[Siebenunddreißig] - Schwerer Abschied

Erleichterung durchfährt mich, als ich den Tahoe in die Straße biegen sehe. Direkt vor meinem Auto bleibt sie stehen, steigt aus und in meinen direkt wieder ein, ohne irgendein Wort zu sagen.
Sie startet den Motor, und schiebt hörbar den Schaltknauf vor und zurück. Egal, welchen Gang sie einlegt, keiner davon hört sich sonderlich gesund an. Und wenn ich die schwache Bewegung meines Flitzers sehe, scheint sie sogar zu versuchen, ihn irgendwie bewegen zu wollen.
»Die gute oder die schlechte Nachricht zuerst?«, fragt sie, als sie aussteigt, sich gegen mein Auto lehnt und mich ansieht.
»Willst du nicht erst die Motorhaube aufmachen und reingucken?«
»Nicht nötig«, antwortet sie und mir schwant schlimmes.
»Die schlechte zuerst«, seufze ich dann, obwohl ich die Antwort zu wissen glaube.
»Du brauchst ein neues Auto.«
Dachte ich's mir. »Und die Gute?« Kaum vorstellbar, dass es dabei überhaupt eine gute Nachricht geben soll.
»Du brauchst ein neues Auto.« Jetzt grinst sie mich an, während ich frustriert die Augen verdrehe, denn seit wir uns kennen, will sie mir ein neues Auto aufs Auge drücken. Bisher konnte ich mich standhaft dagegen wehren und meinen geliebten Flitzer behalten.
»Kannst du das nicht reparieren?« Ein wenig wütend verschränke ich meine Arme vor der Brust.
Leicht dreht sie sich, um einen Blick auf mein Auto zu werfen und zuckt dann mit der Schulter. »Theoretisch ginge das.«
Ich höre da ein Aber heraus und verdrehe erneut die Augen. »Praktisch?«
»Wäre es unwirtschaftlich. Eine Reparatur würde den Wert des Autos übersteigen.«
»Was ist denn überhaupt kaputt?«, frage ich nun trotzig.
»Das Automatikgetriebe.«
»Und das kostet mehr, als mein Auto noch wert ist?« Fassungslos sehe ich sie an.
»Dein Auto hat vielleicht noch einen Wert von zweitausend Dollar, vielleicht auch zweieinhalb. Das Getriebe kostet doppelt soviel. Mindestens.«
»Zweitausend? Der ist erst zwölf Jahre alt!«
»Alt und wertlos.« Unbekümmert zuckt sie mit den Schultern.
Einen ganzen Moment sehe ich sie musternd an. So ganz will ich ihr das alles nicht abkaufen. »Das erzählst du mir doch jetzt nur, damit ich mir endlich ein neues Auto kaufe!«, zische ich dann.
»Das tue ich nicht«, schwört sie. »Es ist wirklich unverhältnismäßig.«
»Oah!«, stoße ich aus und sehe nun mein Auto an. »Wieso lässt du mich einfach so im Stich?? Ich war immer lieb zu dir!«, schimpfe ich es an. Am liebsten würde ich es auch treten, aber ich habe bereits mehrmals die Erfahrung gemacht, wie schmerzhaft das für mich ist. »Und was jetzt?«, raune ich dann unzufrieden und sehe wieder Jolene an.
»Rufen wir einen Abschleppdienst.« Zur gleichen Zeit zieht sie ihr Handy aus der Tasche und tippt darin herum, bis sie es sich ans Ohr hält.

