Kapitel 17 - Menschlicher Sherlock

John starrte auf Sherlock, dessen Gesicht immer blasser wurde. Ein wenig besorgt beugte er sich vor.

"Sherlock, geht es dir gut?", fragte er. Sherlock sah ihn lange an, ohne ein Wort zu sagen. Dann drehte er sich wieder zu dem Arzt hin.

"Wird er sich jemals daran erinnern, was passiert ist?", fragte er mit rauer Stimme. Der Arzt sah ihn zweifelnd an.

"Es besteht immer eine kleine Chance, dass der Patient seine Erinnerungen zurück erhält. Doch es ist nicht häufig", sagte er. Sherlock nickte, dann drehte er sich wieder zu John. "Ich lasse Sie am besten erst einmal alleine", sagte der Arzt und verließ den Raum.

Sherlock starrte auf John. John sah ihn erwartungsvoll an, im Glauben, er wolle etwas sagen. Er selbst war verwirrt. Da war gerade noch Moriarty gewesen, er hatte einen Bombengürtel getragen, den danach Sherlock förmlich von ihm gerissen hatte. Jahre her? Was war denn in diesen Jahren bitte passiert?

"Wo ist Moriarty?", fragte er leise. Sherlock lachte kurz auf.

"Er ist tot. Hat sich selbst eine Pistole in den Mund gehalten und abgedrückt", flüsterte er. John starrte ihn erschrocken an. Moriarty war tot?

Doch was ihm wirklich Angst machte, war Sherlocks Benehmen. Gerade war er noch ein arroganter Consulting - Detectiv gewesen, jetzt jedoch sah er so... traurig aus. Sherlock war traurig. Er versuchte, es zu verstecken, doch man konnte es nicht leugnen. Was war los mit seinem besten Freund?

"Was ist in den Jahren passiert, die vergangen sind?", fragte John vorsichtig.

Sherlock schloss die Augen.
"Wir haben Abenteuer erlebt, haben eine Beziehung geführt, ich habe meinen Tod vorgetäuscht, bin zurück gekommen und-"

"Eine Beziehung geführt?", wiederholte John amüsiert. "Netter Versuch, Sherlock, aber ich bin nicht schwul. Das weißt du auch."

Sherlock drehte den Kopf von ihm weg. "Natürlich bist du das nicht", sagte er leise. John nickte. Er war nicht schwul. War er auch noch nie gewesen.

"Ach John, Sie sehen völlig fertig aus!", rief Mrs Hudson, die noch immer am Türrahmen stand und ging auf ihn zu. John lächelte kurz, dann nickte er.

"Bin ich auch. Die haben eine Magenspülung bei mir durchgenommen, oder? Gott, ich fühle mich seltsam", sagte er. Sherlock würde ihm bald noch einen Loch in seinen Kopf brennen, wenn er ihn weiter so anstarrte. Mrs Hudson tätschelte kurz seine Schulter, dann flüsterte sie leise, dass Sherlock es nicht hören konnte:

"Sherlock hat sich sehr große Sorgen um Sie gemacht. Sie hätten ihn eben noch sehen sollen", sagte sie. "Passen Sie auf ihn auf, ja?"

John nickte, wenn auch etwas verständnislos. Er war immerhin vergiftet worden. Nicht Sherlock. Trotzdem sah er zu Sherlock herüber und sah, dass dessen Hände zitterten. Mrs Hudson lächelte ihnen beiden zu, dann verließ sie das Zimmer. Sherlock blieb weiter dort sitzen, wo er war, und starrte John an. Dem wurde die Situation ein wenig peinlich und er räusperte sich.

"Also, Sherlock. Wie geht es dir?", fragte er und versuchte, freundlich zu klingen.

"Der Kuchen des Nachbarn!", rief Sherlock plötzlich. John starrte ihn an.

"Was? Heißt das gut oder schlecht?", fragte er verwirrt.

"Du hast etwas von dem Kuchen unseres Nachbarn gegessen und kurz danach bist du ohnmächtig geworden. Wenn wir wieder nach Hause kommen, darfst du nichts davon essen, ja?", rief er laut. John zuckte zurück.

