Gut gemacht

Annemarie holte tief Luft, als sie vor der Kellertür stand, sie legte ihre Hand vorsichtig auf die kalte Klinke.

„Er tut ihnen nichts, Anne."hatte die Oberin gesagt.

„Er ist der Feind. Ich weiß, ich habe ein Gelübte abgelegt, ehrenwerte Mutter. Aber vielleicht hat er meine Eltern auf dem Gewissen. Und wenn er erfährt, dass ich aus Deutschland komme..."

„Unter Gott sind wir alle gleich, und dieser junge Mann wird es wissen. Helfen sie ihren Schwestern, sie können sich nicht ewig verweigern!"

Annemarie hatte genickt und war in die Küche gegangen, das Letzte, was sie wollte, war, ihre Oberin zu enttäuschen. Sie würde später die Beichte ablegen, dass sich in ihrem Herzen Hass eingenistet hatte, auf einen Mann, der nichts dafür konnte, eigentlich war es ihr bewußt. 

Sie öffnete die Tür und wunderte sich einen Moment, dass sie ihn nicht eingeschlossen hatten. Aber dann sah sie, dass er sehr verletzt war, sein Bein dick eingewickelt und sein rechter Arm war in einer Schlaufe. Es roch nach Blut und Urin, er schlief und sie stellte leise das Tablett auf seinen Nachtschrank. Dann kniete sie sich vor das Bett, um den Topf hervorzuziehen, den sie leeren wollte. Sie zuckte zusammen, als sie seine Stimme hörte und schaute hoch, in wunderschöne, blaue Augen, die nicht zu einem Mörder gehören konnten, der Bomben auf ihre Eltern geworfen hatte. Und sie wurde rot. Schaute wieder unter das Bett, sie verstand ihn eh nicht und sie wollte schnell wieder hier raus. Nahm den Topf und hörte an seinem Tonfall, dass es ihm wohl unangenehm war, nun lächelte sie ihn doch an. Er lächelte zurück und sagte etwas mit „beautiful", was sie verstand, schnell lief sie hinaus. Der Topf war nicht all zu voll, der Urin dunkel und stinkend, sie seufzte. Als sie den Topf entleert und gereinigt hatte und wieder bei ihm war, deutete sie auf den Krug mit Wasser. Dann auf den Mann.

„Sie müssen mehr trinken. Water."erklärte sie ernst.

Er tippte seine Finger an die Stirn und sie zuckte zusammen, sie mochte keine militärischen Gesten, sie erinnerten sie an Deutschland. An das Geschrei des kleinen Mannes. An BdM, zum Glück war sie nicht lange da gewesen, sie war ihren Eltern sehr dankbar. Der amerikanische Soldat redete auf sie ein, vielleicht hatte er bemerkt, dass sie blass geworden war, sie lief schnell aus dem Zimmer. Als sie eine Stunde später das Tablett holen wollte, hatte er den Krug geleert, das Brot und die Wurst verputzt und den Tee ebenfalls ausgetrunken. Den Apfel hatte er sich für später beiseite gelegt. Er lächelte sie an, sie nickte.

„Gut gemacht."

„Gut gemackt."wiederholte er und klopfte sich auf die Schulter, sie kicherte.

Dann zeigte er zum Topf. „Gut gemackt."

„Oh. Tatsächlich."erwiderte sie. „Das bleibt nicht aus."

Sie brachte zunächst das Geschirr weg und füllte den Krug auf, dann leerte sie den Nachttopf noch einmal. Bevor sie gehen wollte, hielt er sie am Arm fest. Deutete auf sich und sagte: „Jeff."

Dann zeigte er auf sie.

„Annemarie."hauchte sie.

Sie war ja noch keine richtige Schwester, war noch in der Probezeit. Und sie konnte es kaum erwarten, das große Gelübde abzulegen. Er guckte sie verträumt an und sie bekam Angst. Nicht vor ihm, sondern vor diesem Gefühl in ihr, dem Flattern im Bauch, dem Wunsch, sein Haar anfassen zu dürfen, das so weich aussah! Schnell flüchtete sie wieder und drückte sich am nächsten Tag vor dem Krankendienst im Keller. Es gab genug zu tun. Doch irgendwie zog es sie andererseits zu ihm und ja, als sie am übernächsten Tag wieder ging, deutete er ihr, zu bleiben, während er aß. Er benutzte die zwei Worte Deutsch, die er nun kannte, in den ulkigsten Situationen und kommentierte damit alles, sodass sie sich schließlich vor Lachen den Bauch hielt. Wann hatte sie zum letzten Mal gelacht? Sofort hatte sie ein schlechtes Gewissen. Als sie es dem Vater beichtete, erwiderte er, es sei keine Sünde und er freue sich, dass sich ihr Zorn auf den jungen Mann gelegt hätte. Also genoss sie am nächsten Tag wieder seine erfrischende Heiterkeit, sein Augenleuchten, er brachte ihr ein bisschen englisch bei und sagte immer: „Gut gemackt."

