August NE 226 - Kapitel 2
Die ganze Heimfahrt über hatte ich gegrübelt, ob ich irgendetwas Brauchbares erfahren hatte. Ich war mir ja nicht mal sicher, ob die Familie Lenevka in den Fall verwickelt war. Ganz zu schweigen davon, ob das Gerücht über die zusammenhängenden Fälle von verschwundenen Babys tatsächlich stimmte.
Aber ich hatte noch immer keine andere Idee für einen Artikel und beschloss, einfach ins kalte Wasser zu springen und blind drauflos zu recherchieren. Ich buchte Flugtickets für mich und Vasili nach Frankfurt am Main, Deutschland.
Vasili hatte mehrfach den Kopf geschüttelt, als ich ihm meine Pläne erläutert hatte. Doch die Aussicht, nochmal fliegen zu dürfen und in einem der vornehmsten Hotels in Frankfurt wohnen zu können, hatten ihn schließlich seinen Widerstand fallen lassen. Er hatte resigniert eingelenkt: „Du bist verrückt, Printsessa. Natürlich bin ich dabei."
So kam es, dass wir Mitte August, nach zwei Wochen in Vasilis Dorf, wieder nach Deutschland zurückkehrten. Ich hatte eine Junior Suite in einem Hotel gemietet. Sie bestand aus einem Schlafzimmer mit einem Himmelbett für zwei, einem großen Bad mit Whirlpool und einem großzügigen Wohnbereich mit Esstisch und Couch-Ecke. Das wichtigste war aber, dass sie einen Raum für das mitgebrachte Personal hatte. Vasili hatte also sein eigenes, spartanisch eingerichtetes Zimmer, das eine Verbindungstür direkt zu meiner Suite hatte. Er benutzte es eh nur, um sich umzuziehen.
Was ich euphorisch begonnen hatte, war zum Scheitern verurteilt. Wir hatten zwar eine gute Zeit in Frankfurt, aber mit meinen Recherchen kam ich kein Stück weiter. Als ich nach einer Woche in Frankfurt abends neben Vasili im Bett lag, überlegte ich zum wiederholten Male, wie ich in diesem Fall vorwärtskommen könnte. „Wenn meine Annahme stimmt, dass die Familie Lenevka Neugeborene entführen lässt, um sie an Grundbesitzer-Familien in Deutschland zu verkaufen...", murmelte ich vor mich hin, „Dieto könnte die Babys nach Deutschland schmuggeln. Oder Niocovat." Wobei ich es Dieto nicht zutraute, ich fand ihn einfach zu sympathisch. Was für eine Journalistin zugegebenermaßen ein höchst unprofessioneller Gedankengang war.
„Oder du liegst völlig daneben und es gibt nicht mal Babys", wandte er schläfrig ein, „Es ist schon spät. Mach einen Punkt und gleichzeitig das Licht aus." Er drehte mir demonstrativ den Rücken zu und zog sich die Bettdecke über den Kopf. Ich seufzte. Es ließ mir einfach keine Ruhe und ich konnte noch nicht an Schlaf denken.
Vasili verbrachte jeden zweiten Tag mit seiner Fotoausrüstung auf Motivsuche quer durch Frankfurt. Ich hatte ihm einen Rechner gekauft, auf dem er die Bilder aussortierte, bearbeitete und auf Online-Plattformen bereitstellte. Er hatte bereits zwei Fotos verkauft und es frustrierte mich, dass sich sein Konto füllte, während ich seit unserer Abschlussarbeit nichts mehr eingenommen hatte.
„Ich gehe aus", informierte ich einen vermutlich bereits eingeschlafenen Vasili und stand auf, um mich anzuziehen.
✩
Die Bar für Grundbesitzer, die ich mir ausgesucht hatte, war gut gefüllt und etwas stickig. Ich bahnte mir meinen Weg an der Reggae-Band vorbei und setzte mich an die gläserne Theke auf einen Barhocker. Es roch nach exotischen Früchten, die hier von einem Barkeeper vor den Augen der Gäste zu noblen Drinks verarbeitet wurden.
Der in die Theke eingelassene Bildschirm pries den Cocktail des Tages an: Frankfurter Frieden. Der hohe Anteil an Wodka und Blue Curacao ließ darauf schließen, dass ich danach bestens einschlafen würde. Als der Barkeeper nach meinen Wünschen fragte, bestellte ich ihn. Dabei setzte ich stolz mein während des Studiums erlerntes Deutsch ein.
