[Sechsundachtzig] - Wütend vor Liebe

Mein Blick geht zu Amber, während ich meinen Kopf etwas kraftlos auf meiner Hand abstütze.
»Das glücklich vergeben möchte ich aktuell in Frage stellen«, brummt sie unzufrieden.
»Nur weil sie dir ein Ultimatum gesetzt hat?«, frage ich verwundert und setze mich wieder aufrecht.
»Wir wissen beide, dass die Reids nicht nur heiße Luft speien, Cait.« Sie verdreht genervt die Augen, dreht sich um und bedient sich am Kaffee. »Wenn sie also glücklich mit mir ist, wieso hatte sie keine Skrupel, mir dieses Ultimatum zu setzen? Ich bin mir ganz sicher, Jolene würde das mit dir nicht tun, egal, was du verzapfst.«
»Jolene hat mir auch ein Ultimatum gesetzt«, entgegne ich. »Deshalb zweifle ich aber nicht an ihrer Liebe.«
»Du hast ja auch keinen Grund dazu, daran zu zweifeln. Eure Liebe ist beständig. Bei mir und Morgan aber ...« Sie seufzt und lässt ihren Satz unvollendet. Mit beiden Händen umgreift sie ihre Kaffeetasse und starrt in die braune Brühe hinein.
»Das ist nicht wahr«, widerspreche ich mit milder Stimme und lege meine Hand tröstlich auf ihren Unterarm. »Morgan liebt dich.«
Auf diese Aussage hin kommt ein ungläubiges Grunzen. »Cait«, sagt sie und sieht mich etwas belustigt an. »Die einzige Konstante in ihrer Gefühlswelt bist du. Noch nie hat sie bestritten, dich zu lieben. Sie würde alles für dich tun. Du bist ihre Priorität.«
Amber hebt die Hand, als ich darauf etwas sagen und mich gegen diese Aussage wehren will, und verbietet mir auf diese Weise das Wort. »Das ist okay für mich, Cait«, sagt sie lächelnd. »Morgan hat von Anfang an mit offenen Karten gespielt. Ich wusste also, worauf ich mich einlasse.« Sie nimmt einen tiefen Atemzug und stößt ihn wieder aus. »Woran ich mich aber absolut nicht gewöhnen kann, ist ihre Unbeständigkeit mir gegenüber. Den einen Tag rollt sie mir den roten Teppich aus, den anderen zeigt sie mir die kalte Schulter. Bei dem Hin und Her wird einem schwindelig und es ist reine Selbstbeherrschung, wieso ich deshalb noch nicht gekotzt habe.« Kurz reibt sie sich die Stirn und streicht ihr blondes Haar nach hinten. »Also sag mir, wieso ich da nicht zweifeln sollte?«
Jetzt atme ich tief durch. »Ich weiß, sie ist nicht einfach - vor allem nicht, wenn es um Gefühle geht, aber ich kann dir eins mit Sicherheit sagen: Sie ist sich selbst untreu geworden, um dir treu zu sein. Und das bereits vor vier Jahren.«

Fragend sieht mich Amber an und fordert mich so stillschweigend auf, zu erklären, was genau ich damit meine.
»Nur Sex, immer nur einmal, keine Beziehung«, zähle ich Morgans eigene Aussagen etwas spöttisch auf. »Seit vier Jahren ist das aber nicht mehr so.« Jetzt schenke ich ihr ein mildes lächeln. »Du bist genauso ihre Konstante.«
Amber sieht mich skeptisch an, während sie einen Schluck aus ihrer Tasse trinkt.
»Sie ist dir sogar treu geblieben, bevor ihr offiziell zusammen wart«, füge ich hinzu. »Heather. Damals im Hotel.«
»Ich will das gar nicht hören«, blockt sie direkt raunend ab.
»Morgan hat ihr einen Korb gegeben und dich angerufen«, erzähle ich etwas vehementer. »An diesem Abend warst du für sie der sichere Hafen.«
Amber leert ihre Tasse mit einem kräftigen Schluck, stellt diese in die Spüle und geht zu unserem Sideboard, auf dem unsere Whiskey-Sammlung steht. Davon gießt sie sich etwas in ein Glas und kippt sich den edlen Stoff in die Kehle.
»Es freut mich, sowas zu hören«, gesteht sie und lächelt schwach. »Aber ... das ist vier Jahre her«, tut sie es letztlich ab und füllt ihr Glas erneut. »Unsere Beziehung ist längst nicht mehr so wie am Anfang.«
»Ja«, stimme ich zu. »Weil ihr Fortschritte gemacht habt.«
»Rückschritte«, widerspricht sie.
»Wären es Rückschritte gewesen, wärt ihr nicht mehr zusammen.« Ich erhebe mich vom Hocker und durchwühle unsere Schublade nach dem Flyer des Pizza-Lieferservices, den ich als erstes Cormack vor die Nase lege. Kurzfristig habe ich mich dazu entschlossen, mir das Kochen für vier Erwachsene und zwei Kinder zu ersparen, und uns beliefern zu lassen.
»Wären es Fortschritte, würden wir schon zusammenleben«, kontert sie.
»Ihr seid aber auch nicht stehen geblieben.« Ich räume alles, was ich bisher für das Essen aus den Schränken geholt habe, wieder in diese zurück.
»Hin und Her«, wiederholt sie ihre Worte von eben betonend und schmunzelt humorlos.
Seufzend nicke ich, lehne mich mit dem Rücken gegen die Anrichte und stütze mich etwas auf sie.
»Ich denke trotzdem, sie würde das nicht ernsthaft durchziehen. Die Reids verschwenden keine Zeit, aber das hätte sie getan, würde sie dich wegen sowas von sich stoßen. Vier Jahre - das wirft auch eine Morgan nicht einfach weg.«
Sie lacht kurz auf. »Du bist wirklich süß, wenn du so naiv bist«, gibt sie dann spöttisch von sich. »Die Morgan, mit der ich zusammen bin, ist eine ganz andere Morgan, die du kennst. Meine Morgan zieht eher einen Schlussstrich, bevor es noch mehr Zeit wird, die sie verschwendet.«
»Das siehst du so, weil du es so sehen willst!«, schieße ich mit schärferem Ton zurück, weil ich mich durch ihre Worte beleidigt fühle. »Vielleicht ist nämlich genau das dein Problem, Ambs!« Wütend funkle ich sie an. »Wie wär's, wenn du einfach mal anfängst, damit aufzuhören, an ihrer Liebe zu zweifeln?! Und nur, weil ich an die Liebe glaube, bin ich nicht naiv.«
»Aber du bist naiv, wenn du glaubst, sie liebt mich so, wie Jolene dich liebt ... oder wie Morgan dich liebt.«

