learning to live
Joanna
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Der Mond scheint durch einen Spalt der Vorhänge in mein Zimmer und hinterlässt einen schmalen Lichtstreifen auf dem Boden. Ich starre den Streifen an, während ich meine Hände auf die Ohren presse. Doch ich kann sie trotzdem hören: die Schreie meiner Mutter.
Als er vor ein paar Minuten nach Hause kam, war er lautstark durch die Wohnung gestolpert und meine Mutter hatte ihn gebeten, etwas leiser zu sein, ich würde schon schlafen. Sofort war er wütend geworden und hatte geschrien, was ihr einfallen würde, ihm in seinen eigenen vier Wänden Befehle zu erteilen. Dann hatte er zugeschlagen. Ich wusste, dass meine Mutter sich bemühte keinen Ton von sich zu geben, mir zur Liebe. Doch ich hörte es trotzdem.
Nach dem ersten Wimmern war ich aus dem Bett geklettert und hatte mich unter meinen Schreibtisch verzogen, die Hände auf die Ohren gepresst und die Augen fest verschlossen. Doch sofort hatte ich das Bild meiner Mutter vor Augen, wie sie jammert, ihn anfleht.
Es ist schlimmer als sonst, er hatte nicht nach einem oder zwei Schlägen aufgehört, sondern schlägt immer und immer wieder zu und ich weiß, was als nächstes passiert.
Tränen rinnen mir aus den Augen, strömen unaufhaltsam über mein Gesicht, gemischt mit Rotz, der aus meiner Nase läuft. Doch ich traue mich nicht, die Hände von den Ohren zu nehmen, um über mein Gesicht zu wischen. Stattdessen starre ich wie gebannt auf den Lichtstrahl, beiße dabei fest auf meine Unterlippe, um keinen Mucks von mir zu geben. In meinem Kopf schreie ich, singe, versuche mich an Details der Geschichte zu erinnern, die meine Mutter mir erzählt hat. Doch nichts kann das grunzende Stöhnen meines Vaters und das verzweifelte Wimmern meiner Mutter vollständig ausblenden.
∞
Schweißgebadet wache ich auf. Ein Alptraum, mal wieder. Wobei es genau genommen kein Alptraum war, sondern eine Erinnerung an früher.
Mein Herz schlägt rasend schnell und wummert in meinen Ohren. Ich presse meine Lippen aufeinander und drücke die eingeatmete Luft langsam hindurch, um meine Atemfrequenz und Puls wieder runterzufahren. Doch ich schaffe es nicht und die aufgestauten Tränen lösen sich aus meinen Augen. Die Bilder der Erinnerung verschwinden nicht mehr aus meinem Kopf, die Schreie meiner Mutter verklingen nicht.
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Als um 6.30 Uhr mein Wecker klingelt, liege ich seit Stunden wach. Ich quäle mich aus dem Bett, ziehe mir etwas über und schleppe mich ins Bad. Mein Spiegelbild schaut mir mit schwarzen Rändern unter den Augen entgegen. Ich sehe furchtbar aus und weiß sofort: Das wird kein guter Tag.
Meine Vorahnung bestätigt sich bereits eine halbe Stunde später beim Frühstück, als mir ein paar der anderen verstohlene Blicke zuwerfen. Ihre Zimmer liegen auf demselben Flur wie meines und ich vermute, ich habe wieder mal in der Nacht geschrien. Sie sagen nichts, aber ihre Augen sprechen Bände. Ich ziehe mir die Kapuze über den Kopf, eine Angewohnheit, die ich einfach nicht ablegen kann, wenn ich mich unwohl fühle. Ich greife nach einer Scheibe Brot und mache etwas Butter drauf. Eigentlich habe ich keinen Hunger, aber ich weiß, ohne Essen darf ich nicht vom Tisch aufstehen. Hier in der Klinik lerne ich nicht nur mit meiner Sucht umzugehen, sondern auch auf mich zu achten, regelmäßig zu essen, genug zu trinken. Das alles sind die einfachen Dinge des Lebens von denen man meinen sollte ich hätte sie als Kind gelernt. Doch mein Vater war die meiste Zeit nicht zu Hause und wenn er es war, war er betrunken und wollte nichts von mir wissen oder hat mich geschlagen. Meine Mutter hat mich immer sehr geliebt und tut es noch immer. Doch unter der Last meines Vaters war auch sie nicht in der Lage, mir beizubringen, was es heißt, umsorgt zu werden und für sich selbst zu sorgen, einen geregelten Alltag zu haben, geregelt zu Essen, unbeschwert zu leben.
