Kapitel 37 - Ein normales Leben
Sherlock und John saßen in dem Taxi, was Sherlock gerufen hatte, während John sich angezogen hatte und sahen beide aus dem Fenster. Sherlock sah auf die Häuser, die am Fenster vorbeizogen. Er musste sich zusammenreißen, nicht dauerhaft zu lächeln. Letzte Nacht war unglaublich gewesen. Jede Berührung, jeder Blick war aus Liebe gewesen.
Liebe.
Was für eine seltsame Emotion sie doch war. Etwas, was früher immer als schlecht und dumm erklärt wurde, doch sich in den letzten Jahren als das Wichtigste in Sherlocks Leben herausgestellt hatte. Ohne John hätte er wieder angefangen, seinen Körper und sich weg zuwerfen. Er hätte wieder Drogen genommen. Aus dem einfachen Grund, dass niemanden es gekümmert hätte.
Doch John war es nicht egal gewesen, was er tat. Er unterschied sich von Donovan und Anderson so sehr. Mrs Hudson war die erste gewesen, die ihn toleriert hatte. Doch John, mit ihm hatte er einen Freund gehabt. Zum ersten Mal in seinem miserablem Leben hatte er einen Freund. Warum er sich darum gekümmert hatte, was jemals mit Sherlock passieren würde, hatte dieser bis jetzt immer noch nicht verstanden. Wieso war es John wichtig, dass Sherlock nicht rauchte? Wieso war es ihm wichtig, dass er etwas aß, oder dass es ihm gut ging?
Und dann hatte John es zum ersten Mal gesagt. "Ich liebe dich." Die drei Wörter, die Sherlocks Herz zum Stillstand gebracht hatten. Doch er hatte sie nicht zu ihm gesagt, sondern zu seinet damaligen Freundin. Jane oder so. Und Sherlock hatte nur zufällig danebengestanden. Doch es hatte tatsächlich wehgetan, dass diese Worte nicht zu ihm gesagt worden waren.
Sherlock hatte John schon lange geliebt. Doch John hatte nur mit Frauen eine Beziehung geführt. Und dann hatte Sherlock einmal nicht aufgepasst, und schon hatte er John ein Liebesgeständnis geliefert.
Es war sehr überraschend gewesen, als Sherlock von seinem drei Tage langem Koma aufgrund des silbernen Autos aufgewacht war und John gesehen hatte. Und die Trauer in seinen Augen. Und das Glück, ihn wach zu sehen.
John war glücklich, dass Sherlock noch am Leben war. Ebenfalls eine neue Erfahrung. Sehr ungewohnt. Doch spätestens, als John den Bombengürtel Moriartys getragen hatte, hatte Sherlock zum ersten Mal Angst gehabt. Angst um das Leben von John.
Liebe brachte in vieler Hinsicht Stärke. Doch auch Angst. Besonders bei ihrem gemeinsamen gefährlichem Leben.
Die Albträume waren ein weiterer Nebeneffekt dieser Angst. Es passierte immer häufiger, dass Sherlock aufwachte und sich beruhigen musste, weil John vor ein paar Sekunden noch tot in seinen Armen gelegen hatte. Kalt und leblos, während Sherlock ihn wimmernd anflehte, wieder aufzuwachen.
"Sherlock?", fragte John. Sofort riss sich Sherlock aus seinem Gedankenpalast heraus, und damit auch aus den Gedanken über die Albträume. John war am Leben, John ging es gut.
"Hmm?", fragte er und drehte seinen Kopf zur Seite. John starrte ihn an, ohne etwas zu sagen. "Was ist denn?"
John lehnte sich nach vorne und strich mit seinem Daumen über Sherlocks Wange. Sherlock erstarrte, als er bemerkte, dass John dabei war, Tränen wegzustreichen.
"Tut mir leid", sagte Sherlock leise. Er durfte nicht weinen. Wieso tat er es, wenn er in seinem Gedankenpalast war? Oder besser, seit wann tat er es? Das war vorher niemals so gewesen.