Im Anschluss hilft sie meiner Mutter beim Einsteigen in den Tahoe und verstaut den Rollstuhl im Kofferraum, während ich damit beginne, mein Auto auf Jolenes Anraten leer zu räumen.
»Warum freust du dich nicht, Mom?«, fragt Chester ahnungslos und packt seine ganzen Spielsachen zusammen, die er auf der gesamten Rückbank verteilt hat. »Ein neues Auto ist doch voll cool!«
»Ich will aber kein neues Auto«, knurre ich unzufrieden.
»Warum nicht?«
»Weil ich dieses hier liebe.«
»Aber es ist so klein. Jetzt kannst du dir endlich ein Größeres kaufen«, argumentiert er.
Sofort halte ich inne und strecke meinen Zeigefinger nach ihm aus. »Fang' du bloß nicht auch noch damit an!«, drohe ich und kann im Augenwinkel sehen, wie sich Jolene ein Lachen verkneift, weshalb ich nun ihr den Finger entgegenstrecke. »Lass' das!«
»Ich mache gar nichts«, verteidigt sie sich und kann das Lachen nicht mehr länger unterdrücken.
»Mom?«, verlangt Chester meine Aufmerksamkeit und sieht mich treuherzig an. »Warum magst du denn kein größeres Auto? Hättest du eins, hättest du ganz viel Platz für das Baby und Omas Rollstuhl.«
»Da hast du's«, schaltet sich Jolene dazwischen, beschwichtigt aber direkt mit einem entschuldigenden Blick, als ich sie wütend ansehe.
Allerdings kippt die Situation ganz plötzlich, als mal wieder die Emotionen mit mir durchgehen. Jolene macht einen großen Schritt auf mich zu und nimmt mich in den Arm. Fest drückt sie mich an sich und wartet, bis die erste Welle vorbei ist, ehe sie beruhigend auf mich einredet.

Bis der Abschleppdienst da ist, habe ich mich wieder beruhigt und atme tief durch.
Zu meinem Frust bestätigt er Jolenes Diagnose, weshalb ich ihr nun wirklich nicht mehr unterstellen kann, mir nur etwas vom Pferd zu erzählen, damit ich mir endlich ein neues Auto kaufe. Und auch er sagt, wie unwirtschaftlich eine Reparatur wäre.
Ob ich will oder nicht, ich muss das akzeptieren und mich mit der Tatsache abfinden, mir ein neues Auto kaufen zu müssen.
Mir kommt das gerade so gar nicht recht. Denn das sind Ausgaben, die ich weder kalkuliert habe, noch haben möchte.
»Ich bringe das Auto dorthin«, sagt der Mann und drückt Jolene eine Karte und den Abschleppbeleg in die Hand. »Dort können Sie mit meinem Chef dann reden, wie mit dem Auto weiter verfahren wird.«
Jolene nickt lediglich und steckt den Zettel ein. Sie greift nach meiner Hand und zieht mich zu sich. Sanft drückt sie ihre Lippen gegen meine Stirn und sieht mir dann in die Augen. »Lass uns nach Hause fahren.« Ohne auf meine Reaktion zu warten, dreht sie mich dem Auto zu und setzt sich selbst in dieses hinein.
Mir bleibt nichts anderes übrig, als mich zu ergeben, und steige ebenfalls ein.

