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Langsam trottete ich zu Jax. Der saß auf dem Sofa und guckte in sein Handy.

"Warum hast du das alles nur geplant? Du hast so viele Bekannte, die mich bei der Versteigerung hätten kaufen könnnen. Aber dass du zulässt, dass Harry mich kauft. Wie kannst du mir sowas antun?"

Ich legte mich neben ihm aufs Sofa und kuschelte mich gedankenverloren in die Wohnzimmerdecke ein. Ich redete einfach nur irgendeine Scheiße. Das mit Harry hatte ich immer noch nicht verarbeitet. Ich glaube, dass ich das niemals verarbeiten werde.

"Ich habe so eine schreckliche Todesangst vor Harry. Du weißt das ganz genau."
"Oh Kitten jetzt verfall doch nicht in Selbstmitleid."

Mir wurde es einfach zu viel. Es ist ja schon jedes Mal schlimm genug, wenn Harry mich Kitten nennt. Aber wenn Jax mich Kitten nennt, geht das zu weit!

Wutbefallen trat ich die ganze Zeit nach ihm aus. Meine Füße knallten wuchtvoll an seinen Oberschenkel.

"Ich hasse dich!"

Jax packte sich meine Fußgelenke und drückte sie kräftig ins Sofa. Damit konnte ich nicht weiter nach ihm austreten. Ich war so verdammt wütend und traurig. Meine ganzen negativen Emotionen waren gerade bei mir versammelt. Ich konnte keine von ihnen steuern.

"Hör jetzt auf Josette! Du machst es nur noch schlimmer. Komm endlich runter."
"Lass mich los!" Schreiend zappelte ich wie ein Fisch am Haken.

Jax legte sich auf mich drauf und hielt mir den Mund zu.

"Komm endlich runter. Es ist doch überhaupt nichts schlimmes passiert?!" Ich schüttelte heftig mit dem Kopf. Jax Hand weilte immer noch auf meinem Mund.

Langsam nahm er die Hand wieder runter. Tränen versammelten sich um mein unteres Augenlid.

"Du tust mir immer so unfassbar weh. Ich halte das alles nicht mehr lange aus. Wenn du mich am Boden sehen willst, dann heb endlich ein Grab aus und beende es."

Ich steckte meinen Kopf tief in ein Kissen und versuchte alles zu vergessen. Immer wieder muss ich mir das grinsen der beiden Männer vorstellen. Wie sie beide vor mir stehen.

"Du bist ein böser Mann Jax. Ich hab selten so viel pures Böse gesehen."

Mein Peiniger antwortete mir nicht mal. Ich glaube es interessierte ihn einfach nicht. Ich schüttelte langsam mit dem Kopf.

"Du tust mir jeden Tag weh. Jeden verdammten Tag. Wegen dir hab ich selbst so viel böse Dinge getan. Ich hab zwei Frauen getötet."
Jax wischte mir mit seinem Daumen eine Träne aus dem Gesicht 

"Du bist zu nichts mehr zu gebrauchen. Der Tag heute war etwas viel für dich, kann das sein?"
Mein Körper sackte wieder ein bisschen mehr in sich zusammen. Ich hatte nicht mehr die Kraft zu argumentieren oder irgendwas zu erklären.

Ich drückte meinen Kopf jetzt gegen Jax Brust und fing bitterlich an zu weinen. Große, starke Arme zogen mich an ihn heran. Er umarmte mich vorsichtig.

Doch mein Kopf war für heute einfach wirklich kaputt. Ich tickte völlig aus. Dieser ganze Tag war einfach für die Tonne. Je mehr ich darüber nachdenke, je wütender werde ich.

Ganz schnell löste ich mich aus der Umarmung. "Du hast mich heute schon wieder vergewaltigt, du hast Harry heute hier her gebracht und du tust mir so verdammt weh mit deinem Worten. Ich hasse dich. Ich will keine Umarmung von dir. Ich will dass du einfach nur qualvoll stirbst."

