[Zweiundsiebzig] - Naddys Job
Heute ist unser vierter Hochzeitstag. Eigentlich ein Tag, den wir gewissermaßen feiern. Jedes Jahr hat sich Jolene immer etwas Schönes einfallen lassen und für unvergessliche Stunden zu zweit gesorgt.
Dieses Jahr ist es anders, denn vor zwei Tagen wurde der Admiral wieder freigelassen.
Auch wenn er quasi in Austin festsitzt und nur bedingt handlungsfähig ist, so ist er aber trotzdem handlungsfähig - irgendwie.
Wir sind deshalb nicht wirklich in der Stimmung irgendwas zu zelebrieren, aber weil wir unseren Tag nicht deswegen gänzlich beiseite legen wollen, haben wir uns dazu entschieden, wenigstens gemeinsam irgendwo essen zu gehen. Ein kleines romantisches Date, bei dem wir an nichts anderes denken wollen, außer an uns beide.
Ich steige gerade aus der Dusche und lege mir ein Handtuch um den Körper, als Jolene das Badezimmer betritt und mich mit ernstem Ausdruck ansieht.
»Ich muss weg«, sagt sie und beobachtet mich dabei, wie ich meine Haare in ein Handtuch wickle.
»Jetzt??«, frage ich überrascht.
»Jetzt«, bestätigt sie.
»Wir haben einen Tisch reserviert ... für in knapp zwei Stunden!«, gebe ich empört von mir.
»Ich habe die Reservierung eben storniert.«
»Das ist nicht dein Ernst, Jolene!?«
»Doch ist es. BNS wird angegriffen, das kann leider nicht warten.«
»Können sich da nicht Ian, Cormack oder Brandon drum kümmern?«
Jolene schüttelt den Kopf und lächelt vorsichtig. »Du kennst mich.«
»Ja, das tue ich. Aber wenigstens für heute? Es ist unser Hochzeitstag, Jolene!«, sage ich aufgebracht und halte meine Hand mit dem Ehering bedeutungsvoll nach oben.
»Es tut mir leid«, sagt sie schlicht, gibt mir einen sanften Kuss auf die Wange und lässt mich alleine zurück.
Noch einen Moment stehe ich da und versuche, die Fassungslosigkeit abzulegen.
Natürlich habe ich Verständnis dafür, wenn irgendein Idiot versucht, sich Zutritt zu den Servern von BNS zu verschaffen, dass Jolene dann sofort dorthin muss, um das Schlimmste abzuwehren, falls es doch mal einer schafft, die Firewall zu überwinden.
Aber wenigstens heute Abend hätte sie das doch ruhig ihren Jungs überlassen können. Und dafür habe ich dann kein Verständnis.
Frustriert darüber werfe ich das große Handtuch achtlos mitten in unser Schlafzimmer und ignoriere auch das Chaos auf unserem Bett, das ich vorhin verursacht habe, als ich meinen Schrank nach einem passenden Kleid durchwühlt habe.
Aus diesem ziehe ich mir dann jetzt eine Jogginghose und ein T-Shirt heraus und ziehe sie mir an. Auch das Handtuch, in das meine Haare gewickelt waren, landet auf dem Boden, bevor ich das Schlafzimmer verlasse und nach unten gehe.
Es macht mich sogar noch wütender, als ich begreife, an meinem Hochzeitstag ganz alleine zu sein, weil ich Chester heute Mittag zu meiner Mutter gebracht habe, damit Jolene und ich diesen Abend in Ruhe genießen können.
In der Küche greife ich nach meinem Handy, das auf der Kochinsel liegt, um Naddy zu schreiben. Ohne ihr irgendwas zu erklären, sage ich ihr, dass ich einen Serien-Abend mit ihr möchte.
Dann werfe ich das Handy wieder auf die Kochinsel zurück und widme mich dem Inhalt des Kühlschranks, auf der Suche nach etwas vollkommen ungesundes, das gegen Frust hilft.
Letztlich schnippel ich Paprikas und Tomaten klein, die ich mit Salz, Pfeffer und ordentlich Chilipulver verfeinere. Mit meinen nackten Händen vermische ich alles in einer Schale.
Mein Handy vibriert und ich entsperre es mit dem kleinen Finger, den ich auf die Schnelle ablecke, um ihn von den Gewürzen zu befreien.
Naddy (5:28 pm): »Das klingt nach einem Notruf.«
Weil ich keine Lust habe, mir jetzt erst die Hände zu waschen, halte ich den Button für eine Sprachnachricht gedrückt.
»Ich wurde von meiner Frau versetzt. An unserem Hochzeitstag!«, sage ich und spreche den ersten Satz patzig und den zweiten wütend aus.
Naddy (5:29 pm): »10 Minuten.«
Noch einmal schmecke ich meinen kleinen Salat ab und wasche mir dann die Hände. Im Anschluss setze ich mich auf die Couch und schalte den Fernseher an, um schon mal nach zu gucken, welche Serie wir uns heute reinziehen können.
Es dauert nicht mal zehn Minuten, bis Naddy vor der Tür steht. Irritiert sehe ich sie an, weil sie ein hübsches Sommerkleid trägt.
»Hattest du was vor?«, frage ich verdutzt und spüre das schlechte Gewissen in mir aufkommen, weil ich eventuell dafür verantwortlich bin, dass sie jetzt jemanden wegen mir versetzt hat.
»Ja, dich auf andere Gedanken bringen«, antwortet sie und betritt unser Haus. »Jogginghose und T-Shirt? Echt jetzt?«, fragt sie entsetzt und sieht mich von oben bis unten an.
