[Sechsundzwanzig] - Wir sind deutsch
Naddy und ich laufen schon gefühlt zum zwanzigsten Mal durch die Büroräume im neuen Gebäude auf und ab und diskutieren darüber, ob das nach unserer Vorstellung denn so funktioniert oder nicht. Dabei kommen neue Ideen auf, wie wir die Einrichtung so gestalten können, dass sie einladend, locker aber doch strukturiert ist, weshalb wir uns letztlich doch nicht entscheiden können, wie wir all die Tische stellen sollen.
Zumal unser räumliches Denken jetzt nicht gerade das Beste ist. Im Grunde bräuchten wir die Möbel schon, um mit ihnen etwas herumexperimentieren zu können.
Noch dazu möchten wir unsere Angestellten entsprechend ihrer Projekte zusammenfügen.
Da wir aber noch fünf neue Mitarbeiter anstellen wollen und noch nicht wissen, welche Qualifikationen diese dann mitbringen, können wir sie auch noch keinem Team zuordnen, was wiederum bedeutet, dass wir uns auch nicht schlüssig sind, wie wir die Räume gestalten können.
Und überhaupt sind wir uns nicht einig, ob Naddy und ich uns Einzelbüros zuteilen sollen, oder ob wir uns mit unseren Teams zusammensetzen; und wenn wir uns für Einzelbüros entscheiden, ob wir uns dann auch trennen, oder ein gemeinsames nehmen.
Um dieses Problem zu lösen, erhoffen wir uns den Rat von Jolene, weshalb ich sie nun anrufe.
»Du stehst auf laut«, lasse ich sie direkt wissen, als sie das Gespräch annimmt und halte mein Handy zwischen Naddy und mir.
»Oh ja, das tue ich«, raunt sie sinnlich. »Und auf dich«, wirft sie keck hinterher, weshalb ich mit einem leisen stöhnen die Augen verdrehe.
»Naddy kann dich auch hören«, umschreibe ich.
»Als würde mich das von unanständigen Aussagen abhalten«, gibt sie frech von sich, weshalb ich meine Augen schließe und mein Gesicht verziehe. Naddy hingegen kichert dreckig.
»Was gibt's?«, fragt sie dann.
Kurz erkläre ich unser Problem mit der Raumaufteilung und dass wir uns unsicher sind. Immerhin wollen wir uns ungerne von unseren Angestellten distanzieren, vor allem weil wir selbst ja Teil der Teams sind.
»Nehmt euch einzelne«, rät sie, bevor ich wirklich fertig bin und unterbricht mich somit. »Ihr seid die Geschäftsführer und habt mehr Aufgaben, als nur bunte Bildchens am PC zu bearbeiten, dafür braucht ihr Ruhe und solltet eine Tür haben, die ihr abschließen könnt. Ihr müsst Telefonate oder aber auch Gespräche führen, die eure Angestellten nichts angehen. Ein eigenes Büro räumt euch mehr Ruhe ein, um euch um geschäftliche Belange zu kümmern.«
»Und sollen Naddy und ich auch jeweils ein Einzelnes nehmen, oder zusammen?« Irgendwie klingt die Frage total unbeholfen, aber wir können uns einfach nicht entscheiden und brauchen eine dritte, unabhängige Meinung - wobei uns eigentlich schon klar ist, was Jolene sagen wird.
»Getrennt«, gibt sie fest von sich und hält kurz inne. »Dann können wir ganz ungestört unanständigen und verbotenen Sex im Büro haben.«
Während Naddy erneut lacht, sehe ich das Handy an und verziehe eine Augenbraue. Denn ich konnte nicht heraushören, ob sie scherzt oder es wirklich ernst meint. »Jolene«, brumme ich deshalb und nehme einen tiefen Atemzug.
»Wäre aber eine gute Idee«, stimmt Naddy unerwartet zu. »Vielleicht wird mein Sexleben dadurch auch mal interessanter«, gackert sie und denkt ernsthaft darüber nach, Jonas dafür zu überreden.
»Ich habe meinem Malerbetrieb den Auftrag erteilt, euer Gebäude in eurem Corporate Design zu pinseln. Habt ihr noch irgendwelche Umbaupläne?«, wird Jolene wieder ernst.
»Nein, nur Anstrich. Böden und Raumaufteilung passen so, wie sie sind.«
»Gut. Die Malerjungs kommen nächste Woche Montag. Der Meister wird mit euch dann durch die Räume gehen und von euch wissen wollen, wie ihr es gepinselt haben wollt.«
»In Ordnung«, nicke ich, bedanke mich bei ihr und beende dann das Telefonat.
