Kapitel 32 - Nein, ich will nicht?
Am nächsten Morgen wachte Sherlock spät auf. Als er sich aufsetzte, fühlte sich sein Kopf an, als hätte jemand mit Hämmern darauf herumgeschlagen. Sherlock stöhnte auf. Er konnte sich nur noch an Bruchstücke des letzten Abends erinnern. Oh Gott, was hatte er nur angestellt?
Er stand auf und ging leicht schwankend in die Küche. Dort stand bereits John und deckte den Tisch. Als er Sherlock sah, hellte sich seine Miene sofort auf.
"Hey", sagte er und ging auf Sherlock zu, welcher sich auf den Stuhl setzte. "Wie fühlst du dich?"
"Grauenvoll. Ich habe einen Kater", murmelte er. John betrachtete ihn besorgt und legte seine Hand an Sherlocks Schulter. "Habe ich gestern... irgendetwas gesagt, was ich nicht hätte sagen sollen?", fragte Sherlock.
Johns Augen weiteten sich und er schluckte. Dann schüttelte er den Kopf. "Nein", sagte er. "Du hast dich ziemlich normal verhalten, keine Sorge." Sherlock warf ihm einen zweifelnden Blick zu.
"Was ist passiert?", fragte er langsam. John kratzte sich verlegen am Kopf.
"Nun, du hast angefangen, herumzurufen, dass ich heiß wäre und dass du mit mir schlafen wolltest", gab er zu. Sherlocks Augen weiteten sich.
"Was?!", rief er laut. Das hätte er lieber nicht machen sollen. Sein Kopf schmerzte noch stärker wenn er schrie. Er fasste sich an die Schläfen und massierte sie sanft. John setzte sich neben ihn und betrachtete ihn liebevoll. "Also", begann Sherlock. "Ich weiß nicht, wie ich das in Worte fassen soll, aber..." Er holte tief Luft. "Ich habe es dir gesagt!" John starrte ihn lange an, dann lächelte er.
"Ich liebe dich", flüsterte er und küsste Sherlock sanft. Sherlock hob eine Augenbraue an.
"Dafür, dass ich dich vollgeredet habe, dass ich dich heiß finde? Nun, es ist wahr, aber ich spreche sowas nicht laut aus", sagte er verwirrt. Johns Wangen nahmen einen leichten roten Ton an und er küsste Sherlock nochmal. Sherlock löste sich kurz von ihm. "Ich liebe dich übrigens auch", hauchte er und gab John weiter die süßesten Küsse, die er jemals gegeben hatte. John schlang seine Arme um ihn und küsste seinen Hals. Sherlock lächelte ihm zu.
"Du machst mich so glücklich, Sherlock", sagte er. In Sherlocks Herz bereitete sich die wundervolle Wärme aus, die er schon genossen hatte, als John ihn zum ersten Mal als 'brilliant' bezeichnet hatte.
"Du, John", flüsterte Sherlock sanft. "Du brachtest zum ersten Mal Liebe in mein Leben. Ich werde dir niemals das bieten können, was du verdienst, doch ich werde alles versuchen, um dich glücklich zu machen." Johns Augen leuchteten auf und er musterte Sherlock mit einem Blick, der diesen alles für ihn tun lassen würde.
"Sherlock", flüsterte er und drückte abermals seine Lippen gegen die seines Verlobten. "Hast du nicht zugehört? Du bist bereits das beste, was ich habe. Und du machst mich glücklich."
~
In den nächsten noch übrigen Tagen ging es immer noch hauptsächlich um die Planung. Sherlock versuchte tatsächlich alles mögliche, um die Hochzeit perfekt zu gestalten. John fand es fast süß, wie er sich anstrengte, doch gleichzeitig war die ganze Planung sehr ermüdent für ihn.
