November NE 225 - Kapitel 2
Es war Freitagabend und ich saß mit Vasili in einer urigen, halb leeren Bar mit Kegelbahnen. Die Vintage-Lampen gaben der Bar zwar ein außergewöhnliches Flair, tauchten den Raum aber nur in schummriges Licht. Im Hintergrund liefen irgendwelche Oldies, was aber zum Publikum passte. Er hatte mich nach dem Abendessen in der Mensa an die Bushaltestelle vor dem Campus bestellt und war mit mir ans andere Ende von Nürnberg gefahren. Es gab ein angesagtes Bowling-Center in der Nähe des Campus, aber dort gingen viele Studenten hin und so waren wir extra weit weggefahren und mussten uns nun mit Kegeln begnügen.
Ich saß also mit unbequemen, scheußlich bunten Schuhen auf einer harten Holzbank und sah bestens gelaunt Vasili dabei zu, wie er die Kugel unter russischen Flüchen auf die Bahn warf. „Zugegeben nicht mein bester Sport", kommentierte er, als er sich nach nur drei gefallenen Kegeln neben mich auf die Bank setze und nach seinem Glas griff.
Der Vorteil an der schlecht besuchten Bar war, dass nicht alle Bahnen belegt waren und wir uns Zeit lassen konnten. Wir spielten darum, wer bei einem Spiel von zehn Würfen mehr Kegel umwerfen konnte. Ich lag genauso überraschend wie eindeutig vorn.
„Ach komm, du lässt mich absichtlich gewinnen. So trainiert, wie du bist, müsstest du doch mit so einer Kugel klarkommen", sagte ich, lachte und hob auffordernd meine Bierflasche an.
„Kraft ist eben nicht alles." Er stieß mit mir an und wir tranken einen Schluck.
Wir spielten eine neue Runde. Mit seinem zehnten Wurf räumte Vasili alle neun Kegel ab. „Und, reicht es für Sieg?", fragte er und legte von hinten seine Arme um mich.
Ich angelte den Zettel vom Tisch, auf dem ich die Ergebnisse notiert hatte. „Ich habe trotzdem einen mehr abgeräumt", freute ich mich.
„Wenigstens war ich nah dran", sagte er zufrieden, schob meinen Flechtzopf beiseite und küsste meinen Nacken, was ein angenehmes Prickeln hinterließ.
Wir setzten uns wieder an unseren Tisch, um etwas zu trinken. „Immerhin bekommst du keine Minderwertigkeitskomplexe, wenn du mal nicht der Beste bist", sagte ich anerkennend, „Ich habe die Schnauze voll von diesen Jammerlappen, die sich gleich in ihrer männlichen Ehre gekränkt fühlen, wenn sie nicht der Beste sind."
Vasili brummte zustimmend. „Es gibt wichtigeres als Bowling", sagte er ruhig, „Mir ist vor allem wichtig, gut im..." Ich steckte mir demonstrativ die Finger in die Ohren.
Er hielt überrumpelt inne, lachte dann aber, nahm meine Hände und zog sie auf die Tischplatte zwischen uns hinunter. „Ich wollte Fotografieren sagen! Was denkst du nur von mir?"
Ich konnte ihm vor Scham nicht in die Augen blicken. „Tut mir leid, ich hatte Angst, dass du den schönen Moment wieder in diese Richtung ziehst." Den Grund, warum wir auf diesem Date waren, also die Option der gemeinsamen Nacht am Wochenende, hatte er noch mit keiner Silbe erwähnt. Diesmal war es rein meine Schuld. „Lass uns einfach noch eine Runde spielen", schlug ich vor.
„Verlierer fängt an!", rief er fröhlich und nahm sich eine Kugel.
Auch diese Runde konnte ich für mich entscheiden und ich kehrte jubelnd an unseren Tisch zurück.
„Warum hast du dich eigentlich für Journalismus entschieden?", fragte er unvermittelt.
„Mehrere Gründe. Ich interessiere mich generell für das, was aktuell passiert", erklärte ich, „Aber für eine Lokalzeitung zu arbeiten kommt für mich nicht infrage. Ich will die Welt bereisen, die Menschen und ihre Geschichten kennen lernen und darüber berichten."
Vasili nickte gedankenverloren. „Ich hoffe auch, Welt sehen zu können. Einfach mal so richtig weit weg, nach Südamerika oder so. Flug dorthin werde ich mir aber nie leisten können." Er drehte das Glas in seinen Händen und fuhr fort: „Ich hoffe, dass ich Auftrag für so was wie Fotoband erhalte und Flug von Verlag bezahlt bekomme."
Ich nickte. Mit der hohen Umweltsteuer waren weite Flüge selbst für manche Grundbesitzer zu teuer. Wenn mein Vater mir nicht gerade den Geldhahn abgedreht hatte, war es für mich aber kein Problem.
Die nächsten Runden konnte er für sich entschieden, doch beim letzten Spiel gewann ich wieder. Mit bester Laune verließen wir die Bar und schlenderten im Licht der Straßenlaternen zur Bushaltestelle. Auf der langen Heimfahrt quer durch die Stadt wurde ich müde und legte schließlich meinen Kopf auf Vasilis Schulter ab, um etwas zu schlafen.
Als wir uns unserer Haltestelle näherten, strich er mir sanft über die Wange und ich musste mir eingestehen, dass das eine nette Art war, geweckt zu werden. Ganz der Gentleman, brachte er mich noch direkt vor meine Zimmertür. Als er mich etwas unsicher ansah, gab ich mir einen Ruck und ihm einen kurzen Gute-Nacht-Kuss auf die Wange.
Ich wollte danach eigentlich schnell in mein Zimmer gehen, aber er hielt mich mit einer Umarmung fest und holte sich einen langen, richtigen Kuss.
„Nun denn, bis Samstagabend", sagte ich, als er mich schließlich frei gab und grinste bedeutungsvoll. Dann drehte ich mich um und eilte auf mein Zimmer, bevor er noch etwas sagen konnte.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top