Nochmals gehen wir durch die Räume. Jetzt, da wir unsere dritte Meinung haben, kommen wir auch endlich mit der Aufteilung weiter. Naddy und ich einigen uns darauf, die nebeneinander liegende Büros zu nehmen. Von der Größe her eignen sie sich wunderbar für eben jene Einzelbelegung, sind aber groß genug, um neben dem Tisch auch Platz für Regale zu bieten, und auch für eine kleine Couchgarnitur, auf der man in bequemer Pose wichtige Gespräche führen könnte. Außerdem sorgen die bodentiefen Fenster für einen großartigen Blick auf den Fluss, sowie auf die Skyline der gegenüberliegende Seite und auch aufs Meer hinaus.
Gegenüber von unseren Büros befindet sich ein großer, länglicher Raum, der sich wunderbar für Besprechungen eignet. Den breiten Gang entlang dann die Büros, die wir für unsere Angestellten vorsehen.
»Ich habe mir schon Gedanken darüber gemacht, wie wir unsere Teams neu aufteilen könnten«, beginne ich zu erzählen, als wir in einem der Büros stehen. »Von den Bewerbungen, die uns bisher erreicht haben, stechen drei hervor, die zu uns passen könnten.«
»Für deinen Bereich?«
»Ja«, nicke ich. »Ich würde mir gerne Izzy krallen und ihr ein eigenes Team geben. Sie ist in der Webgestaltung fitter als Sharleen«, begründe ich.
»Und Sharleen ist fitter im Designen, als Izzy. Schön, dass wir uns da so einig sind«, grinst sie und scheint erleichtert, darüber keine Diskussion mit mir führen zu müssen.
Während wir den Gang weiter gehen und vor jedem Büro stehen bleiben, planen wir, wen wir da reinsetzen und wie wir unsere Teams strukturieren. Aktuell besteht unser Unternehmen aus zwei Teams. Das eine unter meiner Führung in Sachen Webseiten, das andere für das Werbedesign unter Naddys Anleitung. Wenn wir die fünf Neuen einstellen, kann jeder von uns zwei Teams bilden, weshalb wir an mehreren Projekten arbeiten können.
Izzy und Sharleen, die von Beginn an bei CaddySign sind, wurden bisher auf beiden Seiten eingesetzt; eben dort, wo sie gebraucht wurden. Entsprechend sind sie im Bilde und können von uns ein Team zugewiesen bekommen, damit Naddy und ich nicht mehr in allen involviert sein müssen. Das würde uns einiges an Arbeit abnehmen.
Am Ende des Gangs befindet sich der größte Raum, in dem bereits eine großen Küchenzeile integriert ist. Auch die Tische und Stühle wurden vom vorherigen Eigentümer drin gelassen. Dadurch sparen wir natürlich ein paar tausend Dollar. Denn die Möbel sind noch relativ neu und passen gut in unser Konzept.
Dann haben wir natürlich noch einen großen Raum, in dem wir unsere Kinderherzen ausleben können. Ein Raum zum entspannen und abschalten, in dem wir die ganzen Spielereien stellen wollen.
Auch der Raum, in dem Jolene unsere Server reinstellen möchte, ist größer, weshalb sie zwei weitere Serverschränke dazustellen möchte. Zumal sie ihre Marketingabteilung bei uns reinsetzen möchte.
Auch für diese fünf Angestellten haben wir genügend Platz.
Die zwei übrig gebliebenen Räume werden mit Geräten eingerichtet, die wir für die Werbeabteilung benötigen. Wir werden uns sogar einen größeren Plotter kaufen, um auch Plakate, Banner und Rollups machen zu können.
CaddySign ist auch am Nachmittag das Thema, als ich mit meiner Mutter telefoniere. Ich erzähle ihr von der Immobilie, der Personalaufstockung und auch der Planung zur Einrichtung.
»Das ging ja schneller, als gedacht«, sagt sie und freut sich für mich, als ich ihr berichte, dass wir noch diese Woche die Möbel und Hardware bestellen und es dann nächste Woche richtig los geht. Unsere selbst gesetzte Deadline ist der 1. Oktober, und das ist bereits in zwei Wochen. »Dann kann ich ...«, setzt sie an, unterbricht sich aber selbst, als sie Chester hört, der laut rufend das Haus betritt; gefolgt von Jolene, die ihn von der Schule abgeholt hat.
Ich lege meinen Zeigefinger an meine Lippen und signalisiere ihm, leise zu sein, weil ich telefoniere.
»Oma«, sage ich ihm, als er mich fragend ansieht. Sofort beginnen seine Augen zu leuchten. Er wirft seinen Rucksack ungehindert zu Boden und streckt seine Hand nach meinem Handy aus.
»Ich schalte dich auf laut«, teile ich meiner Mutter mit und lege das Handy auf den Tisch.
»Hallo Oma!«, begrüßt er sie freudig in deutscher Sprache. »Wann kommst du uns wieder besuchen?«, überfällt er sie direkt mit dieser Frage.
Kurz nach unserer Hochzeit habe ich mich dazu entschieden, meine eigentliche Muttersprache zu lernen, um mich mit meiner deutschen Familie in deren Sprache unterhalten zu können. Noch dazu glaubte ich, ihnen so näher zu sein und das Gefühl, schon immer mit ihnen verbunden gewesen zu sein, intensiver zu erleben.
