Jily Oneshot#36: Verräterisches Tagebuch

Schon bevor die Tür aufgegangen war, hatte Lily die Stimmen gehört. Doch sie war noch immer halb in ihrer Traumwelt, dazu kam, dass es ihr ohnehin viel schwerer fiel aufzustehen, seit sie gewissermaßen in James' Schülersprecherzimmer eingezogen war. Die Kissen schienen samtiger, die Decken wärmer, die Matratze weicher zu sein. Vielleicht lag es auch an der Person neben ihr, aber dies würde sie nie zugeben, obwohl es wahrscheinlich die Wahrheit war. Um darüber nachzudenken hatte Lily jedoch auch keine Zeit, denn die Tür wurde in dem Moment aufgerissen, als ihr klar wurde, dass es unglaublich falsch aussehen würde, wenn ihre Freunde Lily in seinem Bett sahen...mit ihm.

Sirius' scheinbar nie endender „Krone, Krone, Krone, das wirst du nicht glauben, Krone, Krone, Krone!" Gesang erstarb augenblicklich, als er, gefolgt von Marlene, ohne zu klopfen die Tür aufriss. Lily versuchte verzweifelt schnell unterzutauchen, aber es war natürlich schon zu spät.
„Wow! Also das nenne ich einmal interessant. Sirius, deine Neuigkeiten wurden wohl gerade übertroffen.", kommentierte Marlene die peinliche Situation. Lily konnte sich ihr süffisantes Grinsen förmlich vorstellen. Am liebsten wäre sie hier unter der Decke geblieben, doch zum einen wurde es hier zunehmend stickiger, zum anderen konnte sie James nicht alleine in dieser Situation lassen. Gerade als Lily mit hochroten Kopf an die Oberfläche kam, wurde auch James endlich vollkommen wach und zog schnell seinen Arm unter Lilys Schultern weg. Wie alles in ihrem Leben war auch dies schlechtes Timing, denn sein Ellbogen traf Lily mitten im Gesicht.
„Oh Merlin, tut mir leid Lil!"
„Lil?", feixte Marlene lautlos hinter James' Rücken. Lily warf ein Kissen nach ihr, welches Sirius leider vor deren Gesicht abfing.
Davon überzeugt, dass Lily keinen ernsthaften Schaden davongetragen hatte, setzte James hastig seine Brille und fragte:"Was ist denn so toll, dass du mich um diese Zeit aufweckst?"
„Erstens, es ist elf!", begann Marlene. „Zweitens, lenke nicht vom Thema ab! Was habe ich verpasst, dass Evans in deinem Bett liegt?", fuhr Sirius fort.
„Reg dich nicht auf, das macht sie schon seit einer Woche." Marlenes Augenbrauen wanderten in Richtung Haaransatz. „Ok, das kam total falsch rüber.", lachte James, nun etwas nervös. Färbten sich seine Wangen sogar etwas rosa? Süß. Naja, ein wenig. Ein ganz kleines bisschen nur. Fast gar nicht. Bevor Lily mit sich selbst weiterdiskutieren konnte, beschloss sie, die Situation zu retten, auf James war im Moment wohl nicht zu zählen.

