[Achtundachtzig] - Reid-Mode on
Diese eine Stunde, die es dauert, bis die Officers des NCIS mit Jolene zurückkommen, kommt mir wie eine Ewigkeit vor. Immer wieder geht mein Blick zur Uhr und jede Minute fühlt sich wie eine Stunde an.
Ich bin unsagbar ungeduldig und kann einfach nicht ruhig sitzen bleiben. Um mich irgendwie zu beschäftigen, gehe ich nach oben und sammle sämtliche Wäsche zusammen, die gewaschen werden muss. Viel ist es nicht, weshalb ich auch beginne, unser Bett abzuziehen, damit die Waschtrommel nicht ganz so leer ist.
Zumindest ist dies mein Vorhaben, aber es ist Cormack, der mich davon abhält, damit ich mich nicht zu sehr anstrenge.
Mein etwas giftiges »Ich bin schwanger und nicht krank!« hält ihn nicht davon ab, mir diese Arbeit abzunehmen.
Dann endlich kommt die Erlösung, als unsere Haustür geöffnet wird und ich in Jolenes Gesicht mit diesem wunderschönen Lächeln sehe.
Mir ist egal, von wie vielen Leuten wir gerade umgeben sind, und werfe mich regelrecht in ihre Arme. Fest drücke ich sie an mich, damit sie mir keiner wieder entreißen kann. Und da ich nah am Wasser gebaut bin, fließen natürlich auch direkt die großen Tränen der Freude.
Jolene erwidert meine Begrüßung sofort und drückt ihre Lippen in mein Haar.
»Hab' doch gesagt, ich bin nicht lange weg«, gibt sie amüsiert von sich.
Empört boxe ich ihr leicht gegen den Bauch und sehe sie entsprechend tadelnd an.
»Da gingst du aber noch davon aus, dass dich Amber mit einem Schnipsen direkt wieder rausholt.«
»Ja«, gibt sie zu, »aber ich hatte auch nicht damit gerechnet, dass sie direkt zu ihrem Ex-Mann rennt, wenn ihr die Hände gefesselt werden.«
»Er war der einzige, der ...«, beginne ich, werde aber unterbrochen, weil sie mein Gesicht mit beiden Händen umgreift und ihre Lippen auf meine legt.
»Ich regle das schon«, flüstert sie und lächelt mich an, während sie mir direkt in die Augen sieht.
»Nein, diesen Deal habe ich verursacht, also werde ich das auch ...«
»Ich regle das«, wiederholt sie eindringlicher, aber mit bleibend sanfter Stimme und liebevollem Lächeln. Dann nimmt sie mich wieder in den Arm und sieht sich im Raum um.
Ich schließe meine Augen und lausche ihrem Herzschlag, weil ich auf ihre Reaktion warte, wenn sie Heather erblickt.
Unerwartet bleibt eine Reaktion aber aus. Entweder, es geht für sie wirklich in Ordnung, dass sich ihre alte Freundin in unserem Haus befindet, oder aber Jolene weiß es gut zu verbergen.
Weil die Kinder die ganzen Stimmen hören, werden sie von der Neugier zu uns runter getrieben.
Chester reagiert freudig, als er seine Mutter erblickt und legt seine Arme fest um sie.
»Und wo ist meine Mom?«, fragt Kyle und sieht uns mit seinen großen, grünen Augen an.
Jolene sieht mich überrascht an, weil sie ihn hier wohl nicht erwartet hat, erklärt ihm aber, dass sie auch erstmal nach Hause ist, wohl aber in Kürze bei uns auftauchen wird, um ihn ebenfalls in die Arme zu schließen.
Kyle atmet erleichtert aus und grinst wieder. Diese Antwort scheint ihm ausreichend und er lässt sich ohne zu zögern von Chester wieder nach oben dirigieren, um weiterzuspielen.
»Wir haben ein weiteres Problem«, offenbart Jolene, als die Kinder außer Hörweite sind und sieht uns alle der Reihe nach an. »Bilson hat dafür gesorgt, dass Morgans Abschluss am MIT angezweifelt wird.«
»Was?!«, frage ich.
»Solange ihr Abschluss angezweifelt wird, darf sie nicht mehr als Bankerin tätig sein, und alles, was sie bisher getan hat, wird in Frage gestellt. Bedeutet, die Bank bleibt solange geschlossen und die Konten eingefroren, bis das geprüft ist. Damit sind alle, die dort ein Konto haben gerade mittellos.«
Geschockt sehe ich sie an, weil ich sofort begreife, was genau das für uns zu bedeuten hat. Nicht nur BNS, CaddySign, Ambers Kanzlei und all die anderen Unternehmen sind davon betroffen, sondern auch unsere privaten Konten.
