[Achtundsiebzig] - Alte Freundschaft, neue Sorgen
Die Umstrukturierung der vier Tochterunternehmen von BNS zeigt Wirkung. Vorübergehend sind Ian, Brandon und Cormack die Geschäftsführer, bis sich Jolene mit den Vorständen einig ist, wer die Position dann übernehmen wird.
Natürlich möchte jeder auf den Chefsessel klettern, aber Jolene denkt langfristig und möchte jemanden dort sitzen haben, von dem sie sicher sein kann, ihn auch in zehn Jahren noch nicht bereuen zu müssen. Durch die ganzen Debatten mit den Vorständen, sind weitere Stellen frei geworden, weil Jolene den Diskussionen überdrüssig geworden ist.
Trotzdem hat sie nicht vor, irgendeinen aus dem Vorstand zum Geschäftsführer des jeweiligen Unternehmens zu ernennen, da diese jetzt nur kooperieren, weil sie einige von ihnen gefeuert hat, um ein Statement zu setzen. Die Arschpuderei - so, wie sie es bezeichnet - stößt ihr äußerst negativ auf.
Parallel dazu beschäftigt sie sich mit den zehn Unternehmen, die ihr Morgan vor die Nase gelegt hat. Vier davon befinden sich in New York, sechs in Florida und davon zwei in Miami selbst.
Drei von diesen zehn sind Start-Ups, noch recht frisch in der Branche und suchen Investoren, um ihr Unternehmen auf dem Markt zu etablieren. Einen davon hat sie aber aussortiert, weil ihr die Rückgewinnung ihrer Investition zu langen dauern würde. Den anderen beiden hat sie empfohlen, sich zusammenzuschließen. Die stehen derweil in Verhandlungen dazu und solange wartet Jolene, bevor sie Geld locker macht.
Die anderen sind bereits bestehende und verankerte Unternehmen, deren Zahlen aber nicht so grün sind, wie sie es gerne hätten, aber für neue Projekte fehlt ihnen das Geld, das sie ebenfalls durch Investoren einbringen wollen. Auch davon hat Jolene zwei aussortiert, deren Zahlen nicht grün genug werden würden.
Dem Rest hat sie ein Angebot gemacht. Zwei haben bereits zugeschlagen und Jolene ist aktuell dabei, alles in trockene Tücher zu packen.
Allerdings hat dies ebenfalls eine Umstrukturierung innerhalb dieser Unternehmen zur Folge.
Zusätzlich will sie Bilson mit seiner eigenen Waffe schlagen und informiert sich ausgiebig über all seine Subunternehmen.
Nicht aber, um diese abzuwerben, so wie er es versucht hat. Sie hat es auf sein Personal und die Kunden abgesehen, um sie für sich zu gewinnen.
Dadurch bekomme ich sie wieder nur sehr wenig zu Gesicht und ihre Laune ist wegen der ganzen Verhandlungen auch nicht die beste. Aber es ist notwendig, um Bilson & Son mit Überlegenheit niederzuringen.
Weil Morgan dafür unabdingbar ist, bleibt diese solange in Miami und konnte an Chesters Schule einen Platz für Kyle erkämpfen, damit die Jungs zusammen bleiben können.
An diesem Punkt hat sich gezeigt, wie mächtig Geld ist, denn normalerweise vergibt Chesters Schule keinen Platz mitten im Jahr, aber durch eine üppige Spende war es dann doch sehr schnell machbar gewesen.
Jetzt gerade herrscht bei uns zuhause etwas Hektik, weil Chester heute sein erstes Baseballspiel hat und es natürlich kaum erwarten kann.
Bisher hat er immer nur in der Schule gespielt und gelernt, wie man wirft und schlägt. Heute wird es ernst für ihn - so wie er selbst sagt.
Mein Handy klingelt und als ich Jolenes Namen lese, ahne ich nichts Gutes.
»Wo bleibst du?«, frage ich direkt, da wir eigentlich nur noch auf sie warten.
»Ich schaffe es nicht«, antwortet sie entschuldigend.
»Das ist nicht dein Ernst?!«
»Leider doch.«
»Jolene, es ist Chesters erstes Spiel und du hast ihm versprochen dabei zu sein«, erinnere ich sie.
»Ich weiß«, seufzt sie. »Die Verhandlungen mit Hercules Technology Solutions laufen schwieriger als erwartet. Ich kann jetzt hier nicht weg, sonst platzt alles.«
»Ich habe dir gesagt, du sollst den Termin auf einen anderen Tag legen!«, gebe ich bitter von mir.
»Cait ...«
Chester steht vor mir und sieht mich mit seinen grünen Augen treuherzig an. Seine gute Laune scheint verflogen, weil er anhand meiner Reaktion versteht, was der Anruf seiner Mutter zu bedeuten hat.
