[Sechsundneunzig] - Der Showdown beginnt
Ich fühle mich wirklich wie in einem Film. Im gesamten Saal verteilt bewegen sich Gäste, ganz schick gekleidet. Insbesondere die Frauen scheinen sich in ihrer Aufmachung gegenseitig übertrumpfen zu wollen. Tatsächlich fühle ich mich wegen einigen etwas underdressed. Während die Männer scheinbar alle denselben Anzug tragen, mustern sich die Frauen, um zu überprüfen, ob eine von ihnen das gleiche Kleid trägt.
Kellner laufen herum und balancieren ein Tablett in ihrer Hand, auf dem entweder Gläser mit Champus stehen, oder kleine Häppchen für zwischendurch.
An der großen Fensterfront, durch die man den weiten Ozean sehen kann, ist eine lange Tafel aufgebaut, auf der sämtliche Speisen unterschiedlicher Nahrungsmittel drapiert sind; wobei Lachs und Kavier das größte Angebot darstellt.
Angewidert verziehe ich das Gesicht. Zwar habe ich durch meine Schwangerschaft sehr oft Gelüste auf Fisch - insbesondere Lachs - aber immer, wenn ich es dann probiere, wird mir speiübel. Der Geschmack geht trotzdem einfach nicht an mich.
Jolene hat nicht übertrieben, als sie vermutete, ich könnte mich bei den ganzen Gesprächen langweilen. Das tue ich tatsächlich, aber das liegt vielmehr daran, weil ich gar nicht verstehe, worum es in diesen Gesprächen geht. Es wird mit zu vielen Fachbegriffen um sich geworfen; und Zahlen. Sehr vielen Zahlen.
Deshalb ziehe ich mich stellenweise wirklich zurück und lasse Jolene das tun, was sie tut. Amber leistet mir dafür mehr Gesellschaft, weil es ihr vermutlich ähnlich geht. Wobei sie, als Juristin, sicherlich weniger Probleme mit den Begriffen hat, als ich.
»Morgan ist in ihrem Element«, erklärt sie mir und sieht zu ihrer ... Verlobten; das klingt so ungewohnt und sonderbar, daran werde ich mich auch erst gewöhnen müssen. »Da komme ich nicht mit. Zahlen, Zahlen, Zahlen ... Ich glaub' der Typ da versteht auch nicht, was sie ihm da vorrechnet.«
»Aber ihm scheinen die Zahlen zu gefallen, so, wie seine Augen funkeln.«
»Ihr Element«, wiederholt Amber und grinst mich an. Dann zeigt sie mir unauffällig ein paar Leute und erklärt mir, wer das alles ist. Einige sind tatsächlich Kunden von Morgans Bank, die sie und Jolene unterstützen, ordentlich die Werbetrommel für sie zu rühren, um Bilson in die Knie zu zwingen.
Bilson ... diesen Mann habe ich noch nirgends entdeckt. Seinen Sohn hingegen schon, denn der steht schon die ganze Zeit am Büffet und schaufelt sich einmal durch das Angebot.
Leider entdeckt er mich auch und kommt mit einem dämlichen Grinsen auf mich zu, als mich Amber alleine lässt, weil Morgan sie als rechtlichen Beistand in einem Gespräch benötigt.
Mir wird mulmig, denn ich will mich mit diesem einfältigen Kerl nicht unterhalten oder abgeben müssen.
Kurz bevor er bei mir ist, ereilt mich die Rettung in Form von Jolene, die mich sofort zu sich dreht und mir einen liebevollen Kuss schenkt. Ich bin überrascht, weil ich sie nicht habe kommen sehen; dafür aber Bilson Jr. der direkt auf dem Absatz kehrt macht, als ich in Jolenes Armen liege.
»Danke«, hauche ich nach dem Kuss und lächle sie an.
»Ich lasse dich keine Sekunde aus den Augen«, versichert sie mir. »Komm«, sagt sie und will mit mir zurück zu den beiden Männern, mit denen sie sich eben noch unterhalten hat.