In der Wohngruppe hatte ich das erste Mal in meinem Leben einen geregelten Ablauf, zumindest so lange Brandon dort war. Er hat auf mich geachtet, auf mich aufgepasst. Er war mein Rettungsring, mein Anker, mein Zuhause. Doch nachdem er ausgezogen war, änderte sich alles wieder schlagartig. Ich bin morgens los zur Schule und kam oft erst nachmittags oder früh abends wieder. Ob ich frühstückte oder nicht ging meist in dem morgendlichen Trubel unter. Tagsüber war ich für mich allein verantwortlich und wenn man beim Abendessen mal keinen Hunger hatte, war das kein Problem. Ich gehörte nie zu den lauten Problemkindern, also schenkte mir auch niemand besondere Beachtung. Dass die anderen mich nicht leiden konnten und mobbten, wurde großzügig übersehen, es gab Wichtigeres zu erledigen. Ich war nur zur Verwahrung dort, bis ich endlich volljährig werden würde.
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Langsam nage ich an meiner Scheibe Brot und versuche die Blicke der anderen zu ignorieren. Ich wäre gerne woanders, will nicht mehr in der Klinik sein doch ich weiß, ich bin noch nicht bereit wieder zu gehen. Die Gruppen- und Einzeltherapien sind anstrengend und daran teilzunehmen ist jedes Mal eine Qual, doch gleichzeitig habe ich mich noch nie so intensiv mit meiner Sucht, meinen Problemen und der Vergangenheit auseinandergesetzt. Es zerreißt mich innerlich jedes Mal aufs Neue, doch ich merke auch wie es mir Tag für Tag besser geht und ich Tag für Tag stärker werde. Ich wünschte nur, diese Alpträume würden aufhören. Nacht für Nacht liege ich im Bett und habe Angst einzuschlafen, Angst davor, dass meine Alpträume mich einholen. Angst davor mal wieder schreiend oder weinend aufzuwachen und allein in der Dunkelheit zu liegen. Ich kann das nicht kontrollieren egal wie sehr ich es versuche, ich schaffe es einfach nicht. Tagsüber geht es mir gut ich habe kaum noch das Verlangen meine Gedanken zu betäuben. Doch nachts, nachts kommen die Monster unter dem Bett hervor, kriechen aus dem Schrank und ergreifen Besitz von mir. Ich habe schon viel versucht, jede Empfehlung meine Therapeutin, jeden Rat der anderen Patienten, doch nichts hat geholfen. Sie lassen mich nicht in Ruhe und ziehen mich immer wieder zurück in den Strudel der Einsamkeit, des Selbsthasses und der Überzeugung nichts wert zu sein.
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Nach dem Frühstück habe ich das Verlangen mich einfach wieder in mein Bett zu verkriechen, doch der Tag hier in der Klinik ist vollkommen durchgetaktet: Frühstück um 7 Uhr, Gruppentherapie um 9 Uhr, anschließend verschiedene verpflichtende Angebote, Mittagessen um 13 Uhr, Pause. Sportliche Aktivität am Nachmittag, Abendessen um 18.30 Uhr, im Anschluss der abendliche Tagesabschluss um 20 Uhr, Freizeit, Schlafen. Dreimal in der Woche kommt die Einzeltherapie dazu.
Am Wochenende gibt es mehr Freizeit und auch die Teilnahme an den Mahlzeiten ist nicht verpflichtend. Wer möchte kann ausschlafen, das Klinikgelände verlassen und in die Stadt fahren. Ich selbst habe seit Ende Februar die Klinik nicht einmal verlassen, aus Angst schwach zu werden. Das ist bald vier Monate her und mein Aufenthalt neigt sich dem Ende zu. Eine noch längere stationäre Behandlung ist nicht vorgesehen, ich habe die maximale Wochenanzahl erreicht und muss meinen Platz frei machen. Ich habe Angst davor in mein altes Leben zurückzukehren, fühle mich nicht bereit. Tagsüber schaffe ich es manchmal an Brandons Worte zu glauben, dass ich ein gutes Leben verdient habe, dass ich glücklich sein kann, dass ich ein guter Mensch bin, dass ich es schaffe meine Sucht zu besiegen. Doch dann kommt ein neuer oder alter Alptraum und reißt alle meine Fortschritte ein. Ich fühle mich hilflos, ertrage dieses Leben nicht und will all diese Gefühle nicht fühlen. Aber ich habe mich entschieden mich meinen Dämon zu stellen, also ist Aufgeben keine Option.