Zuhause angekommen, greife ich direkt nach meinem Laptop und durchforste die Gebrauchtwagen Anzeigen nach einem Chevrolet Aveo - jenes Modell, wie ich es bis heute gefahren habe. Noch bin ich einfach zu bockig und festgefahren, was dieses Auto angeht.
Jolene will mir das ausreden und erklärt mir, mit einem solchen Auto wieder nur auf einem Pulverfass an Kosten und Reparaturen zu sitzen. Zusätzlich versucht sie es mit dem Baby-Argument. Dass ich dafür mehr Platz brauche, vor allem aber auch mehr Sicherheit und die könne mir nur ein größeres und neueres Auto geben, das entsprechende Sicherheitssysteme hat.
»Ruf die Maklerin an und handle den Preis des Hauses runter«, blocke ich sie dann ab und drücke ihr das Exposé in die Hand, damit sie aufhört mir weiter ins Gewissen zu reden. »Um die Hälfte.«
»Um die Hälfte??«, fragt sie verdutzt. »Gehen die Hormone mit dir durch oder bist du wirklich wahnsinnig?«
»Du schaffst das«, gebe ich entspannt von mir. »Hast du bei unserem Haus auch geschafft.«
»Ja, aber da kannte ich die ganzen Baustellen. Bei diesem Haus hier aber weiß ich gar nichts.« Bedeutend hält sie die Zettel nach oben.
»Dann ruf' sie an, mach' einen Termin mit ihr aus, sieh es dir an und verhandle dann«, bleibe ich hartnäckig, ohne auch nur einmal meinen Blick vom Monitor meines Laptops zu nehmen.
Ich weiß, dass ich zu unrecht mit ihr so schroff rede, aber ich bin frustriert, weil ich kein Auto finde, das so aussieht, wie meines. Entweder sie sind total verrostet, versifft oder in der falschen Farbe. Denn wenn, soll es wieder dieses schöne Blau haben, wie mein Alter.
»Na gut«, seufzt Jolene und zückt ihr Handy, um die Maklerin anzurufen. Trotzdem hält meine schlechte Laune sie nicht davon ab, mir sanft durchs Haar zu kraulen.
Zum Glück, denn das holt mich wieder ein wenig runter, und so lehne ich mich gegen sie, als sie sich dichter zu mir stellt.
Jolene nutzt diesen Moment und öffnet die Webseite eines Autohauses. Gezielt klickt sie sich durch die Seite, bis sie das Auto findet, das sie mir vorschlägt; all das, während sie mit der Maklerin am Telefon diskutiert.
Offensichtlich guckt Jolene schon länger nach einem neuen Auto für mich, denn das Fahrzeug, das sie mir dort zeigt ist zumindest schon mal farblich mein Geschmack: Ein sanftes Metallic Blau.
Bei dem Auto handelt es sich um einen zweijährigen Chevrolet Cruze.
Er sieht wahrlich nicht schlecht aus, aber viel zu sportlich und böse. Und als ich dann die PS-Zahl sehe, schüttle ich vehement mit dem Kopf und deute auf diese Zahl.
Jolene schmunzelt und hält das Mikro ihres Handys zu. »Das ist nicht viel. Du wirst dich daran gewöhnen«, sichert sie mir zu und widmet sich wieder der Maklerin; langsam wird das Gespräch hitziger.
»Klar. 153 PS sind nicht viel, wenn man 750 gewohnt ist«, brumme ich zynisch. Mein kleiner Aveo hatte süße 75 PS, das hat mir vollkommen gereicht. Ich fahre doch sowieso nur in der Stadt.
Bei diesem Auto hier brauche ich das Gaspedal doch nur kurz antippen, da schießt es nach vorne.
Ganz sicher endet meine erste Fahrt an der Wand ... nach nicht mal zehn Metern.
Erneut seufze ich, gucke mir aber trotzdem die Fotos des Wagens an und lese die Daten, die über diesen Flitzer dabei stehen.
Von Chester erhalte ich natürlich auch klugscheißerische Sprüche, die für das Auto argumentieren sollen. Baby braucht Platz, Oma braucht Platz, Chester braucht Platz, Mama braucht Platz. Alle brauchen Platz. Wenn ich drin sitze, sehe ich es ja von außen nicht, und wenn das Baby kommt, müssen wir ganz schnell ins Krankenhaus, deshalb muss das Auto auch schnell sein.
Innerlich grunze ich. Als ob Jolene dafür meinen Wagen nehmen würde. Eher riskiert sie die Geburt des Kindes auf dem Rücksitz ihres heißgeliebten Mustangs.

