[Einundsechzig] - Dies und das

Es war unglaublich entspannend und friedfertig, dort auf dem Hügel zu sitzen und der Sonne bei ihrer morgendlichen Wanderung zuzusehen. So sehr, dass ich tatsächlich einfach eingeschlafen bin; mit dem Kopf auf Jolenes Schoß und ihren sanften Berührungen. Sie selbst hat geduldig in dieser Position ausgeharrt, bis ich wieder aufgewacht bin - und das auch nur, weil mein Bruder zu uns gekommen ist, um uns wieder zur Familie zurückzuholen, weil man uns vermisste; allen voran Chester, der zuerst alleine in unserem Zimmer aufwachte und uns dann im ganzen Haus nicht gefunden hat.

Die nächsten zwei Tage sind weniger spektakulär. Mit Chester kommt es noch einmal zu einer heftigen Auseinandersetzung, weil er sich weigert, bei einer unangenehmen Arbeit mit anzupacken. Da er es aber nicht ertragen kann, wenn Jolene sauer auf ihn ist - genaugenommen sogar stinksauer - und ich ihn einfach komplett ignoriere, hat er eingelenkt und versprochen nicht wieder zu meckern und von nun an artig zu sein, wenn wir ihn dafür wieder lieb haben.
Tatsächlich packt er von da an mit an, erzählt aber auch, doch kein Cowboy mehr werden zu wollen, und er sich das ganz anders vorgestellt hat; dass die im Fernsehen gelogen hätten, weil sie das nicht gezeigt haben.
Die Arbeit mit den Tieren macht ihm deutlich Spaß, alles andere drumherum aber weniger.

In all den Tagen geht mir der Traum nicht gänzlich aus dem Kopf. Ich mache mir einfach Gedanken darüber, wie ich ihn einsortieren soll.
Ist es wirklich nur die sonderbare Verarbeitung des Gehirns von Erlebnissen? Immerhin hat mich der Anblick von Jolene und Morgan - so verschwitzt im sexy Cowgirl-Outfit - angemacht. Dazu dann all die wiederkehrenden Anspielungen, was dieses Thema angeht. Hat es sich so in meinem Kopf manifestiert, dass mein Unterbewusstsein es deshalb so ausgelebt hat?
Oder sind es schlicht die Hormone, die mir da gerade einen Streich spielen? Es wäre ja nicht der erste skurrile Traum, seit ich schwanger bin.
Am meisten sorge ich mich aber darum, der Traum könne etwas ganz anderes bedeuten. Was, wenn sich all meine Gefühle, die Morgan in mir auslöst, doch nicht auf Jolene beziehen, sondern wirklich auf Morgan selbst? Was, wenn ich doch sexuelles Interesse an ihr habe?
Ich habe starke Gefühle für Morgan, und das ist auch okay, weil es eben nicht jene sind, wie ich sie für Jolene empfinde. Aber ich möchte auch nicht, dass sie sich verändern. Ich möchte mich nicht über das angemessene Maß hinaus zu ihr hingezogen fühlen.
Auch wenn sie mich so oft mit ihrer Offensive aus der Fassung bringt, genieße ich die Art der Aufmerksamkeit, die sie mir schenkt. Vor allem, wenn sie dann doch zeigt, wie wichtig ich ihr bin; wenn sie mich einfach in den Arm nimmt, weil sie mich versteht; wenn sie mich so liebevoll ansieht und mich berührt und mir damit absolute Sicherheit gibt - vor allem dann, wenn Jolene es gerade nicht selbst tun kann.
Trotz ihrer nach außen hin unnahbaren Fassade, ist sie mir gegenüber sehr handzahm und sanft. Noch nie hat sie mich hart behandelt - selbst wenn ich richtig sauer auf sie war. Und noch nie was sie sauer auf mich.

