53

"Aufstehen Baby." Flüsterte mir eine bekannte Männerstimme ins Ohr. Jax zog mich zu sich und erreichte somit, dass ich die Augen öffnete. "Ich will weiter schlafen." Murrte ich verschlafen und legte meine Arme um seinen Hals. Ich war totmüde.

Jax drückte mir einen Kuss auf die Stirn und verließ das Bett. "Ich muss heute noch mal zu Mr. Lewis. Tom wird hier bleiben und auf dich aufpassen."
"Kann ich nicht mit kommen?"
"Nein mein Schatz. Tom passt auf dich auf. Hab keine Angst."
"Ich will hier nicht alleine bleiben. Was wenn Harry kommt oder Saúl?"
"Baby sei nicht albern. Harry ist doch mein Freund, er tut dir nichts. Zumindest nicht, wenn ich nichts sage. Und Saúl ist in die Schweiz geflohen, nachdem ich ihn freigelassen hab. Er ist ein ängstlicher Waschlappen ohne Rückgrat. Ich verspreche, dass dir nichts passieren wird."

Ich ließ Jax los und mich ins Kissen sinken. Ich wollte hier nicht alleine bleiben. Auch wenn Tom hier ist, würde ich viel lieber mit Jax mitkommen. Aber ich werde das wohl akzeptieren müssen. Es ist viel zu früh für Streitereien.

"Zieh dich bitte an und kümmere dich dann um unsere Tochter. Sie sehnt sich bestimmt schon nach dir." Genervt nickte ich und zog mir ein T-Shirt von Jax über. Da es heute morgen irgendwie wirklich warm war, verzichtete ich auf eine lange Hose.

"Darf ich davor noch duschen gehen?" Fragte ich leise.
"Ja meinetwegen. Ich wecke dann schon mal Ruby und wechsel ihr die Windel." Ich nickte dankend und verschwand schnell im Badezimmer.

Nachdem ich fertig geduscht hatte und alles andere auch erledigt hatte, ging ich in Rubys Zimmer. Jax saß mit ihr auf dem Boden und spielte mit ihr und den Bauklötzen. Es war wirklich putzig. Ruby strahlte bis über beide Ohren. "Mami!" Kicherte sie glücklich und schenkte mir ein Lächeln. Ich liebe sie so unfassbar sehr. Das kann ich gar nicht in Worten beschreiben. Ohne sie wäre ich schon lange nicht mehr am Leben.

"Okay ich mach mich jetzt schnell fertig und muss dann schon los." Jax stand vom Boden auf und gab mir einen Abschiedskuss auf die Stirn.

"Ruby wollen wir nach unten und gucken was es zu essen gibt für uns beide?" Mein kleiner Schatz nickte begeistert und stand vom Boden auf. Sie nahm mich an die Hand und zusammen verließen wir ihr Zimmer.

Tom saß schon unten am Esstisch und biss in sein Toast.

"Guten Morgen Tom." Begrüßte Ruby ihn.
"Guten Morgen Josie." Erwiderte er freundlich und aß weiter.

Ich konnte hören wie Jax das Haus verließ. Scheint ja ein wichtiges Treffen zu sein, wenn er schon so früh abhaut.

"Josie was ist gestern passiert? Jax hat doch nicht allen Ernstes recht damit gehabt, was er mir erzählt hat?"
"Was hat er denn erzählt?" Unbeeindruckt setzte ich Ruby auf ihren Kinderstuhl und stellte ihr einen Teller auf den Tisch.

"Mäuschen möchtest du Käse oder Marmelade auf dein Toastbrot."
"Ma-Mamalade bitte." Ich schmunzelte. Auch wenn sie für eine fast drei jährige schon echt gut spricht, stolpert sie hin und wieder noch mal über ein paar Wörter.

"Kommt sofort mein Schatz." Ich bestrich das ungeröstete Toastbrot mit Marmelade und legte es Ruby auf den Teller. Ich habe letztens von ihr erfahren, dass sie es leckerer findet, wenn es ungetoastet ist. Ich schnitt ihre Scheibe noch in vier Stücke und ließ sie nun in Ruhe essen.