Gut gemacht, hörte sie seine Stimme, immer wieder. Gut gemacht, murmelte sie, ihr war kalt und all die Fröhlichkeit war verschwunden. Er war verschwunden, und nun sollte ihr größter Wunsch doch noch in Erfüllung gehen, dass sie ihm folgen würde, aber sie hatte Angst. Sie wußte, dass dieser Dandy es nicht kurz und schmerzlos tun würde, vermutete, er hatte etwas im Sinn, was sie selbst geträumt hatte. Ihre Arme und Beine taten weh, sie rieb automatisch ihre Handgelenke und dann fiel ihr auf, dass sie nicht mehr gefesselt war. Sie fuhr keuchend hoch, Ethel zuckte zusammen. Sie saß an ihrem Bett und schien über sie zu wachen.

„Oh, Gott, ihr habt mich da raus geholt?"japste Anne.

Ethel nickte: „Es tut mir so leid, liebe Anne. Ich habe versucht, meinen Sohn zu überzeugen, bei dir zu bleiben."

„Ist schon gut, es ist mir einfach nicht vergönnt, eine normale Ehefrau zu sein. Danke, dass ihr mich gerettet habt, aber ich kann nicht hier bleiben. Wahrscheinlich wird Dandy mich sowieso suchen und ich bringe euch nur alle in Gefahr!"

„Oh, nein."brummte Ethel. „Er weiß noch nicht, mit wem er sich angelegt hat. Ihr seid hier sicherer, als auf der Farm."

„Ihr?"hauchte Annemarie irritiert. „Wen meinst du?"

Die ältere Frau guckte Anne durchdringend an. „Was ist los? Hat Jimmy Jeff gefunden?"hakte sie ungeduldig nach.

„Das habe ich."erklärte Jimmy, der hinter dem Durchgang zum Schlafraum des Wohnwagens versteckt gewesen war.

Annemarie atmete auf. „Dann lass uns sofort los."

„Da gibt es ein kleines Problem."lächelte Jimmy.

„Ich bin stark genug!"murrte die Dunkelhaarige und er lachte: „Davon rede ich nicht. Dein Mann passt nicht mehr in einen Koffer."

Nun trat Jeffrey ebenfalls hinter dem Durchgang hervor und Annemarie schrie auf. Tränen schossen in seine Augen, in ihre, er stürmte auf sie zu und sie umarmten sich weinend. Leise verließen die beiden anderen den Trailer, aber Annemarie bekam es nicht mit. Nicht mal, dass Jeff streng roch, störte sie, sie selbst duftete nicht gerade angenehm. Alles, was wichtig war, war, seine Arme zu spüren, seinen Atem an ihrer Wange, seinen Herzschlag an ihrer Brust zu spüren und...sie fuhr zusammen. Sein Herzschlag war viel zu langsam. Doch das beunruhigte sie weniger, als seine Kälte. Er knurrte und hielt sie fest, als sie sich los machen wollte, und dann spürte sie den Schmerz, als er ihre Kehle aufriss.

Der Schrei ging in ein Gurgeln über, sie schlug nach ihm, er war so stark. Drückte sie in die Kissen, zerriss ihr Kleid und versenkte seine scharfen Zähne in ihrem Bauch, Annemarie weinte und starrte in seine rot glühenden Augen. Der Stoff unter ihr färbte sich rot, während er sie anders vernaschte, als er es in dem Brief angedroht hatte. Aber sie war ruhig geworden, denn sie wußte, es war nur gerecht. Sie hatte sich mit ihrem qualvollen Tod und der Hölle bereits arrangiert, während sie zwischen den Puppen gelegen hatte und von Jeffrey geträumt hatte, um wenigstens diese eine Erinnerung mit in den Tod zu nehmen, und es war eh egal, ob sie sich in Gedanken versündigte und sich vorstellte, was er mit ihr getan hätte, wenn er lebend zurück gekehrt wäre.

„Oh, Gott, was habe ich getan?"japste ihr Mann plötzlich.

„Gut gemacht."hauchte sie, während ihre Sinne langsam schwanden.

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