Ich habe mit Jolene über meine Gedanken und Gefühle geredet. Nicht nur, weil es ihr - als meine Frau - zusteht, zu wissen, wie es mir geht, sondern auch, weil sie eben nicht nur meine Frau ist, sondern auch meine Freundin.
Mit ihr kann ich über alles reden, sie verurteilt mich für meine Gedanken nicht, hört mir zu und weiß oft die richtigen Worte zu sagen, die mich beruhigen und besänftigen, oder mir Klarheit verschaffen. Sie ist dabei deutlich sanfter, als Naddy, die ja gerne mal die knallharte Keule der Realität oder Fakten auspackt.
So auch in diesem Fall. Jolene sieht das Ganze nicht so dramatisch und weiß mit liebevollen Worten meine Ängste und Bedenken zu nehmen; und dann diese unglaublich wärmende Umarmung und der Kuss auf die Stirn, der mir jedes Mal, wenn sie ihn mir gibt, einen richtigen Gefühls-Boost gibt. Wenn sie das tut, fühle ich mich so unglaublich beschützt, sicher und auch maßlos geliebt. Es ist ein Kuss, der keine Erwiderung erwartet und deshalb einfach nur selbstlos ist.

Morgan verhält sich die letzten zwei Tage mir gegenüber auch zurückhaltender; sie ist einfach nur liebevoll und nett zu mir, ohne dabei frech zu sein - ist nicht so offensiv wie sonst, und ich frage mich deshalb, ob Jolene mit ihr darüber geredet hat?
Auf der einen Seite traue ich es ihr zu, damit meine Gedanken zur Ruhe kommen. Auf der anderen Seite sagte sie selbst, dass sie mit Morgan gar nicht wirklich über sowas redet.
Noch dazu hätte es sich Morgan sicher nicht nehmen lassen, deutliche Anspielungen zu machen, wenn sie von dem Traum weiß, oder?
Allerdings hat sie dahingehend auch diesen sechsten Sinn, wie Jolene: Sie beide können Gefühle ziemlich präzise wahrnehmen und wissen immer, wie es mir geht und reagieren entsprechend darauf.
Vielleicht hat es aber auch absolut nichts mit mir zu tun; vielleicht ist sie aus anderen Gründen so ungewohnt ruhig? Immerhin hat sie sich mit Amber gestritten; etwas, das sicherlich auch nicht so spurlos an ihr vorbeigeht, wie sie immer tut. Vielleicht hatten sie und Amber auch ein klärendes Gespräch?
Jedenfalls erkenne ich kein besorgniserregendes Verhalten der beiden. Sie lieben sich immer noch, reden miteinander, küssen und berühren sich; und doch hat Morgan ihre sonst so starke Präsenz etwas zurückgezogen und ist eher unauffällig.

Obwohl ich die letzten Tage sehr genossen, und insbesondere Johnnys Mutter sehr ins Herz geschlossen habe, bin ich doch froh, wieder zuhause zu sein.
Das erste, das Jolene macht, als wir angekommen sind und unsere Koffer ausgepackt haben, ist, sich ein heißes Bad zu genehmigen, damit sich ihre Muskeln von all der körperlichen Arbeit wieder entspannen. Noch nie habe ich Jolene über Muskelkater klagen hören. Jetzt hat sie ihn an Stellen, von denen sie nach eigener Aussage nicht mal wusste, dort überhaupt Muskeln zu haben.
Weil unsere Wanne groß genug ist und ich es liebe, mit ihr gemeinsam zu baden, entscheide ich mich dazu, zu ihr zu steigen und einfach diese Wärme und Ruhe zu genießen. Vor allem, wenn ich mit dem Rücken gegen sie lehne und ihre Hände sanft auf meinem Bauch liegen - insbesondere jetzt, wo er anfängt zu wachsen. Und zwar jeden Tag sichtbar mehr.