"Ähm... klar. Werde ich mir merken, danke", sagte John. Diese Situation war so seltsam. Sherlock sah ihn so verzweifelt an. Am liebsten hätte John ihn umarmt. Doch Sherlock war ein gefühlsloser Soziopath, oder? Er konnte nicht fühlen. Sherlock kratzte sich kurz verlegen am Kopf.

"John? Du erinnerst dich an wirklich nichts mehr nach Moriartys Bombenspiel, oder?", fragte er vorsichtig. John nickte. Sherlock seufzte. "Verdammt."

"Warum?", fragte John.

"Du warst der einzige, der unseren Nachbarn gesehen hat. Wenn ich wüsste, wer es sei, könnte ich ihn befragen", sagte er wütend. Sherlock war wütend. Und gleichzeitig verzweifelt. Sherlock vergrub sein Gesicht in seinen Händen. John starrte ihn entsetzt an. Es war fast, als würde er weinen. Nur ohne Tränen.

"Sherlock, was ist los?", fragte er erschrocken. "Wieso bist du so traurig?"

Sherlock blieb in der Position für ein paar Sekunden. Dann setzte er sich plötzlich auf. "Bin ich nicht", sagte er kalt. "Mir geht es gut. Mach dir keine Sorgen. Ruh dich aus. Du kannst wahrscheinlich morgen wieder aus dem Krankenhaus entlassen werden."

John beobachtete ihn besorgt. "Bist du sicher?", fragte er. Sherlock sah ihn an. "Du siehst traurig-"

"Mir geht es gut", knurrte Sherlock. "Dir nicht. Ruhe dich aus. Es ist schon spät. Gute Nacht, John." Sherlock stand auf und schüttelte Johns Hand. Seine Hände zitterten immer noch.

"Gute Nacht, Sherlock", antwortete John. Dann schloss er die Augen. Er war tatsächlich müde. Doch kurz nachdem er die Augen geschlossen hatte und er fast eingeschlafen war, spürte er bogenförmige Lippen, die seine Stirn küssten. Als er jedoch noch einmal kurz die Augen öffnete, war Sherlock nicht mehr in dem Raum.

~

Als John wieder am Morgen aufwachte, fielen ihm sofort ein paar Dinge auf. Erstens, Sherlock saß in seinem Zimmer. Zweitens, Sherlock war am Schlafen. Drittens, da stand Frühstück neben ihm. Vorsichtig setzte John sich auf. Ihm ging es viel besser als gestern. Sein Blick fiel auf Sherlock. Er wusste nicht, warum, aber er konnte seine Augen nicht von ihm lassen. Er sah wundervoll aus, wenn er schlief.

Augenblick, wieso dachte er das? Er war John Watson! Nicht schwul! Und falls, dann bestimmt nicht Sherlock. Er war zu... das war ja seltsam. John konnte nichts finden, was er direkt an Sherlock auszusetzten hatte.

"Guten Morgen", sagte Sherlocks Stimme. John sah ihn überrascht an. Sherlock warf ihm ein kurzes Lächeln zu. "Gut geschlafen?"

John sah ihn lange mit offenem Mund an, ohne etwas zu sagen. Sherlock sah ihn überrascht an. Dann räusperte sich John schnell. "Ähm...ja. Ja, klar. Ich habe gut geschlafen, danke. Und du?", fragte er.

"Danke. Ich habe wohl etwas unbequem gelegen", sagte Sherlock und zeigte auf den Stuhl. John starrte ihn entsetzt an.

"Wieso bist du nicht nach Hause gegangen?", fragte er. Sherlock sah ihn lange an und schluckte.

"Also... ich dachte, du könntest einen Freund brauchen, wenn du wieder aufwachst", sagte er zögerlich. John nickte verwirrt.

"Danke. So etwas machst du normalerweise nicht. Das ist nett", stammelte er. Sherlock senkte seinen Kopf.

"Das stimmt wahrscheinlich", murmelte er. John starrte ihn verwundert an. Was war bitte mit Sherlock los? Er verhielt sich so... menschlich. Nicht, dass John es nicht schätzen würde, aber es war ungewohnt.

"Ich bin immer noch neugierig", sagte er und Sherlock sah ihn überrascht an. "Wie sind wir aus dem Schwimmbad herausgekommen?" Sherlock nickte.