»Ich würde mir gerne erst was einverleiben«, sage ich mit einem entschuldigenden Lächeln, lege die Hand auf meinen Bauch und streichle diesen, um zu verdeutlichen, wer da eigentlich etwas zu Essen fordert.
Da sich Bilson Jr. gänzlich aus dem Staub gemacht hat, ist das Buffet für mich frei.
Jolene lächelt verständnisvoll und legt ihre Lippen gegen meine Stirn, bevor sie wieder zu den Männern geht. Vorher aber bedeutet sie mir, jederzeit dazuzustoßen, wenn ich einigermaßen gesättigt bin.
Es ist für mich nicht einfach auszumachen, was das alles ist, was einem hier angeboten wird. Die ganzen Häppchen sind so kunstvoll gestaltet, dass sie die Zusammensetzung auf den ersten Blick verbergen. Zum Glück stehen kleine Schildchen dabei, die mir zumindest ein klein wenig Aufklärung bieten.
Fisch, Fisch, und nochmal Fisch. Schrimps und Hummer. In allen möglichen Varianten. Ich schnaufe genervt, bis ich endlich irgendwas mit Schinken entdecke. Wobei ich mir dann nicht sicher bin, ob es wirklich Schinken ist? Auch er hat einen leicht fischigen Geschmack. Kann sich denn Geschmack durch die Luft übertragen?
Egal, der Hunger treibt es rein. Aber zum Glück sind auf sämtlichen Platten auch Paprikas, Gurken und Möhren zu finden, sowie leckere Dips. Besonders mit den Paprikas kann ich meine Gelüste stillen.
Zufrieden stehe ich also mit einem kleinen Teller in der Hand da, und lasse meinen Blick umherwandern, während im Hintergrund die typische, klassische Musik läuft, die bei solchen Veranstaltungen wohl immer läuft. Aber sie ist dezent und vermittelt mir irgendwie das Gefühl auf einem Ball zu sein.
Morgan und Amber gehen aktuell wieder getrennte Wege, denn während sich Morgan mit einem Mann unterhält, tut dies Amber mit einer Frau etliche Meter entfernt.
Aber ich entdecke dabei auch Bilson Senior, und sofort steigt in mir die Übelkeit auf, als ich sein ekliges, arrogantes Lachen sehe.
Bevor ich mich aber noch übergebe, sehe ich mich weiter um, bis ich erneut dessem Sohn entgegenblicke. Auch er sieht mich an und erneut fühle ich mich unwohl, von diesem Typen beobachtet zu werden. Neben ihm steht dieser Logan Goldman, ehemaliger Geschäftsführer von LineUp, den Jolene vor einigen Wochen gefeuert hat. Als Freund und Verbündeter von Bilson, wundert es mich wenig, ihn an dessen Seite zu sehen.
Die Unbehaglichkeit steigt gleich doppelt so schnell in mir auf, weil ich mich so beobachtet fühle, und mich davor fürchte, jetzt nicht von Jolene gerettet werden zu können, wenn einer von ihnen - oder gar beide - auf mich zukommt.
Aber das passiert nicht und den Grund dafür erkenne ich, als Bilson Jr. seinen Blick kurz und unauffällig zur Seite richtet.
Ich folge diesem Blick und finde Morgan, die ihn im Visier hat und ihm ein sehr deutliches Signal gibt.
Erleichterung durchfährt mich und es fühlt sich gut an, zu wissen, dass nicht nur Jolene ein wachendes Auge über mich hat, sondern auch Morgan, deren Blick alleine schon ausreicht, damit sich keiner dieser Männer in meine Nähe traut.
Ich schenke ihr ein dankbares Lächeln, als auch sie mich ansieht und richte meine Aufmerksamkeit zu Jolene, die ich jetzt dabei beobachte, wie sie sich mit einem anderen Mann unterhält.
Ihr Lächeln ist frech und wirkt sogar ein wenig kokett; untermauert durch das Spiel mit ihren Augenbrauen. Sie bezirzt ihn ganz deutlich und ihm scheint es sogar zu gefallen, wenn ich das Funkeln in seinen Augen betrachte.
Allerdings gefällt es mir nicht, wohin er die meiste Zeit sieht: Nämlich in ihren Ausschnitt.
