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Jax hob mich hoch und ging mit mir in den Armen die Straße entlang.
Angekommen an seinem Haus betrat er den Hausflur.
Mr. Lewis stand völlig perplex neben der Treppe. Aber ich bekam sowieso kaum noch was mit. Es hätte auch Tom sein können. Durch meine kleinen, verheulten Augen sah ich sowieso nichts mehr. Mir war das auch relativ egal. Ob das jetzt Tom oder Dominic war, tat eh nichts zur Sache.
In meinem Kopf herrschten nur noch die kalten, toten Augen des alten Mannes. Sie starren mich immer noch an. Sie hatten sich wie ein Brandsiegel in mein Gehirn gebrannt. Die werde ich niemals vergessen.
"Können deine Männer den ganzen Scheiß auf der Straße entfernen? Da gab es einen kleinen Unfall."
"Ja kann ich machen. Ich ruf sofort meine Leute an." Betroffen antwortete Mr. Lewis. Er war es definitiv. Diese dunkle Stimme höre ich überall heraus.
"Das ist ein Mensch! Da ist ein Mensch gestorben. Das ist kein Scheiß! Ein fucking Mensch ist tot. Hab wenigstens Respekt. Bitte hab ein wenig Respekt. Fuck ey, es ist schon wieder ein Mensch gestorben. Ein Mensch ist schon wieder tot!" Immer und immer wieder musste ich es wiederholen.
"Ich kenne nicht mal seinen Namen. Ich weiß nichts über ihn. Fuck!"
Ich bin ein wandelndes Todesurteil. Wer mir über den Weg läuft stirbt früher oder später sowieso.
Wieso konnte ich damals nicht einfach in den schnöden Kochkurs gehen, oder in die Sport AG? Wieso musste es ausgerechnet der Psychologiekurs sein? Wieso hab ich von 365 Tagen im Jahr gerade an dem Tag die Anstalt besucht, an dem Jax ausgebrochen ist? Warum nur? Was habe ich im Leben dermaßen falsch gemacht, dass es bis jetzt so verlaufen ist?
Ich wurde bis jetzt hunderte Male vergewaltigt und tausende Male missbraucht. Ich habe Menschen erschossen und musste mit fremden, alten Männern rummachen. Mir wurde schon so oft eine Waffe an den Kopf gehalten oder ein Messer an meine Hauptschlagader gedrückt, dass ich es nicht mehr mitzählen kann. Ich habe eine Tochter bekommen und bin schon wieder schwanger. Und gerade ist wegen meinem dämlichen Fluchtversuch eine unschuldige Person gestorben.
Jax ging langsam mit mir die Treppe hoch. "Wir schaffen das zusammen. Alles wird gut Püppchen."
"Nichts schaffen wir, einen Scheiß schaffen wir!" Schrie ich und fing an zu zappeln. Ich war so sauer und verzweifelt. Egal was ich mache, einem Ausweg komme ich keinen Schritt näher.
Jax setzte sich mit mir auf sein Bett und nahm mich wieder in den Arm. Er hatte mich keine Minute lang losgelassen. "Wie wäre es wenn wir mal damit anfangen, dass du nicht mehr abhaust. Du merkst doch, dass es nie was wird." Ich konnte nicht mal antworten. Meine Stimme versagte.
"Das hat doch jetzt die ganzen Wochen prima funktioniert. Ich hab dich doch kaum angefasst. Was ist denn dein scheiß Problem? Was hat sich geändert?"
Nun ja, ich bin schwanger. Aber das ist ein anderes Thema.
Er soll mich einfach nur halten. Wenn Jax mich loslassen sollte kann ich für nichts garantieren.
"Bitte halt mich einfach nur fest. Lass mich nicht los. Ich kann nicht mehr."
Das hat mir den letzten Rest gegeben. Wie viel kann ich noch aushalten? Wie viel bin ich noch in der Lage durchzustehen, ohne mir die Kugel zu geben?
Vielleicht hat Jax einfach recht und es wäre besser einfach bei ihm zu bleiben. Er würde sich um mich kümmern. Ich hätte keine Sorgen mehr, wenn ich nicht mehr nach meiner Freiheit trachten würde. Dem kleinen Wesen in meinem Bauch würde es auch besser gehen, wenn ich nicht mehr so viel Stress hätte. Ruby geht es dann sowieso besser. Ich könnte mich mehr auf sie konzentrieren, wenn ich nicht immer den nächsten Fluchtversuch planen würde.
"Jax ich will n-nicht mehr." Stotterte ich krächzend. Meine Stimme versagte immer wieder.
