[Neununddreißig] - Back to the roots

So langsam nimmt CaddySign gestalt an.
Der Eingangsbereich und die Büros von Naddy und mir sind bereits fertig gestrichen. Aktuell arbeiten drei Maler in drei Büros gleichzeitig.
In der Realität sieht die Gestaltung meiner Mutter noch viel besser aus, weshalb wir mehr als zufrieden sind.
Wegen der Geräusche der Handwerker schließe ich kurz meine Augen und lasse mich davon beschallen. Es fühlt sich so gut an, zu wissen, bald hier täglich sein zu können. Die Vorfreude wächst ins unermessliche.

Im zukünftigen Serverraum finde ich Ian vor, der dort die Schränke verkabelt und alles für den großen Tag vorbereitet.
»Guten Morgen«, begrüße ich ihn. Sofort hebt er seinen Kopf und lächelt mir entgegen. »Kaffee?«, frage ich und halte den Becher nach oben.
»Ja, aber nicht hier!« Eilig erhebt er sich und schiebt mich sanft aus dem Raum heraus. Irritiert blinzle ich ihm entgegen, während er mir den Becher abnimmt und einen fast schon sehnsüchtigen Schluck daraus trinkt.
»Kein Essen und Trinken im Serverraum«, ermahnt er mich schließlich.
»Ach so? Wir haben darin immer unsere Cocktails gemixt und getrunken, weil es da so schön kühl ist.«
Ich muss sofort loslachen, als ich seinen fassungslosen Blick sehe und tätschle ihm die Schulter. »Das war nur ein Scherz«, beruhige ich ihn direkt.
Er wirft mir nur einen vorwurfsvollen Blick entgegen und nippt wieder von seinem Kaffee. Ich erkenne, wie er mich mustert und frage ihn deshalb, was los ist.
Ian zögert und greift sich in sein blondes, kurzes Haar, ehe er spricht. »Ich dachte du wolltest schwanger werden?«
Verwundert sehe ich ihn an, weil ich nicht verstehe, worauf er hinaus will.
Kurz sieht er sich um, ehe er sich zu mir beugt. »Hat Jolene den Part jetzt übernommen?«, flüstert er.
»Was??«, frage ich überrascht. »Wie kommst du darauf?«
Nochmals sieht er sich um und geht dann in den Serverraum zurück. »Weil sie seit Tagen so ist, wie damals, als sie schwanger war«, brummt er. »Sie ist herrisch und ein richtiges Biest. Sogar Cormack, Brandon und ich gehen ihr so gut es geht aus dem Weg.«
Diese Aussage überrascht mich, denn solch ein Verhalten kenne ich von Jolene nicht und kann das auch nicht bestätigen - denn mir gegenüber ist sie sogar extrem liebevoll. Aber das erklärt dann wohl auch die sonderbare E-Mail, die ich von Naresh erhalten habe, in der er mich quasi gebeten hat, mehr Sex mit Jolene zu haben. Nicht in diesem konkreten Wortlaut, aber durch die Blume hindurch.
Ich erinnere mich an die Worte meiner Mutter und muss deshalb schmunzeln. Jolene geht offensichtlich wirklich mit mir schwanger. Diese Erkenntnis lässt mein Herz höher schlagen, denn das gibt mir das Gefühl noch mehr miteinander verbunden zu sein; uns noch näher zu stehen, als vorher.
»Oooh!«, reißt mich Ians Stimme aus den Gedanken. Sein Blick wandert musternd über meinen Körper, dann neigt er seinen Kopf, sieht mir direkt in die Augen und beginnt merkwürdig zu schmunzeln. »Du bist schwanger.«
»Was??« Überrascht sehe ich ihn an, weil ich nicht begreife, wie er diesen Schluss jetzt ziehen konnte.
»Du solltest mal dein Gesicht sehen. Es spricht Bände.« Er lacht und deutet auf dieses. »Ich gratuliere euch.« Grinsend nimmt er mich beglückwünschend in den Arm. »Dann weiß ich, wieso Jolene ist, wie sie ist und sie in spätestens neun Monaten wieder die Alte sein wird.« Ohne sein Grinsen abzulegen, wendet er sich wieder dem Serverschrank zu, um seine Arbeit fortzuführen. Dabei pfeift er fröhlich vor sich hin.

