𝟎𝟏 | 𝐘𝐄𝐊

Gerade als ich die Tasse zu meinen Lippen führe, hält mich die Klingel davon ab. Und dennoch nehme ich schnell einen Schluck vom Kaffee und ziehe mir mein T-Shirt über, bevor ich die Tür öffne. Frisch aus dem Bad bin ich gekommen.

Ich wusste, ich sollte nicht hier bleiben. Vielleicht höre ich das nächste Mal doch auf diese Stimme und verlasse dieses verdammte Land.

Welcher verdammte H̶u̶r̶e̶n̶s̶o̶h̶n̶ klingelt an einem frühen Morgen bei dem Anderen? Nicht einmal ein H̶u̶r̶e̶n̶s̶o̶h̶n̶.

Oh, die Polizei.

Zwei Polizisten. Eine Dame und ein Herr, um genauer zu sein.

Sie wünschen mir einen Guten Morgen, und ich kann nicht anders, als es ihnen zurück zugegeben. Aber meine Gedanken schweifen danach, was ich wohl getan habe, dass sie hier um diese Uhrzeit auftauchen.

Hat der Mistkerl es geschafft mich anzuzeigen? Hat er das wirklich durchgezogen? Ich hätte definitiv nichts dagegen, vor einem Richter zu stehen. Selbst ohne einen Anwalt.


• ↯ •

Der gestrigen Abend;

Schlagartig packe ich wieder meine Sachen, hänge die Tasche über die Schulter und verlasse den Klub.

Laufend überquere ich die Straße. Doch eine junge Dame — sie könnte meine kleine Schwester sein — kommt mir entgegen und ich bleibe stehen. Wir haben zwanzig Uhr und es ist schon stockdunkel, seitdem es zu achtzehn Uhr geschlagen hat.

Sie dreht sich wie eine Paranoia immer wieder um, aber läuft auch gleichzeitig mit zu sehr schnellen Schritten vorwärts. Ihre Schritte werden immer schneller und schneller, sodass ich mich wirklich dafür interessiere, weshalb.

Bin ich es? Bin ich es, der ihr Angst macht?

Dieses Gefühl belästigt mich sehr, weswegen ich mich umdrehe und einen anderen Weg nehme, welcher sogar länger dauert, bis es mich nach Hause führt.

Abrupt bleibe ich wie erstarrt stehen, als jemand an mir mit solch einem Sprint vorbei rast. Es ist das Mädchen.

Ich drehe mich um, um zu wissen, vor was oder wem sie so davonrennt. Doch im nächsten Moment rennt mir ein Mann entgegen, der ihr hinterherjagt. Wie Katz hinter Maus.

Sollte ich hinterher? Oder doch lieber Heim gehen. Der kürzere Weg ist ja frei, also...

Nach einem tiefen Atemzug beschließe ich die Sache auf den Grund zu gehen. Was, wenn sie doch in Gefahr ist? Aber was, wenn auch—

Ich hasse schwache Frauen, aber dennoch können sie nichts für ihre Schwäche, Angst, Furcht, g̶e̶n̶a̶u̶ ̶s̶o̶ ̶w̶i̶e̶ ̶m̶e̶i̶n̶e̶ ̶M̶a̶m̶a̶.

Es besteht aber auch die Garantie, dass sie diese Schwäche von einer Situation haben, die sie traumatisiert und bis heute noch leiden.

Als ich um die Ecke abbiege, finde ich die beiden so auf, dass er sie sich schnappen konnte und an der Wand eines Gebäudes gedrückt hält. Sie weint und schüttelt den Kopf wiederholend.

Wie ein Alarm renne ich auf beide zu und packe den Täter am Kragen seines schwarzen T-Shirts und löse ihn so von ihr. „Sie sagte, Nein." Aber erst als ich ihm einen fetten Schlag ins Gesicht schenke, senkt er seine Blicke wie ein kleiner Welpe, der ängstlich vor seinem Herrchen anfängt zu wimmern. „Und Nein heißt Nein."

Auch wenn sie nicht den Mund geöffnet hat, um zu verneinen, hat auch ihr kräftiges Kopfschütteln gereicht.

Seine kleinen Hände umklammern fest meine, welche ihn immer noch am Kragen halten, und das Gebiss fest zusammengedrückt.

