[Zwei] - Den Kopf gewaschen
Lange sitze ich einfach nur schweigend an Naddys Küchentisch und starre in die Kaffeetasse, die ich mit beiden Händen umgreife. Und sie sitzt mir gegenüber und sieht mich einfach nur an; wartet darauf, dass ich ihr berichte, was mir auf dem Herzen liegt.
Schließlich beginne ich zu erzählen, als ich meine Gedanken sortiert und mich ein wenig beruhigt habe.
Ich fühle mich von Jolene unverstanden. Für sie scheint das alles irgendwie keine große Sache zu sein, und zeitweise gibt sie mir das Gefühl, als wäre es nicht von Belang, was mir vor etwa zwei Wochen passiert ist. Als wäre es ihr egal. Aber es sollte ihr doch nicht egal sein, immerhin war es unser gemeinsames Kind. Wir wollten es beide und wir haben uns beide darauf gefreut.
Und jetzt redet sie schon wieder von weiteren Versuchen. Ihr ist wirklich nicht bewusst, wie es sich anfühlt ein Kind zu verlieren. Selbst wenn es noch nicht weit entwickelt war und ich es noch nicht spüren konnte, so war es aber doch da gewesen. Der Arzt hat es uns bestätigt und uns auf dem Ultraschallbild gezeigt, woran er die Schwangerschaft erkennt.
Die Erinnerung an diesen Tag treibt mir erneut die Tränen in die Augen, weshalb ich mein Gesicht in meinen Händen vergrabe und zu schulchzen beginne.
»Cait«, höre ich Naddys Stimme. Zugleich legt sie ihre Hand auf meine und streichelt mich sanft mit ihrem Daumen. »Stoß' ihr nicht so vor den Kopf«, bittet sie mich. »Sie kann nichts dafür. Genausowenig, wie du etwas dafür kannst.«
Ich erhebe mich leicht und wische mir die Tränen zur Seite.
»Sie war in der Zeit wirklich süß zu dir und hat alles getan, damit es dir ... euch gut geht. Damit es euch an nichts fehlt«, erinnert sie mich daran. »Sie hat dich auf Händen getragen. Und sie wird es immer wieder tun.« Jetzt schmunzelt sie. »Stell dir mal vor, wie es ist, wenn du wieder schwanger bist. Wie sie dich streichelt; den Bauch. Wie sie mit ihm redet, ihn küsst - dich küsst, und für euch beide singt«, sinniert sie.
»Hör' auf«, bitte ich sie. »Setz' mir bitte nicht solche Bilder in den Kopf. Ich will es mir nicht Vorstellen, weil es mir nur das Herz brechen wird, wenn ich das alles dann doch nie erleben werde.« Und wieder bricht eine Flut an Tränen aus mir heraus.
Naddy setzt sich neben mich und nimmt mich in den Arm. »Du wirst es erleben«, sichert sie mir zu. »Du hast Jolene als Frau. Jolene Reid; und Reid gibt nicht auf, bis sie hat was sie will. Cait.« Sie nimmt mein Gesicht in ihre Hände und dreht es zu sich, damit ich ihr in die Augen sehe. »Und sie will es. Sie will, dass du ein Kind kriegst. Sie will es genauso sehr, wie du.«
Ich löse mich von ihr, greife nach meiner Tasse und nehme einen großen Schluck. Dann lasse ich mich in den Stuhl zurückfallen und starre ins Leere.
»Und schieb' nicht dir die Schuld zu. Den meisten Frauen ergeht es so.«
»Ja, ja«, winke ich ab, weil mir das Jolene auch schon gesagt hat; abgesehen davon, dass ich das ohnehin weiß.
»Jonas und ich versuchen es auch schon seit ein paar Monaten«, offenbart sie mir dann, weshalb ich sie geschockt ansehe. »Es will bei uns auch nicht so klappen. Aber das macht nichts, irgendwann trifft er schon«, gackert sie.
»Und du erzählst mir sowas nicht, weil ...?«, will ich etwas eingeschnappt von ihr wissen.
»... es mein Sexleben ist?«, antwortet sie verwundert.
