𝟎𝟖 | 𝐇𝐄𝐒̧𝐓
Heute ist u̶n̶s̶e̶r̶ mein Jahrestag mit meinem Ehemann gewesen, oder eigentlich gestern. Was hieß, meine Eltern sowie seine Eltern waren zu besuch gekommen. Ich sollte darüber erleichtert, denn ich war etwas von meinem Partner abgelenkt.
Es ist schon vier Uhr in der Früh, und ich habe kein Auge zumachen können.
Ich habe nie gewollt, ihn als Ehemann und als den Vater meiner zukünftigen Kinder zu wählen — ich will keine Kinder. Man hat mich gegen meinen Willen mit ihm vermählt.
Der Tag, an dem ich die Papiere unterschreiben musste, geht mir bis heute nicht aus dem Gedächtnis. Ich werde niemals etwas davon vergessen.
Als wäre es erst gestern gewesen, das mein Vater mir ins rechte Ohr schrie, ich solle die Unterlagen unterschreiben. Es gab dahinter kein ,sonst', denn das brauchte er nicht — er wusste es, er wusste, was für eine Macht er über mich hatte, ich mich nicht wehren konnte, weil er mein Vater war. Mit einer Hand auf meiner, kräftig und der anderen in meinen Haaren, während meine Mutter hinter und die Eltern meines Ehemannes sowie seine er vor uns waren.
Oder der Tag, an dem ich besonders zu einer seiner Kämpfe von ihm persönlich vor Mama und Baba eingeladen wurde, ich wollte nicht hin. Aber er war zu dem Zeitpunkt mein Verlobter. Ich hatte mir eingeredet, wenn wir schon heiraten werden, dann soll sich eben unsere Liebe mit der Zeit aufbauen und vielleicht würde ich ihm sogar mein Geheimes erzählen — das ich nicht als Geheimnis mehr einsehen will —, und er dann auch konvertiert.
Zum Islam.
Und als er gerade die Luft seines Antagonisten raubte, hatte er mir in die Augen geschaut, man musste ihn von seinem Rivalen zerren, bis er ihn endlich losließ.
Aber genau an diesem Tag vor drei Jahren habe ich zum letzten Mal die Luft von draußen genossen, ohne zu wissen, dass es das letzte Mal sein wird.
In der Küche hatte ich gerade alles vorbereitet, mein Mann war noch nicht da, sollte aber jede Minute auftauchen und die Tür aufschließen. Ja, er verriegelt immer die Haustür hinter sich, damit ich nicht hinausgehe. Denn er hat ein Problem damit, dass ich mit anderen Männern außer ihn spreche und lache und scherze, obwohl ich das niemals tun würde, denn ich bin Muslima.
Ja. Ich bin konvertiert. Und niemand von ihnen hat auch nur eine gewisse Ahnung davon. Weder meine Eltern noch einer meiner Geschwister. Nicht einmal mein Ehemann, dem es eigentlich in seiner Religion nicht erlaubt ist, mich zu heiraten sowie es mir verboten ist. Das waren meine Gedanken, während der Vorbereitung.
Doch von meinen Gedanken wurde ich gerissen, als ich zuhören bekam, wie er die Haustür aufschloss und eintrat. Sofort ließ ich alles in der Küche stehen und liegen und lief auf ihn zu, ehe ich im seine Tasche und Jacke abnahm, die ich gleich auf hang. „Willkommen zurück-" Seine Sporttasche fiel aus meiner Hand, denn er nahm mich ohne Vorwarnung in den Arm und legte seine Lippen ohne meine Erlaubnis auf meine, wieder mal.
Ich wollte aber nicht. Ich hatte seit Beginn nichts von all dem gewollt.
Aber ich ließ es dennoch zu. Ich, eine wehrlose, junge Frau — die noch nicht einmal das Alter von zwanzig Jahren erreicht hat — konnte und kann nicht gegen einen Mann, der zugleich Kickboxer ist. Ein professioneller dazu.
Es war zwar nicht das erste Mal, aber ich werde mich niemals an diesem S̶c̶h̶e̶i̶ß̶ gewöhnen.
Wird es aber nicht langsam Zeit? Ich werde den Rest meines Lebens bis zu meinem Tod mit diesem Mann verbringen, und es gibt keinen Ausweg aus diesem Käfig.
ٱلْحَمْدُ لِلَّٰهِ
{Alhamdulillah;
Lob sei Gott}
Seine Stirn fest gegen meine gedrückt, stellte er mir wieder dieselbe Frage. „Tu dizanî ez çiqas hi te hez dikim?", hauchte er gegen meinen Lippen.
Ich gab keine Antwort darauf, ich gab keinen Mucks von mir, und er gab nicht nach.
Wie auch immer.
„Jîyan" Ich erschauderte. Wie jedes Mal, wenn er meinen Namen auf seiner Zunge spielen ließ.
Sofort nickte ich stumm zustimmend, was ich nicht war. Diese Frage kommt mehr als nur einmal am Tag genau wie heute zu ihrer Zeit, aber ich konnte immer noch nicht so hinnehmen.