»Serien-Abend?!«, erinnere ich sie. Immerhin habe ich sie deshalb zu mir geladen. Und wenn wir Serien-Abende machen, tragen wir immer Jogginghosen und Shirts.
»Wir machen keinen Serien-Abend«, sagt sie, packt mich an der Hand und zieht mich nach oben ins Schlafzimmer. »Heilige Scheiße«, entkommt es ihr, als sie das Chaos dort sieht. Gezielt greift sie nach dem Kleid, das ich vor ein paar Wochen gekauft habe, als sie mich zum Shoppen mitgerissen hat, bei dem wir nicht nur neue Klamotten für mich gekauft haben, sondern auch eine übertriebene Babyausstattung - mit Kram, den man nicht braucht.
»Anziehen!«, befiehlt sie mir und drückt mir das Kleid in die Arme.
»Was hast du vor?«, frage ich skeptisch.
»Du wirst heute einen schönen Abend haben«, verspricht sie und durchwühlt unseren Kleiderschrank. Dann dreht sie sich wieder zu mir um und hält mir auch meinen Bikini entgegen. »Den ziehst du drunter.«
»Bikini? Weshalb?«
»Wir fahren nach Miami Beach. Vielleicht wollen wir ins Wasser.«
»Ich werde nicht ins Wasser gehen.«
»Doch, wirst du«, kontert sie gackernd. »Also, hopp hopp!« Spricht sie und schiebt mich ins Badezimmer.
»Was hast du vor?«, frage ich panisch.
»Das hast du mich bereits gefragt und eine Antwort drauf bekommen«, wehrt sie ab. »Du hast eine Minute!«, spricht sie und zieht die Tür hinter mir zu.
Ich raune frustriert, ziehe meine bequemen Sachen wieder aus und den Bikini an; wobei meine Brüste ein wenig aus der Körbchengröße entwachsen sind und ich etwas Geschick benötige, damit alles da bleibt, wo es bleiben soll.
Gerade, als ich damit fertig bin, reißt Naddy die Tür wieder auf und kommt zu mir.
Empört reagiere ich darauf, weil sie vorher nicht mal gefragt hat, ob ich schon was anhabe.
»Die eine Minute war rum«, begründet sie, weil sie meinen Ausdruck verstanden hat. »Oh, mein Gott!«, quietscht sie plötzlich und widmet ihre Aufmerksamkeit meiner kleinen Babykugel. »Nackt sieht der ja noch viel schöner aus!«, schwärmt sie und streichelt ihn mit einem beängstigenden Glanz in ihren Augen.
Genervt verdrehe ich die Augen, schiebe sie von mir weg und ziehe mir das Kleid über.
»Kein Wunder, dass Jolene ihre Finger nicht mehr von dir lassen kann«, gackert sie wieder und hilft mir dabei, den Reißverschluss des Kleides zuzuziehen. »Nicht mal ich könnte es«, gesteht sie und umarmt mich von hinten.
Unzufrieden raune ich und erlaube ihr, meine Haare zu einer anständigen Frisur zu formen. Aber aufgeheitert kriegt sie mich trotzdem nicht, denn es ist nachwievor unser Hochzeitstag, an dem Jolene nicht bei mir ist und mich berühren wird.
Ein kräftiger Klaps auf meinen Hintern unterbricht mich bei meinen Gedanken, die mir einen Stich ins Herz verpassen und ich mich deshalb am liebsten ins Bett verkriechen möchte.
»Ich kann dich im Spiegel sehen, Cait«, sagt sie und deutet auf eben diesen. »Ich erlaube dir nicht, betrübt, frustriert oder wütend zu sein.«
»Eigentlich solltest du mit mir wütend und frustriert sein, anstatt mich irgendwohin zu schleppen«, brumme ich. »Das ist deine Aufgabe als beste Freundin.«
»Meine Aufgabe als beste Freundin ist, für dich da zu sein. Wie ich das mache, ist mir überlassen.«
Wieder raune ich unzufrieden, protestiere aber nicht weiter, sondern erlaube ihr auch, mir mit Hilfe von Make-up ein hübscheres Gesicht zu verpassen.
Ehrlich gesagt habe ich sogar ein wenig Angst davor, was sie mit mir vorhat. Es erinnert mich ein wenig an den Abend von damals, als sich Martin von mir getrennt hat.
Aber das hier ist eine andere Situation. Ich hatte weder Streit mit Jolene, noch haben wir uns getrennt. Wieso also will mich Naddy irgendwohin mitschleppen und macht mich dafür noch hübsch?
Mehr als ein 'Du wirst heute einen schönen Abend haben' kriege ich nicht aus ihr heraus.
Und auch Dennis, der mit seinem Taxi vor unserem Haus steht ist schweigsam und grinst nur dämlich vor sich hin.
»Wird mal wieder Zeit«, sagt er. »Wir hatten schon lange keinen Abend zu dritt mehr. Wie in alten Zeiten.«
Stimmt, und im Grunde gebe ich ihm recht. Wir haben das lange nicht mehr gemacht, allerdings empfinde ich den heutigen Abend nicht als den richtigen Zeitpunkt dafür.
Da ich mich gegen die beiden aber nicht wehren kann, ergebe ich mich, lasse meinen Kopf gegen die Kopfstütze fallen und sehe aus dem Fenster, während Dennis seinen Wagen über die vier Inseln nach Miami Beach lenkt.
Die Lichter der Straßen fliegen an uns vorbei, während jene der Skyline im Hintergrund scheinbar stillstehen.
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