»Erklär' das deinem Sohn selbst«, sage ich bissig, drücke Chester mein Handy in die Hand und kontrolliere nochmals seine Tasche, um zu gucken, ob er wirklich alles eingepackt hat.
Mit enttäuschter Stimme fragt er nach, wieso sie nicht bei seinem Spiel dabei sein kann. Danach schweigt er lange, bis er sich wieder etwas fröhlicher von ihr verabschiedet.
»Mama hat mir ihr Indianer-Ehrenwort gegeben beim nächsten Mal dabei zu sein«, erzählt er freudig und gibt mir mein Handy zurück.
Enttäuscht sehe ich auf das Display, weil das Gespräch beendet ist und Jolene wohl nicht vorhatte nochmal mit mir zu reden.
Ich atme tief durch, um meinen Ärger beiseite zu wischen. Chester freut sich immer noch auf dieses Ereignis und ich werde ihm seine Stimmung nicht vermiesen, nur weil sich Jolene verplant hat.
Es wäre nicht mal so tragisch, wäre es nicht zum wiederholten Male. In den letzten vier Wochen, seit sie auf Kreuzzug gegen Bilson ist, passiert es fast regelmäßig.
Jolene ist eigentlich kein unzuverlässiger Mensch und auf ihre Versprechen kann man sich normalerweise verlassen, aber in letzter Zeit ist es kaum ertragbar.
Ich verstehe ja, wie wichtig das ist - immerhin geht es um unsere Existenz, aber dann soll sie doch keine Termine an Tagen ansetzen, an denen wir private Unternehmungen geplant haben.
Chesters Euphorie endet nicht und auf dem Weg zum Park, wo das Spiel seiner Schule gegen eine andere stattfinden wird, erzählt er mir aufgeregt, wie man am besten schlägt, um einen Homerun zu erzielen, oder wie man am besten wirft, um den Gegner Strikes zu verpassen.
Ich bin gespannt, ob er seine Theorie auch in die Praxis umsetzen kann und nachher nicht enttäuscht vor mir steht, weil es nicht so funktioniert hat.
In dieser Hinsicht kommt er sehr nach seiner Mutter: Er hat einen ausgeprägt starken Willen und verliert nicht gerne.
Auf dem Parkplatz des Parks herrscht schon reges Treiben. Sämtliche Eltern mit ihren Kindern sind bereits dort; ebenso aus Chesters Mannschaft.
Sein Coach steht dort und wartet, bis alle da sind, ehe wir gemeinsam zu dem Platz gehen. Mit den Kindern verschwindet er in den Kabinen, damit sich diese umziehen können.
Jeder Elternteil feuert das Team seines Kindes und natürlich auch sein eigenes Kind selbst kräftig an. So auch ich.
Chesters Übereifer musste der Coach nach drei Innings etwas bremsen, da Chester immer wieder versucht hat, nach einem nicht ganz so guten Schlag, alle vier Bases zu durchlaufen, anstatt sicherheitshalber auf der zweiten Base stehen zu bleiben.
Außerdem hat er äußerst viel Freude dabei, in die Bases hineinzurutschen, selbst wenn es gar nicht nötig wäre; und das tut er nur, weil das die auch Profis ja auch immer tun.
Seine Würfe aber sind nicht zu verachten und werden vom Coach hörbar gelobt.
»Cait?«, höre ich dann eine weibliche Stimme und drehe mich. »Cait Roberts?«
Es dauert einen Moment, bis ich erkenne, wer mich da bei meinem alten Namen anspricht, den ich schon ewig nicht mehr gehört habe und sich für mich mittlerweile befremdlich anhört.
»Danielle?«, frage ich überrascht und glaube, in dem Gesicht meine beste Freundin aus der High School zu erkennen. Ansonsten ist nicht mehr viel von der Danielle da, die ich noch in Erinnerung habe. Früher war sie ein schlanker, sportlicher Cheerleader. Jetzt aber steht eine korpulente Frau vor mir, die alles andere als sportlich aussieht.
»Wahnsinn!«, sagt sie freudig und umarmt mich fest. »Ich war mir nicht sicher, ob du es wirklich bist, aber eigentlich ist es unverkennbar. Du siehst noch genauso aus, wie damals, nur noch viel hübscher!« Ihre braunen Augen funkeln vor Freude.
»Danke«, gebe ich mit leichter Röte im Gesicht von mir und lächle sie an.
»Meine Güte!«, jauchzt sie und ihr Blick geht zu meinem Bauch.