Zwei Abende vor ihrer Hochzeit war Sherlock, von Müdigkeit überwältigt, mitten auf dem Sofa eingeschlafen. John betrachtete ihn liebevoll. Sherlock war schon vor ihrer Hochzeit der beste Ehemann, den er jemals hätte haben können. John legte seine Hand an Sherlocks Gesicht und strich mit dem Daumen über die zarte Haut. Ein kleines Lächeln bildete sich auf Sherlocks Lippen.
"Mmh", brummte er im Schlaf. John grinste. Wie hatte er jemals dieses wundervolle Geschöpf verdient? Welche Heldentat hatte er vollbracht, dass Sherlock Holmes ihn so ansah, wie er es tat? John deckte eine Decke über den schlafenden Detectiv, küsste ihn auf die Wange und ging in das Schlafzimmer. Dort hingen bereits zwei wunderschöne Anzüge, ein kleinerer weißer, für John, und ein großer schwarzer, für Sherlock.
John lächelte. In zwei Tagen würden sie heiraten. Es würde nicht viel zwischen ihnen verändern, aber die Bedeutung des Namens Watson - Holmes war unglaublich groß.
Sherlock und er hatten sich darauf geeinigt, Watson - Holmes als ihren gemeinsamen Nachnamen einzuführen. Lange hatte es nicht gedauert, doch Sherlock hatte ihne einfach neugierig gefragt. John wusste, dass er, auch wenn er versuchte, es zu verbergen, genauso aufgeregt war wie John selbst. John hatte sogar einmal mitgehört, wie Sherlock mit seinem Bruder telefoniert hatte, um für ein paar Sicherheitsleute zu sorgen, die die Hochzeit überwachen würden. John wusste, dass Sherlock die Vermutung hatte, dass Sebastian etwas für die Hochzeit geplant hatte. Sherlock hatte sich offenbar vorgenommen, alles zu tun, um John zu beschützen. John schätzte das zwar, doch er fühlte sich gleichzeitig hilflos, Sherlock nicht unterstützen zu können, im Kampf gegen den Psychopathen, der fast schon mehr Unglück angerichtet hatte als Moriarty selbst.
Er und Mary hatten Sherlock gequält. Und John wusste genau, dass Sherlock hauptsächlich nur so viel Mühe in die Hochzeit steckte, damit sie wenigstens nicht diesen Tag auch ruinierten. Andererseits könnten sie auch immer noch damit rechnen, dass Sherlock tot wäre. Immerhin hatte Mary ihn angeschossen.
John zog sich seinen Pyjama an und legte sich in sein Bett. Es war kaum zu fassen, dass der Mann, mit dem er ursprünglich nur eine Wohnung teilen wollte, ihm so ans Herz gewachsen war, dass er ihn in zwei Tagen heiraten würde!
"Afghanistan oder Irak?"
Ihre erste Begegnung hatte er nicht vergessen können.
"Mein Name ist Sherlock Holmes, und die Adresse ist 221B Baker Streer. Schönen Tag noch!"
Ihre erste Verbrecherjagd war das erste Mal seit seiner Zeit als Soldat gewesen, als John sich zum ersten Mal wieder lebendig gefühlt hatte. Die Jagd eines einfachen Taxis durch London, ein Mörder, der sich als gewöhnlicher Taxifahrer ausgab, und erst nach einem Tag Begegnung eine beste Freundschaft, die schließlich zwei Jahre später in Liebe endete.
Wundervoll!
~
Irgendetwas stimmt nicht. Etwas ist nicht richtig. Ich muss aufwachen.
Erschrocken wachte John auf und sah sich um. Seltsam. Er hatte das Gefühl, irgendetwas stimmte nicht. Meistens betrog ihn dieses Gefühl nicht. Aber vielleicht war es einfach nur Aufregung über die Hochzeit morgen. John gähnte einmal und sah auf seinen Wecker.
"Was zum-?", rief er laut. Das war nicht möglich. Er sprang auf und rannte zum Fenster. Doch. Es war Nachmittag. 16:24 Uhr, um genau zu sein. Er hatte noch nie so lange geschlafen. Was war mit ihm los? Warum hatte Sherlock ihn denn nicht geweckt?