„Hört zu, es ist wirklich nicht so wie es aussieht." Marlene schnaubte ungläubig. „Es hat angefangen als eine gewisse Person", Lily warf Sirius einen Todesblick zu „in meinem Zimmer ein paar leckere Stinkbomben platziert hat. Ich konnte es für zwei Tage nicht betreten und es war kein Bett bei Marlene im Schlafsaal frei, woraufhin James mir sein Bett angeboten hat, vielleicht aus Nettigkeit, aber wohl eher, weil er Mitwisser war und sich schuldig fühlte. Dann haben wir gestritten, da ich nicht wollte, dass er wegen mir auf der Couch schläft. Lange Rede, kurzer Sinn, wir haben uns solange nicht geeinigt, bis wir beide hier eingeschlafen sind. Und seitdem habe ich nicht mehr in meinem Zimmer geschlafen, weil so einfach viel besser schlafe. Weniger Albträume und ich muss mir meine Mitternachtssnacks nicht immer selbst holen."
„Und das sollen wir glauben?", spottete Sirius.
„Es ist die Wahrheit!", rief Lily und ließ sich geschlagen zurück ins Bett fallen.
„Können wir darüber reden, wenn ich wenigstens was zu essen hatte?", seufzte James. „Zurück zum eigentlichen Thema, wieso seid ihr überhaupt hier?"
„Oh genau, die Slytherins haben ihr kleines Geschenk gefunden. Es sieht noch besser aus als gedacht, Madam Pomfrey werden die Türen eingerannt!"
„Was genau habt ihr angestellt? Nein, warte, ich will es gar nicht wissen.", entschied Lily sich rasch um.
„Ist vermutlich besser so. Ansonsten müsstest du mir noch Punkte abziehen!", sagte James mit einem verschmitzten Grinsen.
„Pass lieber auf was du sagst, sonst mache ich das tatsächlich noch.", konterte Lily und versuchte krampfhaft nicht hinzusehen, als James schnell sein T-Shirt wechselte. Marlene sang unterdessen lautlos „Love is in the air" hinter Sirius' Rücken. Lily brachte sie mit einem Blick zum Schweigen. Sie hatte nämlich nicht vor ausgerechnet Sirius Black an ihrem Gefühlsleben gegenüber James teilhaben zu lassen.

„Kommst du wirklich nicht mit, Lils?"; hakte James mit beinahe enttäuschtem Blick nach. Marlene tat so als müsste sie sich übergeben, Sirius erstach sich unterdessen mit einem unsichtbaren Messer. Bei Merlins Bart, es war doch nur ein Spitzname, kein Liebesgeständnis. Die beiden würden wohl nie erwachsen werden.
„Nein ich bleibe lieber noch hier." Demonstrativ gähnte Lily und ließ sich abermals zurück ins Bett fallen. Ihr Kopf hatte das Kissen noch nicht berührt, da schlug die Tür hinter dem Trio schon zu. Hoffentlich schoss Marlene wenigstens ein paar gute Fotos. Natürlich könnte Lily auch selbst nachsehen, aber für einen Wutausbruch von McGonagall über die Untaten der Rumtreiber war es wahrlich noch zu früh. Also beschloss sie die Zeit sinnvoll zu nutzen und zu versuchen noch etwas weiterzuschlafen bis es Mittagessen gab. Instinktiv rollte Lily sich auf James' Seite, – oh Gott, sein wann hatten sie denn schon eigene Seiten? Waren sie etwa innerhalb einer Woche zu einem alten Ehepaar mutiert? – drückte ihre Nase in sein Kissen und schob ihre Hände darunter um eine gemütliche Schlafposition zu finden. Dabei stießen Lilys Fingerspitzen auf einen unerwarteten Widerstand. Sofort öffneten sich ihre Augen wieder und sie zog ein dunkelblaues Buch darunter hervor. Obwohl es sie überraschte, dass James auf einmal freiwillig las, war dies nicht einmal das komischste daran. Das Buch hatte nämlich weder einen Titel, noch einen Verweis auf den Autor oder die Autorin. Ihre Neugier verfluchend schlug Lily das Buch auf und bemerkte verwundert, dass es nicht aus bedruckten Buchstaben bestand, sondern in James' Handschrift verfasst war. Zuerst dachte sie, es hätte etwas mit den Tätigkeiten der Rumtreiber zu tun, wie zum Beispiel eine Auflistung an möglichen Streichen, doch als ihr Blick auf die Datumsangabe am oberen Rand der Seite fiel, wurde ihr endlich klar, dass es sich hierbei tatsächlich um ein Tagebuch handelte. Nun wäre es wohl endgültig an der Zeit das Buch an seinen ursprünglichen Platz zurückzulegen und Lily war schon dabei es zuzuklappen, als ihr vier Buchstaben ins Auge fielen, welche sie daran hinderten. Denn schon auf der ersten Seite war ihr Name geschrieben. Hastig überflog sie die ersten Zeilen, bis sie dort angekommen war.