Diese Wut in mir möchte ihren freien Lauf schenken, aber wegen ihr könnte ich gleich hinter Gittern landen. Das bin nicht ich.

Oder, Dayê?

Nachdem ich ihn in Ruhe gelassen habe, konnte ich nicht anders. Ich musste ihr folgen. Aber nicht im falschen Sinne. Ich will nicht wie ein Stalker klingen, aber es ist notwendig.

Sie ist direkt davon gerannt, als ich sie aus den dreckigen Fängen des Bastards befreit habe. Schlau gehandelt und dennoch ist mir die Sorge um sie nicht einfach so entgangen.

Denn was wäre, wenn der Gewalttätiger nicht alleine hinter ihr her war?

Sie kommt immer noch nicht darauf klar, was vor ungefähr weniger als vierzig Minuten geschehen ist. Und ich kann es nachvollziehen.

Hastig versucht sie sich zu beruhigen, das Zittern unter Kontrolle zu halten, um endlich diesen verdammten Schlüssel richtig in den Schlüsselloch einzuführen.

Atmet sie?

Sie muss atmen.

Atme, Mädchen, atme.

Erst als ich sicherstelle, dass sie eingetreten ist und die Tür hinter sich geschlossen hat, kehre ich dennoch nicht nach Hause.

• ↯ •


Aber es sind nur zwei Polizisten. Sollten sie normalerweise nicht mehr sein? Ich habe null Ahnung von dem Scheiß, ich hatte auch bis vor kurzem keine wirklichen Probleme.

„Wir hoffen, wir stören Sie nicht.", kommt die Polizistin zu Wort.

Ich schüttele nur mit dem Kopf, was aber verständlich einfach gelogen ist, und fange automatisch an, beide zu erkunden. Beide tragen dieselbe Uniform. Aber auch diese auffällige Uniform plus ihre Weste, dass man denken könnte, die nehmen mich gleich fest. Die Dame aber hält ein Buch in ihren Händen, und der Andere steht wie ihr Sicherheitsmann hinter ihr, schaut mir aber nicht direkt in die Augen.

„Erstens; wir wünschen Ihnen alles Gute zum Geburtstag."

Ich lasse eine Augenbraue in die Höhe steigen. Ist das normal, dass Polizisten bei jedem an ihrem einundzwanzigsten Geburtstag klingeln, nur um zu gratulieren?

„Zweitens; dies ist Ihr Recht, es zu bekommen an diesem Tag" Ihr Stimme bricht mittendrin, und senkt ihren Blick von mir. „von Ihrer Mutter.", beendet sie ihren Satz und überreicht mir das Buch.

Augenblicklich regt sie meine Aufmerksamkeit nun vollkommen auf.

Aber warum jetzt? Es sind beinahe fünf Jahre her, und ich bekomme es erst jetzt? Es ist ein Notizbuch. Ein volles. Und es wiegt schon etwas schwer für ein normales Notizbuch. Aber von Mama? „Danke"

„Unser Beileid, nochmals. Wir wünschen Ihnen noch einen schönen Tag." Beide kehren mir den Rücken zu, nachdem ich sie ebenso verabschiede, und ich schließe die Tür.

Sofort setze ich mich auf die Couch im Wohnzimmer und schlage die erste Seite auf, um ein zusammengefaltetes Blatt mit der Überschrift ‚Das Testament' vorzufinden.

Es ist ihre Schrift.

Meine Augen schweifen durch ihre Zeilen. Es ist ihre Unterschrift, nach ihren ganzen Worten, auf dem unteren Teil des Blattes.

In ihren Zeilen stehen ihre Wünsche, mit denen sie mit ,Mein letzter Wille besteht aus folgenden Wünschen' angefangen hat zusammengefasst.

Mit zittrigen Händen blättere ich Seite für Seite weiter, bis ein Bild zwischen ihren Seiten zu Boden herausfällt. Ich hebe es auf und drehe es um.

Wir.

Wie lange muss das her sein? Wie klein sehe ich aus? Wie jung sie aussieht...

Als ich mir vornehme, alles von vorne anfangen zu lesen, erfahre ich, weshalb ich es genau an diesem Tag bekommen habe.

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