Natürlich, wenn man eine unverkennbare Babykugel vor sich her schiebt, muss man sich daran gewöhnen, darauf angesprochen zu werden. Vor allem von einer alten Freundin, die einen seit etwa zwölf Jahren nicht mehr gesehen hat. Schließlich waren wir noch Teenager als wir uns das letzte Mal gesehen haben, und Familienplanung lag zu der Zeit noch in weiter Ferne.
»Wie weit bist du?«, fragt sie voller Freude. "Siebter, achter Monat?" Sie gesteht, nicht wirklich überrascht zu sein, mich schwanger zu sehen, da ich schon immer angestrebt habe, eine Familie zu gründen - im Gegensatz zu ihr. Viel mehr freut sie sich, das Glück zu haben, mich so zu sehen.
Ich kann ihre Freude mehr als verstehen, da es mir ähnlich geht und doch fühle ich mich ein wenig überrumpelt, weil sie vollkommen ohne Scheu mit mir umgeht, als wären es keine zwölf Jahre gewesen, die wir uns aus den Augen verloren hatten.
»Ende siebter Monat«, antworte ich mit Stolz in meiner Stimme, der durch mein Grinsen ganz sicher deutlich zum Ausdruck kommt.
»Was wird es?«, fragt sie weiter und sieht mich mit großen, neugierigen Augen an.
Mit einem Schmunzeln zucke ich mit den Schultern.
Überrascht und geschockt gleichermaßen sieht sie mich an. »Wirklich? Du behältst das für dich?« Sie wartet gar nicht auf eine Antwort von mir und kichert. »Du hast dich nicht verändert, was?« Ihr Blick schweift über das Baseballfeld, ehe sie wieder mich ansieht. »Da du hier bei einem Baseballspiel von den Kleinen bist, gehe ich davon aus, das hier ist nicht Kind Nummer eins.«
»Nein«, bestätige ich ihr und deute aufs Spielfeld. »Nummer eins hat gerade einen Strike geworfen«, gebe ich stolz von mir.
»Natürlich spielt er im gegnerischen Team.« Als wäre sie enttäuscht, verdreht sie die Augen.
»Und wir machen euch gerade fertig«, setze ich provozierend nach und grinse sie an. Sie erwidert das mit einem Lachen.
»Ich bin mit Nummer zwei hier«, berichtet sie und deutet auf einen Jungen, der eher gelangweilt an der Seite steht und darauf wartet, auch zum Schlag kommen zu dürfen. »Nummer eins und drei sind bei meinen Eltern.«
Überrascht schießt mein Blick zu ihr. »Drei Kinder?«
Als hätte ich eine Wunde aufgerissen, verdreht sie genervt die Augen und erzählt mir, was sie seit damals alles erlebt hat.
Schon bereits im ersten Jahr auf dem College ist sie nach einer Party mit einem anderen Studenten im Bett gelandet und der hat zu ihrem Unmut auch noch direkt getroffen.
Allerdings hatte er weder an ihr, noch an dem Kind Interesse und verleugnete es vehement. »Bis heute führe ich Rechtsstreits gegen ihn, weil er sich weigert Unterhalt zu zahlen«, erzählt sie und bezeichnet ihn als schmierigen, arroganten Briten. »Er denkt auch, nur weil er wieder in Europa ist, befreit ihn das von seinen Pflichten«, schimpft sie hinterher und gesteht, nicht nachvollziehen zu können, wieso sie überhaupt mit ihm in die Kiste ist. Mit einer Handbewegung winkt sie ab und schiebt es auf den Alkohol, wegen dem sie ganz sicher nicht bei klarem Verstand war.
»Vor drei Jahren habe ich mich von meinem letzten Mann scheiden lassen«, sagt sie, nachdem sie mir den Rest ihrer Geschichte erzählt hat. »Seit dem bin ich wieder in Miami.«
Zwei gescheiterte Ehen und drei Kinder von drei verschiedenen Männern. Das überrascht mich aber wenig. Danielle war noch nie zurückhaltend, hat immer schnell Freunde gefunden und ist von einer Beziehung in die nächste gestolpert.
»Du hast dich nicht verändert, was?«, werfe ich ihre Frage amüsiert zurück.
Danielle schüttelt schmunzelnd den Kopf. »Und du? Wie ist es dir so ergangen in den letzten zwölf Jahren? Ich habe immer mal wieder versucht, Kontakt zu dir aufzunehmen, aber deine Nummer hat sich wohl geändert. Meine Eltern fragen immer noch nach dir. Sie haben dich sehr vermisst, nachdem du bei ihnen ausgezogen bist, weil du dich nicht mehr gemeldet hast.«
»Ja«, sage ich und seufze. »War nicht einfach und ist kompliziert.« Weil ich aber nicht über die Zeit mit Martin reden möchte, wechsle ich das Thema in eine schönere Richtung und halte meine linke Hand nach oben, an der sich mein Ehering befindet. »Ich heiße seit vier Jahren nicht mehr Roberts, sondern Reid«, berichte ich stolz.
