Kapitel 16 - Nicht er
"John!"
Sherlock starrte voller Panik auf den bewusstlosen Körper seines Geliebten. John war plötzlich zusammengesunken und Sherlock hatte keine Ahnung, warum. Hatte er eine Art Anfall?
Was immer es war, er musste einen Krankenwagen holen, sofort. John würde nicht sterben. Nicht hier, nicht jetzt. Vorsichtig strich er John durch das blonde Haar, während er sein Handy herauskramte.
Schnell tippte er die Zahlen 911 in den Aperat, während er geschockt auf John starrte.
"John, bitte wach auf", flüsterte er flehend. "Bleib bei mir."
"Notfallnummer, was kann ich für Sie tun?", ertönte es aus dem Handy. Sherlock hob den Hörer an seinen Mund.
"Mein Mitbewohner ist gerade zusammengebrochen, ich weiß nicht, warum. Ich benötige einen Krankenwagen. 221B Baker Street, London. Beeilen Sie sich!", rief er laut.
"In Ordnung. Hilfe kommt in etwa acht Minuten. Bis dahin, bleiben Sie bitte bei Ihrem Mitbewohner. Bis gleich."
"Danke!", rief Sherlock aufgeregt, dann legte er auf. Vorsichtig kniete er sich vor John und griff nach seiner Hand. "John, ich weiß nicht, ob du mich hören kannst. Wahrscheinlich eher nicht. Aber Hilfe wird kommen. Bitte halte durch, was auch immer du hast. Verlass mich nicht."
Vorsichtig küsste er die Stirn seines Geliebten und strich sanft durch dessen Haare. Oh Gott, was war los? Sie hatten gerade noch getanzt. Sie waren gerade noch glücklich gewesen. Nein, John durfte ihn nicht alleine lassen. Plötzlich verstand Sherlock, was John vor ein paar Wochen gesagt hatte. Hatte John sich so gefühlt, als Sherlock von dem silbernen Auto angefahren worden war? So panisch und hilflos?
Wenn es so war, dann wollte Sherlock ihn niemals alleine lassen. Dieses Gefühl war schrecklich. John sollte aufwachen. Jetzt.
"John, du Idiot!", flüsterte Sherlock, während ihm Tränen an den Augen herunterliefen. "Wach jetzt bitte auf. Bitte." Sherlock nahm Johns Hand und küsste ein paar Mal auf die Knöchel. "Bitte, bitte wach auf. Bitte bleib am Leben."
Nach einer gefühlten Ewigkeit kam ein Krankenwagen an der Baker Street an. Schnell rannte Sherlock die Treppe hinunter und öffnete ihnen die Tür. Davor hatte er sich die Tränen weggewischt. Nur John dürfte ihn weinen sehen. Nur John. Kein anderer.
"Oben", sagte Sherlock schnell, während er auf die Treppe zeigte. "Ich weiß nicht, was es ist. Er ist plötzlich zusammengesunken, dann ohnmächtig geworden." Ein paar Männer schauten ihm entgegen, nickten und rannten nach oben. Sherlock folgte ihnen sofort. Einer von ihnen beugte sich vor ihn und begutachtete ihn vorsichtig.
"Die Ohnmacht war eine Reaktion des Körpers. Dafür könnte es mehrere Gründe geben. Es kann auch sein, dass eine Verletzung der Grund ist. Wir sollten ihn auf jeden Fall ins Krankenhaus bringen, so schnell wie möglich", sagte er. Sherlock starrte ihn nur an.
"Ich will mitkommen", sagte er. Der Notarzt sah ihn zögernd an, was Sherlock nur wütender machte. "Ich werde mitkommen." Der Notarzt drehte sich fragend zu seinem Kollegen. Dieser nickte.
"Das ist natürlich möglich", sagte er. Sherlock nickte kurz, jetzt ein bisschen weniger wütend.
"Jack? Wir brauchen eine Trage", sagte der Notarzt in sein Walkie-Talkie.
Die Notärzte trugen John die Treppe hinunter in den Krankenwagen vor der Haustür. Als Sherlock ihnen folgte, stürzte Mrs Hudson auf ihn zu.
"Sherlock? Was ist hier los?", fragte sie aufgebracht. Sherlock sah sie an.