"Moriarty hatte einen Anruf bekommen. Er hätte uns umgebracht, doch der Anruf hat seine Meinung geändert. Er hatte wohl ein anderes Angebot bekommen, etwas, was mehr wert wäre als mein Tod. Also hat er das Schwimmbad verlassen", sagte Sherlock. John musterte ihn.

"Interessant", sagte er. "Was ist danach passiert?" Sherlock warf ihm einen gewissen Blick zu und John verstummte. "Gut, das kannst du mir nachher erzählen." Sherlock sah auf den Boden. Als John ihn näher betrachtete, fiel ihm auf, dass Sherlocks Augen rot waren. "Sherlock!", rief er wütend. Sherlock sah ihn wieder an.

"Was ist?", fragte er.

"Deine Augen! Hast du..." John starrte ihn forschend an, "hast du Drogen genommen?", fragte er. Sherlocks Augen weiteten sich.

"Natürlich nicht! Ich nehme sie schon seit langem nicht mehr! Ich rauche noch nicht einmal mehr", sagte Sherlock, seiner Stimme nach zu urteilen empört über die Anschuldigung.

"Wieso sind dann deine Augen rot?", fragte John prüfend. Sherlocks Gesichtszüge legten sich und er schloss seine Augen.

"Vergiss es", murmelte er. John starrte ihn an, dann schlug er die Bettdecke weg und setzte sich an den Bettrand. Sherlock sah ihn kalt an.

"Natürlich. Du musst es mir nicht sagen. Ich bin ja nur dein einziger Freund." 

Was zum-? Wieso kam ihm der Satz bekannt vor? Hatte er ihn schon mal gesagt? Auch zu Sherlock? Nur nicht in London? Sherlock starrte ihn an, Überraschung auf seinem Gesicht. Dann verschwand die Überraschung und der kalte Blick kehrte zurück.

"Ja, bist du. Aber du kannst dich nicht erinnern", flüsterte er.

"Ist es das, was dich aufregt? Der dumme Doktor Watson, der immer alles vergisst? Glaubst du, ich wollte vergessen, was ich offenbar vergessen habe? Was ist denn so Schreckliches passiert?", rief John. Sherlock zuckte zurück. Gott, er machte John Angst. Hilflosigkeit, Panik, Angst, Besorgnis, all das konnte man seinem Gesicht ablesen. John seufzte kurz. "Tut mir leid. Das war nicht so gemeint. Es ist einfach nur schwierig, wenn man sich nicht erinnern kann. Du musst es mir aber trotzdem erzählen. Ich bin nicht dumm. Ich weiß, dass du mir etwas ernstes verschweigst, was ich eigentlich wissen sollte."

"Du verstehst nicht", begann Sherlock. "Es ist so viel passiert, was du alles vergessen hast. Gute Dinge, schlechte Dinge. Aber du warst glücklich. Das war mir das Wichtigste. Und jetzt hast du dein Gedächtnis verloren!" John starrte ihn an. Sein Glück war Sherlock das Wichtigste. Das war irgendwie total nett und süß.

Stopp, okay? Seit wann dachte er so? So seltsam verliebt? Er war nicht in Sherlock verliebt! Das war er nie und würde er nie.

-

Als John von dem Krankenhaus entlassen wurde, war Sherlock die ganze Zeit bei ihm geblieben. John hatte zwar keine Ahnung, warum, aber er würde sich nicht beschweren. Es war schön, jemanden zu haben, mit dem man reden konnte. Auch wenn die Dinge etwas seltsam abliefen.

Als Sherlock vor der Tür ein Taxi rief, kam eine Gestalt auf sie beide zu.

"John? Bist das du?", rief sie. Als John sich umdrehte, sah er eine Frau mit blonden Haaren auf sich zukommen. Doch er erkannte sie nicht.

"Entschuldigen Sie", sagte er. "Kennen wir uns?" Die Frau sah ihn verwundert an.

"John, ich bin es. Mary. Was ist denn mit dir los?", fragte sie. John sah sie bedauernd an.

