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Ich hatte mir einen Pulli und eine frische Boxershorts von Jax über gezogen. Damit ging ich so schnell es ging nach unten und suchte mir die nächstbeste Waffe. Das große Küchenmesser musste einfach herhalten.
Wie oft hatte ich schon versucht Jax mit einem Messer anzugreifen? Ich musste es diesmal intelligenter anstellen. Der Pulli hatte am Bauch eine große Tasche. Da war ein Messer wirklich super praktisch zu verstecken.
Schnell lief ich nach oben und ging wie immer in Jax Zimmer. Meine Haare waren noch feucht und ich sah wirklich aus wie ein Häufchen Elend.
"Da bist du ja wieder." Säuselte Jax und guckte von Bett aus zu mir. Er schien sehr gut drauf zu sein. Natürlich war er gut drauf. Was auch sonst. Schüchtern hatte ich meine Hände in der Hoodie Tasche versteckt. Jax sollte das Messer nicht ausversehen durch den Stoff sehen. Langsam ging ich auf ihn zu. Er lag halb nackt mit dem Rücken auf der Matratze und hatte seinen Blick, auf sein Handy gerichtet. Er schrieb irgendwelche Emails oder Nachrichten. So sah es zumindest aus.
Ich war nervös. Mein Herz pochte so sehr gegen meinen Brustkorb, dass ich fast schon dachte, Jax würde es hören. Aber da das ja eigentlich unmöglich ist, versuchte ich keinen Gedanken mehr daran zu verschwenden. Ich musste einen kühlen Kopf bewahren.
Meine Augen waren ein bisschen angeschwollen durch das viele Weinen heute Abend. Mein Intimbereich war auch für die nächsten Tage außer Gefecht gesetzt. Und von dem erneuten, psychischen Schaden will ich gar nicht erst anfangen. Damit öffne ich wieder ein Thema, worauf ich mich jetzt nicht konzentrieren kann.
Ich kletterte aufs Bett und setzte mich auf Jax. "Was soll das werden, wenn's fertig ist?" Ahnungslos legte Jax sein Handy beiseite und hatte nur noch Augen für mich. Ein dezentes Lächeln legte sich auf seine Lippen. Er schien glücklich zu sein. Aber das war nur gespielt. Jegliche Nettigkeit die Jax projiziert ist einfach nur vorgetäuscht. Er setzt sich vorher ein Ziel und ist dann gerade so nett oder freundlich, dass er es erreicht. Das macht einen Soziopathen aus. Er ist berechnend und unehrlich.
Am liebsten würde ich mich jetzt neben ihn kuscheln, einschlafen und nie wieder aufwachen. In meiner Traumwelt würde ich mir dann eine Jax-freie Welt aufbauen und dort leben. Dornröschen war wirklich zu beneiden.
"Willst du mir nicht antworten?"
Jax sprach wieder zu mir. Aber ich war so in Gedanken. Ich musste mich noch irgendwie überzeugen Jax zu töten. Es gibt so viele Argumente die dafür sprachen. Aber bin ich so sehr im Recht, dass ich ein Menschenleben nehmen könnte? Zeugt es nicht noch mehr von Egoismus, wenn ich mein Leid über das Leben anderer Stelle?
Aber wie weit schafft man es in dieser Welt, ohne egoistisch zu sein?
Ist das die Frage die ich mir stellen muss? Und wenn es so sein sollte, wie weit möchte ich dann im Leben kommen?
Entschlossen umgriff ich das Messer mit meiner Hand. Ich stand so kurz davor, etwas unwiderrufliches zu begehen. Mein Herz pocherte so sehr gegen meinen Brustkorb, dass es fast schon schmerzte. Mein Kopf fasste keinen klaren Gedanken mehr. Nur noch ein Wort konnte ich wirklich klar vor meinen Augen sehen.
Freiheit
Wenn Wörter schreien könnten, wäre ich jetzt taub. Dieses Wort war so präsent vor meinem geistigen Auge. Und um das zu erreichen, was das Wort beinhaltet, musste ich moralische Regeln brechen. Ein Menschenleben für meine Freiheit. Ich war so nervös. Dieser Moment gehörte ganz mir und ich musste entscheiden wie ich ihn nutze.
