Unerwarteter Besuch

Annemarie hörte es von draußen Poltern, dann einen Aufschrei.

„Alles wird gut...ich habe die Waffe." raunte sie Jeff zu, der ständig: W-a-s-i-s-t-l-o-s morste. 

Anne sass auf seiner Bettkante und starrte auf die verschlossene Tür. Doch sie zitterte am ganzen Körper und war sich nicht wirklich sicher, ob sie nach dem Fiasko in der Scheune auch nur einen Treffer landen würde. Plötzlich hörte sie schwere Schritte und ein Schnaufen aus dem Flur. Sie zielte auf die Tür und betete zu Gott, dass Jimmy nichts passiert war. Und sie schwor sich, dass sie in Zukunft netter zu ihm sein würde. Und er sie umarmen dürfte, wann er wollte, wenn sie das hier lebend überstehen würden!

Die Schritte kamen auf die Zimmertür zu. Sie hielt den Revolver mit beiden Händen fest.

„Anne, ich bin es, Jimmy. Es ist alles in Ordnung." hörte sie den Jungen von der anderen Seite der Tür rufen.

Jimmy öffnete die Tür. An seiner Kleidung klebte frisches Blut und Anne zog scharf die Luft ein. Er folgte ihrem Blick und sagte:

„Ich habe Paul aus Versehen verletzt. Hast du Verbandszeug?"

„Wer... ist... Paul?" stammelte sie und zielte immer noch auf Jimmy's Herz.

Jimmy hob beschwichtigend die Hände und sagte sanft:

„Anne...nimm die Waffe runter. Du bist in Sicherheit. Das da draußen sind meine Freunde gewesen."

Sie nickte und sicherte mit zittrigen Händen die Waffe. Dann stand sie auf und umarmte Jimmy fest. Sie spürte, wie er seine Arme um sie legte und sie sanft näher heranzog. Dann sagte Jimmy laut:

„Jeff, ich habe die Lage im Griff. Meine Zirkuskollegen wollten mich abholen und haben sich dabei ein wenig ungeschickt angestellt."

Annemarie sah nicht, ob Jeff antwortete, denn sie lag immer noch in Jimmy's warmer Umarmung. Sie hätte nicht gedacht, dass es ihr so gut tun würde!

Dann fragte sie leise:

„Woher wussten sie, wo du bist?"

„Ich bin zufällig hier vorbei spaziert und habe sein Auto gesehen." antwortete eine riesengroße Frau, die hinter ihnen aufgetaucht war. „Jimbo, Paul braucht wirklich Hilfe, er blutet ganz schön."

Anne löste sich sanft.

„Ich komme. Wo ist er?"

Die große Frau brachte sie in die Küche. Ein tätowierter Mann mit verkürzten Armen sass auf einem Stuhl und eine Frau ohne Beine drückte ein Geschirrtuch auf seine Hüfte. Anne war ganz im ihrem Element und kniete sich vor Paul hin. Sie lächelte der Frau zuversichtlich zu und nahm das Tuch weg. Sie atmete erleichtert auf und sagte:

„Die Wunde ist nicht tief. Ich werde sie desinfizieren und verbinden."

„Kann ich dir helfen?" fragte die große Frau.

„Danke, es geht schon. Ich bin Anne."

„Eve. Das ist Paul, Suzy. Und...das ist Meep."

Der kleine Kerl trug ein Flauschkostüm und hielt ein kopfloses Huhn in der Hand.

„Ich hab's versucht, aber konnte ihn leider nicht aufhalten. Tut mir leid." entschuldigte sich Eve.

Anne nickte. Und wenn Meep alle Hühner erledigt hätte, Jeff, Jimmy und sie waren am Leben, und das war alles, was zählte. Also sagte sie:

„Ist okay, Molly war schon recht alt. Ich hole das Verbandszeug."

Jimmy folgte ihr.

„Tut mir leid, dass sie dich so erschreckt haben."

„Ich dachte schon, es wäre dieser Mörder gewesen. Er macht mir wahnsinnige Angst, Jimmy!"

Er zog sie wieder an sich und sagte ernst:

„Ich passe auf dich auf, versprochen! Und anscheinend ist Umarmen jetzt doch in Ordnung?" grinste er dann.

Sie legte den Kopf schief.

„Ja, Jimmy Darling, das ist es! Aber wir müssen es ja nicht übertreiben. Ich habe einen Job zu erledigen." lächelte sie und löste sich.

Sie versorgte Paul, während die Anderen sich über den Braten und den Schokoladenkuchen her machten.

„Soll ich dir etwas gegen die Schmerzen geben?" fragte Anne Paul.

Er schüttelte den Kopf.

„Das wirkt nicht. Zuviel Opium..."

„Ich verstehe." lächelte sie. „Aber glaube mir, die Medizin, die wir im Haus haben, wirkt! Jeff bekommt Medikamente, die sonst niemand bekommt, weil sie zu teuer sind."

„Äh...ich möchte kein Versuchskaninchen sein." zögerte Paul.

„Ach, aber dem Opium vertraust du?"

„Das ist natürlich."

„Gut, wie du willst. Ich schau mal nach meinem Mann."

Anne stand auf und verliess die Küche, in der schon lange nicht mehr so viel Leben war. Sie wusch sich und ging dann zu ihrem Ehemann. Jeff schlief. Sie küsste sanft seine Stirn und setzte ihm die Maske ab, um ihn zu waschen.

Wenn er schlief, schlief er, es störte ihn nicht. Und heute würde es auch nur eine Katzenwäsche sein, denn sie hatte ja Besuch. Plötzlich hörte sie ein Geräusch hinter sich. Sie drehte sich erschrocken um. Suzy kroch auf das Bett zu.

„Oh Scheiße! Und ich dachte immer, ich sei die häßlichste Kreatur auf Erden." murmelte sie.

Paul, der mit Eve und Jimmy hinterher gekommen war, lachte:

„Das hat wohl jeder von uns von sich gedacht. Aber dein Mann übertrifft uns alle um Längen."

Anne wurde ernst.

„Ich möchte nicht, dass ihr so über ihn redet!" fuhr sie die beiden an.

„Hey, beruhige dich. Wir sitzen alle im selben Boot." erwiderte Paul.

„Leute, reisst euch am Riemen. Gerade uns steht es nicht zu, über andere her zu ziehen, klar?" sagte Jimmy und blickte scharf in die Runde.

Alle nickten, selbst Eve, die ja gar nichts gesagt hatte.

„Meep!" antwortete Meep und Anne musste lächeln.

„Was ist ihm passiert?" fragte Eve.

„Der Krieg ist ihm passiert. Er war von klein auf von der Idee besessen, für sein Land zu kämpfen. Ein Held zu sein. Nun, er hat sein Ziel erreicht. Aber das wolltet ihr gar nicht hören, oder?"

„Doch. Erzähle es uns von Anfang an." sagte Jimmy sanft.

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