"Du hast doch nicht etwa deinen Willen aufgegeben. Das traue ich dir nicht zu."
"Warum nicht? Es ist vieles einfacher wenn man keine Erwartungen und Hoffnungen mehr hat." Ich zuckte mit den Schultern und steckte zwei Toastscheiben in den Toaster. Es war mir relativ egal, ob Tom meine Entscheidungen akzeptiert. Ich bin schließlich diejenige die ums Überleben kämpft. Er hat sich freiwillig dazu entschlossen hier zu wohnen. Ich werde festgehalten und gezwungen. Soll er von mir denken was er will.

"Josie ich bitte dich, überlege doch mal wem du dich hingibst."
"Ja dem Mann bei dem du seit Monaten wohnst. Du willst mich wohl auf den Arm nehmen. Du bist doch derjenige, der die ganze Zeit springt wenn Jax ruft. Sobald sie als Strafe für mich weg muss, stehst du sofort bereit."

Ich wollte Rubys Namen nicht in ihrer Anwesenheit sagen. Sie bekam ohnehin schon viel zu viel mit. Ich musste aufpassen was ich sage.

"Was ist dir lieber, dass ihr toller Onkel Kai sie nimmt? Oder doch lieber Harry? Ich würde mich als besseren Babysitter einschätzen als die beiden. Und wenn ich nein sagen würde, wären die beiden Jax erste Ansprechpartner."
"Okay, tut mir leid. In dem Punkt hast du recht. Aber es ist immer noch meine Entscheidung wie ich mit meiner Situation umgehe. Ich habe aufgegeben. Ich will einfach nicht mehr kämpfen. Egal was ich versucht habe, alles ist gescheitert. Menschen sind durch mich gestorben. Nenne mir einen Grund warum ich es nicht einfach hinnehmen soll."
"Du hast dann entgültig verloren."
"Danke das ist mir bewusst. Aber ich will nicht mehr gewinnen. Ein guter Spieler weiß, wann er verloren hat.
"Ein guter Spieler gibt niemals auf Josette. Was ist mit dem Kind in deinem Bauch? Willst du, dass es hier drin aufwächst?"
"Alles ist besser, als das durch mich noch mehr Menschen sterben. Lieber sterbe ich als noch eine einzige Person durch meine Schuld. Das schaffe ich nicht noch mal. Tom bitte verstehe das."

"Ich hab einen alten Freund von dir angerufen. Da ich gestern Abend sehr verwundert und besorgt war hab ich ihn angerufen. Er müsste bald da sein."
"Wen meinst du? Ich habe nicht viele alte Freunde."
"Ich denke Dr. Hannibal Lecter kommt sehr nah an einen alten Freund oder?"
"Du hast Dr. Lecter angerufen? Warum das? Will er mich befreien?"
"Nein er will sich nur mit dir unterhalten."
"Was soll das bringen? Soll er meine Hoffnung wieder entfachen? Ich glaube nicht, dass es was bringen wird. Hoffentlich ist er weg bevor Jax hier sein wird. Denn ich kann dir jetzt schon sagen wer am Ende dafür bezahlen darf. Und das sind definitiv nicht die männlichen Figuren dieses Spiels."

Auch wenn ich gegenüber Tom genervt rüber kam, freute ich mich auch ein bisschen auf Dr. Lecter. Ich habe ihn schon lange nicht mehr gesehen.

Es klingelte an der Tür.

Aufgeregt lief ich aus der Küche direkt in den Hausflur. Da die Haustür ein paar gläserne Stellen hatte, konnte ich erkennen, dass Dr. Lecter draußen stand. Die Haustür war immer abgeschlossen. Deshalb musste ich auf Tom warten, der sie dann endlich aufschloss.

"Guten Morgen Josette, auch wenn die Situation nicht die erfreulichste ist, freue ich mich sehr , sie wieder zu sehen." Dr. Lecter nahm meine Hand und gab mir einen sanften Handkuss.

"Die Freude liegt ganz bei mir Dr. Lecter. Auch wenn es schon ein bisschen her ist, wollte ich mich bedanken für die vielen Weihnachtsgeschenke von ihnen. Das wäre wirklich nicht nötig gewesen."
"Aber selbstverständlich war das nötig. Es kam überhaupt nicht infrage, nichts zu schicken. Sie verdienen, heute wie damals, weit aus mehr als Schmuck und Bücher."