Nun hieß es ja oder nein.
Ich entschloss mich für meine Freiheit. Schnell zückte ich das Messer. Mit viel Kraft drückte ich es an Jax Kehle. Er guckte mich überrascht an. Die Freiheit war zum greifen nah.
Jetzt musste ich nur noch schneiden. Ein Schnitt und alles wäre vorbei.
Ich starrte in Jax graue Augen und entdeckte so viel Leben darin. Soviel Gutes wie Schlechtes. Ein Leben was noch nicht zuende gelebt war. Ein Leben was nun am Abgrund stand. Ich hatte die Macht über sein Leben. Adrenalin schoss durch meinen Körper. Diese Spannung war kaum auszuhalten. Tränen benässten meine Wangen.
"Komm schon Püppchen, beende es. Ein Schnitt und alles hat ein Ende."
Er war ganz ruhig. Das verlieh mir auch eine gewisse Ruhe. Erschreckend was für einen Einfluss sein Gemütszustand auf meinen hatte.
Ich fasste mir kurz an den Hals. Solange ich dieses erniedrigende Halsband noch trage, kann das alles hier ja nichts werden. Schnell nahm ich es ab und konzentrierte mich wieder auf meinen Entführer. Mit der Klinge am Hals blieb er jedoch weiterhin ganz ruhig. "Baby wenn du frei sein willst, musst du einfach nur zuschneiden."
"Ich will es so sehr. Ich will dich tot sehen. Dann bin ich endlich frei." Murmelte ich. Meine Tränen wurden immer mehr. Je mehr ich merkte, dass ich es nicht machen konnte.
"Du sollst sterben Jax Parker. Du bist so ein böser Mensch!" Schrie ich ihn an. Das Messer verweilte immer noch an seiner Haut. Ich war total überfordert.
Nur ein kleiner Schnitt und alles wäre vorbei. Ruby und ich wären frei. Aber ihr Vater wäre tot.
"Ich hasse dich so sehr!" Wimmerte ich verheult. Meine Verzweiflung hatte noch nie so ein Ausmaß erreicht. "Das unterscheidet dich von mir Josielein." Jax pausierte kurz und sprach dann weiter. "Egal wie tief dein Hass sitzt, du würdest ihn niemals über Menschleben setzen. Dein Leid ordnet sich immer unter das der anderen ein." Jax legte seine Hand auf meine. Er nahm mir langsam das Messer weg und richtete sich auf. Er drückte mich ganz fest an sich und sprach weiter.
"Du bist so eine unschuldige Seele. Es Es ist fast schon anstoßend wie selbstlos du bist. Aber auch nur fast. Baby du bist mein kleines Projekt, das weißt du. Wir kriegen dich schon zum Morden. Keine Angst, das üben wir."
Ungläubig schüttelte ich mit dem Kopf. Ich wollte mich von ihm lösen. Doch seine Arme hatten mich fest umschlungen. "Ich hasse dich! Ich will, dass du stirbst. Du sollst qualvoll und ganz alleine sterben." Schrie ich voller Wut und Enttäuschung über mich selbst.
"Ja ja ich weiß meine Kleine." Murmelte Jax in mein Ohr und küsste mich auf die Wange. "Irgendwann wirst du den Abzug drücken. Und wenn nicht für mich, dann ganz sicher für dich." Flüsterte er.
Ich hasse diesen Menschen so sehr.
Wieso konnte ich es nicht durchziehen? Wieso bin ich so verdammt schwach? Er sollte jetzt verblutend auf der Matratze liegen, während ich mit seinem Handy die Polizei rufe. Doch mein Gewissen konnte es einfach nicht zulassen.
Ich ersehne so sehr meine Freiheit und bin trotzdem nicht in der Lage, alles dafür zu geben.
Was für ein schwaches und wertloses Geschöpf macht das aus mir?
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