»War deshalb nicht einfach, sie rauszubekommen, weil das nicht in unsere Zuständigkeit fällt, aber es ist auch kein Grund, jemanden deshalb einzusperren, ohne unwiderlegbare Beweise zu haben«, berichtet General Harvey. »Ich werde mich darum kümmern, dass dieser Missstand ganz schnell behoben wird. Mein Schwager sitzt in der Prüfungskommission von Harvard. Er kennt ganz sicher jemanden beim MIT, der uns die Antwort schnell geben kann.«
Auch wenn mich das ein wenig erleichtert, reibe ich mir seufzend durchs Gesicht. Das ganze nimmt weitreichende Ausmaße an, die unsere gesamte Existenz bedroht. Nicht nur die von Jolene und mir, sondern von uns allen. Morgan, Amber, Cormack, Ian und Brandon. Meinem Bruder, meiner Mutter und auch Naddy. Ganz zu schweigen von all den Unternehmen und deren Angestellte, wenn diese nicht mehr bezahlt werden können.
General Harvey muss also schnell handeln, bevor das ganze wirklich Auswirkungen hat.
»Na, schön«, sagt Heather und kommt auf uns zu. »Ich werde dann mal ein paar Anrufe tätigen. Green und Hanks behalten derweil Bilson im Auge, und General Harvey kümmert sich um den Abschluss deiner heißen Cousine.« Sie grinst Jolene an, während sie die letzten zwei Worte spricht. »Und wenn das ganze hier erledigt ist, erwarte ich ein Abendessen mit dir; und zwar unmittelbar und nicht erst in 21 Jahren.« Jetzt zwinkert sie frech. »Ist mit deiner Frau bereits geklärt«, fügt sie noch hinzu und verlässt schließlich unser Haus - gefolgt von den drei Männern der Navy.
Musternd, aber auch skeptisch sieht mich Jolene mit gehobener Augenbraue an. »Ist mit meiner Frau bereits geklärt?«
»Sie will nur ein klärendes Gespräch«, erkläre ich ihr.
»Keine neue Forderung?«, fragt sie verwundert.
»Die neue Forderung ist, dass sie dafür nicht 21 Jahre warten muss.«
Jolene grinst mich an. »Ich wusste, du handelst das Beste heraus«, sagt sie stolz, zieht mich wieder näher zu sich, um mich zu küssen.
Aus dieser Innigkeit, die mir die letzten zwei Tage so sehr gefehlt hat, werden wir durch Ians starkes Räuspern gerissen.
»Ich störe nur ungerne eure Wiedervereinigung, aber wir haben hier noch etwas, über das wir reden müssen«, sagt er mit strenger Stimme und deutet auf Jolenes Computer. »Du hast nicht nur über Bilson recherchiert.«
»Parker Evans«, sagt Jolene wissend und nickt. »Morgans Vater.« Sie lässt von mir ab und geht auf Ian zu, wo sie sich gegen ihren Schreibtisch lehnt.
»Was hat er mit dieser Sache hier zu tun?«, hakt er nach.
»Gar nichts«, antwortet Jolene und verschränkt ihre Arme vor der Brust. »Aber er wird mein Joker sein. Dieser Krieg hier endet bald. Ein für alle Mal.« Nicht nur ihre Stimme ist fest, auch ihr Ausdruck ist von absoluter Sicherheit geprägt.
Verwundert sehen wir sie alle an.
»Was hast du vor, Jolene?«, fragt Ian skeptisch.
Jolene dreht sich, stützt sich auf ihrem Schreibtisch ab und öffnet diesen Fileserver, in dem sich die Akte von Morgans Vater befindet. »Er war 1994 im Einsatz in Somalia.«
»Haben wir gelesen«, sagt Ian.
»Bilson auch«, ergänzt sie und sieht uns an.
Geschockt weiten sich unsere Augen.
»Und mein Vater war auch dort.« Sie stellt sich wieder gerade hin und verschränkt erneut die Arme vor der Brust. »Sie waren in derselben Einheit.«
Natürlich ist das auch für mich kein Zufall, aber ich verstehe immer noch nicht, wie uns das gegen Bilson helfen soll.
»Du zweifelst den Tod von Parker Evans im Einsatz an?«, fragt Ian und mustert Jolene ausgiebig.
»Ich zweifel das nicht nur an, ich weiß, dass mein Vater und Bilson für den Tod von Parker Evans verantwortlich sind und es kein Anschlag der Feinde war, so wie es in der Akte steht«, antwortet sie und deutet sinnbildlich auf den Monitor. Dann sieht sie mich mit ernstem Ausdruck an. »Darum wollte ich Heather hier haben. Sie kann mir die Beweise dafür besorgen.«
Ich erwidere ihren Blick und bin erschrocken über das, was sie da gerade von sich gegeben hat. Als würde es nicht reichen, was Morgan vor wenigen Jahren über ihre Mutter erfahren hat, muss sie jetzt den nächsten Schlag einstecken. Mutter und Vater durch den eigenen Onkel verloren zu haben ... wie wird selbst eine Morgan darauf reagieren und damit umgehen?
