𝐖𝐈𝐄 𝐀𝐋𝐋𝐄𝐒 𝐁𝐄𝐆𝐀𝐍𝐍

Fünf Jahre.

Seit genau fünf Jahren verbringen wir hier in Deutschland unsere Lebenszeit. Seit genau fünf Jahren sind wir von der traumatisierenden Zeit entflohen.

Frieden, das hat sich jeder gewünscht und erträumt auf der Flucht aus der Gefangenschaft nach Europa. Nach Deutschland. Und dennoch kann ich mich an jeden einzelnen Moment erinnern, als wäre es erst Gestern gewesen.

Frieden. Freiheit. Leben.

Jedoch schon nach genau zwei Jahren, elf Monaten und zwölf Tagen hier habe ich mich zu einer anderen Religion konvertiert. Zum Islam. Zu der, zu der man uns erzwingt hat. Mit dem Bewusstsein, es gibt kein zurück mehr. Niemand weiß davon Bescheid, ich verheimliche es, denn sollte jemand — besonders mein Vater — davon mitbekommen, so gehörte ich nicht nur nicht mehr zur Familie Azad, sondern mir könnte man alles wegnehmen. Mit alles meine ich sogar Kleidung und Geld.

Aber das wäre für mich verständlich. Mein Vater hat am Meisten für unsere Freiheit gekämpft, nur damit sich seine Tochter zu der Religion konvertiert?

Ich bin die pure Enttäuschung seiner Familie. Seine Familie Azad. Aber ich konnte nicht anders.

Ich wollte zum Islam. Mein Herz pocht für diese Religion. Es will endlich mal alle Gebet verrichten, aber ich kann nicht zulassen, dass er mich erwischt. Früher war es meine Familie vor der ich Angst hatte, sie würden mich bei einer Verrichtung eines der fünf Gebete attrappieren. Ich konnte nicht einmal an einem Tag alle fünf verrichten.

Drei Jahre hier in Deutschland und schon wurde ich verheiratet. Ich wurde weitergegeben an meinen Cousin, der mich liebt. So hat man es mir erzählt, so hat es sich rumgesprochen. Er liebt dich. Er will dich als seine Frau.

Ich wollte diese Ehe nicht, denn ich hatte Angst. Ich war neunzehn, konnte nicht einmal die deutsche Sprache richtig beherrschen, weil ich generell schlecht bin in das Erlernen neuer Sprachen. Und nun sollte ich einen Bekannten heiraten, den ich noch nie zu Gesicht bekommen habe?

Plus, dass er herausfinden würde, dass ich nicht mehr... Dass ich nicht mehr das bin, was ich in der Nacht sein sollte.

Jungfrau.

Niemand weiß davon. Oder eher gesagt wusste. Ich habe es niemandem gesagt. Man hat mir gedroht. Bis heute habe ich Angst. Bis heute bin ich gefangen. Bis heute behandelt man mich wie damals. Damals, was damals bleiben sollte, findest du nicht, Jabo?

Mein jetziger Mann hat es in der Nacht herausgefunden. Ehrlich gesagt, ich habe es ihm erzählt, bevor er mich überhaupt berühren konnte. Ich habe Angst gehabt und bin in eine gewalttätige Panik verfallen. Vor ihm.

Er hat mich dann allein gelassen. In meinem weißen Hochzeitskleid im Schlafzimmer unseres Hauses.

Aber dass ich Muslima bin, hat bis heute niemand eine Ahnung.

Also ließ ich diese Ehe nur zu, damit niemand von meiner Konvertierung herausfand, obwohl es mir als Muslima nicht erlaubt war, jemanden zu heiraten, der zu einer anderen Religion gehörte, so war es auch bei seiner Religion so. Plus ich hatte ihn noch nie zu Gesicht bekommen. Denn ich war noch in der Gefangenschaft mit der Familie, während er und seine Familie schon hier eingebürgert wurden. Ich nahm auch die Heirat nur an, da er schon bereits die Deutsche Staatsangehörigkeit besaß, und meine Eltern wollten, dass ich auch eine bekam, damit sie auch irgendwann ihre bekommen durch einen schnelleren Weg.

Ich war mir nicht sicher, ob es so geschehen würde, hatte auch keine Ahnung von dem Ganzen, aber solange meine Eltern (oder eher gesagt: Vater) es so wollten — was für mich auch hieß „Freiheit vom Vater, von dem Verrat meiner Familie" — tat ich dies mit der Angst, was für eine Strafe mich am jüngsten Tag wohl erwarten mag.