»Ich muss dir auch ständig von meinem Sexleben erzählen!«, protestiere ich.
»Weil euer Sexleben definitiv interessanter ist«, argumentiert sie grinsend.
Mürrisch nippe ich erneut an meinem Kaffee, ohne meinen Blick von ihr abzuwenden. »Wie kommt es, dass ihr es wieder versucht?«
Zunächst zuckt sie mit den Schultern. »Ich bin von hormongesteuerten Frauen umgeben, das scheint auf mich übergeschwappt zu sein. Erst ist Winnie schwanger, dann Jessica, dann du. Um mich herum die Babys und Kleinkinder. Das hat wohl meine Urinstinkte geweckt.«
»Urinstinkte?« Skeptisch hebe ich eine Augenbraue.
»Fortpflanzung!«
»Ahja.«
»Abgesehen davon, dachte ich mir, dass es vielleicht ganz schön ist, gemeinsam schwanger zu sein. Nachdem du Winnie den Wunsch ja nicht erfüllt hast, erhoffe ich mir, eventuell diese Chance zu kriegen.«
Ich bin mir ehrlich gesagt gar nicht so sicher, ob ich mit Naddy zusammen schwanger sein will. Andererseits war sie damals bei Sam ein tiefenentspannter Mensch und nicht so aufgedreht, wie sie üblicherweise ist. Vielleicht würde es mir also hilfreicher sein, als eine nicht-schwangere Naddy, die mir nur ständig dumme Sprüche um die Ohren knallt und immer fröhlich um mich herum hüpft.
Da ich aber fest davon überzeugt bin, nie schwanger zu werden, oder gar kein Kind zu bekommen, sind diese Gedanken Zeitverschwendung.
Und schon bin ich wieder da, wo ich gar nicht sein will. Dieses Mal aber kann ich mich beherrschen und die Tränen unterschlucken.
»Du bist immer noch sehr emotional«, stellt sie amüsiert fest, während sie mit einer Strähne meines Haars spielt und sich um den Finger wickelt.
»Ich bin immer emotional«, brumme ich beleidigt und nippe wieder an meiner Tasse, während ich sie ansehe.
»Bist du«, stimmt sie mir kichernd zu »aber dieses Auf und Ab ist üblicherweise nicht so ausgeprägt.«
Wortlos halte ich ihr meine leere Tasse entgegen und fordere auf diese Weise einen weiteren Kaffee. »Mit Schuss«, füge ich hinzu und verdeutliche ihr, das ernst zu meinen.
Grinsend drückt sie mir einen Kuss auf die Wange und steht auf.
Natürlich gibt sie mir keinen einzigen Kaffee mit Schuss, weil ich noch autofahren muss. Trotzdem schafft sie es, mich wieder aufzumuntern. Und das sogar spielend einfach, als wäre es das Leichteste auf der Welt. Aber genau deshalb liebe ich Naddy und bin unsagbar glücklich darüber, sie meine beste Freundin nennen zu können.
»Ich hoffe, du hast das Barbecue morgen nicht vergessen?«, erinnert sie mich, als wir uns einander verabschieden und ich gerade gehen will.
Oh fuck.
»Natürlich nicht«, schwindle ich und lächle sie an. Ihr Grinsen aber zeigt deutlich, dass sie mir meine Antwort nicht abkauft.
»Zwei Uhr. Bei euch«, erinnert sie mich erneut und drückt mir nochmals einen Kuss auf die Wange. »Und jetzt geh' nach Hause und entschuldige dich bei deiner Frau. Husch, husch«, wedelt sie mit ihren Händen und schickt mich fort.
Mich bei Jolene entschuldigen muss ich wirklich. Naddy hat mir ordentlich den Kopf gewaschen und mich die ganze Situation am Nachmittag reflektieren lassen. Ich war wirklich unfair zu ihr und das hat sie nicht verdient.
Obwohl ich weiß, dass sie mir das verzeihen wird, nagt das schlechte Gewissen an mir.
