𝟎𝟓 | 𝐏𝐄̂𝐍𝐂
„Ich meinte doch kein Kochbuch damit!", zische ich voller Aggressionen. Aggressionen, die ich noch nie raus ließ — nicht traute, sie preiszugeben. Aber dieses Mal fühle ich mich so, so voll, so verstopft, dass das hier der Tropf zum Auslaufen ist.
Ich habe m̶e̶i̶n̶e̶n̶ ̶M̶a̶n̶n̶ angeschrien. Ich habe ihn wirklich angeschrien.
Seine Augen vergrößern sich, seine linke Augenbraue wandert hoch und sein rechter Mundwinkel steig auch langsam auf.
Was habe ich bloß getan?
„Ich- ich meinte es nicht so, ich schwöre...", kommt es hauchend aus meinen Lippen und in meinen Augen machte sich Flüssigkeit breit.
Es ist meine schuld. Dieses Mal habe ich verstanden, weshalb ich es verdient habe, geschlagen zu werden. Wenn ich könnte, würde ich mich selbst anspucken.
Schmerz und Sorge macht sich in mir breit, mein Herz zieht sich zusammen. Sorge, so eine große Sorge, weil ich nun ein Kind in mir trage. Ich dürfte nicht so reagieren, denn ich hätte damit rechnen sollen, in was für einen Teufel er sich nur verwandeln würde.
Oder nun ist.
„Bê xode, ich meinte es nicht so. Es-" [Bei Gott] Ich strecke meine Arme zur Schutz aus und gehe langsame Schritte nach hinten zurück, da er langsame Schritte auf mich zukommt, was mir nur noch mehr Angst bereitet.
„Wer hat dir dazu die Erlaubnis gegeben?", presst er Wort für Wort gefährlich aus dem Mund und kommt mir Schritt für Schritt immer näher. Während ich mich versuche von ihm zu entfernen, hält mich die kühle Wand hinter mir auf, als ich gegen sie knalle.
Nicht mehr lange und schon landet seine harte, warme Hand gegen mich, welche dafür verursacht, dass mein Gesicht zur Seite fliegt, und schon fängt die getroffene Stelle an zu brennen.
Was ich lange her nicht wusste, ist, dass ich mich bereits im Höllenfeuer befinde. Ich wurde darein gestoßen und das absichtlich. Von meiner eigenen Familie. Aber ich weiß es jetzt. Und ich muss damit klarkommen.
Mit zwölf Jahren, in meiner Kindheit – welche ich nicht wirklich viel davon erleben konnte – suchte ich auf YouTube, wie man Selbstmord begeht. Ich kann mich sogar noch genau an dem Tag erinnern. Stattdessen gab es Videos, die einen anscheinend motivieren sollten auf der Welt zu bleiben – hat mir nicht wirklich was gebracht.
Ich hatte schon in dem Alter Selbstmord Gedanken.
Mit meinen früheren zehn Jahren wusste ich nicht einmal, dass so etwas wie Hölle und Paradise existiert, hatte kaum Wissen über meine damalige Religion, wofür ich mich eigentlich nicht hätte Schämen sollte. Ich war ein Kind. Ich wusste nicht einmal, dass ein Gott über uns wacht. Ich wusste rein gar nichts.
Dieses Wissen, welches ich über Islam erfahren habe, ist nicht nur das allgemeine Wissen. Ich kann mich noch genau and dem Tag meiner Konvertierung erinnern. Es war... es war nicht das schönste, was ich je erlebt habe. Das Adjektiv ,schön' ist mir viel zu untertrieben. I̶c̶h̶ ̶g̶l̶a̶u̶b̶e̶-̶ Ich weiß, an dem Tag meiner Konvertierung habe ich gelebt. An dem Tag habe ich mich wie im Paradies gefühlt. Schon als ich die Shahāda nach sprach. Mir wurde sogar an dem Tag einen Qur'an geschenkt.
Ich hielt den Qur'an in den Händen, dessen erste Sure mich zum weinen brachte. Beenden konnte ich sie nicht.
Noch nicht, oder, Allāh?
„Bi-" Noch ein brennend schmerzhafter Abdruck, woraufhin noch eins folgt und noch eins und noch eins, bis ich zu Boden falle.
„Nein", versuche ich ihn aufzuhalten. „Ich trage d– dein Kind in mir, du kannst–" Mein Hals fühlt sich so trocken an, als wäre es die Wüste.
Er stoppt augenblicklich.
„Bitt- Für das Kind." Ich spüre, wie etwas Flüssiges von meiner Stirn langsam hinunter bis zu meinem Kinn fließt, genauso wie etwas aus meiner Nase und meine aufgerissene Lippe lässt sich nicht unbemerkt.
Es ist meine Schuld. Wie konnte ich auch von ihm etwas verlangen? Wie hatte ich mich das überhaupt getraut?
In Panik gerate ich, meine Atmung verschnellert sich, als würde ich nach Luft schnappen wollen, als würde sie mir entgehen.
̶E̶s̶ ̶i̶s̶t̶ ̶B̶l̶u̶t̶.
̶E̶s̶ ̶i̶s̶t̶ ̶B̶l̶u̶t̶.
̶E̶s̶ ̶i̶s̶t̶ ̶B̶l̶u̶t̶.
̶E̶s̶ ̶i̶s̶t̶ ̶B̶l̶u̶t̶.
