[Vier] - Kindermund tut Wahrheit kund
Als es plötzlich an die Terrassentür klopft, schrecke ich von der Couch hoch und sehe Dennis dort mit einem Grinsen stehen und winken - ebenso Ellie, die er im Arm hält.
Panisch geht mein Blick zur Uhr, während ich mich erhebe und stelle erschrocken fest, dass wir bereits zwei am Mittag haben. Dann wandert mein Blick zur Couch, auf der auch Chester liegt und sich nun müde die Augen reibt.
Offensichtlich sind wir beide irgendwann weggenickt. Wobei es mich wundert, dass auch Chester eingeschlafen ist, denn eigentlich strotzt er nur so vor Energie und hält problemlos bis abends durch.
Noch etwas durch den Wind gehe ich zur Terrassentür und schiebe diese zur Seite.
»Na, Dornröschen«, grüßt mich Winnie, die hinter Dennis hervortritt.
Jay rennt mit einem 'Hallo Cait' direkt an mir vorbei und springt zu Chester auf die Couch. Sofort stecken die Jungs ihre Köpfe zusammen und starren beide auf die kleine Spielkonsole, die Jay mitgebracht hat.
»Ich bin eingeschlafen«, entschuldige ich mich und verlasse das Haus, um im Garten alles für die Grillfete vorzubereiten.
Ohne zu Zögern packt Dennis direkt mit an, während Ellie zurück ins Haus zu Winnie rennt, die den Korb mit dem Salat und Fleisch in die Küche bringt.
Nur wenigen Minuten später steht auch Naddy mit Anhang im Garten; dabei wirkt sie etwas abgehetzt, weil sie sich verspätet hat. In ihren Augen ist das ein absolutes No-Go, weshalb sie sich unentwegt über sich selbst aufregt und sich bei uns entschuldigt. Die mittlerweile achtjährige Sam stiefelt direkt zu den Jungs ins Haus, wo sie sich zu ihnen setzt und sich am gemeinsamen Spiel beteiligt.
Es dauert dann auch nicht lange, bis die Diskussion zwischen Dennis und Jonas beginnt, wer von ihnen am heutigen Abend für den Grill zuständig ist, weshalb Naddy irgendwann total genervt auch Jonas eine Zange in die Hand drückt und eine imaginäre Linie über das Grillrost zieht, um jedem eine Seite zu geben.
Aber wenigstens sind sich die Männer schnell einig, als es darum geht, sich ein Bier zu öffnen - natürlich mit dem standardmäßigen Kommentar: "Irgendwo auf der Welt ist es schon vier."
Die Krone aber setzen beide auf, als sie ihre Grillschürzen auspacken. Zuerst Jonas, auf dessen schwarzer Schürze in roter Schrift 'Grillmeister' steht. Dennis' Grinsen, als er dann seine auspackt, geht einmal um seinen Kopf herum. Auf seiner Schürze zeigt ein Pfeil nach rechts, an dem 'Robin' steht, und an dem Pfeil, der nach oben zeigt, steht 'Batman'.
Winnie, Naddy und ich schütteln einfach nur den Kopf und lassen das unkommentiert.
Letztlich lassen wir sie mit dem Grill und ihrem Bier alleine und gehen in die Küche, um dort noch ein paar Sachen vorzubereiten.
Während ich ebenfalls auf die Schnelle einen Salat zaubere, schneidet Naddy das Brot und Winnie sucht sämtliche Soßen zusammen und füllt den Kühlschrank mit Getränken.
»Wo ist eigentlich Jolene?«, will Naddy irgendwann wissen. Ein Wunder, dass es ihr erst so spät auffällt.
»Arbeiten.« Dabei zeige ich nach draußen, wo die Passagierschiffe liegen und erkläre ihr in knappen Worten das Problem.
Kopfschüttelnd verdreht Naddy die Augen. »Diese Frau ...«
»Sie wird ihr Bestes geben, um frühzeitig wieder hier zu sein«, lächle ich dann.
»Hiiiii«, ertönt eine weitere weibliche Stimme dazwischen, begleitet von einem vehementen Babygeschrei.
»Jessica«, begrüße ich sie freudig. Aber mein Lächeln verebbt, als sie mir den Schreihals in die Arme drückt.