"John...er...", begann er. "Er ist plötzlich... umgekippt, er hatte eine Art Anfall oder so etwas..." Mrs Hudson starrte ihn erschrocken an. Sherlock drehte sich um und folgte den Männern mit John auf der Trage.
Kurz danach saß Sherlock in dem fahrenden Krankenwagen. Sherlock starrte nur auf John. War er verletzt? Hatte er Schmerzen? Würde er jemals wieder aufwachen? Wenn nicht, würde Sherlocks Herz entweder zerbrechen oder nie wieder etwas Freundschaftähnliches zulassen, das war sicher.
Wach auf. Oh, bitte, wach auf, dachte Sherlock. Es sollte nicht John sein, der da lag. Es sollte Sherlock sein. Mit all seiner Kraft wünschte sich Sherlock, zu wissen, was er tun könnte.
Der Notarzt beobachtete ihn neugierig. "Eine Frage: sind Sie nicht der Detectiv, dieser Sherlock Holmes?", fragte er. Sherlock drehte sich zu ihm um. Was machte dieser Idiot da? "Aber ich dachte, Sie wären von dem Gebäude gestürzt?" Sherlock lächelte ihm kalt zu.
"Ja, bin ich. Und jetzt, oh Schreck, sitze ich hier in einem Krankenwagen und warte darauf, dass John Watson wieder aufwacht. Aber, zum Glück ist ja ein Mann bei mir, der mich in Ruhe lässt, wenn ich gerade nachdenke, was mit ihm los sein könnte. Zumindest sollte er mich in Ruhe lassen, oder ich werde jedem seiner Kollegen erzählen, dass er eine Affäre hat. Ziehen Sie gefälligst ihr Shirt richtig herum an beim nächsten Mal!", sagte er mit einem stechenden Blick auf den Fremden. Der schluckte einmal und drehte sich wieder um. Leicht zufrieden drehte sich Sherlock wieder um. John hätte wahrscheinlich jetzt gesagt, dass das unfair gewesen sei. Sherlock wäre es mehr als Recht, wenn er es tun würde. Jetzt.
Sollte er beten? An wen? Nicht an Gott, das war klar. Gott gab es nicht. Er war eine Illusion für Dumme und Idioten. Außerdem würde Gott, würde er existieren, garantiert nicht ihm helfen. Sollte er zu John beten? Beten, dass er wieder aufwachen würde.
Sherlock starrte lange auf Johns reglosen Körper. Plötzlich hielt der Krankenwagen an. "Wir sind da", murmelte der Notarzt vorsichtig, um Sherlock nicht noch wütender zu machen. Doch der nickte nur kurz und wandte sich zu der Tür.
Dann ging alles schnell. John wurde in einen Raum gebracht und so sehr Sherlock es auch versuchte, er durfte nicht mit. Also saß er im Wartezimmer, auf jede mögliche Nachricht von John hoffend. Ein paar Minuten später, als er sich gerade hingesetzt hatte, stürmte Mrs Hudson in das Wartezimmer.
"Sherlock", rief sie entgeistert. Glücklicherweise war das Wartezimmer leer, sonst hätten sich wahrscheinlich andere Leute sehr gewundert. Mrs Hudson trug dieselbe Kleidung wie sonst, doch sie sah aus, als wäre sie gerade im schnellsten Tempo durch London gefahren.
Sherlock sah Mrs Hudson an. Sie war die eine Frau, die niemals an ihm gezweifelt hatte. Tatsächlich noch nie. Von Anfang an war sie von ihm nett gewesen, fast wie eine Mutter. Sherlock war ihr sehr dankbar, für alles, was sie tat. Auch wenn er es niemals laut sagte.
"Mrs Hudson", güßte Sherlock sie, ohne sie anzusehen. Bisher hatte er nur auf die Wand gestarrt. Er erschrak innerlich, wie rau seine Stimme klang. Er hatte seit einigen Stunden nicht mehr gesprochen, mit niemandem. Mrs Hudson setzte sich sofort zu ihm.
"Oh Gott, Sherlock. Wie sehen Sie denn aus? Haben Sie wenigstens etwas gegessen?", fragte sie besorgt. Mrs Hudson war eine nette Frau, doch als Sherlock sich zu ihr umdrehte, sah er Mitleid in ihren Augen. Wut breitete sich in ihm aus. Pure, brodelnde Wut.