»Bin gleich wieder da«, reißt mich Jolene aus meinen Gedanken, drückt mir einen Kuss auf die Lippen, greift nach ihrem Autoschlüssel und verschwindet aus dem Haus.
Irritiert wandert mein Blick zu meiner Mutter.
»Sie sieht sich das Haus an«, erklärt sie mir schmunzelnd.
»Dann kommt sie vermutlich mit den Haustürschlüsseln zurück«, frotzle ich und widme mich wieder der Verkaufsanzeige des Autos.
Je länger ich mir die Fotos ansehe, um so weniger hässlich finde ich ihn. Eigentlich hat Chester recht: Wenn ich drin sitze, sehe ich ihn ja nicht von außen, und von Innen sieht er gar nicht so schlecht aus. Aber das ist alles natürlich nur die Theorie, dennoch will ich dem ganze eine Chance geben und mir das Auto wenigstens in Natura mal sehen. Wenn ich bequem drin sitzen und über das Lenkrad gucken kann, reicht es mir vollkommen. Die restlichen Spielereien sind mir egal. Wobei ... Das Handy mit dem Mediasystem verbinden und darüber die eigene Musik zu hören, ohne immer mit der Speicherkarte hantieren zu müssen, hört sich ganz nützlich an. Und die Einparkhilfe mit Kamera könnte auch hilfreich sein, vor allem zu Beginn, wenn ich die Länge und den Wendekreis noch nicht so einschätzen kann.

Nach fast zwei Stunden betritt Jolene wieder das Haus.
Zwischenzeitlich haben wir es uns alle auf der Couch bequem gemacht, um etwas fernzusehen und sehen ihr nun abwartend entgegen.
Ihr Ausdruck ist hart und wirkt angespannt. Sie kommt auf uns zu und drückt meiner Mutter eine Mappe in die Hand und lässt sich dann zu uns auf die Couch fallen, als wäre sie erschöpft. Trotzdem sehe ich sie auffordernd an.
»Ein Kaufvertrag??«, fragt meine Mutter verwundert, als sie sich den Inhalt der Mappe ansieht. Dann hält sie mit geweiteten Augen einen Schlüsselbund nach oben.
»Sagte ich doch«, lache ich und setze mich auf.
»Wir brauchen diese Maklerin nie wieder kontaktieren«, brummt Jolene missmutig. »Sie will nie wieder mit mir zu tun haben.« Trotzdem erkenne ich ein zartes Schmunzeln auf ihren Lippen.
»Ich denke, vorerst brauchen wir auch keine Maklerin mehr«, kichere ich.
»Bedeutet es, dass du das Haus gekauft hast?«, schaltet sich meine Mutter wieder ein und hält den Kaufvertrag nach oben; deutet dabei aber auf Jolenes Unterschrift.
»Japp.«
»Wieso?«
»Der Kompromiss bei diesem Preis war eine sofortige Bezahlung.«
»Das ist nicht dein ernst?!«, gibt meine Mutter entrüstet von sich.
»Beruhig' dich, Mama. Ihr gebt mir das Geld einfach zurück, aber es musste noch heute sein. Hättest du das veranlassen können?«
»Nein«, murmelt Andrea, ist aber trotzdem nicht ganz glücklich damit.
»Hast du sie die Hälfte gedrückt?«, will ich nun wissen und recke meinen Hals, um den Kaufvertrag sehen zu können.
»Nein«, schüttelt Jolene den Kopf. »Nur zu 'nem Viertel. Die Hälfte wäre wirklich unverschämt gewesen.«
»Aber du hast den bestmöglich Preis rausgeschlagen«, grinse ich und klopfe ihr lobend auf die Schulter.
»Ich hab' jetzt erstmal genug vom verhandeln«, brummt sie, streift sich die Schuhe ab und legt ihre Füße auf den Wohnzimmertisch.
»Na jaaaa«, beginne ich und und sehe sie vorsichtig an. Dann halte ich ihr mein Handy vor die Nase und zeige ihr die E-Mail mit der Terminbestätigung des Autohauses am nächsten Tag. »Wenn mir das Auto gefällt und ich es nehme, müsstest du nochmal ran.« Vorsorglich klimpere ich aufreizend mit meinen Wimpern.
Jolene sieht einen Moment schweigend auf diese E-Mail und nimmt dann einen tiefen Atemzug, bevor sie mich ansieht. »Du nutzt meine Liebe zu dir heute ganz schön aus«, raunt sie und zieht ihre Augenbraue nach oben. Trotzdem streckt sie ihren Arm aus und lädt mich dazu ein, mich an sie zu kuscheln. Ohne zu zögern gehe ich ihrer Bitte nach und spüre umgehend ihre Lippen in meinem Haar.

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