̶E̶s̶ ̶i̶s̶t̶ ̶B̶l̶u̶t̶.
Wieder einmal.
Scham überkommt mich, als mir die Gedanken und Wünsche meines alten Ichs wieder einfallen.
Wie konnte ich bloß denken, ich hätte Frieden verdient? Wie konnte ich bloß denken, dass ich es raus schaffen werde aus diesen dunklen, bösen Albträumen? Wie konnte ich bloß denken, mich würde eines Tages jemand daraus retten? Was waren das für Hoffnungen? Wie konnte ich nur?
Als die Nacht hereinbricht, kehre ich zu demselben Traum zurück. Der Traum, den ich angefangen habe zu träumen, als ich mich frisch konzentriert hatte.
Zum Meer. Diese Stimme ruft wieder einmal nach mir. Sie klingt so wunderschön, so schön.
Niemand will mich, weshalb ich mich auch wundere, weshalb man wohl nach mir ruft. Niemand will diesen Schmerz, den ich tief in mir trage.
Auf meinem Kissen, ohne Frieden, träume ich nur das Böse meistens, nicht bis zum Untergang der Welt.
Es ist wie ein Fluch, das nicht aufhört und niemals wird.
Diese Seele in mir kann nicht wirklich ein Zuhause haben. Diese Seele in mir kann keinen Ton von sich geben.
Selbst der Schlaf, der mich eigentlich beruhen sollte, das Einzige, was mich Frieden sehen sollte, das Einzige, was mich Frieden fühlen lassen sollte, leiht mir keine Ruhe.
Aber dieser Traum...
„Jîyan!", ruft sie immer und immer wieder. Aber ich kann sie nicht finden, sie ist nirgends.
So überfordert bin ich. Mein Herz rast und renne. Renn nur so schnell ich kann, nur damit dann der Strand zu einer Klippe wandelt, was ich nicht bemerke. Als mir die Spitze ins Auge sticht, versuche ich noch abzuhalten, doch rutsche aus und falle ins Tiefe.
Ins Tiefe, wo mir der Sauerstoff in der Lunge nicht reicht.
...ist auch nur einer meiner weiteren Träume.
Auf Anhieb reißen sich meine Augen auf, versuche nach Luft zu schnappen, doch kann mich noch nicht wirklich viel bewegen.
Wenn ich die ganze Sache selbst nicht einmal aushalten kann – auch wenn ich mich doch eigentlich daran gewöhnt habe – wie soll ich es dann noch mit einem Kind schaffen? Werde ich es überhaupt können?
Mein Herz rast unkontrolliert, meine Augen füllen sich direkt mit Tränen auf, nur um diese nacheinander fließen lassen, und das schneller und schneller und schneller.
Ich- Ist es schon Gebetszeit? Wie viel Uhr ist es jetzt? Habe ich das erste Gebet schon wiese verpasst?
5:00 Uhr. Seit vor zwei Stunden war eigentlich das Gebet, glaube ich. Aber es ist Sommer. Da ruft der Adhān so um drei Uhr morgens die Menschen zum beten auf. Ich muss es sofort nachbeten.
Ich wische mir schnell die geflossenen Tränen davon und versuche wieder klarzukommen.
Als ich doch versuche vom Bett aufzustehen, bereit um meine Gebetswaschung zu nehmen, werde ich zurück aufs Bett gezogen. Von ihm.
„Du bleibst hier"
„Aber ich muss auf die Toilette. Bitte." Ruckartig lässt er mich los und steht auf.
„Na los, ich komme mit." Was? Nein. Er kann- darf nicht. Ich kann sonst nicht das Gebet verrichten.
„Ich komme schon klar, schlaf du weiter. Du musst bald zur Arbeit, also schlaf die letzten Stunden aus.", versuche ich ihn aufzuhalten.
Ein Trainer ist er doch nur, weshalb er so früh auf die Arbeit muss, weiß ich nicht. Ich will es auch nicht wirklich wissen.
Er legt sich daraufhin wirklich wieder hin und ich stehe vom Bett auf, ehe ich zuerst auf die Toilette gehe, nur um nicht aufzufallen.
Ich versuche so gut es geht, klingen zu lassen, als müsste ich, obwohl ich beten sollte.
Als sein Schnarchen zu hören ist, schleiche ich mich sofort ins Badezimmer und schließe die Tür ab. Zuerst die Gebetswaschung danach das Gebet.
Ich muss diesen ungewollt schnell beenden.
"السَّلاَمُ عَلَيْكُمْ وَرَحْمَةُ اللهِ وَبَرَكَاتُهُ"
[Friede sei mit dir, sowie die Barmherzigkeit Gottes und sein Segen, As-Salamu Alaykum Wa-Rahmatullahi Wa Barakatuh]
"السَّلاَمُ عَلَيْكُمْ وَرَحْمَةُ اللهِ وَبَرَكَاتُهُ"
Und somit beende ich das erste Gebet des Tages. Ohne die Möglichkeit eine Du'a machen zu können. Das ist einer der Dinge, die mir am meisten das Herz brechen – nicht viel für meinen Deen tun zu können aus Angst.
Aber ich weiß, dass mein Schöpfer weiß, was mir auf der Seele liegt. So tief in mir. Denn wahrlich, er ist der Allwissende.
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