❦❦❦


Ich kann mich noch genau an die Tage erinnern, als es anfing, an jeden einzelnen Detail;

Ich ging gern unbemerkt, unauffällig mit meinen Problemen zu meinem Schöpfer und es häufte sich. Dieser eine Satz, diese eine Bitte: „Bring mich von hier weg, Ya Rabb'. Lass mich zu dir kehren, bitte!" und das schlimme daran war, dass ich damit meine eigene Familie meinte. Meine eigene Mutter. Meinen eigenen Vater. Meine eigenen Geschwister.

Und heute noch meinen eigenen Ehemann.

Keça Kera, du machst das nicht richtig!" [Tochter eines Esels], beleidigte ich meine jüngere Schwester, die versuchte Kartoffeln zu schälen, es aber falsch tat, und verpasste ihr einen leichten Klatscher hinterm Kopf.

„Steh auf und pass solange auf Baran auf, bis deine Dayê vom Einkaufen zurück ist." Sie stand vom Stuhl auf und lief ins Wohnzimmer.

„Ich sag das Jabo!"

F̶i̶c̶k̶ ̶d̶i̶c̶h̶!

Nicht mehr lange und dann tauchen die Besucher auf, dachte ich mir, als ich auf die Uhrzeit schaute. Ich beschleunigte mein Tempo.

Ich hatte mir gewünscht, meine Eltern hätten mir erlaubt bei meiner Oma zu bleiben. Aber wann haben sie mir jemals etwas erlaubt?

Das Ringen der Klingel riss mich aus meinen Gedanken, und keiner öffnete die Tür, weshalb es immer noch klingelte, und meine Wut stieg auf, dass ich schon fühlte, wie mein Gesicht zu glühen begann. „Jemand soll die Tür öffnen!", rief ich, doch keiner hörte.

Stattdessen heulte mein kleiner Bruder lauter.

[Sabr, Geduld] .صَبْرٌ

Ich ließ alles in meinen Händen fallen und lief selber zur Tür, ehe ich sie öffnete und meine Mutter sowie mein Vater mit Einkaufstüten in den Händen hereintrat.

„Warum öffnet niemand die Tür, wenn man klingelt? Bist du Taub?", zischte mein Vater wütend auf seiner Muttersprache, kurmandschi.

„Ich habe Razan gebe─"

„Ich habe Razan gesagt... Yanî, tu nikarî?" [Also, du kannst nicht?], äffte er mir nach und beleidigte mich schließlich murmelnd, doch leider schlich sich jedes einzelne davon in meinen Ohren.

Yep, er beschimpfte mich, weil ich die Tür nicht schneller für ihn geöffnet hatte.

Aber, egal.

Ich war eigentlich daran gewöhnt. Es war nicht das erste Mal und wahrscheinlich auch nicht das letzte. Immer war ich schuld. Egal bei welcher Scheiße es sich auch handeln mochte, war ich schuld.

Die Tür schloss ich und ging zu ihnen in die Küche.

Die Kartoffeln schälte ich weiter und meine Mutter machte den Rest.

Nachdem die nervigen Besucher auch gegangen waren, half ich meiner Mutter schnell beim Abräumen, damit ich mein Maghrib Gebet nicht verpasste.

Ich wusch nur die dreckigen Geschirre ab und stellte sie anschließend in den Geschirrspüler, da es viel zu viele waren.

Bei jedem Gebet wünschte ich, ich könnte mich bei meinem Schöpfer ausheulen, aber ich konnte es nicht, wenn meine Schwester mit mir im Raum war. Wir hatten uns nämlich eins geteilt und meine Brüder genauso, da wir in dem Moment in einer kleinen, aber feinen Wohnung lebten und nicht in einem riesigen Haus.

Wäre es bloß möglich vor ihr zu beten... Denn nicht einmal sie wusste, dass ich mich zum Islam konvertiert hatte. Keiner wusste davon Bescheid, denn ich tat es auch heimlich.

Ich wünschte mir nichts als die Freiheit. Die Freiheit, von der ich wusste, ich hatte sie verdient. Aber ich vertraute auf Allah, denn nur Er wusste, was gut und schlecht für mich war.

Auch wenn ich die Schule abgeschlossen hatte, hieß es für mich nicht gleich, dass ich Ferien hatte oder nun endlich frei war, nein. Meine Eltern kannten dieses Wort nämlich nicht.

Ich war seit meinem zehnten Lebensjahr eine Mutter. Mutter für meine Geschwister. Die zweite Mutter sozusagen, die immer die Rolle der ersten übernehmen musste. Ich passte auf sie auf, als wären sie meine eigenen Kinder.

Meinem Bruder hatte man wirklich erlaubt wegzuziehen, aber mir nicht, weil ich eine Frau war und noch einen Mann an meiner Seite brauchte.

