29
Ich stehe seit zwanzig Minuten vor dem Spiegel in Jax Zimmer und betrachte mich.
Ich habe nur Unterwäsche an um meinen ganzen Körper zu betrachten.
Gestern war ich noch bei Harry und nun wieder bei Jax. Es war fast unvorstellbar.
Überall waren blaue Flecken und Beulen. Die vielen Narben waren wie ein Sahnehäubchen, was die letzten Jahre noch richtig hervor hob. Mein Körper war einfach nur kaputt. Vorsichtig berührte ich meinen Kopf und kratzte vertrocknetes Blut aus meinen Haaren. Wie konnte es nur so weit kommen? Früher war der Blick in den Spiegel völlig legitim und jetzt bin ich kurz vor einer Heulattacke. Meine Kopfschmerzen waren unerträglich.
Jax ging ja schon nie vorsichtig mit mir um aber Harry war ein ganz neues Level gewesen. Meine Unterlippe war aufgeplatzt und meine linke Wange war ein einziges Schlachtfeld. Ich hatte einen kleinen Cut von Harrys Ring an meiner rechten Wange. Meinen Hals zierten dunkelrote Würgemale.
Ich war glücklich, dass meine Rippen nicht gebrochen waren. Natürlich hatte ich genug Prellungen an etlichen Stellen, aber meine Knochen sind heile geblieben.
Vorsichtig fuhr ich mit meinen Händen die vielen Prellungen ab.
Ich bin so verdammt hässlich. Ein abgemagertes Stück Dreck was keinen Wert mehr besitzt. Jax hatte immer recht, ich bin wertlos.
Du wirst es hier raus schaffen, das versprichst du mir, meine wunderschöne Tochter
Tränen flossen über meine Wangen. Die letzten Worte meines Dads kamen mir wieder in den Sinn. Ein klitzekleines Lächeln schmückte mein hässliches Gesicht.
Meine wunderschöne Tochter.
Es war unvorstellbar. Ich guckte in den Spiegel und hatte das Gefühl eine Fremde vor mir zu sehen. Ein Mädchen was schon lange den Halt verloren hat.
Ein Mädchen. Wie kindisch. Eigentlich bin ich eine erwachsene Frau. Doch ich sehe nur das Mädchen von vor drei Jahren. Das Mädchen was so viele Träume hatte. Dieses Mädchen steht die ganze Zeit vor mir und fragt sich wie es so weit kommen konnte.
Plötzlich öffnete sich die Tür und Jax trat ins Zimmer ein. Ich zuckte maßlos zusammen. Die Tage mit Harry hatten mich nicht nur körperlich sondern auch seelisch gezeichnet.
"Was machst du da Püppchen?" Ich drehte mich um und wischte mir schnell meine Tränen weg. Jax sollte das auf gar keinen Fall mitbekommen.
"Nichts." Antwortete ich schnell und drehte mich wieder zu ihm.
Jax ging auf mich zu und schenkte mir ein warmes Lächeln. Es war gerade nichts böses an ihm. Vorsichtig nahm er meine Hand und zog mich zu sich. "Baby du kannst mir nichts verheimlichen. Was hast du da gerade gemacht?" Jax nahm mich in den Arm. Genau das brauchte ich einfach.
"Ich möchte dir das nicht sagen."
"Warum nicht mein Schatz?"
"Dann hättest du gewonnen."
Jax löste sich langsam aus der Umarmung und kniete sich vor mir hin. "Ich bin mir ziemlich sicher, dass dem nicht so ist. Erzähl es mir einfach."
Es ist sowieso alles egal. Ob ich es ihm sage macht dann auch keinen Unterschied mehr.
"Ich habe gerade in den Spiegel geschaut. Es ekelt mich einfach nur an. Ich bin einfach nur ein Stück Dreck. Du hattest immer recht damit."
Jax seufzte einmal tief.
"Was hat Harry nur mit dir angestellt?"
"Ich musste eine Frau töten." Diese fünf Wörter kamen mir so schwer über die Lippen. Ich musste mich echt überwinden. Damit ließ ich die erneuten Erinnerungen zu.
"Und das Schlimmste an der ganzen Sache ist einfach dass es mich kaum berührt. Ich will einfach nur meine Tochter wieder haben. Sie ist das einzige woran ich denken kann. Jax ich bin so eine zu verabscheuende Person, ich fasse es kaum."
"Das ist doch absolut normal. Mach dir deswegen keine Sorgen. Unsere Tochter geht über alles."
"Woher weißt du schon was normal ist? Du hast genauso wie ich den Bezug dazu verloren."
"Baby du lebst in meiner Welt. Und alles was ich als normal deklariere ist auch so. Scheiß auf die Gesellschaft. Denn niemand kann dir was anhaben solange du bei mir bist."
"Außer Harry." Ich musste kurz lachen. Es war so absurd.
"Er wird dafür leiden. Glaub mir Püppchen."
Harry war bei uns unten im Keller. Jax hatte ihn im Wald bewusstlos geschlagen und ihn dann mitgenommen. Ob er seine Schusswunden verarztet hat, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass Harry bei uns im Keller sitzt.
Laut meiner Theorie war Harry gestern noch bei Ruby und müsste heute eigentlich wieder zu ihr hin fahren. Wenn er nämlich wirklich der Einzige ist, der sich um sie kümmert, dann haben wir wirklich schlechte Karten. Bei dem Gedanken wurde mir übel. Ich wollte meine Tochter nicht allein wissen. Ich wollte sie einfach nur bei mir haben.
"Lass uns dem Bastard mal einen Besuch abstatten. Ich habe sowieso noch eine Überraschung für dich." Skeptisch guckte ich zu ihm hoch.
"Ich möchte ihn nicht sehen."