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Ich zwinge mich zur Gruppentherapie zu gehen, obwohl ich sie nicht besonders leiden kann. Anfangs war ich in einer anderen Gruppe als jetzt, doch weil ich dort nur teilnahmslos saß und nie das Wort ergriff, steckte man mich kurzerhand in die Gruppe von Markus.
Markus ist Mitte 50, selbst ein ehemaliger Süchtiger und viel erbarmungsloser als die anderen Gruppenleiter. Etliche Male habe ich versucht einfach stumm die Gruppensitzungen über mich ergehen zu lassen, doch schweigt man zu oft, fordert Markus einen auf, seine Geschichte zu erzählen. Möchte man nicht oder versucht sich knapp zu halten, bohrt er unnachgiebig nach. Gekonnt trifft er dabei jeden wunden Punkt und zwingt einen sich bis ins kleinste Detail mit sich selbst auseinanderzusetzen. Eigentlich gefällt mir seine Methode, doch an schlechten Tagen würde ich am liebsten einfach davonlaufen. Genau so ein Tag ist heute. Kurz wäge ich mich in Sicherheit, weil schon über die Hälfte der Gruppensitzung um ist, doch dann dreht Markus sich zu mir. Er lächelt, ein warmes unschuldiges Lächeln und ich weiß, meine Gnadenfrist ist abgelaufen.
„Deine letzte Woche hier in der Klinik ist heute angebrochen, nicht wahr, Joanna?"
Ich schaue Markus an und nicke. Er nennt mich immer Joanna, niemals Jo, obwohl ich ihm anfangs immer wieder gesagt habe, dass ich meinen vollen Namen nicht leiden kann. Joanna ist das kleine Mädchen aus der Vergangenheit, nicht ich.
„Möchtest du der Gruppe mitteilen, wie es dir damit geht?"
Ich zucke mit den Schultern. „Weiß nicht", murmle ich leise, den Blick zu Boden gerichtet.
Markus lehnt sich vor, stützt sich mit den Ellenbogen auf seinen Knien ab und mustert mich. „Du hast schlecht geschlafen."
Keine Frage, eine Feststellung. Ich nicke. Er mustert mich noch kurz, dann richtet er sich wieder auf: „In Ordnung, Joanna, falls du den anderen doch etwas mitteilen möchtest, du weißt ja, wie es geht." Und zu meiner Überraschung belässt er es für die restliche Sitzung dabei.
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Nach dem Mittagessen gehe ich in den Garten. Der Juni ist warm und die Sonnenstrahlen fühlen sich gut auf meiner Haut an. Ich sitze gerne auf einer der Bänke unter der großen Kastanie, im Halbschatten. Träume, lese, schreibe, genieße die Wärme und frische Luft.
Die Klinik ist eher ländlich gelegen, es ist meist ruhig und kein geschäftiges Treiben wirbelt um einen herum. Nicht wie in meiner Wohnung in der Stadt. Dort kann ich nicht einfach draußen sitzen, meine Wohnung hat keinen Balkon und selbst wenn, liegt sie mitten in der Stadt. Überall ist es laut und voll, Autos hupen, Menschen reden, irgendwo ist immer eine lärmende Baustelle. Warum bin ich eigentlich in die Stadt gezogen?
„Darf ich?", fragt eine tiefe Stimme und reißt mich aus meinen Gedanken. Markus.
Ich öffne die Augen und nicke. „Klar."
Markus lässt sich mit etwas Abstand neben mich auf die Bank fallen, kurz schweigt er und sieht mich nur an, ehe er das Wort ergreift: „Du warst jetzt lange hier, in einer sicheren Umgebung. Du hast das Klinikgelände nicht einmal verlassen und bist so den Versuchungen in der richtigen Welt entgangen. Ich nehme an, du hast Angst rückfällig zu werden?"
„Ja", entgegne ich, ohne zu zögern. Denn genau davon gehe ich aus, dass ich zu schwach bin und der ersten Versuchung nachgebe.
„Wie lange bist du jetzt schon clean?", fragt Markus.
„3 Monate, 26 Tage."
„Weißt du, Joanna, ich verstehe deine Angst. Mir ging es damals genauso. Aber ich kann dir sagen, egal wie lange du jetzt noch bleiben würdest, diese Angst würde nicht kleiner werden."
Ich nestle mit meinen Fingern eine Weile an meinem T-Shirt herum, während mein Blick durch den Garten streift, der eher einem kleinen Park gleicht.
„Du darfst Angst haben", sagt Markus schließlich. „Diese Angst zeigt, dass du deine Sucht ernst nimmst, und genau deswegen wirst du es schaffen."
„Meinst du wirklich?", frage ich zweifelnd und zwinge mich meine Finger ruhig in meinen Schoß zu legen.