Ich schnaube aufgebracht, weil mich dieses wiederkehrende Thema insbesondere jetzt nur noch nervt.
»Stelle ihre Liebe zu mir nicht auf eine Ebene mit der Liebe zu dir, denn das sind zwei verschiedene Paar Schuhe.«
»Da gebe ich dir Recht«, antwortet sie ebenfalls wütend. »Denn dir würde sie niemals den Rücken kehren; vor allem nicht, weil du einen Fehler machst. Im Gegenteil. Sie beide - Jolene und Morgan - gehen vor dir auf die Knie!«
Ich schüttle vehement den Kopf und hebe meinen Zeigefinger bedeutend nach oben. »Auch ich habe es nicht immer leicht mit ihnen und eine Morgan kann auf mich genauso sauer sein, wie auf dich und jeden anderen!«
»Ja«, stimmt sie mir zu. »Aber dann brauchst du nur mit deinen langen Wimpern und den schönen, großen blauen Augen klimpern und sie verzeiht dir alles.«
»Ich bin nicht deine Konkurrenz, Ambs«, knurre ich.
»Doch, genau das bist du«, widerspricht sie und greift nach ihrer Handtasche.
»Ach? Und wieso hast du das nie gesagt und stattdessen behauptet, es würde für dich alles in Ordnung gehen?«, frage ich schnippisch. Immer wieder hat sie es betont, während ich mich selbst nicht mal wohl dabei gefühlt habe.
»Weil es das tut«, sagt sie und atmet tief durch. »Ihr könnt euch küssen, euch Zuneigung schenken, ins Bett gehen. All das geht für mich in Ordnung, weil ich das zwischen euch verstehe. Aber ich verstehe nicht, was ich für sie bin. Das ist mein Problem, Cait.« Jetzt greift sie auch nach ihrem Schlüsselbund und umgreift ihn fest, als sie eine Faust ballt. »Ich möchte, dass du dich aus unserer Beziehung künftig heraus hältst. Ich will, dass Morgan bei mir bleibt, weil sie bei mir bleiben will, und nicht, weil du sie darum bittest.«
»Amber ...«
»Halt' dich einfach aus unserer Beziehung raus!«, bellt sie und funkelt mich an.
Mit einem kräftigen Ton mischt sich jetzt auch Cormack ein, der sich von seinem Stuhl erhebt und sich zwischen uns stellt.
»Na schön«, zische ich und sehe an ihm vorbei zu Amber. »Aber dann komm' auch nie wieder zu mir, wenn du bei Morgan mal wieder auf Granit beißt!«
Wütend funkelt sie mich an und verlässt schließlich das Haus.

