen hat. Er hat deine Reportage ja gewissermaßen damals schon genehmigt. Mit deinem Artikel ist er nach wie vor einverstanden. Ich würde sogar so weit gehen, dass er auf deinen Erfolg stolz ist. Aber du kennst ihn ja, sagen würde er das nie", erzählte Aleksandr, „Deinen Artikel zum aufkeimenden Widerstand in Deutschland hat er deswegen aber nicht vergessen."
„Der ging ihm ganz schön gegen den Strich", sagte ich bekümmert, „Ich hatte gehofft, dass mit der Zeit Gras darüber wachsen würde."
„Das wird es sicher auch", machte mir mein Bruder Mut, „Er will nur immer seinen Willen durchsetzen. Wenn es mal nicht so läuft, wie er sich das vorstellt, sollte man am besten untertauchen." Wir lachten gelöst.
„Und, was gibt es bei dir Neues?", fragte ich Aleksandr, eher um einfach ein bisschen Smalltalk zu machen. „Es gibt da jemanden", sagte er geheimnisvoll und grinste mich an. Ich setzte mich überrascht auf. „Brüderchen!", rief ich, da ich wusste, dass er das nicht leiden konnte. Er war gerne der große Bruder. Doch diesmal war er zu abgelenkt, um darauf einzugehen. „Dich wird doch nicht etwa eine zu einer ernsthaften Beziehung rumgekriegt haben?", forschte ich nach, „Kenne ich sie? Kann ich sie treffen?"
„Du kennst sie nicht und sie ist übermorgen meine Begleitung zu dem Galadinner, zu dem wir alle eingeladen sind", eröffnete er, weiterhin grinsend, „Unsere Eltern wissen noch nichts von ihr, ich werde sie ihnen an dem Abend vorstellen. Also behalte es mal vorerst noch für dich, ja?" Das passte mir nicht besonders, aber immerhin wusste ich offensichtlich als Erste davon.
Das Galadinner, von dem mir meine Mutter vorhin schon berichtete hatte, war der offizielle Empfang der Familie Shikoku, einem Mitglied der Goldenen Sieben, der neben ihrem Besitz in ihrem Heimatland Japan auch große Gebiete in China und der Mongolei gehörten. Diese Familie war tatsächlich noch reicher als wir und gerade auf Urlaubsreise in Russland.
„Solange du nicht die sagenumwobene einzige Tochter der Familie Shikoku datest, ist so viel Geheimniskrämerei doch nicht nötig?", zog ich meinen Bruder auf. Als er nicht antwortete sah ich ihn prüfend an. Er war verlegen? „Nicht dein Ernst!", rief ich aus. Das konnte ja was werden. „Deshalb also deine vielen Reisen in den letzten Monaten?"
Aleksandr nickte. „Ich habe Suzume vor einem halben Jahr auf einer Geschäftsreise kennen gelernt. Seitdem haben wir uns getroffen, wann immer es uns möglich war. Sie hat mich vor zwei Wochen ihrer Familie vorgestellt. Unsere Eltern kennen sich ohnehin über die Goldenen Sieben. Außerdem hattest du da gerade mit deinem Kriminalfall weltweit für Aufsehen gesorgt. Ich konnte ihren Eltern erhobenen Hauptes gegenübertreten."
„Gern geschehen", antwortete ich ihm gönnerhaft.
Aleksandr Petuchow und Suzume Shikoku. Wer hätte das gedacht? „Und wie soll ich jetzt das Gespräch mit Vater ohne breites Grinsen absolvieren?", motzte ich ihn an.
Mein Bruder zuckte gespielt desinteressiert mit den Schultern: „Ich wollte es dir gar nicht sagen, also beschwer dich nicht."
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