»Ein seltener Anblick an Abenden wie diesem«, höre ich eine fremde Stimme und sehe die Frau an, die neben mir steht. In etwa dem Alter meiner Mutter, vielleicht ein wenig jünger. Gekleidet in einem Cremefarbenen Kleid, unpassend dazu knallroten Lippenstift und leuchtend blauer Lidschatten.
»Hm?«, nuschle ich, weil ich noch eine Paprika im Mund habe.
Freundlich lächelt sie mich an und deutet auf meinen Bauch. »Wie weit sind Sie?«
»8. Monat«, antworte ich, als ich den Bissen runtergeschluckt habe.
»Ist das Ihr erstes Kind?«, fragt sie weiter. »Verzeihen Sie meine Unverfrorenheit, aber ich habe Sie noch nie gesehen und Sie scheinen noch sehr jung zu sein. Ich bin neugierig.«
Mit einem höflichen Nicken nehme ich ihre indirekte Entschuldigung an.
»Schwangere Frauen trifft man auf solchen Events eher selten an«, redet sie einfach weiter. »Vor allem so weit fortgeschritten.«
»Ich war neugierig«, antworte ich belanglos mit einem schwachen Lächeln. Dann richte ich meinen Blick wieder zu Jolene, die noch immer mit diesem Mann da steht.
»Sie sollten sich vor dieser Frau in acht nehmen und gut auf Ihren Mann aufpassen«, sagt die Frau plötzlich und erlangt meine Aufmerksamkeit zurück. »Sie hat wahrlich Ausstrahlung, gar keine Frage«, fährt sie fort. »Nur leider weiß sie das auch und spart nicht mit ihren Reizen.«
Ohne, dass ich nachfragen muss, erzählt sie mir ihre Erfahrungen mit Jolene, die zwar höflich formuliert, aber alles andere als nett gemeint sind.
Jolene war stets ehrlich zu mir und hat nie geleugnet, mit ihren Reizen zu spielen, von daher sind die Worte dieser Frau keine Überraschung und schon gar nicht verletzend.
Der Neid sprudelt regelrecht aus dem Mund dieser Frau, und doch nerven mich ihre Abfälligkeiten irgendwann, vor allem, als sie zum ältesten Gerücht über Jolene greift, in dem es heißt, sie würde ihre Geschäftsbeziehungen hauptsächlich im Bett pflegen.
»Deswegen ein gut gemeinter Ratschlag«, beendet sie ihren Erfahrungsbericht. »Weichen Sie ihrem Mann nicht von der Seite und lassen Sie ihn nicht mir ihr alleine. Es wäre bedauerlich, wenn Ihre so junge Ehe in die Brüche geht, bevor das erste Kind da ist, nur weil eine Miss Reid ihre Finger nicht von Ihrem Mann lassen kann.«
Obwohl sie dabei verbittert klingt, komme ich nicht umhin, ihre Worte viel mehr amüsiert zu empfangen.
Aber ich bin ihrer Warnungen und Ratschläge, die sie mir ungefragt entgegen schleudert auch überdrüssig. Deshalb lächle ich sie an und stelle den Teller zur Seite.
»Mrs. Reid«, korrigiere ich sie zunächst und erhalte ein verwundertes Blinzeln ihrer Wimpern. »Sie ist eine Mrs. Reid; genauso wie ich«, füge ich hinzu und setze mich in Bewegung. »Oh, und es wird Kind Nummer zwei, das unsere äußerst stabile und monogame Ehe perfektionieren wird.« Diesen Satz so unterschwellig wie möglich zu sagen, kann ich mir dann doch nicht verkneifen und schreite gezielt auf Jolene zu, die mich mit ausgestrecktem Arm, einem Lächeln und einem Kuss gegen meine Schläfe in Empfang nimmt.
Mein Blick wandert nochmal kurz zu dieser Frau zurück, die mich vollkommen entgeistert ansieht und vor Scham letztlich das Weite sucht.
