Kapitel 15 - Tanzen

Während John und Sherlock im Taxi saßen, beobachtete Sherlock die Landschaft draußen. Die Bäume, die Straßen. London. Doch anders als vorher achtete Sherlock diesmal nicht genau auf das Äußerliche, sondern dachte nach. Über John. Seine Datei über John war riesig. Aussehen, Dinge, die er mochte, Dinge, die er nicht mochte, alles war dort heruntergeschrieben. Man könnte Sherlock irgendetwas über ihn fragen, er wusste es.

John, der sich während der Fahrt an Sherlocks Arm gelehnt hatte, griff nun vorsichtig nach der dazugehörigen Hand. Sherlock musste schmunzeln, als er sah, wie John ihn ansah. Dieser Blick! Dieser verträumte Blick. Niemals hätte sich Sherlock träumen lassen, von irgendjemandem so angeschaut zu werden. Er senkte einen Kopf und küsste sanft Johns Stirn.

Als das Taxi anhielt, sprangen beide sofort aus dem Wagen heraus. Sherlock bezahlte, dann holte er sein Handy aus der Jackentasche heraus und rief Lestrade an.

"Lestrade, ich bin es. Wie sieht es bei Ihnen aus?", fragte Sherlock in das Handy. Er hatte mal sicherheitshalber nicht seinen Namen genannt, für den Fall, das Handy sei für jeden im Yard hörbar.

"Oh, ja. Hallo Sherlock. Donovan ist gerade nicht im Raum, ich bin in meinem Büro. Kommen Sie am besten so hierhin, dass sie Sie nicht sieht."

"Gut, bis gleich", sagte Sherlock und legte auf. Er lächelte John zu. Der lächelte zurück. Dann gingen sie zusammen in das große Gebäude. Als sie bei Lestrades Büro ankamen, grinste dieser sie an.

"Also. Der große Tag. Was genau haben Sie vor, Sherlock?", fragte er neugierig. Sherlock lächelte.

"Ein bisschen schlechtes Gewissen verbreiten, sonst nichts", sagte er mit einer unschuldigen Miene. Lestrade nickte.

"Gut, was können wir tun?", fragte John. Sherlock wandte sich an Lestrade.

"Haben Sie zufällig einen Fall da?", fragte er. Lestrade zog die Augenbrauen hoch.

"Nun, ja habe ich, aber nichts über eine 4, sonst hätte ich Sie eventuell angerufen", sagte er. Sherlock schüttelte den Kopf.

"Nicht schlimm. Irgendein Fall wird reichen. Langweilig ist in diesem Fall sogar praktisch. Also..." er senkte seine Stimme ein bisschen, um die Szene dramatischer zu machen.

"Das müsst ihr beide machen."

~

Lestrade stand in seinem Büro. Er hatte Sally Bescheid gegeben. Als diese schnellen Schrittes in den Raum kam, war sie bereits aus der Puste.

"Ja?", fragte sie.

Lestrade sah sie an. "Wir haben Informationen zu dem Fall von Mrs White", sagte er. "Der Mörder muss sie laut Molly erwürgt haben, da sind sichtbare Spuren an dem Hals zu sehen." Donovan nickte.

"Gut, wer könnte ein Motiv haben-"

Draußen schaltete John das Licht aus. Nur kurz, für etwa zwei Sekunden. Diese nutzte Sherlock, sich in Windeseile in Lestrades Büro in einen der Schränke zu schleichen.

"Was ist das gerade gewesen?", fragte Donovan beunruhigt. Lestrade winkte ab.

"Das passiert in letzter Zeit.  Irgendwas scheint mit dem Licht nicht zu stimmen. Es ist fast, als sei ein Geist hier", murmelte er. Donovan starrte ihn erschrocken an.

"Ein Geist? Greg, seit wann glauben Sie denn an Geister?", fragte sie.

Das Licht ging wieder aus. Sherlock musste zugeben, Lestrade spielte seine Rolle nicht schlecht.

"Also, der Fall von Mrs White", begann Lestrade wieder. Donovan schaute kurz auf die Lampe, dann wieder auf ihn.