"Ich weiß Baby. Trotzdem muss ich dich bestrafen." Erschrocken riss ich meine Augen auf.
"Bitte tu mir nicht weh. Jax, bitte nicht." Ich drückte mich noch fester an ihn. Er darf mir nicht weh tun. Schläge und Tritte halte ich nicht aus.
"Wir sehen weiter, wenn du dich etwas beruhigt hast und es dir besser geht."
"Ich mach alles was du willst. Aber bitte tu mir nicht weh." Flehte ich leise und richtete mich langsam auf. Vorsichtig fing ich an kurze Küsse auf seinem Hals zu verteilen. Zögerlich küsste ich ihn auf den Mund.
"Ich mache alles." Wimmerte ich.
Doch Jax ging gar nicht darauf ein. Er stand auf und verließ das Bett. Mich ließ er da alleine sitzen und guckte zu mir herunter. "Schlaf ein bisschen. Das tut dir gut. Sex ist jetzt das letzte, was du gebrauchen kannst." Ganz kalt und monoton sagte er das. Damit kam ich überhaupt nicht zurecht.
"Hab ich was falsch gemacht?" Verheult guckte ich ihn an. Ich wusste überhaupt nicht mehr was hier abgeht.
Jax schüttelte leicht mit dem Kopf und drehte sich um. Er war auf dem Weg zur Zimmertür. "Geh nicht weg, bleib hier. Bitte bleib hier."
"Baby schlaf endlich etwas. Ich hab keine Lust mehr deinen Babysitter spielen zu müssen. Leg dich hin und mach die Augen zu. Heute Abend sehen wir weiter."
"Du meinst heute Abend verprügelst du mich." Ich wusste nicht genau woher diese Antwort kam, aber sie passte. Jax wartet nur darauf, dass mein innerer Zusammenbruch sich selbst flickt. Dann kann er nämlich endlich wieder auf mich eindräschen.
"Wenn du jetzt nicht endlich dein Maul hälst, passiert das."
Geschlagen von seinem Argument ließ ich mich in das große Federkissen fallen. Ich deckte mich zu und versuchte mich irgendwie abzulenken. Der heutige Tag ist dermaßen scheiße, sowas erlebe ich nicht oft.
Schreiend öffnete ich die Augen. Ich hatte einen Albtraum nach dem anderen.
Ich guckte zur Seite und sah Dominic auf einem Stuhl sitzen. Irgendwie war ich wie erstarrt. Ich hatte jeden erwartet, aber nicht ihn. "W-Was machst du hier?" Stotterte Ich fragend. Warum sitzt er hier und beobachtet mich beim schlafen.
"Ich habe angeboten auf dich aufzupassen. Jax musste kurzfristig weg und Tom Keen ist mit Ruby weggefahren. Jax wollte dich nicht alleine lassen. Da hab ich mich als Aufpasser angeboten."
"Dankeschön."
"Wofür?"
"Dass du nicht Babysitter gesagt hast."
"Du bist kein kleines Kind mehr. Babysitter ist hier der falsche Begriff. Du bist psychisch ziemlich angeschlagen. Niemand möchte, dass du dir was antust."
"Ob ich lebe oder sterbe interessiert niemanden. Ich bin nur ein kleiner Fisch in diesem riesigen Teich. Wenn ich tot bin, weint mir höchstens meine Familie nach, aber das wars schon."
Ich musste an den toten Mann im Auto denken. Hatte er Familie? Ich wusste es nicht.
"Mich würde es interessieren, wenn du dir was antust."
"Du hast mich an Harry verkauft. Dich interessiert es einen verdammten Scheiß was mit mir passiert."
"Er hatte das höchste Gebot. Das war ein Geschäft. So läuft das in meiner Branche."
"Mhh in deiner Branche. Wenn man alles und jeden als Objekt sieht, wird es sofort einfacher. Schließlich ist es einfacher zu verkraften wenn ein Gegenstand kaputt geht als wenn ein Lebewesen in sich zusammenbricht."
"Das sagst du so einfach Josette. Aber-"
Ehe er seinen Monolog beenden konnte, unterbrach ich ihn.
"Ist es denn nicht so? Du handelst mit Menschen. Für dich sind sie nichts als einfache Gegenstände mit denen man Geld verdient. Als mehr siehst du sie nicht. Jax hat dich mehrere Tage in seinem Keller gefangen gehalten und du hast dich nicht gerächt."
"Du hättest dich gerächt, nicht war Josette?"
"Ja natürlich. Das ist doch völlig legitim."