Wobei ich mir dann doch nicht mehr so sicher bin, ob sie mir verzeihen wird. Denn als ich nach Hause komme, ist sie nirgends zu sehen.
Mehrmals rufe ich laut, erhalte aber keine Antwort. Draußen im Garten oder am Pool ist sie auch nicht. Unser Boot liegt unberührt am Steeg, weshalb es jetzt nur noch einen Ort geben kann, an dem sie sein könnte: Die Garage.
Groß genug, damit all ihre Autos Platz haben und sie zusätzlich als Werkstatt dienen kann, um an diesen herumzuschrauben.
Seit zwei Jahren ist ihr Fuhrpark um den Hummer erweitert und letztes Jahr hat sie sich ihren Traum vom Pontiac Firebird aus dem Jahr 1968 erfüllt und schraubt seit dem an diesem herum, wenn sie die Zeit findet.
In der Garage ist es allerdings dunkel, weshalb ich weiß, dass sie dort ebenfalls nicht ist. Dennoch schalte ich das Licht an, um nachzusehen. Dabei sehe ich, dass der Pick-Up nicht an seinem Platz steht.
Seufzend zücke ich mein Handy, als ich die Garage wieder verlasse. Aber eine Nachricht von ihr habe ich nicht bekommen.
»Mom!«, höre ich Chester rufen und sehe auf. Mit seinem Fahrrad kommt er die Einfahrt angesaust und bleibt neben mir stehen.
»Wo kommst du denn her?«
»Von Nelson«, sagt er ganz selbstverständlich und deutet auf das Haus auf der anderen Straßenseite. »Hab' auf dich gewartet«, fügt er hinzu und sieht mich treuherzig an. Vermutlich wollte er schon früher nach Hause, aber weder Jolene noch ich waren da.
»Wo ist Mama?«, frage ich ihn deshalb, aber er zuckt nur ahnungslos die Schultern, während er sein Fahrrad zur Garage schiebt.
Weil ich von Jolene einfach keine Antwort erhalte und somit auch nicht weiß, wann und ob sie wieder nach Hause kommt, entscheide ich mich dazu, nur für mich und Chester zu kochen. Wobei das Kochen nur daraus besteht, eine Pizza in den Ofen zu schieben und extra viel Käse drauf zu hauen. Währenddessen berichtet mir Chester von seinem Tag, was er mit Nelson erlebt hat und welche Ideen ihm so in den Sinn gekommen sind.
Nachdem ich ihn dann ins Bett gebracht habe, sehe ich erneut auf mein Handy. Dort finde ich aber immer noch keine Antwort von Jolene, weshalb ich ihr nun nochmal schreibe, und sie darum bitte, mir zu antworten, weil ich mir Sorgen mache.
Drei Minuten starre ich unseren Chat an, aber es regt sich nichts. Scheinbar ist sie dieses Mal wirklich sauer auf mich und in mir macht sich das mulmige Gefühl breit, dass sie diese Nacht nicht nach Hause kommen wird. Aber so ganz will ich mir diesen Gedanken nicht erlauben. Trotzdem frage ich mich, wo sie ist.
Dann aber fällt mir ein, dass Morgan wieder in der Stadt ist, und die hat am eigenen Leib erfahren, wie wütend ich war. Also ist es eigentlich naheliegend, wo Jolene gerade ist. Morgan hat sich ihre Cousine geschnappt, um sie 'abzulenken'. Was bei Morgan soviel heißt: Den Vorrat der nächstbesten Bar vernichten.
Mürrisch reibe ich mir die Augen. Jolene ist nicht der Typ, der sich aus Frust betrinkt, trotzdem kann ich mir vorstellen, dass sie sich von ihrer Cousine verleiten lässt. Vor allem, weil es bei unserem Streit um etwas ging, das uns beide aufwühlt.
Frustriert fülle ich mir ein Glas mit Whiskey und mache es mir mit einer Decke auf einer Liege bequem, die wir neben dem Pool stehen haben.
Ich lasse mich vom Meeresrauschen beschallen und betrachte all die Lichter auf der anderen Seite der Bucht, die sich auf der Wasseroberfläche spiegeln. Sowohl jene der Skyline als auch die der Passagierschiffe, von denen sogar etwas Musik herüberschwappt.