Jolene war von der Idee so begeistert, dass auch sie sich beim Deutschkurs angemeldet hat.
Chester hatte es da wesentlich einfacher als wir. Immerhin ist er auf diese Weise quasi von Beginn an mit beiden Sprachen aufgewachsen, weshalb sein Deutsch deutlich fließender ist, als unseres. Aber unsere Kenntnisse reichen aus, um sich zu unterhalten. Hin und wieder fehlen uns noch ein paar Worte, zumal wir die Sprache nicht täglich benutzen, sondern nur, wenn wir in Deutschland sind. Insbesondere meine Großeltern haben mit unserer Sprache ein wenig Probleme, weshalb wir ihnen so etwas helfen wollen. Auf ihre alten Tage werden und wollen sie keine neue Sprache lernen. Dafür aber können sie griechisch, und bringen dies auch Chester bei, wenn wir sie besuchen.
Vergangenes Jahr haben wir sie sogar - gemeinsam mit meiner Mutter und Christian - in Griechenland selbst besucht. Dort haben sie auf der Insel Kea in der Hafenstadt Korissia ein kleines Häuschen, in das sie sich in den Wintermonaten immer verziehen.
Es war die letzten drei Jahre schmerzlich für mich, zu erleben, wie wohlbehütet und mit wieviel Liebe ich aufgewachsen wäre, wäre ich bei meiner Mutter verblieben; und doch bin ich überglücklich, es jetzt noch erleben zu können und dass vor allem Chester in diesen Genuss kommt, nachdem auch er seine Großeltern in gewohnter Form verloren hat.
»Hi Mama«, grüßt nun auch Jolene sie und drückt mir zur gleichen Zeit einen sanften Kuss ins Haar.
»Hallo ihr beiden«, grüßt Andrea lachend zurück.
»Oma!«, fordert Chester ihre Aufmerksamkeit zurück. »Wann kommst du uns denn besuchen?«
»Am Wochenende«, antwortet meine Mutter. »Vorausgesetzt deine Mamas stimmen zu, denn wir brauchen ja einen Platz bei euch.«
»Aaaach«, spricht er aus und macht eine wegwerfende Handbewegung, »das ist kein Problem. Wir haben hier ganz viel Platz.«
»Und vielleicht kommen wir auch für immer«, ergänzt sie.
»Das wäre voll cool! Wann?« Aufgeregt rutscht Chester auf dem Stuhl herum, während er halb über den Tisch hängt, um nah am Handy zu sein.
»Das wissen wir noch nicht. Wir brauchen erstmal Jobs in Miami.«
»Das ist kein Problem«, sagt er wieder. »Mom sucht ganz viele neue Menschen für ihre Arbeit«, berichtet er ihr und sieht mich mit großen fragenden Augen an, als wolle er mich auf die Art überreden meine Mutter und Christian einzustellen. »Kommt Onkel Phil dann auch mit??«, hakt er nach.
»Das wird etwas schwieriger. Auch er braucht erstmal einen Job, aber vielleicht kannst du ja ein gutes Wort für ihn bei deiner Mama einlegen«, scherzt sie dann und spielt unterschwellig auf die Absage an, die ihm Jolene erteilt hat.
»Kann er Menschen hacken?«, fragt er und klingt dabei fast schon wie ein Geschäftsmann.
»Das weiß ich nicht«, gesteht meine Mutter. »Und wenn, dann bestimmt nicht so gut, wie deine Mama.«
»Das ist doof«, brummt Chester unzufrieden. »Weiß nicht, ob ich das hinbekomme. Er muss nämlich besser als gut sein, damit Mama ihn nimmt«, erklärt er ihr und vertieft dabei seine Stimme.
Jolene muss deshalb lachen und tätschelt ihm lobend die Schulter.
Auch meine Mutter lacht. »Vielleicht kann sie ihm ja dabei helfen, so gut zu werden wie sie.«
»Nein«, schüttelt Chester vehement den Kopf, »das schafft keiner.«
Auf Jolenes Gesicht formt sich ein stolzes Grinsen, weil ihr Sohn eine solch hohe Meinung hat und dabei auch noch so überzeugt davon ist. Dann hebt sie ihn hoch, setzt sich auf den Stuhl und Chester auf ihren Schoß.
Während dieser von seiner neuen Schule erzählt, greift Jolene nach meiner Hand und lässt unsere Finger miteinander spielen. Ihr Blick ist dabei intensiv auf meine Augen gerichtet, weshalb es den Anschein erweckt, als würde sie ihrem Sohn nicht zuhören, sondern geistig völlig abwesend sein.
Ich hätte nichts dagegen, wenn auch sie sich in einem Tunnel befindet, wenn sie mich ansieht und dadurch alles um sich herum ausblendet.
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