Ich errötete ein wenig. Es war mir unangenehm, dass ein so feiner Mensch wie Dr. Lecter mein Selbstbewusstsein wieder ankurbeln soll.

"Im übrigen gratuliere ich Ihnen herzlich zu der erneuten Schwangerschaft." Tom muss ihm auch das erzählt haben. Das war mir ein bisschen unangenehm.
"D-Dankeschön. Apropos Schwangerschaft, ich muss ihnen noch den wichtigsten Menschen in meinem Leben vorstellen. Während ich sie hole, setzen sie sich doch gerne ins Esszimmer. Ich setze sofort Kaffee auf."
"Machen sie sich keine Umstände meine Liebe."
"Nein keine Sorge, ich mache das gerne. Tom zeigt ihnen bestimmt gerne das Esszimmer. In ein paar Minuten geselle ich mich dazu." Schnell hastete ich in die Küche um Kaffee aufzusetzen. Ruby war so langsam fertig mit ihrem Toast. Natürlich hatte sie sich mit der klebrigen Marmelade total eingesaut. Mit einem nassen Zewa wischte ich ihre Partie um den Mund sauber.

"Ruby gleich lernst du einen alten Freund von Mami kennen. Er ist sehr nett, du brauchst keine Angst vor ihm zu haben."
"Okay. Spielt er gerne mit Bauklötzen?" Nuschelte sie in ihrer gebrochenen Kleinkindsprache.
"Bestimmt mein Schatz. Du kannst ihn ja gleich fragen."
"Das mach ich." Fest entschlossen grinste sie und gab mir ihren Teller aus Plastik. Ich räumte ihn in die Spülmaschine.

"Hier Ruby, kannst du die Tassen ins Esszimmer bringen? Glaubst du, du schaffst das?"

Ich ging in die Hocke und gab ihr zwei weiße Kaffeetassen.
"Ja ich schaffe das." Voller Stolz ging sie zur Küchentür und wartete darauf, dass ich sie für sie öffnete. Mit einer weiteren Tasse und einer Kaffeekanne bewaffnet, öffnete ich die Tür zum Esszimmer und stellte meine Sachen schnell auf den Tisch.

"Hier bitte Mami." Ruby hielt mir die beiden Tassen hin und ich stellte sie auf den Tisch.
"Das hast du ganz toll gemacht Mäuschen. Jetzt stelle ich dir meinen Freund vor." Ich nahm Ruby auf den Arm und ging mit ihr einmal um den Tisch zu Dr. Lecter.

"Ruby, das ist Dr. Lecter. Er ist ein alter Freund von mir."

Dr. Lecter lächelte freundlich.

"Du kannst mich gerne Hannibal nennen Ruby."
"Spielst du auch gerne mit Bauklötzen?" Sofort rückte die mit der Frage raus. Ruby redet nicht gerne um den heißen Brei rum. Sie kommt direkt auf den Punkt. So muss das. Ich fing an zu lachen, genau so wie Dr. Lecter.
"Natürlich spiele ich gerne mit Bauklötzen. Damit kann man immer so tolle Sachen bauen, siehst du das auch so Ruby?"
"Ja!" Rief sie erfreut. "Ich mag dich!" Kommentierte sie noch.

Das ging ja schnell. Aber gut, wenn jemand Bauklötze mag, ist das Eis auch schnell gebrochen bei Ruby.

"Wollen wir uns setzen?" Fragte ich in die Runde. Dr. Lecter setzte sich wieder auf seinen Stuhl. Ich setzte mich gegenüber von ihm und nahm Ruby auf meinen Schoß.

"Nun Josette, mich hat gestern ein äußerst beunruhigender Anruf von Mr. Keen erreicht. Stimmen die Ereignisse so wie er sie geschildert hat?"
"Ich weiß leider nicht wie er sie geschildert hat."
"Sie sollen sich nach unglücklichen Ereignissen ihrem Entführer hingegeben haben."

Ich gab Tom ein Zeichen, dass er Ruby mit nach oben nehmen sollte. Dieses Gespräch wird sicherlich nicht für ihre Ohren bestimmt sein.