»Ich brauch' ne Pause«, begründet sie das, dreht sich auf dem Absatz um, klaut Dennis das Bier aus der Hand und nimmt einen großen Schluck. »Isaac schreit schon seit fünfzehn Minuten und ich kriege ihn nicht beruhigt«, erklärt sie und ignoriert Dennis' deutlichen Protest. »Ich hab' keine Ahnung, was er für ein Problem hat. Aber was es auch ist: Du kriegst ihn beruhigt, das weiß ich.« Dabei fuchtelt sie irgendwie mit ihren Händen herum, nimmt einen erneuten Schluck und gibt Dennis das Bier zurück.
Dieser linst mit einem Auge in die Flasche und brummt unzufrieden vor sich hin, als er nur noch ein Schlückchen darin findet.
Tatsächlich hört Isaac auf zu schreien, als ich ihn ein wenig in meinen Armen hin und her wiege, weshalb Jessica nur fassungslos mit dem Kopf schüttelt.
»Caits magische Aura«, kichert Naddy. »Hat auch immer bei Sam funktioniert.«
»Und bei Jay«, fügt Dennis hinzu und wedelt mit seiner Grillzange.
»Und bei Ellie«, ergänzt Winnie.
»Von Chester brauchen wir gar nicht erst anfangen, der vergöttert dich vom ersten Blick an; genau wie seine Mama.« Grinsend tätschelt Naddy meine Schulter. »Und deshalb wirst du eine ganz großartige Mama sein«, flüstert sie mir dann ins Ohr und verpasst mir einen Klaps auf den Hintern.
»Wo ist eigentlich Johnny?«, frage ich an Jessica gewandt, um das Thema zu wechseln.
»Arbeiten«, verdreht sie die Augen. »Er hat noch einen Termin, aber dann kommt er her.«
So ausgelassen die Stimmung auch zu scheinen mag, merke ich, wie mich jeder Einzelne mit einer gewissen Vorsicht behandelt und um gewisse Themen herumjongliert wird.
Naddy hat also aus dem Nähkästchen geplaudert und jedem verraten, dass ich nicht mehr schwanger bin. Auch wenn ich gerne sauer auf sie wäre, kann ich es nicht sein, denn im Grunde erspart es mir, sie alle davon in Kenntnis zu setzen, als auch erklären zu müssen, wieso meine Augen so gerötet sind.
Nur einen scheint Naddy dabei vergessen zu haben: Johnny.
Denn der kommt freudestrahlend angestiefelt, begrüßt mich direkt überschwänglich und streichelt mir dann den Bauch. »Hallöchen Chesters neues Geschwisterchen«, begrüßt er auch das vermeintliche Baby mit hoher Stimme.
Ich werfe einen Blick zu Jessica, die sich umgehend die Hand gegen die Stirn klatscht. Und die Gesichter der anderen sehen nicht unbedingt besser aus.
»Du Vollidiot!«, faucht sie ihn an. »Guck' doch einfach mal auf dein Handy!«
Irritiert blinzelnd zieht er dieses direkt aus seiner Hosentasche. »Oh ...«, murmelt er und dreht sich mir zu. Er hebt beide Hände, um sich bei mir zu entschuldigen, wird aber von Chester unterbrochen, der das wohl mitbekommen hat.
»Was meint Daddy mit Geschwisterchen?«, will er wissen und kommt auf uns zu. »Bekommst du ein Baby, Mom?«
»Jetzt hast du was angerichtet«, schimpft Jessica wieder los und schlägt Johnny gegen den Oberarm.
Denn Chester wusste bis eben nichts davon. Weder davon, dass ich schwanger war, noch davon, es nicht mehr zu sein. Bewusst haben wir ihm davon noch nichts erzählt, weil wir noch eine Weile warten wollten.
Ihm jetzt mit einem simplen 'Nein' zu antworten, würde nicht viel bringen. Denn Chester weiß durchaus, was er da gerade gehört hat und wie er es interpretieren muss. Seine großen, vor Freude funkelnden Augen zeigen deutlich, wie sehr er sich über ein Geschwisterchen freuen würde.
Diesen Blick zu sehen, verursacht einen großen Kloß in meinem Hals, weshalb es mir im ersten Moment schwer fällt, zu antworten und ich gegen Tränen ankämpfen muss.