Dann stellt mich Jolene diesem Mann vor, der bis eben seine Aufmerksamkeit vermehrt auf ihrem Dekoletté liegen hatte, anstatt ihrer Augen. Ganz frech bezeichnet sie mich sogar als ihre süße Versuchung, dem der Mann sofort lachend zustimmt, und im Anschluss doch noch ein paar Sympathiepunkte sammeln kann, weil er sich als äußerst humorvoll herausstellt.
»Und du hast auch Kontakte geknüpft, wie ich gesehen habe«, gibt Jolene eher scherzhaft von sich, als sich der Mann letztlich von uns verabschiedet hat und wir wieder alleine sind. »Sie schien ganz angetan von dir.«
»Von dir eher nicht so«, entgegne ich.
Jolene lacht und drückt mir ihre Lippen kurz ins Haar. »Mrs. Benson hat in der Tat keine gute Meinung von mir.«
»Sie ist der Meinung, du hättest irgendwas mit ihrem Mann gemacht«, erzähle ich. »Zumindest hat sie mich sehr eindringlich vor dir gewarnt.«
Jetzt schmunzelt Jolene amüsiert. »Ich habe sein Unternehmen gekauft. Vor zwei Wochen. Sie war strikt dagegen, aber er konnte mir nicht widerstehen - und das gewiss nicht, weil ich ihm schöne Augen gemacht habe.«
»Oooh!«, stoße ich überrascht aus, als ich begreife, wovon sie redet. Von HTS, dem Unternehmen, das sie zum halben Preis bekommen hat, weil sie wegen unseres Streits wütend in die Verhandlung gegangen ist.
»Hey, ihr Turteltauben«, kommt es von Morgan, die sich gemeinsam mit Amber zu uns gesellt. Aufmerksam, wie sie ist und meine Bedürfnisse drei Meilen gegen den Wind riecht, hält sie mir ein Glas Apfelsaft entgegen.
Mein Körper verlangt nämlich nicht nur nach Flüssigkeit, sondern auch nach Zucker. Mit einem überglücklichen Danke, nehme ich das Glas entgegen und leere es fast in einem Schluck.
»Wie ist der Stand?«, will Amber wissen und blickt nochmal durch den Saal. »Bilson ist endlich da, aber treibt sich noch zwischen den Gästen herum, und scheint Freunde zu suchen«, berichtet sie.
»Die wird er nicht so einfach finden«, entgegnet Jolene schmunzelnd. »Mein Ruf hat weniger Schaden genommen, als er sich erhofft hat. Und jetzt, nachdem wir alle aufgeklärt haben, sollte es ihm noch schwerer fallen.« Sie legt ihre Hand an meine Taille und zieht mich näher an sich. »Und dank meiner Frau ist mein Ruf wohl noch reiner, als vorher«, fügt sie hinzu und wir alle folgen ihrem Blick, den sie auf die Dame gerichtet hat, die mich eben noch vor Jolene warnte. Diese steht mit anderen Frauen in einer Gruppe und scheint sie - deren Blicken nach zu urteilen - über Jolenes Beziehungsstatus aufgeklärt zu haben. »Was auch immer du gesagt hast, hat ihr Weltbild zerstört«, fügt sie frotzelnd hinzu und beugt sich für einen Kuss zu mir.
»Ich habe nur klargestellt, dass du keine Miss, sondern eine Mrs. Reid bist - und zwar meine Mrs. Reid.«
»Du bist so verboten sexy, wenn du sowas tust«, kommentiert Morgan raunend.
»Wenn ich was tue?«, frage ich unwissend.
»Einem einen Schlag verpassen und dabei so süß und unschuldig sein, dass man dir nicht mal böse sein kann«, beantwortet Jolene, die wohl genau weiß, wie Morgan das meint.
Unsere fröhliche Runde ist leider nur die Ruhe vor dem Sturm. Jegliche Harmonie verschwindet, als das Unheil naht.
Jenes in Gestalt von Bilson und seinem überaus aufdringlichen und unerträglichen Sohn. Beide tragen sie ihr arrogantes und überhebliches Grinsen im Gesicht, während sie auf uns kommen.
Sofort bemerke ich, wie sich die Körperhaltung von Morgan und Jolene ändert, weil sie sich auf die Konfrontation vorbereiten, auf die sie gewartet haben.
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