Juni NE 226 - Kapitel 2

„Aleksandr!", begrüßte ich meinen Bruder voller Freude, als er ranging.

„Ich musste mich zwei Mal vergewissern, dass das wirklich deine Nummer ist, die mich da anruft", sagte er verblüfft, „Was verschafft mir die Ehre, nach zwei Jahren Funkstille?"

Ich berichtete ihm, dass ich am Tag zuvor meine Abschlussarbeit eingereicht hatte und dass damit mein Abschluss soweit in trockenen Tüchern war. „Ich warte nun nur noch auf die Verkündung der Prüfungsergebnisse", erklärte ich ihm, „Also selbst wenn Vater nun seine Personenschutz-Androiden hierherschickt, um mich zurück nach Petersburg schleifen zu lassen, meinen Abschluss sollte er mir nicht mehr nehmen können."

„Es ist so schön, wieder von dir zu hören", gab Aleksandr zu, „Die kurzen Nachrichten, die du mir an deinen Geburtstagen geschickt hast waren ja immerhin etwas, aber Mutter und ich haben uns trotzdem Sorgen gemacht. Und wo warst du die ganzen zwei Jahre eigentlich? Allein unter Grundlosen!" Inzwischen war Aleksandr wohl klar geworden, dass ich ihn damals nicht auf den Arm genommen hatte und wirklich als Grundlose studierte. Ich stellte mir vor, wie es ihn bei der Vorstellung gerade schüttelte.

„So schlimm ist es nicht", beschwichtigte ich ihn, „Grundlose sind auch nur Menschen, weißt du? Ich bin hier in Deutschland, an der Universität für Journalismus und Fotografie in Nürnberg, um genau zu sein. Aber ich erzähle dir später mal ausführlich von meinen Erlebnissen. Kannst du mir einen Gefallen tun?"

„Klar, soll ich dir Geld schicken?"

„Nein, ich habe noch genug für das Bahnticket zurück nach Petersburg."

„Bahn fahren! Die ganze Strecke?" Aleksandr keuchte und diesmal konnte ich heraushören, wie es ihn schüttelte.

Dabei hatte ich ihm noch nicht mal erzählt, dass ich von einem Ticket zweiter Klasse gesprochen hatte. Mir wurde bewusst, wie sehr sich mein Weltbild in den vergangenen zwei Jahren geändert hatte. Meine Ansichten hatten sich früher kaum von denen meines Bruders unterschieden.

„Ich trete nun wieder als Grundbesitzerin auf und dafür brauche ich einige Kleider. Ich schicke dir meine Adresse und eine Liste mit allem, was ich aus meinem Schrank benötige. Bitte sorge dafür, dass jemand vom Personal die Dinge packt und mir so schnell wie möglich schickt, ja?"

„Ist gut, ich kümmere mich drum", versicherte er mir, „Aber ich überweise dir zur Sicherheit noch eine Million, man kann ja nie wissen. Und bitte versprich mir, dass du das Flugzeug nimmst, wenn du nach Petersburg kommst."

Kann ich denn überhaupt kommen? Wie steht Vater denn jetzt zu mir?", erkundigte ich mich vorsichtig.

„Nachdem du weg warst hat er natürlich getobt. Aber inzwischen scheint er sich damit abgefunden zu haben. Ich würde es an deiner Stelle einfach mal probieren. Mehr als rauswerfen kann er dich nicht. Mutter und ich sind ja auch noch da, wir versuchen zu vermitteln, falls nötig."

„Gut, dann komme ich nach Petersburg, sobald ich mein Abschlussdiplom erhalten habe", versprach ich und wir verabschiedeten uns.

Nach dem Telefonat mit meinem Bruder ging ich zum Mittagessen in die Mensa und setzte mich mit meinem Teller Nudeln an unseren Stammtisch am Rand, an dem bereits Finn und Vasili saßen.

„Ich habe kurz vor der Mittagspause das Gerücht gehört, dass Anastasia eine Grundbesitzerin sein soll", sagte Finn und sah bedeutungsvoll zwischen Vasili und mir hin und her, „Darf ich jetzt durch die Gänge rennen und Ich wusste es brüllen? Oder wie machen wir das?" Ich verdrehte die Augen. Finn hatte sein Versprechen gehalten und niemandem etwas gesagt. Nun hatten es die Dozenten über die Abschlussarbeit erfahren und es ging los. „Du kannst allen sagen, dass ich dir soeben das Gerücht bestätigt habe", schlug ich vor. „Du darfst Vasili und mich aber auch weiterhin nicht verraten, denk dran", fügte ich eindringlich hinzu.

Finn nickte. „Keine Sorge, von mir erfährt niemand etwas."

Da die vier Mädels mit ihrem Essen auf unseren Tisch zusteuerten, sagte ich weiter nichts dazu. Eigentlich vertraute ich Finn, dass er das Geheimnis auch weiter bewahren würde. Mittlerweile war es zur Gewohnheit geworden, dass wir uns zu siebt an den Tisch für sechs quetschten. Am Rande registrierte ich, dass Giusi sich schnell an Lara vorbeischob, um neben Finn sitzen zu können.

„Wisst ihr schon das Neueste?", platze Mona heraus, kaum, dass sie sich einen siebten Stuhl an unseren Tisch gezogen und sich gesetzt hatte, „Es wird behauptet, dass Anna eine Grundbesitzerin ist!" Sie blickte Beifall heischend in die Runde. Als Finn, Vasili und ich einfach nur nickten, zog sie die Augenbrauen hoch. „Ihr wisst davon?"

