[Sechsundfünfzig] - Morgan-Stund hat Gold im Mund

Am nächsten Morgen finde ich in der großen Küche reges Treiben vor.
Die Kinder haben ihre Energie aufgeladen und toben bereits wieder durch den großen Garten, bevor es für einige an die Arbeit geht.
Auf der Veranda finde ich Morgan, die sich von der Gruppe abgesetzt hat. Im ersten Moment wirkt es, als würde sie den Kindern beim Spielen zusehen, doch als ich bei ihr ankomme, erkenne ich ihren eher frustrierten Ausdruck.
»Was ist los?«, frage ich sie und setze mich zu ihr.
Morgan sieht mich einen kleinen Moment abschätzig an, ehe sie mir antwortet. »Dieser Körper hier blieb letzte Nacht sexuell unbefriedigt.« Dabei deutet sie an sich hinab.
Auch wenn sie dabei unglaublich frustriert dreinblickt und sich ihre Stimme ebenso anhört, kann ich mich nicht davon abhalten, kurz aufzulachen. »Deshalb bist du schlecht gelaunt?«
»Nein.« Immernoch sieht sie mich ernst an; fast schon durchdringend, als wäre sie sauer, weil ich sie nicht ernst nehme. Doch dann zeigt sich ein freches Schmunzeln und ihre Augen beginnen reizend zu glänzen. »Aber du könntest meine Laune erheblich verbessern«, spricht sie in einem anzüglichen Ton und nähert sich mir. Ihre Augenbrauen zucken dabei provozierend, während ihre Finger anregend durch mein Haar gleiten und ihre Augen intensiv in meine schauen.
Anders als sonst, weiche ich aber nicht zurück, sondern nähere mich ihr ebenfalls und lege ihr meine Hand auf die Wange. »Dem bin ich mir ganz sicher«, hauche ich verführerisch und lege meine Lippen auf ihre.
Ihr ganzer Körper erstarrt und ihre Augen weiten sich geschockt, weshalb ich lache und ihr auf den Oberschenkel schlage, bevor ich wieder aufstehe. »Ich schicke Jolene zu dir. Dann könnt ihr gemeinsam jammern. Sie hatte letzte Nacht nämlich auch keinen Sex.« Immer noch grinsend, weil ihr perplexer Gesichtsausdruck einfach Gold wert ist, drehe ich mich um und gehe wieder ins Haus hinein.
Dort gehe ich direkt auf meine große Liebe zu, die ich auch wirklich zu Morgan schicke. Jolene ist zwar irritiert darüber, folgt aber meiner Aufforderung, ohne weitere Fragen.
Mein Blick wandert zu Amber, die heute genauso schlecht gelaunt aussieht. Irgendwas ist also zwischen ihr und Morgan vorgefallen und mit ihrem Blick bittet sie mich schweigend, aber deutlich um ein Gespräch, dem ich mit einem Nicken zustimme.
Doch bevor wir uns gemeinsam eine ruhige Ecke suchen können, ruft Anthony zur Arbeit auf, weshalb wir das Gespräch verschieben und gemeinsam mit den anderen nach draußen zu den Ställen gehen.
Überrascht sehe ich mich suchend um, weil von Jolene und Morgan nichts zu sehen ist und beide verschwunden sind.

»Mom!«, verlangt Chester meine Aufmerksamkeit und ergreift meine Hand. »Komm!«, fordert er und zieht mich mit sich. Gemeinsam mit Kyle gehen wir zu den Ställen, wo die Pferde für den heutigen Tag vorbereitet werden.
Dort bekommt er wieder Rosie zugewiesen, bei der ihm gezeigt wird, wie er sie putzen muss. Obwohl gestern nichts passiert ist und er sichtlich viel Spaß gehabt hatte, so bleibt das unwohle Gefühl dennoch bestehen.
Ich bin ehrlich gesagt sogar erstaunt, wie quicklebendig Chester wieder ist. Der lange Tag im Sattel hat ihm anscheinend nichts ausgemacht, während Jolene heute Morgen durchaus von Muskelkater in den Oberschenkeln und Po berichtet hat.
Amber und ich stehen außerhalb des Paddocks und beobachten alle dabei, wie sie die Pferde putzen und satteln.
Auch Jolene und Morgan tauchen wieder auf und widmen sich direkt ihren Pferden. Dabei fällt mir auf, wie vehement Amber von Morgan ignoriert wird, mir hingegen dafür aber umso mehr Aufmerksamkeit schenkt und mir immer wieder freche und anzügliche Sprüche oder Blicke zuwirft.