W̶i̶r̶d̶ ̶e̶s̶ ̶a̶b̶e̶r̶ ̶n̶i̶c̶h̶t̶ ̶l̶a̶n̶g̶s̶a̶m̶ ̶Z̶e̶i̶t̶?̶
Und schon höre ich mein liebstes Lied an diesem Morgen. Sein Geschrei ist mein Frieden, meine Medizin, für mein verletztes, gebrochenes Inneres. Mein Kind. Mein Sohn. Mein Roj. Mein Yar. Mein Rojyar.
—
Sie konvertierte sich zu einer anderen Religion, bevor sie sich verlobte — bevor man sie mit m̶e̶i̶n̶e̶m̶ ̶V̶a̶t̶e̶r̶ verlobte.
Das steht in ihrem handgeschriebenen Tagebuch, aus dem ich diese Zeilen gelesen habe. Das, was meine Mutter erleben musste, war nichts, was man normalisieren oder romantisieren sollte, darf. ,Nein', ist meine Antwort auf ihre durchgestrichene Frage, die zwei Male vorkommt. Nein würde jeder Normale mit Menschenverstand antworten.
Es ist echt peinlich, wie so ein Buch mich beängstigt hat, es zu öffnen, um die Worte meiner Mutter zu lesen, verstehen, fühlen.
Ihre Schrift. Ihr Schreiben. Ihre Gedanken. Nur wegen ihr würde ich die Tränen fließen lassen. Nur für sie. Aber dann kommen wieder die Worte von meinen Vater ins Gedächtnis. „Starke Männer weinen nicht.", hat er immer gesagt, damit angefangen hat er, als ich erst mit drei Jahren ins Kindergarten durfte.
In diesem Moment habe ich meine Stärke verloren. Und es ist mir unerheblich. Alles, was er mir als Kind präsentierte, ist mir so egal.
„Ich war so dumm. Ich war so dumm, Dayê, es tut mir leid. Bitte, verzeihe mir, Mama. Bitte, verzeihe mir, dass ich so blind war, um dein inneres Ich zu sehen, die ganzen Signale.", verlieren meine Lippen die Wörter, meine Augen ihre Tränen, meine Lunge nimmt keinen Sauerstoff mehr an.
E̶s̶ ̶i̶s̶t̶ ̶d̶e̶i̶n̶e̶ ̶S̶c̶h̶u̶l̶d̶.̶ E̶s̶ ̶i̶s̶t̶ ̶d̶e̶i̶n̶e̶ ̶S̶c̶h̶u̶l̶d̶.̶ E̶s̶ ̶i̶s̶t̶ ̶d̶e̶i̶n̶e̶ ̶S̶c̶h̶u̶l̶d̶.̶ E̶s̶ ̶i̶s̶t̶ ̶d̶e̶i̶n̶e̶ ̶S̶c̶h̶u̶l̶d̶.̶ E̶s̶ ̶i̶s̶t̶ ̶d̶e̶i̶n̶e̶ ̶S̶c̶h̶u̶l̶d̶.̶ E̶s̶ ̶i̶s̶t̶ ̶d̶e̶i̶n̶e̶ ̶S̶c̶h̶u̶l̶d̶.̶ E̶s̶ ̶i̶s̶t̶ ̶d̶e̶i̶n̶e̶ ̶S̶c̶h̶u̶l̶d̶.̶ E̶s̶ ̶i̶s̶t̶ ̶d̶e̶i̶n̶e̶ ̶S̶c̶h̶u̶l̶d̶.̶ E̶s̶ ̶i̶s̶t̶ ̶d̶e̶i̶n̶e̶ ̶S̶c̶h̶u̶l̶d̶.̶ E̶s̶ ̶i̶s̶t̶ ̶d̶e̶i̶n̶e̶ ̶S̶c̶h̶u̶l̶d̶.̶
Ich weiß, ich schwöre. Mit den Händen versuche ich diese Stimmen, welche nicht aufhören, mir in die Ohren zu flüstern, zu verscheuchen. Immer wieder. „Ich weiß!", höre ich mich irgendwann selbst schreien. Ersticke, die Luft ist viel zu dünn, in meiner Luftröhre eng.
Das Erste, was mir in den Sinn erscheint, ist, ich brauche meinen Spray. Nicht einmal Sport raubt mir den Atem so sehr wie die Gedanken an sie es tuen.
Erstens; Schütteln.
Zweitens; Ausatmen.
Drittens; In den Mund sprühen.
Viertens; Einatmen.
Aber auch wenn ich jetzt besser die Luft in die Lunge bekomme, fühle ich mich — nein, ich fühle nichts. Ich weiß nicht, wie ich mich jetzt fühlen soll, aber ich vermisse sie. Auch wenn sie nun in meinem Kopf lebt, lebt sie schon seit langem in meinem Herzen. Auch wenn ich erst durch ihre Worte erfahren musste, sie gehörte nicht mehr zu uns.
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