𝟎𝟏 | 𝐘𝐄𝐊

(bitte das bild nicht romantisch aufnehmen)



Als ich zu hören bekomme, wie sich die Haustür öffnet, bringe ich schnell noch den Teller meines Ehemannes zu Tisch.

Ich habe Kutilka gemacht, an denen ich seit dem Frühstück saß, und Linsensuppe gekocht. Das ist sein Lieblingsessen.

Wenn er das Haus betretet, erschaudert mich eine kalte Welle, die dazu führt, dass mein ganzer Körper unter Gänsehaut — und Schock erst recht — erleidet, weil ich jedes Mal Angst habe, was an dem Tag auf mich zukommt. Genauso ist es sehr wichtig, dass ich weiß, ob er gut oder schlecht gelaunt von der Arbeit zurückkehrt, damit ich mich schon auf das vorbereiten kann, was auch immer kommen mag.

[Al-Ḥamdu lillāh, Lob sei Gott] .ٱلْحَمْدُ لِلَّٰهِ

Ich hasse es, wie ich lebe. Aber ich bin trotzdem dankbar, was man immer sein sollte. Egal, ob man einen schlechten oder guten Tag hat.

Ich gehe auf ihn zu, nehme ihm seine Jacke, sowie seine Tasche ab. Er dreht sich zu mir und nimmt mein Kinn zu Finger und hebt meinen Kopf, damit ich in seine dunklen Augen schauen kann.

„Ist das Essen schon fertig? Ich habe einen riesigen Hunger!", fragt er mich rauend.

„Erê.", gebe ich ihm die Antwort, die er hören möchte, doch es kommt eher ungewollt stöhnend aus mir, durch seinen Finger, mit denen er meine Kehle fast zerquetscht.

„WOW!", staunt er ─ vermutlich über sein Leibgericht ─, während ich seine Jacke aufhänge und seine Sporttasche in den Wäscheraum abstelle, damit ich nach dem Essen noch die Waschmaschine einschalten kann mit den anderen Sachen im Wäschekorb auch.

Mit schnellen Schritten laufe ich zu ihm zum Esstisch neben der großen Küche und setze mich neben ihm. Wie auch erwartet hat er schon mit dem Essen angefangen.

Er fängt und beendet es. Ich darf nur essen, wenn er anfängt und muss es beenden, wenn er vom Tisch aufsteht. Das sind einer seiner Regeln im Haus, an die ich mich halten muss.

„Meine Eltern kommen heute zu Besuch. Du weißt, was das heißt." Ich nicke. Ich weiß, wie ich mich zu verhalten habe, wenn sie Anwesend sind, und was ich tun muss, bevor sie in das Haus eintreten.

Dann kann ich gleich auch mein letztes Gebet des Tages, das Ischagebet, vergessen. Wie sehr ich es hasse. Ich fühle mich jedes Mal so schlecht, wenn ich ein Gebet nicht verrichten kann, weil keiner von ihnen etwas davon weiß.

Wann werde ich wohl diese 'Erleichterung' bekommen, ya Rabb'?

[Sabr, Geduld] .صَبْرٌ, flüstert mir mein inneres zu.

Ich habe keinen Sabr mehr in mir. Ich wünschte, ich könnte mir einfach das Leben beenden. Jetzt. Hier. Sofort. Aber mein Schöpfer erlaubt es mir nicht, also tue ich es auch nicht.

Ich nehme diese Religion sehr ernst, denn ich liebe sie.

Noch nie in meinem Leben habe ich etwas so Schönes gefühlt, als bei meinen Gebeten, als wenn ich mit Allah SWT. spreche. Es ist ein unglaublich, unbeschreiblich schönes Gefühl.

„Wir haben keine Eier mehr.", gebe ich ihm Bescheid.

„Ich besorge sie morgen."

Ich nicke und esse weiter.

„Ich würde gerne meine Mutter besuchen.", bitte ich ihn etwas leise. Aber es ist eine Lüge. Ich will nicht einmal ihr Gesicht sehen. Ich will nur einmal nach Langem nach draußen.

Ich schrecke auf, als er seinen Löffel auf dem Tisch fallen lässt, und somit ein lautes Klirren entsteht. „Wie oft haben wir darüber geredet?", fragt er zischend streng, wütend. Ich senke den Kopf und höre zu essen auf. „Wie oft habe ich dir gesagt, dass du nicht raus kannst?", schreit er plötzlich, steht ruckartig auf, sodass sein Stuhl nach hinten fällt und einen lauten Ton erzeugt.

„Und was ist mit telefon─" Er hatte seit meinem Einzug mir das Handy abgezogen. Nach draußen zu gelangen ist unmöglich. Er ist ein Psycho, dass er überall eine Kamera installiert hat, außer auf der Toilette, im Badezimmer und Wäscheraum. Diese Räume enthalten keine Fenster. Plus, dass er die Haustüre abschließt, wenn er geht.