"Nach unglücklichen Ereignissen? Ein Mensch ist durch meine Flucht gestorben. Ein unschuldiger Mann ist tot. Das ist mehr als unglücklich Dr. Lecter." Es tat mir wirklich leid, dass ich ihn so unhöflich anging. Aber dieses Ereignis war weitaus mehr als unglücklich.

"Haben sie etwa den Abzug betätigt?"
"Jax hat ihn erschossen. Aber nur weil ich weggelaufen bin. Es ist meine Schuld."
"Josette, sie nehmen gerade einen kaltblütigen Mörder in Schutz nur weil sie das Grundbedürfnis der Freiheit anstrebten. Auch wenn es wirklich hart und zynisch klingt, aber dieser Mann war ein Kollateralschaden für den sie nichts konnten."
"Ihr Bestreben in allen Ehren, aber ich muss die Verantwortung tragen für den Tod dieses Mannes."
"Mr. Parker hat den Abzug gedrückt. Es ist nicht ihre Schuld. Glauben sie mir. Warum wollen sie so umbedingt diesen Tod auf sich schreiben lassen?"
"Ich möchte die Verantwortung übernehmen."
"Ja sie möchten die Verantwortung übernehmen weil Jax es nicht tut. Er ist ein gewissenloser Soziopath. Er wird niemals die Verantwortung für irgendetwas übernehmen. Wenn sie die Verantwortung übernehmen, gibt es dem ganzen ein Stück mehr Bedeutung und Respekt. Vielleicht hat dieser Mensch es auch verdient, dass sein tot gewürdigt wird. Ich verstehe sie, wirklich. Aber dieser Tod geht nicht auf ihr Konto. Mr. Parker muss sich dem annehmen. In dem sie die Verantwortung für etwas übernehmen, wofür sie nicht die Schuld tragen, macht es den Verstorbenen nicht wieder lebendig."

Dr. Lecter veränderte seine Sitzposition und trank von seinem Kaffee. Insgeheim wusste ich, dass er recht hat. Aber es ist so schwierig, das einzusehen.

"Wenn ich im Haus geblieben wäre, würde dieser Mann noch leben."
"Wie gesagt meine Liebe, er war ein Kollateralschaden. Sie konnten nicht wissen das Jax den Abzug drücken würde. Hätten sie einen Fluchtversuch unternommen, wenn sie gewusst hätten, dass dann ein Mensch stirbt?"
"Nein, natürlich nicht."
"Sehen sie Josette, das unterscheidet sie von vielen anderen Menschen. Sie denken zuerst an andere und dann an sich."
"Wer würde denn fliehen, wenn schon vorher fest steht, dass ein Mensch stirbt."
"Glauben sie mir, sehr viele würden sich in ihrer Situation keine Gedanken um anderen machen. Sie sind eine starke Frau, die viel zu viel ertragen muss. Was gibt ihnen Anlass an andere zu denken?"
"Ich ähm, ich weiß nicht so recht. Es kommt für mich eigentlich gar nicht in Frage, dass auch nur noch ein weiterer Mensch stirbt. Das kann ich mit mir selber nicht ausmachen. Daran gehe ich kaputt."
"Sie sind bewundernswert Josette."
"Es tut mir leid Dr. Lecter, aber jetzt sind sie nicht ganz ehrlich."
"Was genau meinen sie?"

"Sie sind laut ihrer Akte ein Psychopath, der dazu auch noch ein Psychologie Studium mit Auszeichnung abgeschlossen hat. Ihre Denkweise und Intelligenz sind bemerkenswert. Ich bin eine Person die das Leben anderer über das eigene stellt. Das ist aus ihrer Sicht mehr als bemittleidenswert und naiv. Denn das ist aus der Sicht der Evolution und des Überleben der Menschheit nicht förderlich. Sie verachten ungebildete und dumme Menschen. Menschen die nichts zum Weiterkommen der Menschheit beitragen. Ich trage rein gar nichts zur Evolution des Menschens bei. Ich bin eher ein Hindernis für unsere Evolution."

Nach dieser Analyse musste ich erstmal einen Schluck Kaffee nehmen.

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