"Ich sehe aus wie immer und nein, ich habe nichts gegessen!", schrie Sherlock aufgebracht. Mrs Hudsons Gesichtsausdruck blieb überraschenderweise starr. Dann seufzte sie und zog aus ihrer Tasche ein Brötchen.
"Hier, essen Sie das", sagte sie und hielt es ihm unter die Augen.
"Lassen Sie mich in Ruhe! Ich esse nichts während ich nachdenken muss und gerade will ich wissen, was verdammt noch mal mit John passiert ist! Plötzlich kippt er um und ich habe keine Ahnung, warum! Die nutzlosen Ärzte hier haben ebenfalls keinen Schimmer, was los ist, weil sie alle Idioten sind. Zum ersten Mal seit langem war ich endlich mal glücklich. Ohne Pflichten, ohne Sorgen, kein Moriarty, kein Mycroft, nichts! Aber nein, wie das Schicksal es so will verdiene ich nicht einen Funken Glück. Aus genau diesem Grund habe ich mich immer von Freundschaft und Liebe ferngehalten. Ich will zu John aber man lässt mich nicht. Warum denn auch? Man will mir ja noch nicht einmal sagen, ob er noch am Leben ist!", brüllte Sherlock. Mrs Hudson hob nur unbeeindruckt die Augenbrauen.
"Ich weiß, Sie machen sich Sorgen, Sherlock", sagte Mrs Hudson. "Und Sie haben auch einen guten Grund. Aber, was Sie sich selbst damit sagen, ist falsch. John ist ziemlich sicher noch am Leben, sonst hätten die Ärzte es Ihnen gesagt. Außerdem-"
"HALTEN SIE DEN MUND!", schrie Sherlock. Mrs Hudson zuckte kurz zurück. Sherlock atmete schnell ein und aus. Als wäre er gerade gerannt, viele Meilen gerannt. Er starrte Mrs Hudson so lange wütend an, bis sie sich umdrehte. Sherlock wollte sich nicht entschuldigen, aber er sah ein, das es hier wohl einigermaßen angebracht war. "'Tschuldigung", murmelte er.
Mrs Hudson lächelte ein wenig. Doch sie blieb still. Sherlock drehte seinen Kopf gerade wieder zur Wand, als ein Mann in einem weißen Arztkittel mit einem Klemmbrett in der Hand den Raum betrat. Sherlock musterte ihn neugierig.
"Mr Holmes?", fragte der Mann. Sherlock nickte sofort. Er hatte den Ärzten natürlich seinen Namen sagen müssen.
"Ja?", fragte er und stand auf.
"Ihr Freund, John Watson", sagte der Doktor. Die Vorsicht in seiner Stimme machte Sherlock wahnsinnig.
"Ja?", fragte er nochmal.
"Also, die Sache ist etwas kompliziert. Er hat etwas zu sich genommen, ein Gift, was tödlich ist", sagte der Arzt. Sherlock starrte ihn an. John hatte sich vergiftet? Absichtlich? Wollte John sich umbringen? Das wäre nicht möglich. Sie waren doch glücklich gewesen. Oder war das nur Sherlock so ergangen?
"Wir haben das Gift jedoch vollständig entfernen können. Es war glücklicherweise keine allzu große Menge. John Watson ist wach, er ist in einem der Zimmer", sagte der Mann. Sofort atmete Sherlock etwas auf. John war am Leben.
"Kann...kann ich zu ihm?", fragte er. Der Arzt sah ihn wieder vorsichtig an. Gott, Sherlock könnte ihn dafür allein töten. Dann holte er einmal tief Luft.
"Was genau ist passiert, bevor Mr Watson bewusstlos geworden ist?", fragte er. Sherlock zog verwirrt die Augenbrauen zusammen. Was war das bitte für eine Frage?
"Nun, wir beide waren bei Scotland Yard, aus beruflichen Gründen. Dann sind wir nach Hause gekommen, er hat etwas gegessen, dann haben wir Musik gehört und...", Sherlock stoppte kurz etwas unsicher, "er hat mit mir getanzt." Hinter sich hörte er Mrs Hudson kichern. Sofort fühlte er wieder eine gewisse Sympathie für sie. Sie hatte von Anfang an gewusst, was er für John fühlte.