"Sherlock, keine Entschuldigungen", sagte John. Sherlock warf ihm einen verwirrten Blick zu. "Du wirst mir nachher, wenn unser Treffen mit Mycroft zuende ist, genau erzählen, was dir solche Angst macht." Sherlock öffnete seinen Mund kurz, schloss ihn wieder und legte seinen Kopf auf Johns Schulter.
"Ich kann nicht wirklich gut über sowas reden", sagte er. John legte seine Hand an Sherlocks Brust. Sherlock hob seinen Kopf an und sah ihm in die Augen. John beobachtete ihn mit einem liebevollen Lächeln.
"Das weiß ich", antwortete er. "Doch du kannst nicht einfach vor solchen Dingen wegrennen. Ich kenne alle deine Seiten, Sherlock, und ich bin stolz darauf." Johns Hand blieb kurz auf seiner Brust liegen, dann legte er sie zurück. Sofort griff Sherlocks eigene Hand danach und drückte die Johns feste.
John sah ihn lange an, dann hob er Sherlocks Arm an und küsste seinen Handrücken. Sherlock schloss die Augen. John wusste, dass er Angst hatte. Das war nicht wirklich etwas Gutes. Er hatte ihm zwar mehrmals gesagt, dass Angst etwas natürliches war, doch Sherlock konnte es einfach nicht begreifen.
Das Taxi hielt an, John und Sherlock stiegen aus und John bezahlte den Fahrer. Dann gingen sie Hand in Hand auf das große Haus zu, in welchem Mycroft wohnte.
~
Das Treffen mit Mycroft dauerte nicht länger als eine halbe Stunde. Trotzdem kam es John wie eine Ewigkeit vor. Er musste mit Sherlock alleine sprechen. Er gab zu, er machte sich große Sorgen um ihn. Der Fakt, dass Sherlock wieder begonnen hatte, sein Herz vor ihm zu verschließen, war schrecklich. Wenn es so weitergehen würde, würde Sherlock John am Ende nur wieder wegdrängen.
Doch schließlich hatte das Treffen ein Ende gefunden, sie hatten sich von Mycroft verabschiedet und waren jetzt wieder an der Baker Street angekommen. Als sie die Wohnung betraten, legte Sherlock seinen und Johns Mantel ab und hing ihn an die Garderobe.
"Sherlock?", fragte John langsam. Sherlock drehte sich lächelnd zu ihm um. Das Lächeln war falsch.
"Ja?", fragte er. John seufzte.
"Wir werden miteinander reden und zwar jetzt", entschied er. Sherlocks Lächeln verschwand sofort. Jetzt sah er ihn eher schuldbewusst an, wie ein kleines Kind, das eine Vase fallengelassen hatte. Er stieg die Treppe hinauf und ging ins Wohnzimmer.
Dort setzten sie sich beide auf da Sofa. Zuerst starrten Sherlock ihn eine Weile an, dann erst bemerkte John, dass er darauf wartete, dass John ihm Fragen stellen würde.
"Zuerst musst du mir versprechen, dass du vollkommen ehrlich zu mir bist", sagte John. Sherlock zögerte kurz, dann nickte er. "Gut. Ich werde Fragen stellen, du wirst sie beantworten." Sherlock nickte abermals. "Meine erste Frage ist über die Albträume. Was passiert in ihnen?"
Sherlock schluckte kurz, dann senkte er seinen Kopf. "Es fängt meistens mit einer ganz normalen Situation an. Du und ich sitzen hier in der Baker Street und machen etwas Alltägliches. Manchmal trinken wir Tee, manchmal reden wir über einen Fall. Und dann... verändert sich alles", sagte er. John sah ihn an und schenkte ihm kurz ein aufmunterndes Lächeln.
"Inwiefern verändern? Was passiert?", fragte er neugierig. Sherlock sah ihn immer noch nicht an.
"Nun, plötzlich bin ich wieder... dort. Bei Moran", sagte Sherlock. John musterte ihn entsetzt. "Und Sebastian tut etwas."
"Was denn?", fragte John sanft. Es war seltsam, von solchen Träumen zu hören, wenn man sie nicht selbst erlebte.