Heute bekommt Chester das, was er sich unter einem Cowboy vorstellt. Sie treiben die kleine Rinderherde hinaus in die Pampa auf eine der unzähligen Weiden.
Zu Beginn ist es noch ein wenig chaotisch, bis sie die Herde so sortiert bekommen, wie sie sie für die Reise brauchen.
Amber und ich bleiben dort stehen und sehen ihnen hinterher.
Ich vernehme ein frustriertes Seufzen neben mir und wende meine Aufmerksamkeit Amber zu.
»Was ist zwischen dir und Morgan vorgefallen?«, frage ich, weil wir jetzt alleine sind und endlich reden können. Denn ganz sicher ist der fehlende Sex letzte Nacht nicht der Grund, sondern nur wieder eine lapidare Äußerung von Morgan gewesen, um nicht über ihre Gefühle reden zu müssen.
»Frag' lieber, was nicht vorgefallen ist«, stöhnt sie genervt und verdreht die Augen.
Irgendwie kann ich mir kaum vorstellen, dass sie sich gestern noch in der Wolle gehabt haben. Nicht, nachdem Morgan den ganzen Abend so unglaublich fürsorglich und liebevoll mit Amber umgegangen ist und somit eine andere Seite von sich zeigte.

»Ich möchte mich gerne bei dir ausheulen, weil du einen guten Draht zu ihr hast und sie auf dich hört.« Ernst, aber auch etwas flehend sieht sie mir direkt in die Augen.
»Das stimmt nicht«, wehre ich ab. »Sie tut immer das Gegenteil von dem, was ich sage.«
»Tut sie tatsächlich nicht. Deine Worte erreichen sie mehr, als du denkst«, antwortet sie schmunzelnd und zwinkert sogar.
»Ambs.« Ich schnaufe und schüttle den Kopf. »Ich kann mich mit ihr kaum richtig unterhalten. Sie liebt es, mit mir zu spielen und macht mich damit wahnsinnig. Ich kann keine ernsthaften Unterhaltungen mit ihr führen.« Ich drehe mich um, lehne mich mit dem Rücken gegen den Zaun und verschränke meine Arme vor der Brust. »Entweder sie schweigt, spielt alles herunter oder macht dumme Scherze.«
Amber tut es mir gleich und lehnt sich ebenfalls mit dem Rücken gegen den Zaun. »Und doch erreichen deine Worte sie.«
Skeptisch sehe ich sie an. »Wäre dem so, würde sie bereits in Miami leben.«
Offensichtlich habe ich damit ins Schwarze getroffen, denn Amber stößt ein unzufriedenes Raunen aus und senkt ihren Blick zu Boden.
»Aber ich weiß, wer mit Morgan eine ernsthafte Unterhaltung führen kann und auf den sie auch hört: Jolene.«
»Sich gegenseitig wortwörtlich in den Arsch zu treten, ist keine ernsthafte Unterhaltung«, wehrt sie ab und sieht mich skeptisch an.
»Bei den Reids schon.«
Wieder seufzt sie und senkt ihren Blick. »Ich habe zu Jolene nicht wirklich den Draht, um sie um sowas zu bitten.«
»Aber ich.« Jetzt zwinkere ich ihr zu. »Und auch ich will, dass Morgan nach Miami zieht, und ich bin mir sicher, dass Jolene ihr da den Kopf gerade rücken kann.«
Darauf reagiert Amber nur mit einem Schweigen. Sie zweifelt immer noch daran, dass Jolene die richtige Person ist, um aus Morgan die tiefsten Gefühle herauszuholen.