Verzweifelt vergrabe ich mein Gesicht in meinen Händen, als sie die Tür wütend hinter sich zuzieht.
Plötzlich spüre ich Cormack, weil er mich in seine Arme zieht und mich fest an sich drückt. In diesem Moment kann ich meine Gefühle nicht beherrschen und weine meine Tränen in sein grau-blaues T-Shirt, das eng um seinen Oberkörper liegt.
Ich erwidere seine Umarmung und bin gerade wirklich froh darüber, nicht alleine zu sein.
»Sie hat Unrecht«, sagt er beschwichtigend.
»Nein, hat sie nicht«, widerspreche ich, löse mich von ihm und nehme einen tiefen Atemzug, um mich zu beruhigen. »Solange ich Morgan diese Art der Nähe zu mir erlaube, wird sie sich nicht gänzlich auf Amber einlassen.«
Auch wenn die Unterhaltung mit Amber gerade ein wenig aus dem Ruder gelaufen ist, so führte sie dennoch zu einer Erkenntnis, und ich frage mich, wieso ich da nicht auch schon früher drauf gekommen bin?
Oder wollte ich es vielleicht nicht eher begreifen, weil ich Morgans Zuneigung mehr genossen habe, als ich es mir eingestanden habe?
Plötzlich fühle ich mich schlecht, hinterhältig und rücksichtslos. Auch wenn es für Amber - und auch für Jolene - in Ordnung geht, es hätte nie in Ordnung sein dürfen.
Ich hätte Morgan diese Nähe nie erlauben dürfen, ich hätte sie nie selbst suchen dürfen. Wir haben uns damit in einer Grauzone bewegt - und das einfach viel zu oft.
Ich habe kein schlechtes Gewissen Jolene gegenüber, denn sie hat mir oft genug zu verstehen gegeben, damit wirklich keine Probleme zu haben. Sie hat mir jegliche Ängste und Gedanken genommen, die mich viel zu sehr beschäftigt haben. Aber ich habe dabei viel zu wenig an Amber gedacht. Wieso eigentlich? Weil sie mir nie böse Blicke oder dumme Bemerkungen zugeworfen hat, wenn mir Morgan einen Kuss gab, oder wenn ich mich an sie schmiegte? Weil sie selbst an dieser bescheuerten Wette teilgenommen hat?
Nichts davon rechtfertigt unser Handeln. Wir hätten das Vertrauen trotzdem nicht so ausnutzen und strapazieren dürfen.
Sie hat recht: Ich habe Morgan viel zu sehr von ihr abgelenkt. Sie konnten sich nie festigen, weil ich immer präsent war.

»Danke«, wispere ich und tätschle Cormacks harte Brust.
»Wofür?«, fragt er lieblich lächelnd.
»Dass du da bist.«
Er schmunzelt und sieht mir besänftigend in die Augen. »Heather ist gut in ihrem Job und nicht zu verachten. Spätestens morgen hast du deine Jolene wieder.«
Leicht lächelnd nicke ich und nehme einen tiefen Atemzug. Nochmals reibe ich mir die Augen, um auch die letzten Überreste meiner Tränen wegzuwischen, ehe ich den Flyer des Lieferservices ergreife und zu den Jungs nach draußen gehe, damit auch sie sich was aussuchen.

Cormack und Ian verbringen die ganze Nacht unten im Haus, um die begonnenen Recherchen von Jolene weiterzuführen, während ich hier oben in unserem Bett liege und einfach nicht in den Schlaf finde.
Ich kann sie reden und auch fluchen hören; höre, wenn sie sich einen Kaffee machen, aufs Klo gehen oder wenn sie einfach nur schweigen.
In den Schlaf finde ich aus mehreren Gründen nicht.
Zum einen, weil mir Jolene fehlt, auch wenn sie vielleicht bald wieder da ist, so fehlt sie einfach jetzt.
Zum zweiten kann ich wegen des runden Bauches nicht wirklich bequem liegen und zudem ist das Baby sehr aktiv und tritt kräftig um sich. Ich habe meine Hand auf meinem Bauch liegen, um ein wenig mit ihm zu interagieren und die Bewegungen zu genießen.
Und der dritte Grund sind Chester und Kyle, die bei mir im Bett liegen. Ersterer umklammert regelrecht meinen Bauch und schmiegt sich fest an diesen. Kyle liegt neben ihm, ebenfalls sehr dicht und seinen Kopf auf meinem linken Unterarm, den er mit seinen Händen festhält, während ich meinen rechten Arm auch um ihn lege, damit er meine Geborgenheit spürt- selbst wenn mir beide Arme deshalb absterben.
Ich habe es ihnen erlaubt, weil es auch für sie viele unschöne Erlebnisse waren.
Mitzuerleben, wie die eigene Mutter von mehreren Männern weggenommen wird und sie dann nicht mehr sehen zu können oder zu dürfen, bleibt nicht unbeachtet. Sie sind keine Kleinkinder mehr und bekommen sehr viel mit, aber doch begreifen sie nicht, was passiert ist, oder was das alles zu bedeuten hat.
Chester fällt es ein weniger leichter, weil er ohnehin ein sehr optimistischer Typ ist, aber auch weil ich ja noch da bin.
Aber Kyle ... Ich seufze und streiche durch sein blondes Haar. Wir haben ihm erklärt, was los ist und wieso er erstmal bei mir bleibt. Ich bin keine Fremde für ihn, aber auch nicht seine Mutter.
Ein Glück fühlt er sich sehr wohl bei uns, so dass es für ihn nicht ganz so schlimm werden sollte

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