„NEIN!", brüllt er noch lauter und kommt mir gefährlich nahe. Plötzlich zieht er die Tischdecke zu sich, weshalb auf das ganze Essen und die Geschirre von Tisch fallen und auf dem Boden in kleine Scherben brechen. Das Essen wird beschmutzt und dreckt den Boden nur noch mehr.

„Guck was du angerichtet hast! Schäm dich, du Schlampe.", zischt er, fast schon fauchend. „Los, räum das auf und bedeck deine hässliche Fresse, bevor meine Eltern auftauchen.", dekretiert er, als wäre er der Präsident oder ähnliches, und geht ins Wohnzimmer, wo er das Fernseher einschaltet, und die Lautstärke erhöht.

N̶i̶c̶h̶t̶ ̶w̶e̶i̶n̶e̶n̶!̶

N̶i̶c̶h̶t̶ ̶w̶e̶i̶n̶e̶n̶!̶

N̶i̶c̶h̶t̶ ̶w̶e̶i̶n̶e̶n̶!̶

N̶i̶c̶h̶t̶ ̶w̶e̶i̶n̶e̶n̶!̶

N̶i̶c̶h̶t̶ ̶w̶e̶i̶n̶e̶n̶!̶

Nicht weinen!

Diese zwei Worte wiederholen sich in meinem Kopf immer wieder und wieder, wenn mir die Tränen nahestehen.

Ich räume alles vom Boden auf, wobei ich mich zwar schneide, für mich kein Problem mehr ist, und gehe auf unserem Zimmer zu, wo ich mich am Schminktisch setze und mich im Spiegel betrachte.

Bin ich das wirklich? Bin ich wirklich noch die Jîyan, die mal im Haus eines IS-Soldats gefangen wurde? Die Jîyan, die versucht hat, während ihrer Gefangenschaft, die Arabische Sprache zu erlernen? Die Jîyan, die sich den Mut dazu genommen hat, irgendwann zu fliehen und geflohen ist? Mit beklauten, langen Klamotten seiner Frau und einem Kopftuch? Sich auf den Straßen als eine Muslima ausgegeben hat? Eine so große Hoffnung nach Freiheit erschaffen hat? Von den kurdischen Frauen Hilfe bekam? Und dann hier allein nach Deutschland geschafft hat? Drei Wochen nach ihrer Familie?

Das war ich mal. Jetzt sehe ich eine verlassene Frau vor mir, die ich unmöglich mit der flüchtigen Jîyan vergleichen kann. Eine hoffnungslose Frau, d̶i̶e̶ ̶s̶i̶c̶h̶ ̶n̶i̶c̶h̶t̶s̶ ̶m̶e̶h̶r̶ ̶a̶l̶s̶ ̶d̶e̶n̶ ̶T̶o̶d̶ ̶s̶e̶h̶n̶t̶.

Als ich anfange, die blauen Flecken zu bedecken, merke ich, dass ich weiter runter zu meinem Hals arbeiten soll.

Mache ich das gerade wirklich durch? Was mache hier gerade durch?

Mein Kopf fängt an zu schmerzen, also summe ich vor mich hin, bedecke schnell die Flecken an meinen Armen genauso und suche im Kleiderschrank nach einem lockeren, langen Kleid.

„Êvarbaş!" [Guten Abend!], begrüßt mich meine Schwiegermutter, daraufhin zieht sie mich in eine feste Umarmung, die meinem schwachen Körper schmerzt, dennoch unterdrücke ich es und erwidere sie.

„Çawanî?" [Wie geht's?], fragt sie mich, als sie loslässt.

Ich gebe ihr eine Lüge als Antwort zurück. „Baş, û te?" [Gut, und dir?"] Mir wird es niemals gut gehen, wenn ich weiterhin unter einem Dach mit ihrem Sohn lebe. Aber nach meinen Gebeten zu Allah SWT. schon etwas besser, nur dass er sie aber danach ruiniert.

Mein Ehemann führt unsere Gäste ins Wohnzimmer, während ich mich in die Küche begebe. Die Kaffeekanne stelle ich auf dem angestellten Herd und koche für meine Schwiegereltern und meinem Mann Kaffee. Nicht für mich, niemals. Ich kann sowas nicht runterschlucken. Schon der Gedanke daran, bringt mich zu erwürgen.

Ich höre Schritte näherkommen und versuche nach Luft zu schnappen, als ich vom Augenwinkel sehe, dass er es ist, der die Küche zu mir eintretet.

Mein Gesicht wird von kalten Händen aufgenommen und dunkelbraune Augen untersuchen es gründlich. Er untersucht mein Gesicht immer, wenn Gäste auftauchen, um sicher zu stellen, dass jedes seiner verursachten Flecken auch wirklich gut von mir abgedeckt wurden.