"Ähm, ja klar. Also. Motiv", sagte sie. "Also, die Tochter-"

"Die Tochter hatte kein passendes Motiv", sagte Sherlock und stieg aus dem Schrank. "Es war der Mann, welcher das Vermögen auf Ihrem Konto haben wollte." Donovan schaute auf. Als sie ihn erkannte, schrie sie auf.

"Oh mein Gott!", rief sie. Lestrade sah sie überrascht an.

"Was ist los?", fragte er. Donovan hob ihren Finger und zeigte auf Sherlock, als wäre er ein Geist. Gut, streng genommen dachte sie wahrscheinlich, dass er das sei. Super!

"Sh...Sherlock Holmes!", presste Donovan hervor. Lestrade sah auf Sherlock, als würde er durch ihn durchsehen.

"Sie zeigen auf einen Schrank, Donovan. Geht es Ihnen gut?"

"Nein! Sherlock Holmes steht dort!", rief sie. Sherlock grinste, während er Schritt für Schritt auf Donovan zuging.

"Hallo, Sally", flüsterte Sherlock. "Na, geht es Ihnen gut? Seit dem ich gestorben bin", fügte er mit einem bitteren Tonfall hinzu.

"Sie...", stammelte Donovan. "Nein, das ist unmöglich. Sie sind tot."

"Ich habe mich von einem Gebäude gestürzt!", rief Sherlock mit einem festen Blick auf Donovan. "Und dreimal können Sie raten, warum? Hmm, lass uns mal überlegen. Gab es irgendetwas oder irgendjemanden, der dafür gesorgt hat, dass ich mich von einem Dach stürzen will?"

Donovan schluchzte einmal. "Oh, Sherlock, es tut mir so leid. Ich war Schuld an Ihrem Tod. Ich hätte nicht an Ihnen zweifeln sollen", rief sie, während ihr Tränen die Wange herunterliefen. Sherlock sah sie lange an.

"Also geben Sie zu, dass Sie falsch lagen?", fragte er. Donovan nickte hektisch.

"Ja, ich gebe es zu. Phillip und ich waren Dummköpfe, Sie sind kein Freak und sind es niemals gewesen!", rief Donovan. Sherlock ging weiter auf sie zu, bis er vor ihr stand.

"Tja, in dem Fall...", sagte er. Dann hob er seine Stimme und begann, zu reden, als würde er wieder einen Fall aufdecken. "Vielleicht sollte ich Ihnen etwas verraten: ich bin nicht tot, bin es nie gewesen und dort", er drehte sich um und zeigte auf das Fenster des Büros, "steht John und filmt alles. Viel Spaß noch diesen Tag!"

Donovan starrte ihn lange an, mit Tränen in den Augen, dann verwandelte sich ihre Panik in Wut.

"Sie verdammtes... Sie Idiot!", schrie sie und rannte auf die Tür zu. "John? Löschen Sie dieses Video auf der Stelle!" John stand draußen und war so stark am Lachen, dass er Tränen in den Augen hatte.

"Oh Gott!", lachte er, dann hob er die kleine Kamera hoch und drückte auf ein paar Knöpfe. "So, alles gelöscht. Aber ihr Gesicht! Haha!" Schnell starrte Donovan prüfend auf den Aperat.

Sherlock grinste breit und selbst Lestrade konnte sich nicht mehr halten. Donovan stürmte wütend aus dem Büro, während die drei Männer sich totlachten.

"Wahnsinn!", rief Sherlock. "Nur schade, dass du das Video löschen musstest." John grinste breit.

"Ich habe zwei Kameras mitgenommen. Auf diesem Aperat hier war nicht das Video drauf. Sondern", er zog aus der Jackentasche eine silbere Kamera, "auf dem hier. Als ich fertig war, habe ich die beiden ausgetauscht. Das Video ist noch da."

Sherlock ging auf ihn zu und küsste ihn einmal leidenschaftlich auf die Lippen. "John Watson, ich liebe dich", flüsterte er grinsend, dann erstarrte er. Sofort ging er ein paar Schritte nach hinten, seine Wangen brannten fast vor Verlegenheit.