»Weiß Morgan, dass du Recherchen über ihren Vater anstellst? Und weiß sie, was du da herausgefunden hast?«
»Nein.«
»Wirst du es ihr sagen?«, frage ich unsicher weiter. Denn ich fürchte mich wirklich davor, dass diese Sache der Beziehung der beiden einen Knacks bescheren könnte. Ich kann Morgan dahingehend nicht einschätzen. Vielleicht wird es ihr egal sein, vielleicht aber wird sie wütend sein, weil Jolene das hinter ihrem Rücken getan hat, und wenn das passiert, weiß ich nicht, wie es sein wird, wenn sich diese zwei starken Charaktere gegeneinander stellen. Zwar erweckt es immer den Anschein, als hätte Jolene die Oberhand, aber ich weiß auch, Morgan kann ganz anders, und wenn es hart auf hart kommt, unterscheiden sie beide nicht zwischen Freund und Feind.
»Sobald sie wieder hier ist«, versichert Jolene und lächelt, um mir meine Angst vor dem Worst-Case zu nehmen. »Ich muss mich da wirklich am wenigsten vor ihr fürchten. Andere dafür umso mehr«, fügt sie hinzu, als hätte sie mal wieder meine Gedanken lesen können.
Wie das so ist, wenn man vom Teufel spricht, stößt dieser dann auch zu uns; in Form von Morgan, die das Haus betritt, nachdem ihr Cormack die Tür geöffnet hat. Und ich glaube, die Bezeichnung Teufel ist auch nicht weit hergeholt, wenn ich ihre Laune richtig erkenne.
»Wo ist mein Sohn?«, fragt sie mit erdrückender Stimme.
Wortlos deute ich nach oben.
»Gut«, sagt sie und kommt auf uns zu.
Selten sehe ich Morgan so ernst. Sie ohne ihr Schmunzeln zu sehen, ist sogar unwahrscheinlicher, als von einem Blitz getroffen zu werden. Umso mehr zeigt es, wie sauer sie über diese Situation und die Handlung von Bilson ist.
»Ich werde diesen Scheißkerl eigenhändig kastrieren und ihn mit seinen eigenen Eiern derart knebeln, dass er an seiner eigenen Kotze erstickt«, knurrt sie wütend.
»Wie wär's, wenn du zwei Scheißkerle kastrierst und sie mit den Eiern des jeweils anderen knebelst?«, spricht Jolene und wendet sich ihrem Computer zu. Sie klickt einen Moment herum, ehe sie das Tablet nimmt, es entsperrt und es Morgan entgegenhält.
Sie hat die Akte von Parker Evans auf dieses übertragen und konfrontiert ihre Cousine ohne Umschweife damit.
Morgan sieht Jolene fragend an, während sie das Tablet entgegen nimmt und sich ansieht, was dort geöffnet ist.
Gespannt beobachten wir alle ihre Miene, während sie das liest, und wir erkennen, wie sich ihr Ausdruck immer mehr verhärtet und finsterer wird.
»Du denkst, mein Vater ist nicht gefallen, sondern wurde aus den eigenen Reihen ermordet?«, schlussfolgert sie aus Jolenes Recherche und kommt zu dem gleichen Gedanken, wie ihre Cousine auch schon.
Diese nickt lediglich und verschränkt abermals ihre Arme vor der Brust.
Jetzt zucken Morgans Mundwinkel dann doch, wenn auch kaum merklich, aber doch diabolisch. »Deswegen ist diese Heather wieder hier«, sagt sie und gibt Jolene das Tablet zurück. »Dein Vater wird sich wünschen, nie gelebt zu haben«, spricht sie warnend und mit solch einer bösen Tonlage, wie ich sie von Morgan noch nie gehört habe. »Ich werde ihm vor Augen führen, dass die Welt hier draußen um so vieles bösartiger ist, als alles, was er aus seiner kleinen Blase kennt. Dieser Scheißkerl wird sich in den verwesten Überresten seines Lebens suhlen, wenn ich mit ihm fertig bin.« Sie zückt ihr Handy und beginnt, darin herumzutippen.
Das ist eine Ansage.
Und ich kann gerade wirklich nicht ausmachen, vor wem ich mich am meisten fürchten würde. Jolene oder Morgan?
Zur Abwechslung ist es nämlich Morgan, die ihre Gedanken und Gefühle klar zum Ausdruck bringt, während Jolene gar nichts davon erkennen lässt. So gelassen und unbeeindruckt sie aber tut, ist sie nicht. Ihre Worte, dieser Krieg werde bald enden und zwar ein für alle Mal, waren ebenso unmissverständlich.
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