Letztlich berichtet sie mir, was zwischen den beiden vorgefallen ist. Tatsächlich war das Thema 'Zusammenziehen' der Grund.
Etwas, über das sie längst nicht mehr reden, weil es immer wieder zu einem Streit führt. Aber letzte Nacht fühlte sich Amber so wohl, weil Morgan sie so süß behandelt hat und war sich sicher, in ihr den Blick gesehen zu haben, der ihr sagt, alles für sie zu tun. Nur deshalb hatte Amber den Mut, Morgan auf dieses Thema anzusprechen.
Während Morgan eine eigene Wohnung bevorzugt, möchte Amber mit ihr einen weiteren Schritt gehen und mit ihr ein Haus beziehen, in dem sie alle gemeinsam leben können.
Sie berichtet, wie anstrengend die Gespräche mit Morgan sind, weil diese die Diskussionen entweder nur ins Lächerliche zieht, oder scharf zurück schießt und diese einfach beendet.
»Ich weiß selbst nach drei Jahren nicht mal, was wir da eigentlich haben«, gesteht sie seufzend. »Ich weiß nicht, ob das eine Beziehung ist, oder nicht. Wir sehen uns meistens nur an den Wochenenden, seltens unter der Woche oder für längere Zeit. Manchmal ist alles perfekt, und manchmal, als wäre alles belanglos und selbstverständlich. Ich kriege sie weder dazu, mir ihre Gedanken zu sagen, noch dazu, diesen Schritt mit mir zu gehen. Mit uns. Selbst Kyle möchte, dass wir eine richtige Familie werden. Er und Matt verstehen sich wirklich gut und bezeichnen sich bereits als Brüder. Mich nennt er sogar 'Mom'. Etwas, das nicht nur mich berührt, sondern auch sie. Sie findet es schön und es macht sie stolz. Das sagt sie immer wieder. Warum also fällt es ihr so schwer, eine Familie zu sein?« Verzweifelt seufzt sie und reibt sich mit den Händen durchs Gesicht. »Weißt du, eine zeitlang dachte ich, Hazel wäre der Grund, weil sie in Morgan verliebt ist - auch, wenn sie das bestreitet und sich immer wieder mit ihr in der Wolle hat, aber sie himmelt sie an. Aber auch das ist nicht der Grund.« Wieder seufzt sie. »Dann frage ich mich, ob es vielleicht am Altersunterschied liegt? Immerhin liegen fast zehn Jahre zwischen uns. Aber wenn es drauf ankommt, ist sie unglaublich reif und geht ernsthaft mit den Situationen um. Ich meine, das muss sie auch. Sie ist Mutter und besitzt zudem eine eigene Bank, die sehr erfolgreich wirtschaftet. Sie muss reif sein, um sowas zu erreichen und meistern zu können.«
Offensichtlich hat sich in Amber so einiges angestaut, denn sie redet sich förmlich alles vom Herzen und hört auch gar nicht auf, von ihren Gefühlen, Sorgen und Bedenken zu reden.
Es tut mir weh, diese Verzweiflung zu sehen; zu sehen, wie sehr sie die Beziehung mit Morgan in Frage stellt und nicht mehr weiter weiß.

»Ich würde dir jetzt am liebsten sagen, dass ihr miteinander reden müsst, aber ich weiß, dass es bei Morgan nicht möglich sein wird, weil sie einen bei sowas einfach unter die kalte Dusche stellt«, antworte ich und seufze ebenfalls. Ich möchte ihnen helfen, aber auch mir fällt kein alternativer Rat ein, als das Gespräch zu suchen. Allerdings reagiert Morgan auch sehr allergisch, wenn man sie zu einem solchen zwingt.
»Du weißt gar nicht, was für ein Treffer deine Aussage gerade war«, raunt sie und sieht mich an. »Unter die kalte Dusche stellen ist in ihrem Fall nicht einfach nur eine Metapher. Sie denkt, alles lässt sich mit Sex klären. Jedes Mal, wenn wir diskutieren, oder streiten, landen wir im Bett, bevor wir das Problem gelöst haben. Und bevor du mir jetzt raten willst, vehementer zu sein: Das geht nicht! Sie schafft es immer wieder mich zu verführen. Selbst in Situationen, in denen es absolut unangebracht ist. Ich kann nicht nein sagen, wenn sie mich auf eine gewisse Arte und Weise ansieht, anlächelt und berührt.«
Schmunzelnd schüttle ich den Kopf. Diesen Rat hätte ich ihr nicht geben wollen, weil ich genau weiß, wie es ihr da geht.
Jolene zieht diesen Joker bei mir auch oft genug, wenn sie partout nicht nachgeben oder sich mir öffnen will.
Und Morgan ist mir gegenüber genauso. Wenn sie ein ernsthaftes Thema, oder Gespräche über ihre Gefühle umgehen will, wird sie einfach anzüglich, frech und flirtet mit mir.
Ich weiß also sehr gut, wie es Amber geht, und da ich im Glashaus sitze, werde ich nicht mit Steinen werfen.