Gott, was war er für ein Idiot! Er hatte sich doch vorgenommen, John zu fragen, ob das Zeigen von Gefühlen in der Öffentlichkeit für ihn in Ordnung war.

"Ähm, also... das war nur...", begann er vorsichtig. Doch John schüttelte den Kopf und wandte sich an Lestrade, der sie überrascht beobachtete.

"Wir sind zusammen", erklärte er. Lestrade starrte ihn an, dann nickte er.

"Herzlichen Glückwunsch. Ich wusste davon gar nichts! Das ist ja super! Das sollte ich Mycroft erzählen", sagte er mit Enthusiasmus. Sherlock schaute ihn verwirrt an.

"Wieso sollten Sie es meinem Bruder erzählen?", fragte er. Lestrade öffnete den Mund, dann schloss er ihn wieder.

"Aus gar keinem Grund. Ich habe mich nur mit ihm... befreundet", antwortete er. Sherlock musterte ihn prüfend, dann wandte er sich wieder an John.

"Ist das mit uns... also, wenn wir unsere Beziehung anderen Leuten preisgeben... das ist in Ordnung für dich?", fragte er behutsam. John lächelte.

"Natürlich. Selbst wenn Leute mich dann auf ewig seltsam anschauen, mir ist es egal. Du bist es mir ein für allemal wert", sagte er. Sherlock lächelte ihn erleichtert an.

"So", sagte Sherlock und grinste Lestrade an. "Ich hoffe, ich habe Donovan keinen Schock eingejagt. Zumindest keinen zu großen. Aber gut gespielt, Lestrade."

Lestrade senkte dankend den Kopf. "Danke. Sie auch. Es war auch eine gute Idee, den Fall von Mrs White mit einzubauen."

"Eigentlich war das kein Schauspiel. Es war tatsächlich der Ehemann. Aber das kann ich Ihnen gerne auch per SMS schreiben", sagte Sherlock und drehte sich zu John um.

"Gut", murmelte Lestrade. "Dann bis bald, schätze ich?"

"Bis bald, Greg", sagte John, bevor Sherlock etwas sagen konnte (wie zum Beispiel Graham oder Gilbert) und zog ihn sanft aus dem Büro heraus. Sherlock kicherte kurz, dann legte er seinen Arm um Johns Schulter.

"Nach hause?", fragte er den Kleineren. John nickte.

~

Als sie wieder an der Baker Street ankamen und die Türe öffneten, waren sie beide noch am Kichern. John hing seine Jacke auf, kurz danach griff ihm der muskulöse Arm um die Schulter und zog ihn zu dem dazugehörigen Körper. Sherlock beugte sich zu ihm herunter und küsste ihn sanft. John starrte ihn überrascht an.

"Danke. Wofür war das?", fragte er neugierig. Nicht, dass er sich beschweren wollte.

"Du warst fabelhaft. Und ich bin froh, dass es jetzt vorbei ist. Die ganze Heimlichtuerei. Wir sind wieder zusammen", sagte Sherlock und streichelte sanft Johns Wange. John grinste.

"Du warst der wahre Star", sagte er. Er selbst hatte eigentlich doch nur gefilmt und das Licht an und ausgeschaltet. "Ich habe beinahe Gänsehaut bekommen. Donovan tut mir fast leid."

Sherlock grinste, dann gingen sie beide nach oben in das Wohnzimmer.

"Uff, ich habe Hunger", murmelte John. "Ich nehme mir ein Stück von dem Kuchen unseres Nachbarn, wenn es dir nichts ausmacht, in Ordnung?"

Sherlock nickte. "Mach das. Ich esse später. Habe noch keinen großen Hunger. Auch wenn ich tatsächlich gerne Blaubeerkuchen esse", sagte er. John lächelte kurz, dann ging er in die Küche, wo der Kuchen noch immer stand, und begann, ihn anzuschneiden. Noch während er das tat, hörte er, dass Sherlock im Wohnzimmer herumlief. Dann war es kurz vollkommen still, dann erklang plötzlich Musik. Sherlock musste das Radio angemacht haben. John nahm sich schnell einen Teller und eine Gabel, danach nahm er sich ein Stück des Kuchens und setzte sich in das Wohnzimmer auf seinen Sessel, Sherlock gegenüber.