Finn holte theatralisch Luft und sagte: „Ich habe das Gerücht auch gehört und Anna hat gerade bestätigt, dass es stimmt." Die vier Freundinnen sahen zuerst ihn und dann mich mit aufgerissenen Augen an.

„Das ist Anastasia Petuchow", ergänzte Vasili, „Sie hat es mir vorab gesagt, da sie ihre wahre Identität mit unserer gemeinsamen Abschlussarbeit preisgeben wollte." Dann zog er einen verknitterten Ausdruck der beiden Doppelseiten hervor und reichte die Blätter herum, damit jeder am Tisch den Artikel lesen konnte.

„Ich hätte nicht gedacht, dass das Gerücht wahr ist", murmelte Giusi, während sie den Artikel studierte.

Lisa ergänzte: „Das Gerücht kann auch keiner so recht glauben. Wenn darüber getuschelt wird, dann eher: Das wäre ja der Hammer! oder Das hätten wir doch gemerkt!"

Jana pflichtete bei: „Wer hätte schon mit so was Verrücktem gerechnet? Das klingt nach einer Verschwörungstheorie!" Ich musste lachen.

Als ich die Mensa verlassen wollte, hielt mich eine meiner Dozentinnen auf und richtete mir von Lea, der Rektorin der Universität, aus, dass ich mich schnellstmöglich in ihrem Büro einfinden solle. Mir war natürlich klar, um was es ging. Aber ich hatte mir bereits einen Plan zurechtgelegt, den ich nun umsetzte. Ich ging auf mein Zimmer und verwandelte mich in eine Grundbesitzerin.

Während ich über den Hof schritt starrten mich viele Studierende an. Mir war klar, dass ich durch meinen Auftritt die Gerüchteküche noch anheizte.

Sobald ich das Verwaltungsgebäude betrat, in dem neben dem Sekretariat auch das Büro der Rektorin der Universität untergebracht war, wurde ich sofort zu Lea geführt. Sie erhob sich sofort, als ich eintrat. Mir fiel auf, dass sie verunsichert war und nicht so recht wusste, wie sie mir nun gegenübertreten sollte. Hände schütteln, wie zwischen Unileitung und Studentin üblich? Oder eine leichte Verbeugung, wie zwischen unseren Ständen eigentlich angemessen? Für meine Zwecke war es sicher von Vorteil, sie versöhnlich zu stimmen, also streckte ich Lea meine Hand entgegen, die sie dankbar annahm.

„Schön, dass Sie so schnell gekommen sind, Frau Petuchow", sagte Lea und wir setzten uns an einen kleinen Besprechungstisch. „Wie Sie sich denken konnten, habe ich Sie wegen Ihrer Abschlussarbeit hierherbestellt. Bitte weisen Sie sich aus." Es war ihr sichtlich unangenehm, nach meiner ID zu fragen. Mir fiel auch auf, dass sie sich trotz des Händeschüttelns für das Grundbesitzern gegenüber übliche Siezen entschieden hatte.

Aus einer in den Falten meines Rockes eingenähten Tasche holte ich sowohl den gefälschten Ausweis von Anna als auch mein Niki hervor, rief meinen echten Ausweis auf und legte beides der Rektorin hin. Sie hob ehrfürchtig das Niki auf und betrachtete die Daten gründlich. Ich schilderte ihr meine Beweggründe, als Grundlose zu studieren.

Lea lehnte sich müde in ihrem Bürostuhl zurück. „Ich will ehrlich zu Ihnen sein. Wenn ich offiziell zugebe, dass ich von Ihrer Maskerade nichts wusste, wird meine Position angezweifelt. Der ausgezeichnete Ruf der Universität hat schon wegen Maries Täuschung gelitten. Wenn jetzt auch noch bekannt wird, dass jemand mit gefälschtem Ausweis hier studiert hat, nimmt er weiteren Schaden. Das möchte ich unbedingt vermeiden."

Daran hatte ich nicht gedacht. Ganz die Tochter der Familie Petuchow hatte ich nur an eines gedacht: mein eigenes Ziel.

„Ich schlage Ihnen deshalb folgendes vor", fuhr Lea fort, „Wir geben offiziell bekannt, dass ich von Ihrer wahren Identität wusste. Dabei ist es ganz wichtig, dass Sie es mir erst nach der Zusage gesagt haben, damit die Unabhängigkeit unseres Auswahlgremiums nicht angezweifelt wird. Wir haben Ihre Identität verschwiegen, um eine neutrale Benotung im Studium zu gewährleisten." Lea sah mich erwartungsvoll an.

Ich zögerte noch. „Mein Diplom, wird das dann auf meinen richtigen Namen ausgestellt?"

„Ich habe die Satzung unserer Universität persönlich nochmal überprüft, es steht dort nicht drin, dass Grundbesitzer nicht bei uns studieren dürfen. Demnach spricht nichts dagegen."

Mein Herz fing an wie wild zu klopfen. Ich hatte nie einen Gedanken daran verschwendet, dass die Satzung der Universität meinem Diplom im Wege stehen könnte. Glück gehabt! Ich nickte zustimmend. „Falls jemand danach fragt werde ich gerne angeben, dass ich dich gleich nach meiner Zusage eingeweiht habe."

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