Baş." [Gut.], raunt er mir ins Gesicht, ehe er mir noch einen Kuss auf die Wange hinterlässt. „Du weißt, wie sehr ich dich liebe, oder?" Seine langsamen Küsse, die in mir einen unbehaglichen Gefühl auslösen, enden an meinem Schlüsselbein.

Ich nicke.

„Wie lange brauchst du?", fragt er mich und deutet auf die Kaffeekanne, worin das Kaffee noch kocht. Er ist mir immer noch zu nah.

„Ich bin gleich fertig.", sage ich und entferne mich von ihm, weil ich die Kaffeetassen sowie deren Untertassen aus einem der weißen Oberschränken holen muss.

Er holt ein spiegelndes Tablett mit goldenen Handgriffen aus dem untersten Regal und stellt diese auf der Theke ab, woraufhin er mir die Tassen und Untertassen abnimmt und sie daraufstellt. Schließlich werden die Tassen von mir mit dem Kaffee befüllt. Wasser darf nicht fehlen.

Ich trage das Tablett an der Seiten meines Ehemannes und gehe mit ihm zu unseren Gästen ins Wohnzimmer, wo sie es sich schon auf dem Sofa vor dem Fernseher bequem gemacht haben.

„Du siehst heute sehr schön aus, Keça min." [Meine Tochter], gibt mir meine Schwiegermutter ein Kompliment, den ich dankend annehme und zurückgebe.

Nachdem ich jedem seinen Kaffee verteilt habe, setze ich mich zu ihm auf dem Sofa daneben.

Wir fingen an zu sprechen, aber eher über unwichtige Dinge, wie wann die Hochzeit einer Cousine bald vor der Tür stehen wird, oder wie sie wen gesehen haben.

Bis meine Schwiegereltern das Thema Schwangerschaft und Enkelkinder ausschlagen. „Çi?" [Was?], entkommt es mir erschrocken.

„J̶a̶,̶ ̶E̶h̶e̶p̶a̶a̶r̶e̶ ̶h̶a̶b̶e̶n̶ ̶s̶c̶h̶o̶n̶ ̶n̶a̶c̶h̶ ̶e̶l̶f̶ ̶M̶o̶n̶a̶t̶e̶n̶ ̶e̶i̶n̶ ̶K̶i̶n̶d̶ ̶n̶a̶c̶h̶ ̶i̶h̶r̶e̶r̶ ̶H̶o̶c̶h̶z̶e̶i̶t̶.̶ ̶E̶s̶ ̶s̶i̶n̶d̶ ̶s̶c̶h̶o̶n̶ ̶z̶e̶h̶n̶ ̶v̶e̶r̶g̶a̶n̶g̶e̶n̶ ̶n̶a̶c̶h̶ ̶e̶u̶r̶e̶r̶ ̶u̶n̶d̶ ̶e̶s̶ ̶g̶i̶b̶t̶ ̶i̶m̶m̶e̶r̶ ̶n̶o̶c̶h̶ ̶k̶e̶i̶n̶e̶ ̶A̶n̶z̶e̶i̶c̶h̶e̶n̶,̶ ̶d̶a̶s̶s̶ ̶d̶u̶ ̶s̶c̶h̶w̶a̶n̶g̶e̶r̶ ̶b̶i̶s̶t̶.̶"

Nach jedem Wort, das sie ausgesprochen, durchstreiche ich es mir aus Zwang im Kopf durch. Ich will nicht hören. Nicht vor ihm.

Aber als sie nach einer langen Zeit verschwunden sind, hat er nichts von dem, was seine Mutter anmerkte, wieder aufgefangen.

[Al-Ḥamdu lillāh, Lob sei Gott] .ٱلْحَمْدُ لِلَّٰهِ

Bevor ich mich in die Richtung unseres Schlafzimmers begebe, gehe ich in den Wäscheraum, wo ich die dreckigen Wäschen, die hauptsächlich nur von ihm stammen, in die Waschmaschine stopfe und schalte sie ein.

Im Bett zieht er mich noch näher zu sich und zwingt mich, mich zu ihm zu drehen. Nach einer Weile schaue ich vorsichtshalber zu ihm auf, bevor ich aufstehen möchte, doch dann sticht mir etwas bekanntliches ins Auge.

Ein weiterer Kussabdruck einer fremden Frau an seinem Hals.

Ich seufze und versuch mich aus seinem Griff zu befreien, jedoch zieht er mich noch näher an sich ran. Er zerquetscht mich.

Ich habe es versucht, ya Allah. Aber Du siehst meine momentane Lage. Bitte verzeihe mir. Verzeihe mir, dass ich heute für dich nicht alle Gebete verrichten konnte. ─Amin.

Ein weiterer Tag, in dem ich nicht alle fünf Gebete verrichtet habe, nicht konnte...

Ich sage noch so leise es nur geht das Glaubensbekenntnis, die Shahada, bevor ich meine Augen schließe und in einem Schlaf verfalle.








































i never meant to be bad or unwell,
i was just living on the edge
right between heaven and hell,
and i'm tired of it.

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