Markus schenkt mir ein sanftes Lächeln. „Ja, ganz sicher."
Mein Blick gleitet zu Boden und ich streiche mir eine einzelne lose Haarsträhne hinters Ohr.
„Ich..." setze ich an, atme tief ein und stoße die Luft hörbar wieder aus. „Es sind die Nächte, die mir Sorgen machen", sage ich schließlich. Ich werfe meinem Gesprächspartner einen kurzen Seitenblick zu. Markus runzelt besorgt die Stirn. „Deine Alpträume werden einfach nicht weniger, was?"
Ich schüttle müde den Kopf. „Die Erinnerungen an meinen Vater lassen mich einfach nicht los. Ich schätze, ich habe sie einfach zu lange verdrängt und mich nicht richtig damit auseinandergesetzt."
„Das sind nicht deine Worte", entgegnet Markus leicht grinsend.
Ich muss schmunzeln. „Nein, aber sie stimmen trotzdem, oder nicht?"
Markus nickt. Wir schweigen einen Moment. Ich strecke meine Beine aus, lehne mich an und lege den Kopf in den Nacken, um in den Himmel zu schauen.
„Hast du denn wirklich niemanden, der in der ersten Zeit bei dir sein kann?", fragt Markus schließlich.
Sofort muss ich an Brandon denken, doch dann fällt mir ein, dass ich nicht weiß, ob er noch da ist, wenn ich zurück bin.
Markus beobachtet mich, bemerkt dabei mein Zögern. „Es gibt also jemanden?", fragt er vorsichtig nach. Ich zucke mit den Schultern, betrachte weiter die Wolken am Himmel. „Ich weiß nicht, vielleicht. Eher nicht, denke ich."
Ich habe über Brandon nie in der Gruppentherapie gesprochen, weil ich fand, dass es die anderen nichts angeht. Aber jetzt möchte ich, dass Markus von ihm erfährt und als ich erst einmal anfange zu erzählen, kann ich nicht wieder aufhören. Markus hört mir aufmerksam zu, murmelt an den passenden Stellen leise „Mhm" und wartet, bis ich alles gesagt habe, was es zu sagen gibt.
„...dann bin ich hergefahren, ohne mich von ihm zu verabschieden und ich weiß nicht, ob er mich überhaupt wiedersehen will", beende ich meine Erzählung, reibe mir mit der linken Hand über die Stirn, versuche die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken und den Kloß im Hals runterzuschlucken.
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In diesem Moment vermisse ich Brandon unfassbar doll und wünsche mir, einfach bei ihm sein zu können. Aber ich habe während meines Klinikaufenthaltes nicht einmal Kontakt zu ihm aufgenommen. Ich weiß nicht, wie es ihm geht, was er macht und ob er noch da ist oder aus der Stadt geflohen ist, die er so sehr hasst. Doch ich hatte Angst, ihn dann zu sehr zu vermissen, alles hinzuschmeißen und die Klinik zu verlassen, wenn ich auch nur eine seiner wunderbaren Nachrichten las. Oder gar seine Stimme vernommen hätte, mit der er es doch immer wieder schaffte, mich zu beruhigen, mir die Sinne zu rauben und ein Gefühl von Heimat zu schenken. Ich bin sicher, ich hätte mich augenblicklich nach einer seiner tröstenden und kraftspendenden Umarmungen verzerrt, die mir immer Geborgenheit schenken. Also habe ich mein Handy bei meiner Abreise ausgeschaltet und seitdem nicht einmal angehabt.
„Er wird da sein", sagt Markus mit einer solchen Gewissheit, dass ich gewillt bin, ihm einfach zu glauben.
„Er hat so viel mitgemacht, sich um dich gekümmert, war immer für dich da. Er wird jetzt nicht einfach verschwinden, wo du es geschafft hast, clean zu werden."
Ich seufze. „Vielleicht", murmle ich leise.
„Er liebt dich", fügt Markus noch hinzu.
Meine Mundwinkel ziehen sich leicht nach oben. „Das tut er", bestätige ich.
„Dann wird er da sein", sagt Markus erneut mit Überzeugung. Dann steht er auf und sieht mich auffordernd an. „Bereit?", fragt er und grinst breit.
Mit einem Blick auf die Uhr dämmert mir, was er meint. Die Mittagspause ist zu Ende und es ist Zeit für die Nachmittagsaktivitäten. Ich habe vor ein paar Wochen angefangen bei Markus Kick-Boxen zu lernen und weiß bis heute nicht, was mich da geritten hat. Mich freiwillig regelmäßig von jemanden verprügeln zu lassen ist nicht unbedingt die schlauste Idee in meinem Leben gewesen.