Ein ausgeglichenes Gemüt benötigen wir ohnehin, weil bereits zwei Tage später Millys Geburtstag ist, und wir ganz sicher nicht um einen Besuch bei ihr herumkommen.
Weil ich in Sachen Geschenke eine Niete bin, und von Jolene keine wirkliche Hilfe bekomme - außer wieder sämtliche Vorschläge an Dingen, die unchristlicher kaum sein könnten und Milly höchstwahrscheinlich einen Herzinfarkt bescheren würden - habe ich mich dieses Jahr einfach für eine Packung ihrer Lieblingspralinen und einen Strauß Blumen entschieden. Total unkreativ, aber Milly gefällt alleine diese kleine Aufmerksamkeit, die sie von Jolene sonst nie bekommen würde.
Unangenehm ist der Besuch trotzdem, weil auch Millys Kirchenfreunde da sind und fröhlich über Gott und die Welt schnattern - und in diesem Fall ist es wörtlich zu nehmen.
Brisant wird es dann, weil Jolene ihre Liebe zu mir natürlich weder versteckt noch unterdrückt und mich im Beisein aller streichelt, küsst und verliebt anlächelt.
Wie eigentlich jedes Jahr regt sich Milly darüber auf und empfindet unser Verhalten als absolut unhöflich und respektlos.
In dieser Angelegenheit stehe ich aber vollkommen hinter Jolene und empfinde unsere Liebe weder als unhöflich noch respektlos, dagegen aber Millys Verhalten, uns das verbieten zu wollen.
Ein wenig aus den Fugen gerät die Situation dann, als Milly herausfindet, dass ich schwanger bin, weil ich kurz unachtsam war und meine Hand auf meinen Bauch gelegt habe.
Sie hat nicht nur die Geste gesehen, sondern auch den kleinen Bauch erkannt, den ich bis dahin durch mein Oberteil ganz gut kaschieren konnte.
Die Schnappatmung setzt bei ihr ein, weil sie sich in Bedrängnis gesetzt fühlt, dies nun irgendwie ihren Gottesfrauen erklären zu müssen.
Zum Glück leben nicht alle von ihnen unter einem Stein, so wie Milly. Aber genau deshalb bilden sich nun zwei Fronten und die Diskussion wächst ins unermessliche.

Zu unserer Erleichterung tauchen dann endlich meine Mutter und Christian auf. Denn deren Ankunft beendet das Thema über Gott und die gleichgeschlechtliche Liebe; nicht nur weil sie den Raum betreten und begrüßt werden, sondern auch, weil meine Mutter ein echt gutes Händchen für diese gläubigen Damen besitzt und sie geschickt zum Schweigen bringen kann.
Jetzt, da meine Eltern da sind, ist es der richtige Moment, sich aus dem Staub zu machen, weil Milly sowieso nur noch Augen für meine Mutter haben wird. Außerdem, da meine Schwangerschaft offenbart ist, haben wir auch noch den perfekten Grund, wieso wir so früh wieder gehen müssen. Keiner würde es einer Schwangeren übel nehmen, sich vorzeitig zu verabschieden, um sich hinlegen und schonen zu können.
Milly lässt uns gehen, nicht aber ohne uns wissen zu lassen, noch ein ernstes Wort mit uns reden zu wollen, sobald wir uns das nächste Mal sehen.
Wir können beide jetzt schon den Vorwurf hören, weil wir sie im Beisein ihrer Freundinnen in eine unangenehme Situation gebracht haben, obwohl es ja sie selbst war, die ihre Feststellung laut verkündet hat.
Ein weiterer Grund, wieso ich ihre Freude über ein weiteres Enkelkind anzweifle. Wie kann man sich sowohl darüber freuen, als auch pikiert sein?