Etwas später lerne ich dann besagte und die gefürchtete 'schwangere' Jolene kennen. Denn diese betritt CaddySign und hat wahrlich einen sehr harschen Ton in ihrer Stimme, als sie mit Ian redet. Scheinbar ist er ihr zu langsam, noch dazu bekommt er vorgeworfen, während der Arbeit zu viel zu reden und sie ihn dafür nicht bezahlt.
Ich kann sehen, wie Ian mit einem versteckten Schmunzeln nickt.
Naresh hat sie ebenfalls im Schlepptau. Der Inder steht wie ein geprügelter Hund neben ihr und traut sich kaum, mich anzusehen.
Jolene deutet auf all die Computer, die uns bereits geliefert wurden und befiehlt ihm regelrecht, diese vorzubereiten und zu konfigurieren, damit sie direkt einsetzbar sind und wir nicht wieder so lange warten müssen wie damals.
Ohne widerworte eilt Naresh los und befolgt ihre Anweisung.
Zunächst bin auch ich überfordert, weil ich Jolene so noch nie habe reden hören; schon gar nicht mit ihren Angestellten. Ihre Art ist fast schon militärisch und nicht mal im Ansatz mit Reid zu vergleichen.
»Mein feuchter Traum«, hauche ich ihr entgegen und lege meine Arme um ihren Nacken. Ein Versuch, sie aus ihrer Laune herauszuholen.
»Süße Versuchung«, erwidert sie ebenso, lässt sich ohne widerstand darauf ein und legt ihre Hände auf meine Hüften. Irgendwie beängstigt es mich, wie schnell sie umswitchen kann und sogar diese Nähe nun im Beisein ihrer Angestellten zulässt.
Ohne, dass ich etwas tun muss, beugt sie sich zu mir, um mich liebevoll zu küssen. Ebenfalls etwas, das sie ungerne im Beisein ihrer Angestellten tut.

Mein eigentlicher Versuch aber ist gescheitert, denn trotzdem ändert sich ihr Ton gegenüber ihren Jungs nicht. Sie droht Naresh sogar mit der Kündigung, wenn er seine Arbeit nicht anständig erledigt, weil er sich lieber mit anderen Dingen beschäftigt.
»Jolene.« Sanft lege ich ihr meine Hand auf ihre Wange und fordere so ihre Aufmerksamkeit zurück. »Ich bin schwanger, nicht du«, lasse ich sie amüsiert wissen. Kurz denkt sie über meine Aussage nach und scheint dann zu begreifen, worauf ich hinaus will.
»Gehen wir gemeinsam Mittagessen?«, fragt sie und ignoriert meine Worte schließlich.
»Sehr gerne«, stimme ich zu. Unter anderem aber auch, damit Ian und Naresh ungestört ihre Arbeit machen können, ohne von dem Tyrannen in meiner Frau unter Beobachtung zu stehen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie merkwürdig es ist, vom Chef genauestens beobachtet zu werden. »Aber nicht hier. Ich hab' Lust auf mexikanisch.«
»Mexikanisch?«, fragt sie verwundert. »Okay«, setzt sie direkt nach und lächelt mich an. Trotzdem kann ich es nicht verhindern, dass Naresh und Ian nochmals eine deutliche Ansage bekommen. Während Naresh eingeschüchtert nickt, hält Ian breitgrinsend einen Daumen nach oben.

