Darf ich bitten?

Josie's Perspektive

(Wieder im hier und jetzt, also 2 Tage später)

„Darf ich bitten?" lächelnd hielt Carl mir seinen Arm hin. Sollte ich oder sollte ich nicht? Mir brannte diese eine Frage auf der Zunge. Spürte die Wörter auf meiner Zunge. Wie sie versuchten, meinen Körper zu verlassen. Wie sie erhört werden wollten. Doch mein Mund blieb geschlossen. Ich blieb stumm. Ich vertraute ihm. Stattdessen harkte ich mich bei ihm ein und wir liefen los. Liefen langsam durch die leeren Straßen Alexandrias.

Ich hatte keine Vermutung, wo er mit mir hinwollte. Es erweckte den Eindruck, als wenn er kein bestimmtes Ziel hätte. Kreuz und quer lief er mit mir am Rand der Stadt entlang. Immer in der Nähe der Mauer.

„Laufen wir jetzt den Rest des Tages hier im Kreis?" fragte ich ihn, nachdem wir Alexandria ungefähr sechsmal umrundet hatten, „Dann brauche ich andere Schuhe" grinste ich ihn schief an. Leise lachte er auf, dann blieb er stehen.

„Nein, nein. Keine Angst, nun sind es nur noch ein paar Meter. Du vertraust mir doch, oder?" fragte er mich und zog aus seiner Hosentasche ein dunkelblaues Tuch heraus. Er machte es spannend. Noch immer war ich überrascht, aber auch sehr neugierig. Mein Blick wanderte von dem Tuch zu ihm.

„Natürlich vertraue ich dir!" erklärte ich bestimmend. Seine Mundwinkel zogen sich zu einem Lächeln nach oben.

„Ich bin auch vorsichtig wegen deinen Haaren" grinste er mich schief an und band mir das Tuch vorsichtig um meine Augen.

„Lässt du mich los, gibt es Ärger" erwiderte ich grinsend und nahm nur noch Dunkelheit wahr.

„Niemals. Versprochen" antwortete er und ich spürte, wie er meinen Arm wieder unterharkte. Zusätzlich legte er eine Hand auf meinen Rücken und führte mich langsam weiter die Straße entlang. Es ging nur gerade aus und die Straße war eben. Das machte es auf High Heels ein wenig einfacher. „Wir sind da" erklärte er nun leiser. Ich spitzte meine Ohren. Ich konnte aus der Ferne ein paar Vögel zwitschern hören. Ansonsten war es ruhig. Zu ruhig. Er ließ meinen Arm los und anhand der Hand auf meinem Rücken konnte ich spüren, dass er sich nun hinter mich stellte.

„Bist du bereit?" flüsterte er leise und ich glaubte plötzlich, dass seine Stimme etwas aufgeregt und nervös klingt. Ich konnte nur noch nicken, konnte meine eigene Angespanntheit deutlich spüren. Er löste den Knoten vom Tuch an meinem Hinterkopf und es rutschte mir über die Augen. Was ich dann sah, machte mich mehr als nur sprachlos. Völlig überwältig schaute ich mich um. Ganz Alexandria war hier versammelt und auch viele Bewohner aus Hilltop und dem Königreich. Alle hatten sich herausgeputzt und sahen fantastisch aus. Ein großes, selbstgestaltetes Plakat war zwischen zwei Bäumen gespannt. Auf diesem stand „Happy Birthday Josie". Geburtstag... Ich hatte heute Geburtstag? Ich hatte meinen eigenen Geburtstag vergessen. Wie konnte das nur passieren... Viele, lange Tische und Bänke standen auf der Straße. Sie waren reichlich mit Speisen und Getränken gedeckt. Luftballons und Girlanden dekorierten einen großen Teil der Straße. Ich wusste gar nicht, was ich sagen sollte. Stattdessen liefen Tränen. Tränen der Freude und Überwältigung.

„Herzlichen Glückwunsch Josie. Nun gehörst du offiziell zu dem Ü-30 Club und gehst stramm auf die 40 zu" flüsterte da Carl leise an meinem Ohr und deutlich konnte ich das grinsen heraushören, „Und das eines klar ist, der erste Tanz gehört mir" schmunzelte er. Ich drehte mich zu ihm um und drückte ihn nickend fest an mich.