»Mama und ich versuchen, ein Baby zu bekommen«, offenbare ich ihm. »Aber es ist nicht so einfach.«
»Das ist sehr wohl einfach«, gibt er zuversichtlich von sich. »Ihr müsst euch nur küssen, dann kommt der Storch.« Damit amüsiert er uns alle, aber jeder verkneift sich das Lachen, damit sich Chester nicht verarscht vorkommt. »Aber vielleicht küsst ihr euch auch zu viel und der Storch kann nicht so viele Babys bringen?« Sein Ton ist fast schon belehrend.
All meine schlechten Gefühle und Gedanken, die eben noch geweckt wurden, verschwinden augenblicklich. Jetzt sind es Tränen vom Lachen, die sich aus meinen Lider drücken.
»Vielleicht musst du aber auch Daddy küssen, damit es funktioniert?«, überlegt er weiter.
»Du bist so unglaublich süß«, sage ich, als ich in die Knie gehe und ihn in meine Arme ziehe. »Ich liebe dich, Ches.«
»Ich liebe dich auch, Mom«, antwortet er irritiert über meine Handlung, erwidert aber meine Umarmung sofort.
Naddy wäre nicht Naddy, wenn sie diesen Moment nicht ausnutzen würde.
»Wie oft küssen die sich denn so?«, fragt sie überneugierig mit einem frechen Grinsen.
»Andauernd!«, antwortet Chester fast schon aufgebracht, bevor ich ihn daran hindern kann. Dabei versucht er die Anzahl mit seinen Fingern zu zeigen, gibt aber dann auf, als sie alle nicht ausreichen und macht eine wegwerfende Handbewegung. »Kann man nicht zählen.«
Zum ersten Mal seit langem steigt mir die Röte ins Gesicht, als ich all die wissenden aber doch auch spitzbübischen Ausdrücke der anderen sehe.
»Und Nachts küssen die sich bestimmt auch ganz viel, ne?«, hakt sich stichelnd nach und zwinkert übertrieben auffällig.
»Nein«, schüttelt Chester den Kopf, legt sich den Zeigefinger an sein Kinn und verdreht die Augen nachdenklich nach oben. »Nachts nicht. Da hat Mom immer Schmerzen.«
Ich schieße so schnell aus der Hocke nach oben, wie mein gesamtes Blut in den Kopf, während die anderen nun das Lachen nicht mehr unterdrücken können.
Umgehend packe ich Chester am Arm und schleife ihn hinter mir her ins Haus hinein, durch das Wohnzimmer durch geradewegs in das Badezimmer, das sich neben der Eingangstür befindet.
Als wären wir auf der Flucht, schließe ich auch hastig die Tür hinter uns ab.
Während ich versuche, die Röte mit kaltem Wasser aus dem Gesicht zu vertreiben, steht Chester etwas verdutzt neben mir und versucht zu verstehen, was gerade passiert ist.
»Ich habe nachts keine Schmerzen«, versichere ich ihm, nachdem ich einen tiefen Atemzug genommen habe. Nun greife ich nach einem Handtuch, um mir mein Gesicht abzutrocknen.
»Aber du schreist und weinst«, blinzelt er irritiert.
»Ich weine nicht«, bestreite ich.
»Aber du schreist. Warum, wenn du keine Schmerzen hast?«
Verzweifelt reibe ich mir durchs Gesicht und überlege, wie ich ihm das erklären soll. So frühzeitig habe ich nicht damit gerechnet und bin gerade alles andere als vorbereitet.
Mit einem tiefen Schnaufen, pfriemle ich mein Handy aus der Hosentasche und wähle Jolenes Nummer. Sie ist seine leibliche Mutter, er hat ihre Gene, also hat sie gefälligst diese Aufgabe selbst zu erledigen.
Überraschenderweise geht sie direkt dran.
»Ich stehe gerade mit Chester in unserem Badezimmer und werde nicht um das Gespräch des Lebens herumkommen!«, fauche ich sie direkt an.
»Gut zu wissen«, wirft sie mir amüsiert zurück.
»Was heißt hier 'gut zu wissen'?? Ich kann das nicht alleine, Jolene!«
»Musst du auch nicht«, antwortet sie und legt auf.
Irritiert starre ich das Handy an und spüre die Wut in mir hochkochen. Aber dann klopft es an der Badezimmertür und ihre Stimme dringt zu mir durch.