Der Arzt sah ihn forschend an. "Das ist die Wahrheit?", fragte er. Sherlock nickte.
"Für unsere Zeit allein habe ich leider kein Alibi, doch in Scotland Yard wird man uns beide ziemlich sicher wiedererkennen. Wir haben ein Video gedreht. Um eine Freundin zu ärgern", sagte er. Er konnte immer noch nicht glauben, dass das Alles heute erst geschehen war. Der Arzt nickte und drehte sich um. "Kann ich John jetzt sehen oder nicht?", fragte Sherlock.
"Noch ein paar Minuten, bitte", sagte der Arzt. Sherlock seufzte und setzte sich neben Mrs Hudson.
"Etwas stimmt nicht", sagte er. "Es ist etwas passiert und sie wollen es mir nicht sagen. Da bin ich mir sicher. Was ist los?" Mrs Hudson schüttelte nur hilflos den Kopf, lächelte ihn jedoch zuversichtlich an.
"Sie werden ihn in ein paar Minuten sehen. Außerdem ist er am Leben, das ist schon einmal das Wichtigste, oder?", fragte sie. Sherlock zwang sich zu einem kleinen Lächeln. Mrs Hudson tätschelte seinen Arm ein paar Mal.
Kurze Zeit später kam derselbe Arzt wieder in das Wartezimmer. Sherlock drehte erwartungsvoll seinen Kopf zu ihm und der Arzt nickte ihm zu. Sherlock stand auf, Mrs Hudson ebenfalls. Langsam führte der Arzt sie zu dem Raum, in dem John lag. Vorsichtig öffnete er die Tür, doch bevor Sherlock eintreten konnte, hielt ihn der Doktor kurz zurück.
"Vielleicht sollte ich Sie vorwarnen. Nicht nur vielleicht, ich wäre kein menschliches Wesen, wenn ich es nicht tun würde", sagte er. Sherlock ignorierte ihn jedoch und betrat den Raum. John lag auf dem Bett. Er war wach, zumindest halb wach, seinen Augen nach zu urteilen. Dann schien er Sherlock zu erkennen, denn er öffnete seinen Mund.
"Sherl...ock", krächzte er. Sherlock lächelte.
"John...", flüsterte er erleichtert. John starrte ihn etwas verängstigt an. "Keine Sorge, du bist noch am Leben. Du hast Gift geschluckt, John. Starkes Gift. Es hätte dich töten können. Wieso zum Teufel hast du das gemacht?", fragte er. John sah ihn verwirrt an.
"Gift? Was für ein Gift? Ich weiß davon nichts, tut mir leid", murmelte er. Sherlock setzte sich neben das Krankenhausbett auf einen Stuhl und sah ihn verwundert an. John nahm ihn offenbar gut wahr. Doch irgendetwas an seinem Blick war anders. Sherlock wusste nicht genau, was. Aber irgendetwas stimmte tatsächlich nicht.
"Wie hast du es gemacht?", fragte John neugierig. Sherlock warf ihm einen verwirrten Blick zu.
"Was gemacht?", fragte er. John lachte kurz auf.
"Tu nicht so, als wüsstest du nicht, wovon ich rede", sagte er grinsend. "Wir waren gerade noch beide im Schwimmbad, du und ich. Moriarty war da. Und da war da diese Bombe. Wie hast du uns beide da wegbekommen?"
Sherlock starrte ihn verwirrt an. "John, das ist Jahre her! Wieso glaubst du-"
Er erstarrte. Seine Augen weiteten sich vor Schreck. Nein. Oh Gott, nein. Er drehte sich langsam zu dem Arzt hinter ihm. Der seufzte einmal.
"Mr Watson hat offenbar einen Schock erlitten, der eine Amnesie ausgelöst hat", sagte er. "Alles von dem Moment an, an dem Sie beide in diesem Schwimmbad diesen sogenannten Moriarty gesehen haben, ist für ihn niemals passiert. Er kann sich nicht mehr daran erinnern. Tut mir leid."
~
Ich wette, ihr liebt mich gerade, oder? ;*
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