„Dankeschön Frechdachs" flüsterte ich leise, zu mehr war ich noch nicht in der Lage. Nach und nach kam jeder zu mir und gratulierte mir. Manche überreichten mir kleine Geschenke. Nichts Großes, dass brauchte ich auch nicht. Nur eine kleine Aufmerksamkeit. Das alles zeigte mir nur noch einmal mehr, dass alle diese Menschen nun meine Familie sind. Menschen, die einander lieben und ehren. Sich schätzen und unterstützen. Füreinander einstehen und kämpfen. Schon wieder liefen die Tränen, als Samu von hinten seine Arme um mich legte.

„Nicht weinen, große. Heute ist ein besonderer Tag. Da wird nur gefeiert, gelacht und gegessen" hörte ich ihn grinsen und ich lehnte mich an ihn.

„Ihr seid unglaublich" erwiderte ich nur. Ich war mir sicher, dass ich nun wusste, warum sie in den letzten Tagen immer wieder spurlos verschwunden waren. Warum sie immer miteinander getuschelt haben. Warum sie so geheimnisvoll waren.

Wir blieben ein paar Minuten so stehen. Immer wieder ließ ich meinen Blick durch die fröhlichen Gesichter wandern. Genoss es, dass auch sie mal abschalten konnten. Wir hatten alle schwere Zeiten hinter uns und brauchten mal etwas Abwechslung. Und doch... Etwas fehlt. Jemand fehlt. Das weiß ich, ohne dass ich ihn mit den Augen suchen muss.

„Er ist nicht hier" flüsterte ich leise und legte Samu seine Arme enger um mich.

„Wen meinst du? Es sind doch alle hier versammelt" erwiderte er leise.

„Daryl" erklärte ich weiter.

„Wie kommst du darauf? Er ist sicher hier. Glaube nicht, dass er sich das entgehen lassen würde. Vielleicht steht er abseits und schaut nur zu" erwiderte er und sah sich suchend um.

„Ich spüre es. Ich habe es immer gespürt, dass er in meiner Nähe ist. Doch seit wir aus dem Königreich zurück sind, ist es anders. Ich spüre es nicht mehr. Ich spüre ihn nicht mehr. Er ist nicht hier. Er ist nicht in der Nähe" erklärte ich leise.

„Dieser dämliche Vollidiot. Wenn ich ihn in die Finger bekomme, bekommt er was zu hören von mir. Es ist dein großer Tag, da hat er seinen Arsch herzubewegen" knurrte er leise und deutlich konnte ich hören, wie aufgebracht er war. Plötzlich drehte er mich in seinen Armen, dass ich ihn ansehen musste. „Pass auf. Heute ist dein großer Tag. Du bist 30 geworden. Vergiss den Idioten für ein paar Stunden und amüsiere dich. Genieße es. Lass dich verwöhnen und schwinge dein Tanzbein. Lass uns deine gute Laune spüren. Lass uns dein ansteckendes Lachen hören. Heute wird keine Trübsal geblasen, verstanden?" erklärte er bestimmend und sah mich fragend an. Ich wusste, dass er nur eine Antwort zulassen würde.

„Ich kann dir nicht versprechen, dass ich ihn vergessen kann. Vermutlich nicht, aber ich werde die Party ausnutzen und mich amüsieren. Versprochen" erwiderte ich.

„Das wollte ich hören. Und nun lass uns endlich essen. Wir haben nämlich großen Hunger und warten darauf, dass du das Buffet eröffnest" grinste er mich schief an und schob mich zu den Tischen. Alle nahmen Platz und sahen mich mit großen Augen an. Ich nahm mein Glas in die Hand und erhob mich noch einmal kurz.

„Ich danke euch allen vom Herzen für diese gelungene Überraschung. Ich bin total überwältigt und sprachlos, was ja nun wirklich nicht oft vorkommt. Danke, dass ihr alle gekommen seid und diesen Tag zu etwas ganz Besonderem macht. Dann lassen wir die Party mal steigen" grinsend erhob ich mein Glas und unter Jubel prosteten sich alle zu.

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