Sofort öffne ich die Tür, packe Jolene am Handgelenk und zerre sie in den Raum hinein. Auffordernd deute ich dabei auf Chester, der immer noch vollkommen überfordert da steht und mich mit seinen grünen Kulleraugen ansieht.
»Wo ist das Problem?«, fragt Jolene immer noch amüsiert.
»Wo das Problem ist?«, wiederhole ich ihre Frage schockiert. »Abgesehen davon, dass da draußen jetzt jeder weiß, was wir sehr oft nachts machen, hört uns der Junge dabei!«
»Natürlich wissen die, was wir nachts machen. Wir sind Verheiratet und führen eine glückliche Ehe. Übrigens führen alle da draußen eine Beziehung, die ganz gewiss nicht nur aus Händchenhalten besteht, wie man an den ganzen Kindern erkennen kann«, antwortet sie mir. »Und ich weiß auch, dass uns Chester dabei hört. Du bist schließlich nicht gerade leise.« Ein breites, aber auch freches Grinsen formt ihre Lippen.
»Er denkt, ich habe Schmerzen«, werde ich deutlicher und deute auf den Jungen, bevor ich meine Arme vor der Brust verschränke. Ich erkenne, wie sie ein Lachen unterdrückt und sich deshalb schnell von mir abwendet und ihren Sohn ansieht.
»Mom hat keine Schmerzen«, versichert sie ihm ebenfalls. »Im Gegenteil: Ihr gefällt etwas sehr gut.«
»Warum schreit sie dann?«, fragt er unschuldig.
»Wir machen Liebe«, spricht sie es aus. »Weil wir uns lieben. So zeigen wir es uns.«
Augenblicklich verzieht Chester angewidert das Gesicht. »Ich weiß, was Liebe machen ist. Das ist voll ekelhaft!«
Während meine rechte Augenbraue in die Höhe schießt, grinst Jolene und kommentiert seine Aussage mit einem »Noch.« Dann öffnet sie die Tür und schickt Chester nach draußen.
Der scheint sehr glücklich zu sein, gehen zu dürfen und beeilt sich dabei, weit weg vom Badezimmer zu kommen.
Nachdem Jolene die Tür hinter ihm wieder geschlossen hat, dreht sie sich zu mir und schmunzelt mir immer noch entgegen, während ich nachwievor mit verschränkten Armen dort stehe.
»Ich werde nicht wieder da raus gehen«, gebe ich ihr zu verstehen.
Jolene aber schweigt dazu und zieht mich einfach nur in ihre Arme. Reflexartig erwidere ich das und drücke mich fest an sie.
Sofort schießen sämtliche Emotionen durch mich hindurch, die ich versuche, irgendwie wieder unter Kontrolle zu bekommen.
Es dauert einen langen Moment, bis ich mich wieder einigermaßen beruhigt habe, aber Jolene gibt mir die Zeit, die ich dafür brauche.
»Habt ihr den Fehler gefunden?«, frage ich dann, um das etwas zu beschleunigen und meinem Kopf andere Gedanken zu geben.
»Noch nicht«, schüttelt Jolene den Kopf. »Aber ich lege all meine Hoffnung in meine Jungs und Mädels. Ich wollte bei dir sein«, erklärt sie mir und streichelt mir sanft über die Wange. »Und eigentlich wollte ich das verhindern, was eben leider schon passiert ist«, schmunzelt sie. »Komm her«, flüstert sie nun und zieht mich wieder in ihre Arme. »Ich bleibe an deiner Seite. Das Thema wird nicht wieder aufkommen«, verspricht sie mir und ermutigt mich schließlich, wieder nach draußen gehen.
Alleine schon durch ihre Anwesenheit traut sich keiner mehr, das Vorkommnis anzusprechen. Auch sind deren dreckigen Grinsen verschwunden und sie agieren, als wäre das eben nicht passiert.
Ich weiß, dass sie das nicht nur wegen Jolene tun, sondern sich auch ohne sie beherrscht hätten. Es ist sehr deutlich zu erkennen, dass sie mir helfen wollen, damit ich nicht vor Scham im Boden versinken muss.
Und dafür bin ich ihnen wirklich dankbar. Denn auf die Art, wird der Abend so schön, wie wir ihn uns alle vorgestellt haben.
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