Mein dunkelgrünes Kleid war nur am Mieder mit Goldstickereien verziert. Schlicht genug, um nicht herauszustechen. Den mit Goldfäden durchwirkten Überrock meines Kleides hatte ich im Hotelzimmer gelassen. In Anbetracht der engen Bestuhlung an der Bar war es gut, dass mein Rock weniger ausladend war als sonst. Ich genoss es, unbehelligt an meinem Drink zu nippen und die anderen Gäste der Bar zu beobachten. Es ging mir darum, abzuschalten und auf andere Gedanken kommen.
Da schob sich eine Frau in meinem Alter auf den freien Barhocker neben mir. Mir fiel sofort die kunstvolle Stickerei eines Pfaus ins Auge, dessen Kopf und Körper auf der Vorderseite ihres Mieders prangte und dessen Schwanzfedern sich über die mir zugewandte Hälfte ihres nicht allzu ausladenden Rockes erstreckten. Über die Kleidernähte hinweg gestickt, also von Hand, nachdem das Kleid genäht worden war. Understatement, interessant. Sie legte einen Arm quer über den Tresen und schnipste dem Barkeeper auffordernd vor dem Gesicht herum. „Einen Pina Colada", verlangte sie gebieterisch. Den Barkeeper schien ihr aufdringliches Gehabe nicht weiter zu stören. Kurze Zeit später stellte er wortlos den gewünschten Drink vor ihr ab. Ich prostete ihr zu.
Die Pfauen-Lady stieß etwas schwungvoller als nötig mit mir an, nahm einen tiefen Schluck von ihrem Cocktail und musterte mich von oben bis unten. „Alleine hier?", fragte sie.
Ich nippte an meinen Cocktail und stellte ihn zurück auf die Theke. „Ja. Du auch?"
Sie seufzte. „Ich hatte eigentlich ein heißes Date geplant, aber der Arzt hat bei dem Kerl eine ansteckende Krankheit festgestellt. Jetzt muss er erst mal zwei Wochen behandelt werden. Was das kostet! Und so attraktiv ist er nun auch wieder nicht."
Ich verstand den Zusammenhang nicht und überlegte, ob ich irgendwas falsch übersetzt hatte, obwohl sie zu Esperanto gewechselt war.
Der Blick der Frau wanderte wieder zum Barkeeper zurück, der gerade mit mehreren Gläsern und einem Shaker jonglierte. „Wenn du nach etwas Abwechslung von deinem Freund suchst, ich kann Max hier sehr empfehlen. Er hat nicht nur geschickte Finger, was er mit seiner Zunge so alles anstellt ist phänomenal."
Ich musste lachen. „Nein danke, ich bin gut versorgt."
„Du bist allein in einer Bar, wie kannst du da gut versorgt sein?" Sie zwinkerte mir verschwörerisch zu.
Ich dachte an den schlafenden Vasili im Hotelzimmer, korrigierte sie aber nicht. „Ich bin treu", antwortete ich.
„Sex mit einem Grundlosen kann man doch nicht wirklich als Fremdgehen bezeichnen." Sie trank wieder einen Schluck. „Da sind schließlich keine Gefühle involviert. Glaub mir, du verpasst etwas. Ein paar von denen wissen wirklich, was sie tun."
Ich konnte ihr nicht in allen Punkten zustimmen, sagte aber besser nichts dazu, sondern nippte an meinem Frankfurter Frieden.
„Aber das Wichtigste ist eine gute Vorplanung", redete sie unbeirrt weiter, „Wenn mir einer gefällt, schicke ich ihn zu meinem Arzt und lasse ihn durchchecken."
Ich hob erstaunt die Augenbrauen und fragte: „Du lässt einen Fruchtbarkeitstest machen?"
Die Pfauen-Lady kicherte. „Ach, wo denkst du hin! Ich lasse ihn auf übertragbare Krankheiten untersuchen. Wenn etwas festgestellt wird, zahle ich die Behandlung. So haben alle was davon, verstehst du?"
Ich verstand. Sie zahlte nichts für den Sex, sie zahlte den Arztbesuch und falls nötig eine Behandlung wie sie sonst nur Grundbesitzer bekamen. Das war für die grundlosen Männer sicher attraktiv. Und danach konnte sie auf Kondome verzichten. Denn die Verhütung erledigte die Krebsvorsorge-Tablette, die alle Grundbesitzer jeden Monat nahmen.
Sie erzählte weiter: „Ich schicke sie zu Dr. Lorenz Grüneburg hier in Frankfurt. Der ist sehr diskret! In seinem Ärztehaus werden sowohl Grundbesitzer als auch Grundlose behandelt. Selbstverständlich in getrennten Bereichen! Er stellt mir dann einfach eine Rechnung, das ist unauffällig."
Diese Information gab mir tatsächlich ein neues Thema, zum drüber nachdenken.
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