»Morgan liebt dich.« Ist letztlich das, was ich lediglich sagen kann. »Besonders gestern Abend war es deutlich zu sehen. Auch für Morgan ist es weitaus mehr, als nur eine Beziehung.«
»Und ich liebe sie, Cait. Obwohl sie eigentlich der Typ Mensch ist, den ich in meinem Leben nie haben wollte. Aber ihre chaotische Art durchbricht meine steife Struktur und befreit mich.«
»Ich werde Jolene auf sie ansetzen. Sie erreicht ganz sicher was bei ihr«, gebe ich zuversichtlich von mir.
»Weißt du«, sagt sie und seufzt erneut, »ich würde auch auf das Zusammenziehen verzichten. Ich wäre schon glücklich, wenn sie einfach nur nach Miami ziehen würde ... selbst wenn du der Grund dafür bist, und nicht ich.« Etwas schräg lächelt sie mich an.
Es ist mir etwas unangenehm, und ich kann es nicht mal abstreiten, weil Morgan und ich diesen Deal haben. Dennoch bin ich der Meinung, dass Morgan nicht nur wegen mir nach Miami ziehen würde, sondern auch für sie. Und für Jolene. Zwar hat sie in New York ihre Bank und auch Freunde, aber in Miami ist ihre Familie. Und ich weiß auch, dass wir sie alle glücklich machen und sie gerne bei uns allen in Miami ist.
»Vielleicht solltest du das tun, was Jolene damals bei mir getan hat?«, gebe ich nachdenklich von mir, stoße mich vom Zaun ab und gehe mit ihr zum Haus zurück, wo wir uns in den Garten an den Tisch setzen. »Sie einfach ins kalte Wasser werfen«, beantworte ich ihren fragenden Blick.

Ich erinnere mich an Jolenes Worte, als sie mir erzählte, dass Morgan auf ein sesshaftes Leben nicht vorbereitet war und damit überfordert ist; Angst davor hat, ihre Freiheit zu verlieren.
Und genau bei diesen Worten muss ich an mich selbst denken. Wie schwer es mir gefallen ist, meine neu gewonnene Freiheit, die ich nach der Beziehung mit Martin hatte, direkt wieder herzugeben, um meine Wohnung aufzugeben und mit Jolene zusammenzuziehen; sie zu heiraten und damit ein Versprechen auf Ewigkeit zu geben. Die Angst, wieder zu viel Rücksicht nehmen zu müssen, nicht gehen zu können, wenn es mir zu viel wird, war so präsent, dass selbst Jolene erst alle Stricke reißen musste, damit ich diesen Schritt gehe.
Aber letztlich hat es sich ja bewährt, mich einfach in dieses Leben zu werfen und es darauf ankommen zu lassen. Heute, fast fünf Jahre später, bereue ich keine einzige Sekunde. Jolene tut alles, damit es mir gut geht und ich glücklich bin. Sie schenkte mir Chester und damit eine besondere Stabilität im Leben. Nichts davon möchte ich je wieder aufgeben, oder verlieren.
Vielleicht hat sie also Recht? Morgan hat nur Angst davor, diesen Schritt zu gehen. Die Frau, die sonst immer das Risiko sucht, traut sich nicht, das größte Risiko ihres Lebens einzugehen, um herauszufinden, welche Konsequenzen es mit sich bringt.
Ich bin mir ganz sicher, diese Konsequenzen aber wären die Schönsten, die sie erleben würde.
Diese Erkenntnis teile ich auch Amber mit; erzähle, wie die Beziehung von mir und Jolene gestartet ist und welche Konflikte auch wir hatten, als es darum ging, unsere Leben miteinander zu vereinen.
Ihr skeptischer Blick liegt auf mir, weil sie mir nicht glaubt, dass Jolene und ich auch unsere Probleme haben, oder hatten; dass auch ich hin und wieder gegen diese Reid-Gene kämpfen muss.
Letztlich seufzt Amber nur und nickt, weil ihr klar ist, was ich ihr damit sagen will.
Trotzdem verspreche ich ihr erneut, ihr dabei zu helfen, Morgan nach Miami zu holen. Denn auch ich möchte sie in meiner Nähe haben, und ich bin mir auch ganz sicher, dass dies Jolene gut tun würde - auch wenn diese das nicht zugeben will.

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