"Das ist nicht legitim. Du bist einfach nur sehr impulsiv. Wenn ich in meinem Beruf keinen klaren Kopf behalten würde, dann könnte ich gleich einpacken. Ich muss nach außen den kühlen und strukturierten Kriminellen verkörpern, ganz egal was ich im innern gerne möchte. Natürlich würde ich jeden gerne umlegen, der denkt Spielchen mit mir zu spielen. Aber das bringt mir nichts. Ich muss das tun, was für mein Geschäft das beste ist. Geld wächst nun mal nicht an Bäumen."
"Das ist krank, einfach nur krank."
"Möchtest du den Namen von dem Mann erfahren, der heute morgen verstorben ist? Ich habe auch ein paar Informationen zu ihm gefunden. Ich kann dir von ihm erzählen wenn du magst."
"Ja bitte, ich möchte wissen wer er war."
"Danach wirst du dich aber noch schlechter fühlen? Sobald man ein Namen und eine Geschichte zu einem Opfer hat, fühlt man sich sofort schlechter. Man identifiziert sich mit ihnen und baut eine Ebene zueinander auf. Das ist völlig normal tut aber umso mehr weh."
"Mir egal, ich bin eh schon ein Wrack. Ich muss wissen wer er war."
"Sein Name war Alfredo Hernández. Er war Spanier und hatte eine Tochter namens Mária. Sie wohnt immer noch in Spanien."
"Oh Gott." Murmelte ich erschrocken. Ich fühlte mich noch schlechter.
"Meine Leute haben sie sofort ausfindig gemacht. Ich hab ihr 16,5 Millionen US Dollar überwiesen." Bei der Zahl wurde ich hellhörig.
"D-Das ist meine Verkaufssumme von der Auktion." Stellte ich perplex fest. Er hat ihr meine Verkaufssumme überwiesen.
"Ja, für irgendwas musste sie ja gut sein. Die Frau hat ihren Vater verloren. Die Summe entschädigt das zwar nicht, aber ich denke damit kann sie eine Zeit lang gut leben."
"Dankeschön."
Vorsichtig stand ich vom Bett auf und wollte umbedingt aus Jax Zimmer. Egal wo hin, einfach weg.
"Wo geht's hin?" Fragte Mr. Lewis interessiert. "In die Küche. Ich hab riesengroßen Hunger."
"Ja dieser Heißhunger während der Schwangerschaft ist nicht leicht, das glaub ich wohl."
Geschockt guckte ich ihn an.
"Was hast du gerade gesagt?"
"Josette, ich weiß dass du schwanger bist. Ich handel schon etwas länger mit Frauen und Mädchen. Ich erkenne es im Schlaf wenn ein weibliches Geschöpf in gesegneten Umständen ist. Glaube mir, ich habe da einen Blick für."
"Sag es bitte nicht Jax. Das will ich selbst machen."
"Nein natürlich nicht, das Recht liegt allein bei dir."
Dankend nickte ich.
Langsam ging ich die Treppe runter und hielt mich dabei am Geländer fest. Ich setzte einen Fuß vor den anderen. Es fühlte sich so an, als müsste ich wieder lernen zu laufen. Ich war sehr wackelig auf den Beinen.
Angekommen in der Küche guckte ich in den Kühlschrank. Eigentlich wollte ich nichts essen. Ich hatte nicht mal Hunger. Scheiße, ich war so durcheinander. Mein Kopf konnte keinen einzigen, klaren Gedanken mehr fassen. Ich fing unkontrolliert an zu zittern.
"Josette, du solltest dich vielleicht hinsetzen und ein Glas Wasser trinken. Du musst dich dringend beruhigen." Dominic kam in die Küche und guckte mich besorgt an.
Auch wenn ich keinen klaren Gedanken fassen konnte, spukte die ganze Zeit Alfredo in meinem Kopf rum. Seine toten Augen starrten mich die ganze Zeit an. Egal was ich machte, er ging nicht mehr weg. Ich fing an wild um mich zu schlagen. Schreiend und kreischend schlug ich auf den Küchentisch in der Hoffnung dass dieses leblose Gesicht aus meinem Kopf verschwindet.
Ich spürte wie sich zwei starke Arme um meinen Körper legten. Mr. Lewis umarmte mich und setzte sich mit mir auf den Boden.
"Wieso kannst du mich nicht befreien. Nimm mich bitte einfach mit dir. Ich will hier einfach nur weg. Hab doch bitte Erbarmen."
"Es tut mir leid Josette. Ich möchte aber nicht der törichte Kerl sein, der dich Jax wegnimmt. Das würde Krieg bedeuten."
Ich weinte einfach nur. Es war nicht fair. Ich werde niemals die Chance haben frei zu sein. Es wird mir niemals gelingen.
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