»Es schadet ihnen nicht, wenn ich wieder etwas härter durchgreife«, begründet Jolene ihr Verhalten, während wir zu dem mexikanischen Restaurant gehen. Da wir dafür lediglich auf die andere Seite des Flusses müssen, wäre es unnötig, dafür ins Auto zu steigen.
»Ich habe es sogar die letzten Jahre ein wenig schleifen lassen.« Grinsend führt sie meine Hand an ihre Lippen. »Genau genommen seit ich dich kenne«, fügt sie als wahren Grund hinzu. »Du hast nicht immer einen guten Einfluss auf mich.«
»Keinen guten Einfluss?«, hake ich nach und sehe sie empört an. »Ich finde schon, dass es ein guter Einfluss ist, wenn du durch mich deine Angestellten netter behandelst«, entgegne ich lachend.
»Für sie ist es vielleicht so. Für mich aber nicht.« Obwohl sie trotzig klingt, grinst sie. »Für Naresh war es längst überfällig.«
»Wieso?«
»Ich habe ihm zu viele Freiheiten gelassen«, beginnt sie zu erklären. »Er muss die Grenzen wieder kennenlernen, dann hört er vielleicht auch auf, meine Frau anzubaggern.«
Zunächst sehe ich sie überrascht an, muss dann aber Schmunzeln. »Du bist eifersüchtig.«
»Nein«, wehrt sie ab. »Aber es stört mich tatsächlich gewaltig - und das schon länger. Er weiß ganz genau, dass du mit mir verheiratet bist. Trotzdem hört er nicht auf, dir Angebote zu machen und dich nach Dates zu fragen. Er hat eine Grenze überschritten und ich habe es zu lange geduldet.«
Zunächst mustere ich ihren Ausdruck einen Moment, muss dann aber wieder schmunzeln, bleibe stehen und drehe mich vor sie.
Erneut lege ich meine Arme um sie und ziehe sie für einen Kuss zu mir. »Das werden die interessantesten neun Monate meines Lebens.«
Jolene hingegen scheint das nicht so amüsant zu finden wie ich und kommentiert das nur mit einem missmutigen Raunen.

Wenn ich mich so an die Zeit vor Jolene zurück erinnere, fällt es aber doch schon auf. Damals sagte man Reid von BNS nach, ein harter Hund in der Geschäftswelt zu sein, die ihre Angestellten fair, aber rigoros behandelt. Und auch die Erzählungen von Ian, Brandon und Cormack, sowie Amber ähneln kaum jener Chefin, die ich kennengelernt habe.
Es scheint also zu stimmen, dass ich einen Einfluss darauf genommen habe, wenn sie handzahmer ist, seit sie mich kennt.
Vielleicht ist es gar nicht verkehrt, mal wieder härtere Saiten aufzuziehen. Vor allem was Naresh angeht. Zwar sind seine Anmachen weniger Obszön geworden, seit ich Jolenes Namen trage, aber aufgegeben hat er trotzdem nicht.
Ich habe das einfach nicht mehr als nervend empfunden, sondern als Spaß, den er sich erlaubt. Immerhin tut Morgan nichts anderes, aber das scheint irgendwie legitimer zu sein, wenn ich so daran denke. Allerdings sind da die Verhältnisse auch ganz andere.
Als ich mich an eine Situation erinnere, muss ich kurz lachen. Naresh hat es einmal sogar bei Morgan versucht, als wir wegen etwas geschäftlichem bei BNS waren.
Da er viel zu schüchtern ist, um von Auge zu Auge nach einem Date zu fragen, hat er es bei ihr auch via Mail und einem von ihm erstellten Video versucht - selbstverständlich mit sehr deutlichem Inhalt.
Irritiert fragte mich Morgan, wer das ist und ich zeigte wortlos auf Naresh, dessen Gesicht postwendend voller Röte hinterm Monitor verschwand.
Nur kurz hob sich Morgans Augenbraue, dann antwortete sie ebenfalls Kommentarlos mit einem Video; in jenem wird eine Wurst mit einem Hackmesser schwungvoll zerteilt.
Geschockt habe ich sie angesehen, sie aber steckte ihr Handy emotionslos wieder in ihre Tasche. Von Naresh hörte man nur ein schmerzhaftes Quietschen. Seit dem hat er es nie wieder bei Morgan versucht.
Manchmal kam mir der Gedanke, ihm auch mit einem solchen Video zu antworten, aber ich habe es nicht übers Herz gebracht.

Zurück bei CaddySign verabschiedet sich Jolene bis später, weil sie noch ein wichtiges Meeting hat.
Ich muss ihr versprechen, nicht mehr zu lange zu machen, mich nicht zu sehr anzustrengen und vor allem auch, mich nicht stressen zu lassen.
Vermutlich muss ich mich daran gewöhnen, weil unsere Abschiede in den nächsten Wochen aus genau diesen Versprechen bestehen werden.
»Ich werde nachher Chester von der Schule abholen, wenn ich mit meiner Mutter zu ihrem Haus fahre«, lasse ich sie noch wissen, lächle sie an und sichere ihr auf die Art zu, nicht mehr lange in der Baustelle von CaddySign zu bleiben.
Jolene scheint zufrieden und verabschiedet sich schließlich mit einem Kuss von mir.

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