Helikopterbruder

Montag, 20. Mai 2001

Kumos Geschichte aus meiner Erinnerung:

Als ich aus dem Krieg zurückkam war Morioh nicht mehr so wie es einmal war. Mein verschlafenes, altmodisches Dorf war in den fünfziger Jahren angekommen und meine kleine Schwester, die geboren wurde während ich stationiert war, war mittlerweile schon eine kleine Dame. Manchmal glaube ich, dass sie geboren wurde, weil meine Elterm der festen Überzeugung waren, dass ich nicht zurückkomme und sie nach Ersatz suchten. So oder so, mich um sie zu kümmern war hilfreicher als jede Therapie.

Ich sah ihr beim groß werden zu und half meinen Eltern dabei ihre vielleicht etwas kontroverse Erziehung durchzuziehen. Meine Schwester war ihr Schatz und so wurde sie auch behandelt. Ohrringe, Taatoos, Rauchen und Zigaretten waren tabu. Jungs waren ein absolutes Tabu. Kein Händchen halten, kein küssen und schon gar nichts was darüber hinaus geht. Da meine Schwester es nicht anders kannte, hielt sie diese Regeln brav ein und merkte gar nicht, dass sie das beste ihrer Jugend verpasste. Es war wie in diesem Film von Johnny Depp, Crybaby. Das gute Kind aus behüteten Hause, das sich in den Raufbolden von Nebenan verliebte. Nun, vielleicht auch Susi und Strolch. Oder Titanic. Jetzt wo ich so drüber nachdenke gibt es viele Filme mit dem Genre.

Dein Opa jedenfalls war meiner Familie von Anfang an ein Dorn im Auge. Er ludt sie zum Abschlussball 1961 ein, da sind sie schon seit einem halben Jahr heimlich ausgegangen. Meine süße Schwester ließ eine Woche vor dem Ball die Katze aus dem Sack und unsere Eltern waren alles andere als begeistert. Sie wollten ihr den Ball schon verbieten, doch so sehr ich ihre Erziehungsansichten auch teilte, das ging mir dann doch etwas zu weit. Ich bot meinen Eltern an diesen Higashikata Mal auf einen Kaffee einzuladen und ihn durch die Mangel zu nehmen. Sollte er denn Test bestehen, dann dürfte er meine Schwester mit auf den Ball nehmen.

Das Café in dem wir uns damals trafen gibt es heute noch. Der Inhaber hat mittlerweile gewechselt und die Preise sind teurer geworden. Damals hat eine ganze Kanne Kaffee nur 430¥ gekostet! Aber gut, wie auch immer. Das Gespräch verlief so enttäuschend wie ich es mir vorgestellt habe. Ryohei Higashikata war das was man in den 60ern liebvoll einen Rowdy nannte. Das Wort Delinquent gab es damals noch nicht. Ich bat ihm eine Zigarette an, doch er lehnte ab, der einzige Teil des Testes den er bestanden hatte. Danach ging es kontinuierlich bergab.
,,Jetzt wo euer Abschluss ansteht, was hast du denn so vor in deinem Leben?"
,,Ich mache eine Ausbildung, Sir."
Ausbildung. Und was ist mit dem College? Ich schürzte die Lippen angewidert.
,,Eine Ausbildung zu was?"
,,Ich gehe an die Polizeiakademie in S. Die Übernahmechancen stehen bei 99,99% und ich habe zugesichert bekommen, dass ich nach Beendigung meiner Lehre hier in Morioh stationiert werde."
Ich knirschte etwas mit den Zähnen bei den Gedanken, dass meine Schwester einen Typen daten würde, der einen dergleich gefährlichen Job für einen Apfel und ein Ei machen würde. Damals haben Polizisten bei weiten nicht so viel verdient wie heute.
,,Ok... Wie sieht es mit Eigenheim aus?"
,,Meine Eltern haben ein wunderschönes Haus in einer ruhigen Wohngegend, das ich bei Zeiten erben werde. Gerade wohne ich in einer Wohnung im Zentrum, damit ich etwas unabhängiger werden kann."
Oh Gott oh Gott oh Gott. Was soll ich denn davon halten? Arbeitet nicht hart für den eigenen Grund und Boden und lässt seine Eltern im Alter allein. Kritisch, wirklich äußerst kritisch.