Deshalb machte ich Dua's, dass mich eines Tages mein Prinz hier raus retten sollte. Zwar nicht mit einem Silber glänzenden Rüstung und einem Schwert, aber wenn er um meine Hand bat und mich aus dieser Familie rettete, mit mir nach Mekka zog, dort unsere kleine Familie mit mir gründete, war er mein Retter.

Das war mein Traum, den ich aber für in dem Moment nur vor mich hinträumen konnte.

Ich hasste diese Familie, obwohl ich sie lieben, dankbar und schätzen hätten sollen, denn nicht jeder auf dieser Welt besaß wirklich eine. Und trotzdem hasste ich sie vom ganzen Herzen. Vor allem meine Mutter.

Für sie war das ganze nur eine Show, wenn mich mein Vater mit seinen Gegenständen schlug. Eine Show, der es ihr nicht gejuckt hatte.

Die Schläge meines Vaters waren einmal so weit gegangen, dass ich im Krankenhaus gelandet war, aufgrund eines Beinbruches, sowie eine Gehirnerschütterung.

Ich fragte mich da; „Wieso wurde ich wieder erwacht?" Und auf diese Frage antwortete etwas in mir; „Weil sie noch nicht genug von dir haben."

Ich fing mit meinen fünfzehn Jahren an im Krankenhausbett Tränen zu vergießen, weil ich erwacht wurde, weil ich nicht starb, wie ich es mir so gern gewünscht hatte.

Seit ich mich zum Islam konvertiert hatte, betete ich für meine Freiheit.

„Jîyane", rief mein Vater aus dem Wohnzimmer. Schnell rollte ich mein Gebetsteppich ein, ehe ich es wieder unters Bett schob. Sie hätten mich vermutlich aus diesem Haus ausgestoßen, wenn jemand davon erfahren würde. O̶d̶e̶r̶ ̶d̶o̶c̶h̶ ̶g̶e̶t̶ö̶t̶e̶t̶?̶

Ich laufe ins Wohnzimmer, wo ich meine Eltern wartend auf dem Sofa sitzen sah. „Çi ye?" [Was ist?], fragte ich meinen Vater, doch sah in die Augen meiner Mutter.

„Du hast doch den jungen Mann gesehen, der bei den Besuchern dabei war." Ich nickte, er war mein Cousin.

„Beim seinem nächsten Besuch wird er mit seiner Familie auftauchen, um Endogamie zu verrichten.", meinte er mit einem eiskalten Gesichtsausdruck, die mich zum Erstarren brachte, sowie seine Worte, die mein Herz für einen Moment aussetzen ließen.

„Ich werde zu seiner Frau?", fragte ich nochmal nach, in der Hoffnung, ich hätte mich nur verhört.

Ich wünschte nur, das wäre der Fall.

„Erê." [Ja.], kam es fliesend, so fliesend aus seinem Mund.

„Aber das kannst du doch nicht ohne meine Erlaubnis–"

„Ich mache das, was ich will. Morgen wirst du heiraten. Ohne Widerrede!"

„Dayê!" Ich schaute zu meiner Mutter, mit der Hoffnung, sie würde etwas dagegen aussprechen, auch wenn sie es nie tat.

Oh, mein Gott.

Meine Mutter stand vom Platz auf und zog mich am Arm mit sich in meinem Zimmer, wo bereits Razan auf ihrem Bett eingeschlafen war.

Sie öffnete meinen Schrank, ehe sie sich zu mir wandte. „Schau, was du Ordentliches zum Anziehen hast für Morgen und ziehe es an."

„Dayê..." Ich war immer noch sprachlos darüber, dass sie es einfach auf die leichte Schulter nahm. Meine eigene Mutter.

Und so heiratete ich meinen Cousin.

Meinen jetzigen Ehemann, der mich schlägt, wenn ich schon an draußen dachte. Mein Ehemann, der seiner eigenen Frau nicht treu bleiben kann. Mein Ehemann, der mich wie ein Sexobjekt behandelt.

Er ist ein Boxtrainer plus Kick-boxer und verdient damit gutes Geld.

Von ihm werde ich noch schlimmer behandelt, als ich bei meinem Vater behandelt wurde. Und ich dachte wirklich, keiner wäre so schlimm wie mein Vater. Doch es hat sich herausgestellt, dass mein Ehemann noch schlimmer ist.

Unmöglich kann ich vor ihm beten, weshalb ich es zum Vorteil nutze, wenn er aus dem Haus verschwindet.

Er ist mit seinen neunundzwanzig Jahren acht Jahre älter als ich.

Bei meinen Eltern bekam ich nicht viel von der Luft, doch bei ihm bekomme ich sie kaum, sogar wenn er nur ein Fuß nach der Arbeit ins Haus setzt.












































ich habe gehört, man vermisst Jîyan
(i missed her, too...)

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