Mai NE 225 - Kapitel 1
Ich folgte Vasili durch den muffig riechenden Gang im Keller des ältesten Gebäudes auf dem Campus. „Jetzt nur noch ein paar Spinnweben und die Kulisse wäre perfekt für einen Horrorfilm", kommentierte ich meinen Eindruck.
„Und ich bin Serienmörder, der hübsche Blondine aufschlitzt?", fragte er und sah kurz über seine Schulter zu mir. Ich schnalzte missbilligend mit der Zunge.
Er lachte und sah wieder nach vorne. „Das wäre Letzte an das ich denke, wenn wir an einem abgelegenen Ort wären."
Er lachte und fuhr fort: „Das wäre das letzte an das ich denke, wenn wir an einem abgelegenen Ort wären."
Ich beschloss, dass ich das überhört hatte. In den letzten Monaten hatte ich ihn mehrfach darauf angesprochen, wo mein versprochener Abzug des Fotos blieb. Es war inzwischen Anfang Mai und er hatte das Bild noch immer nicht entwickelt. Zuletzt hatte ich ihm vorgeworfen, dass er mir das Foto vorenthalte, nur damit ich immer wieder zu ihm kam, um danach zu fragen. Da hatte er mich eingeladen, bei der Entwicklung dabei zu sein.
Er blieb stehen. Ich war so in Gedanken, dass ich fast in ihn hineingelaufen wäre. Auffordernd hielt er mir die Tür auf. „Wir sind da."
Ich trat in einen Raum, in dem mehrere Tischreihen aufgestellt waren. An einer Seite hingen einige Schnüre auf Kopfhöhe. „Hier kann man Bilder entwickeln?", fragte ich und betrachtete skeptisch die merkwürdige Apparatur, die auf einem Rollwagen mitten im Raum stand.
Er stellte zwei flache Plastikwannen auf einen der Tische und holte zwei Kanister aus einem Regal. Ich beobachtete aus sicherer Entfernung, wie er die Wannen mit den Chemikalien füllte. Dann schaltete er das Licht aus und der Raum wurde nur noch schwach von roten Lampen erleuchtet.
Er schob den Apparat neben den Tisch, auf dem er seinen Rucksack abgestellt hatte. Dann winkte er mich zu sich. „Komm her, ich zeige dir, wie man macht."
Ich sah ihm dabei zu, wie er das Negativ in den Vergrößerer einlegte und das Fotopapier belichtete. Danach legte er das Blatt ins Chemikalienbad und ich beobachtete staunend, wie das Bild langsam sichtbar wurde.
„Und fertig!", rief er triumphierend, als er das Bild herausnahm und in den zweiten Behälter legte, „Nur noch hier fixieren. Aber da müssen wir nicht danebenstehen, wir können solange anderen Bilder entwickeln."
Da wurde es schlagartig stockdunkel. Erschrocken verharrte ich auf der Stelle.
„Schon wieder Stromausfall", sagte er, „Irgendwas stimmt mit dem Verteilerkasten nicht. Die sollten das endlich mal richtig reparieren lassen. Immer wieder steckt man hier unten fest." Dann hörte ich nur noch sein Atmen neben mir.
„Aber wir können hier raus, oder?" Ich tastete haltsuchend nach der Tischkante.
„Die reparieren das gleich. Ehe du dich im Stockdunkeln durch die Gänge und die Treppe hochtasten kannst, ist das Licht wieder an. Wir warten einfach hier. Komm mit." Er zupfte mich am Ärmel und ging weg. Irgendwohin! Ich traute mich nicht, auch nur einen Schritt weit zu gehen.
„Was ist? Komm her", hörte ich ihn einige Meter schräg hinter mir.
Ich konnte ihm ja jetzt schlecht beichten, wie unwohl ich mich bei völliger Dunkelheit fühlte. Ich nahm all meinen Mut zusammen, drehte mich um, machte einen Schritt und stieß mir schmerzhaft mein Knie an einem Stuhl.
„Ich hole dich, warte dort", hörte ich ihn sagen und dann schnelle Schritte auf mich zukommen. „Ich bin oft hier unten im Halbdunklen und habe nicht dran gedacht, dass du dich nicht auskennst. Ich weiß, wo hier was im Weg steht", sagte er direkt neben mir und legte seinen Arm um meine Taille.