"Baby wir bekommen bald unsere Tochter wieder. Das spüre ich."
Noch skeptischer setzte ich mich in Bewegung. Denn Jax zog mich hinter sich her.
Irgendwann nach vielen gequälten Schritten stand ich mit Jax vor dem Keller. Ich wollte da wirklich nicht runter.
"Du wirst dich sicherlich freuen."
Langsam öffnete er die Tür und wir gingen einige Treppenstufen nach unten. In dem großen Raum befanden sich drei Menschen. Ich erkannte sie nicht sofort bis Jax das Licht an machte.
Harry, Saúl und Dominic saßen separat auf drei Stühlen. Jeder war gefesselt. Und alle drei waren schon ordentlich verprügelt worden. Harry sah wirklich schlimm aus. Seine Schulter und Wade waren unordentlich mit Verband eingewickelt worden. Das Blut zeichnete sich schon deutlich an den Verbänden ab.
Harry fing an zu lachen.
"Ist das nicht schön. Endlich hast du sie wieder. Und hast du sie schon gefickt? Habt ihr schon ein neues Töchterchen produziert?"
Ich fühlte mich mehr als unwohl. Aber ich wollte nicht schon wieder vor Harry heulen. Ich musste mich zusammenreißen.
Jax stürmte auf ihn zu und verpasste ihm eine mit seiner Faust. Harrys Kopf flog mit so einer gewaltigen Wucht nach links, dass man Angst haben könnte sein Genick würde brechen. Doch trotzdem lachte er immer weiter. Ich wusste auch warum. Harry war momentan unantastbar. Egal was für Schmerzen Jax ihm antun würde, sein Leben darf dabei nicht in Gefahr sein. Jeder wusste das. Harry und ich wussten es. Selbst Jax wusste das.
Harry spuckte Blut. Er war körperlich mehr als angeschlagen. Es war wie eine kleine Genugtuung ihn so zu sehen. Aber dann auch wieder nicht. Erst wenn ich meine Tochter in den Armen halte, wird sein Leiden meine Genugtuung sein.
"Jax w-wieso sind die beiden hier?" Stotterte ich. Saúl und Dominic starrten mich an. Sie waren gefesselt, genau so wie Harry.
"Du kannst dich rächen. Egal was sie dir angetan haben, du kannst es ihnen mehrfach zurückzahlen. Am Ende müssen eh beide sterben." Ich guckte geschockt zu Mr. Lewis. Er hatte das nicht verdient. Er guckte geknickt auf den Boden. Es wirkte so, als ob er sich mit seinem Schicksal abgefunden hatte. Nur Saúl saß angespannt auf dem Stuhl und quatschte ununterbrochen irgendeine Scheiße.
Irgendwie war ich überfordert. Mein Gehirn konnte kaum noch eine Information richtig verarbeiten.
Ich fasste mir an den Kopf. Dieses Pochern hörte einfach nicht auf. Mein Kopf schien gleich zu platzen.
"Jax mir geht es nicht gut." Murmelte ich und stützte mich bei ihm ab.
"Vielleicht würde ich mal einen Arzt aufsuchen Jax. Ich habe sie gestern echt hart durchgenommen. Ihr Kopf hat einiges abbekommen." Harry lachte. Ich merkte wie sehr ihn meine momentane Situation belustigte
"Hör auf zu lachen!" Schrie ich verzweifelt. Sein lautes Lachen raubte mir den letzten Nerv.
"Ich frag mich wirklich wie lange ein kleines Kind ohne Nahrung auskommt." Nun passierte es. Tränen brachen einfach aus mir aus. Wie ein Wasserfall flossen sie über meine Wangen. Ich rannte auf Harry zu und versuchte verzweifelt irgendetwas zu bezwecken. Meine Fäuste prallten immer wieder auf seine Brust.
"Ach meine süße, kleine Josette, dein Weinen macht meinen Tag einfach nur besser." Ich konnte nicht mehr. Meine Kraftreserven waren schon wieder leer.
Ich sank zu Boden. Meine Blicke suchten Jax Blicke. Er sollte mich befreien. Er sollte Ruby befreifen. Einfach irgendwas, was mir jetzt helfen würde.
"Jax hilf mir!" Zitternd saß ich vor Harry. Seine tief-grünen Augen bohrten sich in meine. Jax kam von hinten und hob mich hoch.
"Alles wird gut Püppchen. Bald haben wir sie wieder."
Jax ging mit mir die Treppe hoch. Harry würde niemals verraten wo Ruby ist. Er ist viel zu intelligent dafür.
Ich wurde von Jax auf die Couch gelegt. Er machte sich Sorgen. Das konnte ich erkennen.
"Ich werde einen Bekannten anrufen, der wird sich dich mal anschauen. Du wirkst wirklich etwas schwach."
"Hhmm" Gab ich nur von mir.
Es war mir egal. Wie oft soll ich es noch sagen? Mir ist diese ganze Scheiße egal.
"Sorge dich lieber um Ruby und nicht um mich." Murmelte ich leise. Jax guckte mich an. "Ich will nicht, dass dir was passiert."
"Wie oft soll ich es dir noch sagen? Was mit mir passiert ist zweitrangig! Ich sorge mich einzig und allein um Ruby."
"Trotzdem lasse ich einen Arzt kommen. Baby du musst untersucht werden."
Ich schüttelte mit dem Kopf.
"Mir geht's super. Und noch besser würde es mir gehen, wenn unsere Tochter hier wäre."
Jax verließ das Wohnzimmer mit seinem Handy. Anscheinend rief er nun wirklich einen Arzt.
Leise schlich ich mich aus dem Wohnzimmer und ging auf die Kellertür zu. Ich hatte eine Idee und die könnte ich erstmal nur umsetzen, wenn Jax nicht dabei war.
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