Diese Berieselung macht mich schläfrig, weshalb ich mich dazu entschließe, ins Bett zu gehen. Allerdings scheitere ich an dem Vorhaben wegen meiner Motivation. Denn die scheint schon zu schlafen. Ich bin einfach zu faul, um aufzustehen - zumal ich gerade eine unglaublich bequeme Position gefunden habe.
Als mein Blick auf unser Boot fällt, überlege ich, ob der Weg dorthin kürzer ist, als der ins Bett. Aber selbst dafür bin ich zu faul.
Abgesehen davon, dass ich sowieso nicht in den Schlaf finden würde, ehe Jolene nicht neben mir liegt - oder ich aber weiß, wo sie ist und ob es ihr gut geht.
Unwillkürlich sehe ich nach oben in den wolkenfreien Himmel und betrachte all die Sterne, die auf die Erde hinabfunkeln. Morgen wird das Wetter gut, ziehe ich die Erkenntnis. Dabei fällt mir wieder das Barbecue ein. Ich hatte es tatsächlich schon wieder vergessen.
Allerdings haben wir uns alle vor bereits zwei Wochen dafür verabredet und vor zwei Wochen war meine Welt noch in Ordnung. Heute ist sie es nicht mehr.
Seufzend lasse ich meinen Kopf nach hinten fallen und schließe die Augen. Vielleicht wird mir der morgige Tag aber gut tun, weil ich all meine Lieben um mich haben werde. Naddy mit Jonas und Samantha. Dennis, Winnie, Jay und die kleine Ellie, die in zwei Monaten schon drei Jahre alt wird. Johnny und seine Frau Jessica sind ebenfalls eingeladen - mit ihren beiden Söhnen Liam und Isaac.
Vor etwa einem halben Jahr haben sie sich das Ja-Wort gegeben. Wobei diese Hochzeit wirklich Kurios war. Andererseits passte es zu Johnny - und Jessica wiederum passt perfekt zu ihm, denn sie war der Meinung, die beste Hochzeit gehabt und solch eine nie erträumt zu haben.
Anfangs dachten wir, die beiden verarschen uns, aber sie meinten es tatsächlich ernst. Eine Hochzeit in Las Vegas; so, wie man es aus sämtlichen Filmen und Serien kennt. Und der Pfarrer war natürlich niemand anderes als Elvis Presley.
Es war wirklich ein total verrücktes Wochenende, aber wir alle hatten unseren Spaß und werden diese Tage ganz sicher nie wieder vergessen.
Obwohl die beiden sich erst vor knapp zwei Jahren kennengelernt haben und kurz danach der kleine Liam auf die Welt kam, funktioniert deren Beziehung beneidend gut. Aber Johnny ist wahrlich ein einfacher Typ, der wenig Ansprüche hat und schnell zufrieden zu stellen ist - und er ist nicht immer die hellste Kerze auf der Torte, weshalb er manchmal hilflos wirkt und das Bedürfnis in einem weckt, ihm in die Wange zu kneifen. Ich kann Jessica also durchweg verstehen, wieso sie direkt zugegriffen hat.
Vor zwei Monaten folgte dann Chesters Brüderchen Nummer zwei: Isaac.
Natürlich ist Chester ganz stolz darauf, ein großer Bruder zu sein und ist immer Feuer und Flamme, wenn er ein Wochenende mit seinem Vater und seinen Brüdern verbringen darf.
Morgen wird ein schöner und lustiger Tag. Insbesondere Naddy und Johnny wissen mich aus meinen negativen Gedanken zu befreien. Dafür müssen sie nicht mal viel tun. Vermutlich reicht schon ein einziger verpeilter Blick von Jolenes Ex-Mann und mein Abend ist gerettet.
Erneut zücke ich mein Handy und sehe in den Chat mit ihr. Aber meine Nachrichten bleiben immer noch unbeantwortet, weshalb ich es mit einem Seufzen wieder zur Seite lege und die Augen schließe.
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