Während er ein paar Stücke aß, die wirklich fantastisch schmeckten, beobachtete er Sherlock, der mit dem Fuß im Takt wippend ihm dabei zusah. Er schien in Gedanken verloren zu sein, was John zum Schmunzeln brachte.

"Du bist süß, wenn du isst", sagte Sherlock plötzlich, während er weiterhin auf John starrte. Der sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. Plötzlich weiteten sich Sherlocks Augen. "Habe ich das gerade laut gesagt?", fragte er peinlich berührt. John kicherte kurz, dann nickte er.

"Hast du", sagte er, während er eine weitere Gabel Kuchen in den Mund nahm. Die Musik stoppte kurz, dann folgte direkt ein neuer Titel, ein langsamer. Sherlock stand auf und reichte John eine Hand.

"Würden Sie mir die Ehre erweisen, mit mir zu tanzen, Dr Watson?", fragte er. John, der spüren konnte, wie seine Wangen dunkler wurden, nickte.

"Ich würde mich geehrt fühlen, Mr Holmes", sagte er und ließ sich von Sherlocks Hand hochziehen, während er den Teller mit dem halbaufgegessenen Kuchenstück auf die Stuhllehne legte.

John legte seine eine Hand auf Sherlocks Hüfte, die andere in die Sherlocks. Dann tanzten sie los. Es war ein Walzer, ein schöner, lustiger. Die Muskik war fröhlich, Sherlock war es ebenfalls. Breit grinsend ließ er John eine Drehung machen. Dieser kicherte kurz.

"Ich liebe dich", flüsterte Sherlock. "So sehr."

"Ich dich auch", antwortete John. So schön, diese Worte zu sagen. Und noch schöner war es, sie zu Sherlock zu sagen. Dem besten Mann, den er wohl jemals kennen würde.

Weiter tanzten sie, bis John aus der Puste war. Leider hatte er nicht länger tanzen können, wie er gewollt hatte. Es schien ihm einfach plötzlich zu anstrengend. Musste wohl an dem Inhalt der letzten Tage liegen. Oder?

Ganz plötzlich gähnte John. Eine Müdigkeit breitete sich in ihm aus. Eine Müdigkeit, die ihn mitreißen wollte. Plötzlich sackten seine Knie zusammen und er fiel auf den Boden. Er schlug nicht mit dem Kopf auf das Holz. Sherlock musste ihn aufgefangen haben. Was war hier los? War er so müde? Das war unmöglich. Er war schon viel länger als nur dies aufgeblieben.

Dunkelheit schien ihn verschlucken zu wollen. Ebenso ein stechender Schmerz am Hinterkopf. War er mit etwas geschlagen worden? Wann?

"John!"

John hörte die besorgte Stimme Sherlocks. Und es ließ ihn nicht gerade besser fühlen. Wenn Sherlock besorgt war, war das kein gutes Zeichen. Er wollte wieder aufstehen, doch seine Beine gehorchten ihm nicht.

"John! Was ist los? Antworte mir, bitte!"

Hilfe.

John öffnete den Mund, doch so sehr er sich auch anstrengte, Wörter kamen nicht heraus. Panik umfasste ihn. Hatte er einen Herzinfarkt? Das hätte er doch in der Brust spüren müssen. Was geschah gerade?!

Hilfe.

"John! Um Gottes Willen, antwortete mir!", rief die Stimme seines Geliebten. Sherlock war bei ihm. Sherlock würde ihn beschützen, oder? Das hatte er immer getan.

"Sh...er...lock...", wisperte er.

Dann wurde alles um ihn herum dunkel und kalt. Eine gähnende Leere breitete sich in ihm aus. Starb er gerade? Nein! Er wollte nicht sterben. Er hatte Angst. Bitte, er durfte jetzt nicht sterben. Sie waren jetzt nach so langer Zeit endlich wieder glücklich, das durfte ihnen nicht genommen werden. Nicht schon wieder. Was war hier los?! Er wollte weiter bei Sherlock sein.

Panik, Schmerzen, Angst.

Hilfe.

Dunkelheit.

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