𝟎𝟓 | 𝐏𝐄̂𝐍𝐂
Als ich eintrete, finde ich Rojyar noch mit seinen Schülern am Sitzen etwas besprechen, dabei lassen seine dunklen Augen ihn so streng und ernst aussehen.
Dann beendet er seine Rede, seine Schüler stehen auf und gehen in deren Umkleidekabine, während er von seinem Platz aufsteht und auf mich zu kommt, nachdem er mich entdeckt hat, und mir die Faust vor hält. Doch erst lege ich meine Tasche ab und gebe ihm meine Faust ebenso als Begrüßung.
Schnell binde ich mir mein braun lockiges Haar, dessen Spitze mir bis zu den Schultern reicht, zusammen zu einem Pferdeschwanz, bevor er mit mir sein geplantes Training startet.
Wie bei jedem Trainingstag muss ich mich mit ihm aufwärmen, dabei hasse ich es. Irgendwelche bestimmte Bewegungen spielt er vor, und ich tue sie ihm nach.
Was ich beim Boxen genauso hasse, ist das Schattenboxen. Weil genau danach ich erst gegen einen der Boxsäcke zuschlagen kann, und es lässt diese Ungeduld in mir nicht aufhören, zu kitzeln.
Rojyar, der vor mir die Pratze hält, stellt sie kurz ab und hebt seine zu Faust geballten Hände höher. Was so viel heißt, ich soll meine Fäuste höher halten.
Nach einer kurzen Trinkpause, welche er durch seinen kurzen Asthmaanfall aufgerufen hat, verlangt er mich schon zu sich mit einem Wedeln durch die Hand. Beim ersten Mal habe ich mich überrascht, was ich mir an dem Tag nicht anmerken lassen habe, aber ich habe wirklich nicht erwartet, dass jemand wie Rojyar ein Asthmatiker ist. Und schon fange ich an mich schlecht deswegen zu fühlen.
Erst nach ein paar weitere Übungen, wobei ich schließlich das Kicken mit zu verwenden gelernt habe, steigt er in den Ring, und ich ihm hinterher.
Ich werde nicht nur ausweichen, ich werde mich zu wehren versuchen. Ich habe keine Angst mehr. Es ist nur eine Übung. Es ist nur Rojyar.
Aber was wenn ich dann wirklich geschnappt werde und ich mich verteidigen muss mit den Künsten, die er mir lehrt. Dann ist es nicht mehr Rojyar.
Rojyar fängt Schlag für Schlag an, langsam, sodass ich auch mitkommen kann, sodass ich noch die Chance habe, mich gegen seine Angriffe einzusetzen.
Aber was wenn ich dann wirklich attackiert werde, dann werden die Schläge meines Angreifer nicht so langsam und behutsam sein wie die von Rojyar. Es wird nicht Rojyar sein.
Ich habe es soweit geschafft, sollte dankbar dafür sein, dass ich noch lebe, aber nutze nichts der Übungen aus, um mich zu schützen. Ich bin so armselig, fühle mich so schlecht, weil Rojyar bestimmt schon denkt, dass er seine wertvolle Zeit an mir verschwendet hat, nur damit ich dann nichts von dem anwenden kann, was er mir gelehrt hat.
Tu was, Canan! Tu etwas, egal was!
Los, tu' es jetzt!
Los, tu' es jetzt!
Los, Canan!
Jährlings drücke ich mit dem linken Unterarm seine Fäuste runter und treffe mit der geschwungenen rechten Faust seinen Kinn, ehe er seinen Kopf zur Seite fliegen lässt und zieht sich zurück.
Das breite Lächeln Rojyars bringt ein Grübchen zum Vorschein und lässt ihn strahlen wie die Sonne im hohen Sommer — wir sind schon am Ende des Herbstes gelangt, die Tage werden immer kürzer und kälter —, weshalb es mir nun um einiges wärmer wird. Und es steckt mich sofort an.
Es ist wie, als würde die Zeit zum Stehen kommen, und ich will nicht, dass sie fortfährt. Es ist wie, als würde ich in einem Museum, in welchem kein so perfektes Gemälde steht, als der vor mir, wo ich nicht mehr weg möchte. Es ist wie, als würde der warme Regen auf mich prasseln und irgendwann Petrichor hinterlassen, während die Sonne ihren Schein auf mich richtet an einem warmen Samstagnachmittag. Es ist wie, als würde mein Herz aufgehen, sowas habe ich noch nie zuvor gespürt. Das letzte Mal war in der Grundschule, nachdem dieser eine Junge hinter mir stand und mich gerettet hat. Nach dem Tag habe ich mir geschworen, ich werde es nicht vergessen und gewünscht, ich wolle ihn wiedersehen.
Könnten meine Augen bloß Bilder machen... Ich würde diese Pose tief in meinem Gedächtnis festhalten, für immer und ewig.
I̶c̶h̶ ̶w̶i̶l̶l̶ ̶v̶o̶n̶ ̶i̶h̶m̶ ̶i̶n̶ ̶d̶i̶e̶ ̶A̶r̶m̶e̶ ̶g̶e̶n̶o̶m̶m̶e̶n̶ ̶w̶e̶r̶d̶e̶,̶ ̶u̶n̶d̶ ̶e̶r̶ ̶s̶o̶l̶l̶ ̶m̶i̶c̶h̶ ̶n̶i̶e̶ ̶w̶i̶e̶d̶e̶r̶ ̶l̶o̶s̶l̶a̶s̶s̶e̶n̶.̶
أستغفر الله
{Astaġfiru l-lāh;
Ich bitte Allāh um Vergebung.}
Was sind das für Stimmen, die in meinem Kopf von solchen Dingen träumen? Das ich jemanden umarmt habe, ist wirklich lange her. Es ist derselbe Junge gewesen, der mir geholfen hat.
Das soll aufhören, das gefällt mir nicht.
Nach dem Training hat hat der Mond schon längst den Platz der Sonne eingenommen, und wie jedesmal beschließt auch heute Abend Rojyar mich nach Hause zu begleiten. Er weiß nicht, wie viel mir das bedeutet, und ich will es ihm erzählen, aber, was wenn er mir dann auch nicht glaubt? Mich dann genauso wie alle anderen als ,Verrückte' abstempelt?
Ich lasse es sein. Bilde mir selbst ein, ich fahre mit meinen Gedanken viel zu weit, aber so ist es nun mal, wenn man niemanden zum Reden hat, obwohl man in den dringendsten Fällen einen neben sich braucht. Und ich brauche diese Person jetzt.
—
weiß nicht, was ich zu diesem kapitel sagen soll, was mich anfangs gestört hat, ist, dass es wirklich kürzer ist im Vergleich zu den anderen. Aber hier geht es nur um Canan und ihre Gedanken. Sie kann weder hören noch sprechen bzw. hat damit aufgehört, und deswegen akzeptiere ich es so.
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