John raufte sich die Haare und schüttelte den Kopf. Es musste die Aufregung sein. Aber seit wann schlief er 16 Stunden?
Er verließ das große Zimmer und ging in die Küche. Dort stand ein benutzter Teller und eine benutzte Tasse. Sherlock musste schon gefrühstückt haben. Trotzdem, warum hatte er John nicht geweckt?
John ging kopfschüttelnd in das Wohnzimmer. Sherlock war dort auch nicht, genau wie sein Mantel und sein Schal, der am Vorabend noch auf dem Sessel gehangen hatte. Vielleicht machte einen Spaziergang durch London. Seltsam. Irgendetwas stimmte nicht. Was war es nur?
Als John sich umdrehte, erstarrte er. Sein ganzer Körper fror ein und er konnte keinen Muskel mehr rühren. Er sah, was es war.
Auf dem Sofa, auf dem gestern noch Sherlock eingeschlafen war, lag die rote Schachtel, in der die silbernen Verlobungsringe lagen, mit denen Sherlock vor vielen Wochen seinen Antrag gestellt hatte. Nur mit einem kleinen Unterschied: es lag ein Verlobungsring darin.
Sherlocks Ring.
John hob seine Hand und griff nach der roten Box. An ihr war ein kleines Schild befestigt.
Es tut mir leid, John. Ich kann das nicht.
Ich liebe dich nicht und habe es nie getan. Ich will nicht mit dir zusammen sein. Du bist nur gewöhnlich. Auf Wiedersehen.
-SH
John stockte der Atem. Nein. Das durfte nicht wahr sein. Sherlock würde so etwas niemals schreiben. Das war ein Traum. Es musste ein Traum sein.
Doch wieso fühlte es sich dann so schmerzhaft real an?
John ließ sich auf dem Sofa nieder und starrte auf den Zettel. Es war Sherlocks Handschrift. Und das typische Zeichen, SH, das Sherlock immer unter seine Nachrichten schrieb.
"Aber...", flüsterte John. "Sherlock würde doch nicht..."
Wieso? Wieso war das hier? Was war los? Hilflosigkeit und Verwirrung breiteten sich und John aus. Sherlock war nicht hier. Nur sein Verlobungsring und eine Nachricht, die nur von ihm sein konnte.
Aber Sherlock würde ihn niemals verlassen, oder? Die ganzen Küsse? Ihre ganzen Abenteuer? All das war wertlos für ihn? Er, John Watson, war ihm vollkommen egal. Wieso tat Sherlock so etwas? Einen Tag vor ihrer Hochzeit. Warum? Die dauernde Angst um John. Sie war nur gespielt. Die liebenden Küsse, nur wertlose Berührungen.
Das war nicht wahr. Es durfte nicht sein. John schüttelte den Kopf. "Nein!", schrie er aufgebracht. "Nein!"
Wütend nahm er sein Handy und wählte Sherlocks Nummer. Sherlock müsste sich dafür rechtfertigen. Dafür, Johns Herz langsam auseinanderzubrechen. Wieso tat er so etwas?
Klingeling.
John schaute überrascht auf. Sherlocks Handy lag auf dem Wohnzimmertisch. Er starrte auf das klingelnde Gerät und schaltete sein eigenes Handy aus.
"Sherlock?", rief er laut. Keine Antwort. "SHERLOCK!" Immer noch keine Antwort. John starrte auf die rote Box. Und senkte seinen Kopf. Sherlock war weg.
Eine einzelne Träne lief an Johns Wange herunter. Er erwartete fast eine sanfte Bewegung, eine Hand, die seine Tränen wegstrich, und einen Arm, der sich um ihn legte. Sherlock...sein Sherlock... er hatte ihn verlassen...
Er wollte am liebsten laut weinen. Alles wegwerfen. Sherlock war nicht hier. Er stand auf und ging in das Wohnzimmer.