"Es ist immer etwas anderes. Mal zieht er eine Pistole, mal hat er ein Messer in der Hand...", flüsterte Sherlock. "Was immer passiert, er benutzt es um... um..." Sherlock holte tief Luft. "Er tötet dich, John. Er nimmt dir das Leben und ich kann nichts dagegen tun." Jetzt schaute Sherlock ihm in die Augen und John sah Verzweiflung. Pure Verzweiflung.
"Und ich habe Angst, dass eines Tages genau dies passieren wird. Und dass ich nicht aufwachen werde."
John starrte ihn lange an, dann beugte er sich zu ihm und drückte sich an ihn. Er spürte, dass Sherlock zitterte. Diese Worte mussten für ihn schwer gewesen sein. Niemand gab gerne seine größte Angst frei. Besonders Sherlock.
"Ich...", flüsterte Sherlock weiter. "Ich habe manchmal Angst, dich zu verlieren. Ich kann mir ein Leben ohne dich nicht vorstellen, John, du bist alles, was ich habe." Jetzt war sich John ziemlich sicher, dass Sherlock weinte. Wirklich weinte. Sherlock!
Er löste sich aus der Umarmung und sah Sherlock an. Tatsächlich rannten an Sherlocks Wangen Tränen herunter. Viele. Viel mehr als vorher. John hatte ihn noch nie so zerstört erlebt. Auch, wenn er nicht mehr in Sebastians Zelle war, hatte dieser es dennoch geschafft, ihn zu zerbrechen.
Sherlock vergrub sein Gesicht in seinen Händen. "Es - tut - mir - leid", wisperte er, während er leise schluchzte. "Bitte, John, bitte verlass mich nicht. Dafür bin ich nicht stark genug." John starrte entsetzt auf seinen Verlobten, den sonst so unzerstörbaren Mann, seinen so wunderbaren Engel.
Wenn Sebastian nur tot wäre. Noch nie hatte John eine Person so sehr gehasst wie ihn. Sebastian würde noch bezahlen.
Aber jetzt war Sherlocks Wohlergehen das Wichtigste in Johns Leben. Verdammt, er konnte es nicht ertragen, ihn so zu sehen.
"Sherlock...", begann er. Er überlegte, was er sagen könnte. Sherlock brauchte ihn jetzt mehr als sonst, doch er musste ihn mit mehr als nur Armtätscheln aufmuntern können. Es gab fünf Wörter, von denen sich John sicher war, dass sie Sherlock noch niemals gesagt wurden. Doch er musste sie hören. "Ich bin stolz auf dich", flüsterte er.
Sherlocks Kopf hob sich leicht an und er sah John in die Augen. John beobachtete ihn. Sherlock weinte noch immer. Es war schrecklich mit anzusehen. Jeder Schluchzer war herzzerreißend und tat John weh.
"Ich bin so unendlich stolz auf dich, du bist mein ein und alles und ich liebe dich wirklich sehr", flüsterte John. Sherlock sah ihn lange an. Dann drückte John ihn an sich. Sherlock weinte sanft in Johns Pullover und John wiederholte die Worte immer wieder. "Ich liebe dich. Ich bin so stolz auf dich. Mein tapferer Mann. Du wunderschöner Otter. Du einzigartiger Engel. Mein brillianter, tapferer Mann."
"John", wimmerte Sherlock in Johns Schulter. "Es - tut - mir - leid." John schüttelte sanft den Kopf.
"Keine Entschuldigungen, Sherlock, bitte", murmelte er. "Liebling, du wirst immer bei mir Halt finden, wenn du nur danach fragst. Dafür bin ich da. Und ich werde dich nicht verlassen."
Sherlock atmete ein paar Mal tief ein und aus, dann löste er die Umarmung, drehte sich um und legte seinen Kopf auf Johns Schoß. "Mein John", murmelte er zurück. "Mein atemberaubender kleiner Igel, mein Herz, meine bessere Hälfte." John lächelte und strich mit seinen Fingern durch das lockige Haar. "Ich liebe dich auch."
John legte seine Hand an die Sherlocks und sie verkreuzten ihre Finger miteinander. "Schlaf ein wenig. Falls du Albträume hast, ich bin hier bei dir." Sherlock nickte bereits müde.