»Reid?«, fragt sie überrascht und beginnt dann zu lachen. »Dieser Name verfolgt mich.« Fassungslos schüttelt sie den Kopf und erntet einen fragenden Blick von mir. »Das Unternehmen, in dem ich arbeite, wird zur Zeit von einem anderem Konzern übernommen«, beginnt sie nach einem tiefen Schnaufen zu erzählen; und auch, dass es erhebliche Änderungen beim Personal geben wird und sie ihre Stelle wahrscheinlich verliert.
Während sie mir davon berichtet, kommt Chester angerannt, der die letzte Pause des Spiels dazu nutzt, etwas zu trinken.
Außer Atem und aufgeregt steht er vor mir und berichtet von seinen Erfolgen. Aufmerksam höre ich ihm zu, obwohl ich das Spiel trotz der Unterhaltung mit Danielle ausgiebig verfolge.
Ein zweiter Junge stößt zu uns und entpuppt sich als Danielles siebenjähriger Sohn Eugene.
Die Jungs beäugen sich musternd, während sie trinken; immerhin spielen sie heute gegeneinander und dürfen wohl nicht miteinander reden ... oder so.
»Die Inhaberin des Konzerns heißt auch Reid«, berichtet Danielle dann weiter, nachdem die Kinder versorgt sind. »Aber da es ein häufiger Name ist, denke ich nicht, dass du mit dieser Frau verwandt bist. Das wäre wirklich ein großer Zufall.« Lachend tätschelt sie meine Schulter.
Wenn sie nur wüsste ... innerlich schmunzle ich ein wenig.
»Redet ihr über Mama?«, fragt Chester dann aber neugierig.
Danielle lacht erneut. »Nein.«
»Ja«, sage ich zur selben Zeit und Danielles geschockter Blick schießt zu mir; ihr Lachen verstummt augenblicklich. »Sie ist meine Frau«, kläre ich sie auf.
»Deine ... Frau?« Wild blinzelt sie mich an. »Unmöglich«, bleibt sie ungläubig.
Mit einem schüchternen Lächeln sehe ich sie an.
»Rote, lange Haare und stechender Blick?«, hakt sich sicherheitshalber nach.
»Ja«, antworte ich erneut. »Jolene Reid. Meine Frau.«
»Okay, Danielle. Du solltest jetzt den Mund halten«, sagt sie zu sich selbst und bringt mich damit zum Lachen.
»Du kannst offen reden«, sage ich schmunzelnd. »Sie ist auch meine Chefin. Ich weiß also sehr gut, wie sie sein kann.«
Ungläubig sieht mich Danielle an. »Wenn du mit ihr verheiratet bist, scheint sie ja doch etwas menschliches an sich zu haben.«
Wieder lache ich. »Es tut mir leid. Neben ein paar anderen Faktoren bin ich auch nicht ganz unschuldig an ihrer momentanen Laune.« Bedeutungsvoll streiche ich über meinen Bauch. »Seit ich schwanger bin, ist sie schneller gereizt und biestiger als sonst.«
Ihr skeptischer Blick bleibt bestehen, während er über meinen Körper wandert, ehe sie mir wieder in die Augen sieht.
»Sie hat damals das Unternehmen, in dem ich gearbeitet habe, auch übernommen«, erzähle ich. »Jetzt bin ich Geschäftsführerin.«
Endlich lacht Danielle wieder. »Dann leg' doch mal ein gutes Wort für mich ein. Ich nehme die Stelle der Geschäftsführung von HTS auch gerne ein«, scherzt sie.
»Oder du kommst nächste Woche zu meinem Geburtstag und überzeugst sie selbst davon«, schlage ich ihr zwinkernd vor.
»Der 13. März. Ich habe deinen Geburtstag nie vergessen.« Sie lächelt mich an und nickt. »Ich nehme die Einladung gerne an.«
Schließlich tauschen wir auch noch unsere Nummern aus, damit wir uns nicht mehr aus den Augen verlieren und uns verabreden können.
Dann aber müssen wir uns um unsere Kinder kümmern, weil das Spiel beendet ist.
Während Danielles Sohn mit enttäuschter Miene eher angeschlurft kommt, zeigt sich auf Chesters Gesicht ein freudiges Strahlen.
Sein Team hat dieses Spiel gewonnen, was auch ein wenig Chesters Übereifer geschuldet ist; denn der hat die meisten Runs absolviert und die Gegner mit seinen Würfen ganz schön in den Schatten gestellt.
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