„Absolut nicht", antworte ich Markus, erhebe mich aber trotzdem von der Bank und gehe ihm hinterher.
Er bleibt noch einmal kurz stehen und dreht sich zu mir um. „Joanna", sagt er leise. „Erlaube dir selbst Angst zu haben. Du darfst Angst haben. Lass es zu und es wird einfacher. Wenn du immer versuchst dir selbst alle Gefühle zu verbieten, wirst du es nicht schaffen."
Markus dreht sich wieder um und ohne eine Antwort abzuwarten setzt er seinen Weg fort. Ich folge ihm.
×××
Am Freitag ist es dann so weit: Mein letzter Tag.
Ein letztes gemeinsames Frühstück, ein letztes Mal Gruppentherapie, dann kommt der Wagen, der mich nach Hause bringt. Ich verabschiede mich von allen, ein paar von ihnen sind mir wirklich ans Herz gewachsen. Doch am meisten vermissen werde ich die Sitzungen mit Markus. Auch wenn ich es jedes Mal furchtbar fand, muss ich mir eingestehen, dass er mir mehr geholfen hat als meine Therapeuten es in den Einzelstunden je konnten.
Ich umarme Markus zum Abschied kurz und er schenkt mir ein aufmunterndes Lächeln.
„Ruf an, wann immer du Hilfe brauchst", sagt er und steckt mir einen Zettel mit seiner Telefonnummer zu.
Ich ziehe die Mundwinkel nach oben und schenke ihm zum Abschied ein schiefes Lächeln. „Danke...", sage ich leise, verschwinde in dem Wagen und lasse die Autotür hinter mir zufallen.
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Meine Wohnung riecht nach Brandon obwohl nichts den Anschein erweckt als wäre er in den letzten Wochen hier gewesen. Allerdings sieht meine Wohnung auch nicht aus, als wäre ich wochenlang nicht da gewesen. Es liegt kein Staub, die Luft ist nicht stickig und zu meiner großen Überraschung lebt sogar die einzige Pflanze, die das Pech hat in meinem Besitz zu sein, noch.
Ich schleppe den Koffer direkt ins Schlafzimmer und mein Blick fällt auf das Nachtschränkchen, wo ich die Botschaft für Brandon hinterlassen habe. Die Nachricht ist fort, das Bild hingegen liegt noch an Ort und Stelle, zusammen mit Brandons Armbanduhr. Das Bild von ihm und mir zeigt deutliche Spuren, die ein mehrmaliges Aufheben, Betrachten und Festhalten hinterlassen haben müssen. Brandons Geruch liegt hier unverkennbar in der Luft und mit einem Blick auf mein Bett fällt mir auf, dass andere Bettwäsche bezogen wurde. Ich lasse mich auf die Bettkante fallen, hebe das Kopfkissen an meine Nase, rieche daran und bin mir sicher: Brandon muss in den letzten Wochen öfter hier geschlafen haben.
Sofort bekomme ich Sehnsucht und ein schlechtes Gewissen, mich nicht einmal bei ihm gemeldet zu haben. Ich fische mein Smartphone aus meiner Hosentasche und schalte es an. Enttäuscht stelle ich fest, dass Brandon nicht versucht hat mich zu erreichen. Keine entgangenen Anrufe oder Nachrichten von ihm. Dafür von Alexander, schon einige Wochen alt. Irgendwann hat er dann aufgegeben mich zu erreichen.
Ich überlege kurz, ob ich Brandon schreiben oder gar Anrufen soll, doch meine Angst vor seiner Ablehnung hindert mich daran. Ohnehin stelle ich mit einem Blick auf die Uhr fest, dass er vermutlich noch am Schlafen ist, um für die Nachtschicht fit zu sein.
Ich packe ein paar meiner Sachen aus, ehe ich unter die Dusche springe und mir anschließend frische Klamotten überziehe. Entschlossen verlasse ich meine Wohnung und mache mich auf den Weg zu Brandon. Unter der Dusche habe ich beschlossen, es würde mir leichter fallen, persönlich vor ihm zu stehen, als ihm zu schreiben oder anzurufen. Doch vor seinem Wohngebäude tigere ich unruhig hin und her, unschlüssig, ob ich wirklich klingeln soll.
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„Jo?"
Ich zucke erschrocken zusammen, schaue mich um und erblicke den ungläubig schauenden Brandon. „Jo...", wiederholt er leise, doch ich bin unfähig zu reagieren und starre ihn einfach nur an.
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