Bei seiner Berührung versteifte ich mich. Was erlaubte sich dieser Grundlose? Doch es gab mir den dringend benötigten Halt, ihn an meiner Seite zu spüren und ich ließ mich von ihm durch die Schwärze führen. Als wir eine Wand erreichten, ließen wir uns an ihr zum Sitzen hinuntergleiten.
„Dauert es noch lange?", fragte ich, einfach um die drückende Stille zu durchbrechen. Stille und Finsternis in Kombination war mir endgültig zu viel.
„Hast du Angst vor Dunkelheit?", fragte er belustigt.
Ich konzentrierte mich darauf, ruhig weiterzuatmen.
„Du hast wirklich Angst im Dunkeln?", fragte er, „Anna die vor nichts Angst hat?"
Ich schnaubte genervt.
„Sobald hier unten im Keller Strom ausfällt bekommt Hausmeisterteam Meldung. Die kümmern sich sicher bereits um den Verteiler."
Ich kämpfte gegen die aufsteigende Panik an. Dass ich mich krampfhaft bemühte, mir vor Vasili keine Blöße zu geben, verstärkte sie aber eher noch. „Dass du unterstreichst, dass wir hier viele Meter unter der Erde sitzen hilft wirklich, danke."
„Soll ich dich ablenken?"
„Gerne", presste ich hervor. Ich hörte, wie er sich bewegte, dann spürte ich seine Lippen halb auf meinen, halb auf meiner Wange.
Erschrocken schubste ich ihn von mir. „Was fällt dir ein!"
Doch ich hörte ihn nur lachen. „Wieso beschwerst du dich? Ich habe doch vorher nach deiner Erlaubnis gefragt. Oder hast du gerade daran gedacht, dass es stockdunkel ist und wir in einem Keller sitzen?"
„Du bist unmöglich. Und warum musstest du den Keller nur schon wieder erwähnen?" Zugegebenermaßen hatte ich meine Situation kurz vergessen können. Aber darum ging es nicht! Jetzt dachte ich aber umso mehr an die Schwärze und die viele Erde, die mich umgab.
„Ich lenke dich gerne nochmal ab", sagte er. Ich konnte heraushören, dass er dabei bis über beide Ohren grinste.
„Träum weiter", zischte ich zurück. Doch es blieb schwarz und ich konnte nur daran denken, wie tief unten wir festsaßen. Und ein kleines bisschen daran, wie es wohl wäre, Vasili zu küssen.
Ich umklammerte wieder meine angezogenen Beine und legte meinen Kopf auf die Knie. Doch es half alles nichts. Als ich kurz davor war, in Panik auszubrechen, ergab ich mich. „Ok, du darfst mich nochmal ablenken", sagte ich mit so viel Würde, wie ich noch aufbringen konnte. Ich griff neben mich, erwischte ihn irgendwo am Shirt und zog ihn zu mir rüber. Seine Hand suchte meine Wange und legte seine Lippen auf meine.
Wir küssten uns zuerst zögerlich, es artete aber schnell in eine wilde Knutscherei aus. Und oh, là, là, er konnte richtig gut küssen! Als die roten Lampen plötzlich wieder angingen, lag er auf dem Rücken, ich halb auf ihm, meine Hand unter seinem Pulli und meiner war bis zur Brust hochgeschoben. Ich setzte mich auf, räusperte mich und ordnete schnell meine Kleidung. Er grinste zufrieden und verschränkte die Arme hinter seinem Kopf, während er zu mir aufblickte.
„Wenn ich erzähle, dass wir auf Boden des Labors geknutscht haben, bin ich Held des ganzen Campus", erklärte er selbstgefällig.
„Wirst du nicht!" Ich warf ihm einen drohenden Blick zu.
Er musterte mich, als würde er ein unbekanntes Insekt untersuchen. „Weil du nicht möchtest, dass irgendjemand erfährt, dass unnahbare und umwerfend gutaussehende Anna Angst im Dunkeln hat?"
Das auch, ja! Ich schnaubte genervt, schnappte meine Tasche und verließ so schnell ich konnte das Labor.
✩
Juhu, ein Kuss! Bitte schreib mir, wie dir dieses Kapitel gefallen hat. Ich bin so gespannt! Über ein Sternchen freue ich mich natürlich auch.
Deine Sonja
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