"Du gehst nicht?", flüsterte er. John schüttelte den Kopf. Sherlock schloss seine Augen und kuschelte seinen Kopf an Johns Schoß.
Verdammt, Sherlock war wirklich unglaublich gutaussehend, auch wenn er schlief. Doch John konnte dieses Bild nicht vergessen. Sherlock Holmes, der gebrochene Consulting Detectiv. Er brauchte John mehr als jemals zuvor. Und diesmal würde sich John von nichts blenden lassen. Nicht von Mary, nicht von falschen Nachrichten.
Gott, er liebte diesen Otter wirklich sehr. Und so schwer es auch am Anfang war, es zuzugeben, er wäre verloren ohne ihn. Doch die Offenheit, die ihm gerade geboten worden war, war ein verdammt riesiger Liebesbeweis. Sherlock weinte niemals. Eine Träne an seiner Wange, vielleicht, doch so sehr und so stark sonst nie. Diese Verwundbarkeit war etwas, was offenbar nur John sehen durfte.
John ließ seine Hand durch das schwarze, gelockte Haar fahren. Es war nicht zu übersehen gewesen, dass Sebastian Sherlocks Körper Schmerzen angetan. Doch wenn er es geschafft hatte, Sherlocks starke Psyche zu durchbrechen, dann konnte man sich vorstellen, dass er mit Moriarty verheiratet gewesen war.
John seufzte. Sherlock war menschlicher geworden. Doch auch verletzlicher. Vielleicht hatte Molly Recht. Ihr Zusammenleben brachte Sherlock nur Leid und Schmerz. Manchmal wünschte sich John tatsächlich ein normales Leben. Nur Sherlock und er, in einem normalen Haus. Doch dann erinnerte er sich daran, dass sie beide nicht ohne Gefahr leben könnten.
Gefahr war in Ordnung, aber Folter war einfach nur unmenschlich. Wenn John Sebastian noch einmal sehen würde, würde er ihn am liebsten töten. Verdammter Sebastian.
Schnell überlegte John. Er musste es doch irgendwie schaffen, dass Sherlock wieder etwas selbstbewusster werden würde. Zur Not auch noch wieder der Angeber und der Wichtigtuer, der er früher war.
Und dafür fiel John nur eine Möglichkeit ein. Er und Sherlock müssten wieder richtige Fälle annehmen.
Die Terrorwarnung war bisher bloß ein Nebenfall, noch gab es keine klaren Informationen. Doch Sherlock brauchte wieder das Jagen eines Kriminellen oder das Deduzieren von Verdächtigen.
Sherlock und John mussten wieder Fälle annehmen. So wie früher. John lächelte.
Sherlock bewegte sich plötzlich, drehte sich zu John um und blinzelte ihn an.
"Hallo", sagte John. Sherlock lächelte ihm zu. "Sherlock, ich hatte gerade eine Idee."
"Oh Gott", antwortete Sherlock nur. John verdrehte die Augen.
"Wie wäre es, wenn du und ich wieder Fälle annehmen, wie früher? Ich muss sagen, ich vermisse es ein wenig, mit dir durch London zu rennen und Spuren nachzugehen", sagte er. Sherlock setzte sich sofort auf.
"Wirklich?", fragte er. John nickte aufmunternd. Auf Sherlocks Gesicht breitete sich ein Grinsen aus. "Wundervoll! Danke!", rief Sherlock und küsste John sanft auf die Wange.
"Ganz ruhig", sagte John lachend und zog sein Handy aus der Tasche. "Such dir ein paar Klienten aus."
Sherlock grinste. Sofort tat John es ihm gleich. Sein Plan würde funktionieren. Sherlock konnte Fällen nicht widerstehen und sie würden ihn sicher helfen, die schrecklichen Albträume loszuwerden.
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Tagchen! Wie geht's euch so? Tut mir leid, dass ich etwas länger nicht aktualisiert hatte, doch ich bin gerade in Spanien und mache Urlaub!
Hoffentlich hat euch das Kapitel gefallen, das nächste könnte ebenfalls etwas länger dauern, also schon einmal 'Tut mir leid' im Vorraus!
Wiiprinzess ♡
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