Unsere Vermutung bestätigt sich genau zwei Wochen später, als dann Chester Geburtstag hat und Milly uns einen Besuch abstattet.
Zu meiner Verwunderung geht Jolene auf die Vorwürfe ihrer Mutter aber gar nicht groß ein, weshalb es dann auch gar nicht so eskaliert, wie es sonst der Fall ist. Jolene beschäftigt sich nebenbei mit der Organisation der großen Geburtstagsfeier, die am Wochenende stattfinden soll.
Chester wird dieses Jahr all seine Freund einladen - und das sind nicht gerade wenige; alle aus der Schule und aus der Nachbarschaft. Jolene und ich stehen dafür schon die ganze Woche im regen Kontakt zu all den anderen Eltern - zumal wir die meisten noch gar nicht kennen.
Aus der Diskussion zwischen Mutter und Tochter halte ich mich sowieso immer heraus und beschäftige mich überwiegend mit Chester, der all die neuen Sachen ausprobiert, die er bisher geschenkt bekommen hat.
Von Jolene und mir hat er ein neues Fahrrad bekommen, weil sein bisheriges langsam zu klein wird, nachdem er in diesem Jahr einen Wachstumsschub hatte. Außerdem haben wir ihm ein ferngesteuertes Auto geschenkt, das er erst selbst zusammenbauen muss und sich darauf schon tierisch freut. Da er bereits von Anbeginn großes Interesse daran zeigte, mit Jolene an den Autos herumzuschrauben, war dies einer seiner Wünsche gewesen - ein Auto, das er ganz alleine bauen und danach fahren kann.
Von meinem Bruder bekam er ein ferngesteuertes Rennboot, das er bereits schon durch den Pool hat flitzen lassen.
Von meinen Eltern hat er ein elektrisches Off-Road-Auto bekommen, in das er sich reinsetzen und durch die Gegend flitzen kann. Dies durfte er aber nicht mit nach Hause nehmen und wird damit nur spielen können, wenn er bei meinen Eltern ist.
Ich weiß jetzt schon, wo er den Rest der Woche nach der Schule hingehen wird und wir ihn dann einsammeln müssen.
Durch Jessica weiß ich, wird er von seinem Vater ein Schlagzeug für Kinder bekommen, und auch Naddy und Winnie haben Spielsachen für ihn, die sie nachher noch vorbeibringen werden, ebenso Morgan und Amber, die am Wochenende dazustoßen, damit Kyle zur Party seines Cousins kann.
Ehrlich gesagt, wird mir Chester dieses Jahr dann doch zu sehr verwöhnt, weshalb ich die Eltern seiner Freunde darum bitte, sparsam mit Geschenken zu sein.

Die größte Enttäuschung erfährt Chester von Milly. Sie ist die Einzige, die ihm keine Spielsachen schenkt. Dafür aber ein T-Shirt, eine Hose und Unterwäsche; Sachen, die selbst ich nicht mehr ganz so passend finde. Auf dem gelben T-Shirt ist ein buntes Dino-Bildchen und die Hose besteht aus grünem Jeansstoff mit Dino-Aufnähern drauf.
Während ich meine Gedanken für mich behalte, dominieren Jolenes Gene und lassen Chester ungeschont ehrlich sein.
»Granma! Ich bin jetzt sechs. Da trägt man sowas nicht mehr.« Ist sein Kommentar dazu, untermauert durch ein verständnisloses Kopfschütteln.
»Aber du magst doch Dinosaurier?!«, fragt sie verwirrt.
»Ja, aber Echte. Nicht die für kleine Kinder.«
Obwohl ich ihm recht gebe, bestehe ich darauf, sich trotzdem bei seiner Großmutter zu bedanken.
Ihm Klamotten zu schenken ist nichts Falsches, gerade weil er täglich wächst und seine Sachen nach kurzer Zeit nicht mehr passen, aber sie sollte sich vielleicht vorher bei uns informieren, was er am liebsten trägt.
Selbst die Unterwäsche, die sie ihm geschenkt hat, passt nicht mehr so ganz zu dem, was er mittlerweile trägt - und Chester ist dahingehend wirklich eitel geworden.
Die Schuld für seine Beschwerde gibt sie natürlich uns. Ihrer Meinung nach verziehen wir ihn und bringen ihm keinen Anstand bei. Aber von Jolene - und auch nach fast fünf Jahren Erfahrung - weiß ich, kann man es Milly ohnehin nie recht machen, von daher ignoriere ich ihre Kommentare und Belehrungen einfach.
Die Ankunft von Jessica und Johnny befreit uns letztlich von meiner Schwiegermutter, die darauf sofort - und wie immer - aus fadenscheinigen Gründen das Weite sucht. Aber wir alle wissen, dass es alleine wegen Johnny ist, weil sie es nach all den Jahren immer noch nicht schafft, ihn zu mögen, oder zumindest zu akzeptieren.
»Ich frage mich immer wieder, wie es dir gelingen konnte, bei solchen Eltern so normal zu werden«, sind Johnnys Worte an Jolene, nachdem Milly das Haus verlassen hat.
»In dem ich meine Eltern gemieden und mich mit normalen Menschen abgegeben habe«, antwortet Jolene schmunzelnd und stellt eine neue Kanne mit Kaffee auf den Tisch.

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