Dennoch machte ich das unfassbare und sagte meinen Eltern, dass dieser Knabe schon ganz okay war, also erlaubten wir meiner Schwester den Typen weiter zu daten. Natürlich durfte er nur zu uns kommen, nicht umgekehrt, ihre Zimmertür musste immer auf sein und ausgehen war nie länger als bis 20 Uhr erlaubt. Insgeheim hoffte ich, dass Ryohei unsere Kontrolle nicht lange mit machen und meine Schwester fallen lassen würde, doch er blieb und folgte brav unseren Spielregeln.
Bis er es irgendwann nicht mehr tat.

1963 wurde ich das erste und letzte Mal Onkel. Als klar war, dass meine Schwester schwanger ist, gab es für meine konservativen Eltern nur zwei Optionen:
Abtreiben oder auf der Stelle heiraten.
Ich denke du weißt, wofür deine Großeltern sich entschieden. Sie waren ein junges Paar, doch Ryoheis Eltern nahmen sie bei sich auf, damit sie und ihr Kind genug Platz hatten. Im Laufe der Jahre starben beide nacheinander an Altersschwäche, aber davon Mal ab.
Deine Mutter kam zur Welt nachdem meine Schwester ihren Traummann geheiratet hatte. Es fühlt sich falsch an für mich, immerhin waren sie noch so jung. Keine 18 und doch schon im Eheschwur miteinander verbunden.
Aber ich hatte mich mit dem Gedanken abzufinden. Ryohei war längst nicht mehr der Rowdy Freund meiner Schwester. Er war mein Schwager und der Vater meiner kleinen Nichte. Polizeianwärter noch dazu. Als Tomoko zur Welt kam, ließ er alles in seiner Akademie in S City stehen und liegen und fuhr ins Krankenhaus, um seiner Frau beizustehen. Da wusste ich, dass ich ihn falsch eingeschätzt hatte. Aber gut, jeder macht mal Fehler.

Nun aber doch noch zu den Geschichten über deine Mutter, bevor sie den Wein findet: Sie war ein wildes Kind und eine unkontrollierte Teenagerin. Die Beschwerden die wir über sie bekamen reichten von bedroht über bestohlen bishin zu Zähne eingeschlagen. Aber sie wusste sich zu verteidigen und das war die Hauptsache für ein junges Mädchen, wenn man bedenkt wie die Dinge in Japan so zugehen können.
Umso mehr überraschte es mich, als sie mit dir um die Ecke kam. Versteh' mich nicht falsch, aber ich habe deine Mutter wirklich klüger eingeschätzt. Und dann auch noch mit einem Ami, die schlimmste Sorte nach den Chinesen!
Na ja, hast dich ja aber wacker geschlagen. Zu meiner Zeit hat man Bastarde noch abgetrieben oder zur Adoption frei gegeben oder auf den Rücken gelegt, bis sie starben. Da kannst du froh sein, dass du in den 80ern geboren wurdest, Junge.

Mama kam mit dem Wein wieder und beäugte Kumo misstrauisch. ,,Der Wein war hinter einem Stapel Schallplatten versteckt. Was hast du ihm erzählt, während ich weg war?"
,,Es ging nur um Jungskram, Mutter. Gib den Wein her, ich hab durst", antwortete ich und hielt meiner Mutter unschuldig lächelnd mein Weinglas hin.

Wurde an sich ein ganz netter Abend und der Wein reichte um Mal etwas besoffen zu werden.

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