"Bitte was? Sag das noch mal."

"Du hast mich schon verstanden." Schrie ich verzweifelt. Jax war das Monster. Von ihm will ich keine Umarmung.

Ich stand auf und wollte einfach nur weg. Jax tat mir das gleich und schnappte sich blitzschnell mein Handgelenk.
"Du solltest dich dringend ausruhen Baby. Noch mehr von deinem Gebrabbel und du kannst bei Harry schlafen." Jax war geladen. Er würde gleich genau so explodieren wie ich.

Es endet gleich wieder im Chaos. So wie jedes Mal wenn wir uns streiten.

Aber ich musste ruhig bleiben. Jax hat mich umarmt. Er hat mich zurück geholt und getröstet. Das war nett gemeint. Er wollte mir helfen. Ich durfte jetzt nicht ausrasten. Ich musste einen klaren Kopf bewahren.

Es war nicht nett gemeint. Jax will nur einen Schein aufrecht erhalten. Er will dass ich denke, dass ich bei ihm sicher bin. Er will eine Illusion schaffen. Das macht er alles mit Absicht.

Ich wusste gar nichts mehr. Mein Verstand war zerfetzt. Kein Stück passte mehr zusammen.

War Jax trügerisch gut oder einfach nur berechnend böse? Ich konnte nicht mehr klar denken. Jax guckte mich an und versuchte anscheinend auch schlau aus mir zu werden.
"Komm Püppchen, wir gehen jetzt nach Oben. Du brauchst ganz dringend Schlaf." Er wollte mich mit sich ziehen, doch ich riss endlich meine Hand los.

"Lass mich in Ruhe!" Zischte ich. Es war äußerst heikel. Gleich erleide ich einen weiteren Nervenzusammenbruch. Bald würde mein Kopf diese ganzen zerfetzten Teile einfach wegwerfen, ohne dass ich aus ihnen schlau geworden bin.

Kurz schloss ich meine Augen. Heute Mittag hatte ich den Entschluss gefasst nichts mehr von ihm zu glauben. Ich muss es einfach ausnutzen so wie er mich ausnutzt.

Aber was ist wenn er es ernst meint? Was ist wenn er mir wirklich aus den Tiefen seines kalten Herzens trösten wollte? Dann zerstöre ich meine Chance auf ein besseres Leben.

Fuck ey. Mein Engelchen und Täufelchen stritten so heftig wie noch nie auf meinen Schultern. Was sollte ich machen? Egal was ich machen würde, ich hab schon verloren. Mein ganzes restliches Leben wird eine Niederlage sein. Ob ich Jax nun durchschauen kann oder nicht.

Was wäre jetzt das Beste was ich tun könnte?
Mir geht es beschissen und ich bin totmüde. Ich brauch mehr als dringend ein weiches Bett und mal mehr als drei Stunden Schlaf am Stück.

Ich schaffe es nicht mehr irgendwas zu analysieren, schon gar nicht den soziopathischen Mörder vor mir. Gerade konnte ich nicht auf lange Zeit planen. Ich muss entscheiden was ich jetzt gerade brauche. Mein jetziges Ich braucht mich jetzt nicht mein zukunfts Ich.

"Josielein, du bist viel zu überfordert. Lass uns einen Waffenstillstand vereinbaren. Hmm, wie wäre das?" Vorsichtig näherte er sich mir. Wieder nahm er meine Hand. Diesmal zog ich sie nicht weg. Ich war so verdammt hin und her gerissen. Was war richtig und was war falsch? Was brauchte ich und was nicht?
Warum ist das so schwer zu beantworten?