"Es tut mir wahnsinnig leid. Ich wurde vergiftet, was eine Amnesie bei mir ausgelöst hat. Ich habe alles der letzten drei Jahre vergessen", sagte er. Die Frau sah gut aus. Sie hatte kurzes, blondes, gelocktes Haar und trug einen roten Mantel. Doch anstatt ihm Mitleid zu zeigen, was John jetzt wahrscheinlich nur aufgeregt hätte, lächelte sie ihm aufmerksam zu.

"Nun, wenn das so ist... Mein Name ist Mary Morstan, ich bin 38 Jahre alt und wir arbeiten seit ein paar Jahren zusammen", sagte sie. John lächelte ihr zu. Sie lächelte zurück und tätschelte kurz seinen Arm. "Wenn du wieder zur Arbeit kommst, werden wir uns wiedersehen", sagte sie. "Hier", sagte sie und gab ihm einen Zettel mit einer Handynummer drauf. "Schreib mich an, wenn du Hilfe brauchst. Und keine Sorge, es wird schon alles gut. Ich muss aber leider direkt wieder los. Bis bald!"

"Ähm, ja. Bis bald!", rief John und sah auf den Zettel Mary Morstan. Schien eine sehr nette Frau zu sein. Vielleicht sollte er sie mal fragen, ob sie mal mit ihm ausgehen wollte. Als er sich umdrehte, sah er sofort in Sherlocks Gesicht, was einen düsteren Schatten angenommen hat. "Was ist?" Sherlock schüttelte nur den Kopf.

"Nicht so wichtig", murmelte er. John sah ihm in die Augen. Sherlock hatte schöne Augen. Gott, könnte er bitte mal aufhören, solche Sachen zu denken? Doch in Sherlocks Augen lag wieder diese Sorge. Diese Angst. Wovor hatte bitte der große Sherlock Holmes Angst?

Sherlock winkte ein Taxi herbei und sie stiegen ein. Während der Fahrt starrte Sherlock aus dem Fenster, John jedoch beobachtete ihn. Vielleicht hatte Mrs Hudson Recht gehabt. Vielleicht müsste er auf Sherlock ein Auge haben. Die roten Augen. Wenn es keine Drogen waren, kamen sie dann, weil Sherlock geweint hatte? Aber Sherlock zeigte nie Gefühle. Das hatte er nie und er würde es nie. Zumindest nicht John gegenüber.

Als sie ankamen, stiegen sie aus dem Taxi aus. Sherlock bezahlte den Taxifahrer, was John erstaunt beobachtete. "Geht es dir gut?", scherzte er. Sherlock sah ihn verwirrt an.

"Warum sollte es das nicht?", fragte er.

"Du hast noch nie bezahlt. Normalerweise muss ich das immer machen", antwortete John. Sherlock lachte kurz, dann ging er auf die Haustür mit den goldenen Lettern 221B zu. "Was ist so witzig?"

"Es ist so witzig, dass du auf normale Taten von mir so unglaublich überrascht reagierst", sagte Sherlock in einem bitteren Tonfall. "Habe ich dich damals wirklich so schlecht behandelt?" John sah ihn mit offenem Mund an. Bevor er jedoch antworten konnte, hatte Sherlock schon die Tür aufgeschlossen und war hineingegangen. Jetzt verstand John. Sherlock war während der letzten Jahre netter geworden. Weniger wie eine Maschine. Deshalb wollte Mrs Hudson wahrscheinlich, dass er ein Auge auf ihn warf. Sherlock war menschlicher geworden. Warum?

Am Abend, als John gerade ins Bett gehen wollte, fiel ihm der Zettel wieder ein, den er von dieser Mary bekommen hatte. Schnell kramte er ihn heraus, gab die Nummer in sein Handy ein und begann, Mary eine SMS zu schicken.

Hey, ich bin es, John Watson. Hättest du eventuell mal Lust, mit mir etwas essen zu gehen? - JW

Hallo, John! Ja, ich würde mich freuen. :) - MM

~

Große Entschuldigung!

1.  Mary kommt doch vor, allerdings nicht lange. Ich habe gelogen, tut mir leid.

2. Das passiert mir in letzter Zeit oft, ich drücke aus Versehen auf den Veröffentlichung - Button eines falschen Kapitels. Also bitte seid gnädig, wenn ich es manchmal wieder zurückziehem muss, weil es noch nicht fertig ist.

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