Sherlock...
Was zum-?
Was tat er da? Sherlock würde ihn nicht verlassen. Nichts von all dem war wertlos gewesen. Nicht einmal der einzige Consulting Detectiv könnte alles fälschen, was er John gegeben hatte. Etwas war passiert. Er würde diese lächerliche Nachricht nicht glauben, bevor Sherlock ihm genau diese Worte laut sagen würde. Wenn all das für ihn wirklich ein Experiment wäre, würde er es John sagen.
Etwas war passiert. Etwas Schlechtes. Und eins war klar. Sherlock war in Gefahr.
Er würde so etwas nicht tun. Da war John sich fast sicher. Niemand könnte so herzlos sein. Außerdem sagte Sherlock immer, was er dachte. Wirklich immer.
Schnell schnappte sich John sein Handy und wollte gerade Mycroft anrufen, als es unten klingelte. Zögernd wollte John das Klingeln ignorieren, doch der Besucher war offenbar eilig, denn das Schellen hörte gar nicht erst auf. John seufzte genervt auf. Er musste sich um seinen verschwundenen Verlobten kümmern.
Wütend rannte er nach unten und riss die Tür auf.
"Ja?", fragte er laut. Und erstarrte. Es war nicht irgendein Besucher oder gar ein Klient. Es war Mary.
"John", begann sie schnell. John starrte sie an.
"Verschwinde!", sagte er wütend. Er hatte keine Ahnung, was Mary wollte, doch es war ihm egal. Mary sah ihn bittend an.
"John, du musst mir zuhören", sagte sie leise. John schüttelte grinsend den Kopf.
"Nein, das muss ich nicht", flüsterte er. "Das letzte Mal, als ich dich gesehem habe, hast du mir eine Waffe an den Rücken gepresst und meinen Freund danach angeschossen." Mary sah ihn erschrocken an. "Gib mir einen Grund warum ich dich nicht sofort als Geisel gegen deinen Psychopathen - Bruder nehmen sollte", rief John wütend. Mary musterte ihn mit festem Blick.
"Du hast den Ring also gesehen", sagte sie. John zog kurz die Augenbrauen zusammen, dann nickte er. Mary holte tief Luft. "Ich weiß nicht, wo Sherlock ist. Aber ich weiß, dass er in Gefahr ist und ich will dir helfen, ihn zu retten", sagte sie. Sofort klappte Johns Kiefer nach unten und er begann, zu lachen.
"Du?", flüsterte er. "Helfen? Du hast genug 'geholfen'. Wegen dir ist Sherlock fast gestorben. Er ist-"
"-unschuldig, ich weiß", sagte Mary. "Aber das heißt nicht, dass du keine Hilfe von jemandem annehmen solltest, der vielleicht den Entführer besser kennt als du." John schüttelte den Kopf.
"Ich will deine Hilfe nicht", sagte er wütend. "Ich will bei Sherlock sein. Es ist mir egal, wie Sebastian es angestellt hat, ihn zu entführen, doch ich will ihn dafür bezahlen lassen, dass er mir meine Hochzeit kaputt machen will." Mit dem Worten wollte er die Tür schließen.
"Sherlock ist in Serbien", sagte Mary laut. John öffnete die Tür wieder und starrte Mary an.
"Was hast du gesagt?", fragte er. Mary sah ihm in die Augen.
"Sherlock ist in Serbien. Zumindest will Sebastian ihn dorthin bringen", sagte sie. John sah sie fordernd an.
"Woher weißt du das?", fragte er.
"Willst du Sherlock finden, oder nicht?", fragte Mary. John musterte Mary kurz. Er wollte bei Sherlock sein. Und um ihn zu finden, würde er jedes Risiko eingehen.
"In Ordnung", sagte er und machte den Weg frei. "Zeig mir, wo er ist. Wenn du irgendetwas anderes vorhast, sorge ich dafür, dass du im Gefängnis landest."
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