Aber es tat so gut seine Hand zu halten. Es nahm mir so vieles ab. Ich wünschte mir so sehr, dass er ein normaler Kerl wäre. Ein Typ der einfach nur der Vater meines Kindes ist. Es hätte bei einem unbedachten One Night Stand passieren können, auf einer Party oder sowas.
Einfach ein normales Leben, ohne jeden Tag Angst, Tod und Verzweiflung vor Augen zu haben. Das wäre wirklich schön. Doch die Realität sieht anders aus. Das Schicksal hat einfach was anderes mit mir vor. Warum und inwiefern ich das verdient habe weiß ich bis heute noch nicht.

Ich guckte zu Jax. Er bot einen Waffenstillstand an. Es war wirklich verlockend. Ich würde so gerne einen Abend mit ihm verbringen ohne angespannt zu sein. Mich komplett gedankenlos fallen lassen. Ist das überhaupt möglich?

"Du bist wie eine geladene Waffe. Du könntest mich in jedem Moment umbringen sobald ich was falsches sage. Ein Waffenstillstand ist nicht so einfach wie du sagst."

Habe ich das gerade gesagt? Ich wollte nichts mehr als einen Waffenstillstand. Meine Seele brauchte eine Pause. Aber mein Verstand war wohl doch noch nicht ganz so zerfetzt wie ich angenommen hatte. Ich passte immer noch auf mich auf. Das gab mir irgendwie Zuversicht.

"Ich benehme mich, wenn du dich benimmst. Morgen wird ein komplett waffenfreier Tag. Ich verspreche es dir."

"Ich glaube dir nicht. Das mit dem Vertrauen ist nämlich so eine Sache, die ich nicht ganz so einfach zwischen uns betrachte."

Gott ich wollte so gerne schlafen. Warum sprach ich immer noch weiter? Selbst zehn Minuten Waffenstillstand hätten mir gereicht.

"Du musst mir wohl oder übel vertrauen mein Schatz. Ich weiß dass du dir nichts sehnlicher wünscht als ein normales Leben. Eine normale kleine Familie mit Ehemann und Kind. Ich biete dir für Morgen ein klitzekleines bisschen Normalität an. Greif zu oder lass es. Der Deal steht nicht mehr lange. Du musst entscheiden ob du mir vertraust oder nicht. Ich kann es dir nur anbieten."

In meinem Kopf drehte sich wieder alles. Natürlich will ich ihm vertrauen. Ich wünsche mir nichts sehnlicher als ein normales, kleines Leben. Das vermisse ich seit meinem 16. Lebensjahr. Seit dem Tag, an dem Jax mich entführt hatte. Nichts war ab da mehr normal. Morgen könnte ich vielleicht die Chance auf ein bisschen Normalität bekommen. Ich musste zugreifen. Diese Chance werde ich ganz sicher nicht oft bekommen.

"Ich nehme den Deal an, aber möchte für morgen wenigstens das Halsband ablegen."

Jax überlegte.

"Gleich ist es null Uhr. Von da an gilt für vierundzwanzig Stunden ein Waffenstillstand ohne Halsband. Bist du damit einverstanden?"
"Ja bin ich." Ich winselte so leise, dass es kaum jemand verstehen konnte. Es war einfach nur pure Anspannung die aus mir sprach.

"Okay, dann gilt es ab jetzt!"

Erleichtert fiel ich Jax in die Arme. Ich wäre vor Erschöpfung fast noch umgekippt.

Es war so ein schönes Gefühl. Dieses Gefühl konnte ich fast schon als Seelenfrieden gleichsetzen. Ruhe und Gelassenheit durchströmten meinen Körper. Ich war gerade wirklich glücklich. Vierundzwanzig Stunden keine Gewalt und Bestrafungen. Einfach ein normales Leben. Ich verspürte Euphorie.

So hatte ich mich schon lange nicht mehr gefühlt.

"Lass uns ins Bett gehen. Du bist wirklich müde." Freudestrahlend nickte ich. Mein Entführer nahm das braune Lederband ab und legte es auf die Kommode im Wohnzimmer.

Ich war glücklich. Allein jetzt schon wirkte es viel normaler als sonst.

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