9.1.1971

...Sirius Black getroffen. Mum meinte immer, ich soll mich von den Blacks fernhalten, aber er scheint total in Ordnung zu sein. Außerdem ist er wie ich in Gryffindor gelandet, also kann er gar nicht so blöd sein. Aber mit meinem ersten Freund, ist auch mein erster Feind gekommen. Sie heißt Lily Evans und ist totaaal nervig. Ständig weiß sie alles besser. Und sie ist das einzige Mädchen, dass es nicht auf sich sitzen lässt, wenn ich sie oder ihren komischen Freund mit den fettigen Haaren beleidige. Das macht sie irgendwie interessant. Aber sie ist und bleibt eine nervige Oberzicke.

Lily lachte laut auf. Die Gedanken des elfjährigen James Potter unterschieden sich nicht sonderlich von ihren eigenen in diesem Alter. Sie überflog die nächsten Seiten. Wie sich herausstellte, war James kein sehr regelmäßiger Tagebuchschreiber, oft entstanden große Abstände. Sie las es nicht wirklich, zum einen weil sie das meiste durch lange nächtliche Gespräche ohnehin schon kannte, zum anderen weil ihre Schuldgefühle sonst noch größer werden würden. Na gut, und um ehrlich zu sein, weil sie weitere Einträge über sich selbst lesen wollte. Dabei wurde Lily jedoch von Dutzenden Seiten enttäuscht, da sie in diesen keine besonders große Rolle spielte, sondern bloß dazu dar war um gelegentlich als Sündenbock für misslungene Streiche dargestellt zu werden. Obwohl sie sich selbst eingestehen musste, dass ihr früheres Ich tatsächlich eine ziemliche Petzte gewesen war.

Doch ab dem fünften Jahr veränderte sich James' Schreibstil, sobald er über Lily schrieb, schleichend und doch stetig. Seitenhiebe, weil sie noch mit „Schniefelus" befreundet war blieben zwar nicht aus, aber ansonsten war es so verschieden, dass Lily sich fragte, wieso sich dies nicht auch in seinem Verhalten widergespiegelt hatte. Wäre er schon früher wie der Junge aus dem Tagebuch gewesen, wären sie vielleicht schon viel eher Freunde geworden. Denn mit einem Mal wurde sie nicht mehr als neunmalklug, sondern als intelligent bezeichnet, nicht mehr arrogant, sondern selbstbewusst und aus „Feuerlöscher" wurde Schönheit. All das zauberte Lily ein Lächeln aufs Gesicht, bis dieses sofort erlosch, als sie das Datum der nächsten Seite sah. Es war der schicksalshafte Tag im fünften Jahr. Der Tag, an dem ihre Freundschaft zu Severus ein rapides Ende nahm. Der Tag, an dem sie zum ersten Mal Schlammblut genannt worden war.

...es war nicht richtig. Ich hätte mein Temperament zügeln sollen. Warum habe ich mich nicht einfach zu Lily an den See gesetzt, anstatt zu versuchen ihre Aufmerksamkeit zu erregen, indem ich ihren Freund vor der gesamten Schule schikaniere? Aber das war noch nicht einmal das echte Problem. Richtig schlimm wurde es erst, als dieser eklige Schleimbeutel Lily ein Schlammblut genannt hat. Wie kann er es nur wagen in ihrer Gegenwart so ein Wort zu benutzen? Meine Reaktion, ihm daraufhin die Hosen herunterzuziehen, war vermutlich ebenso dumm gewesen, aber bei mir sind einfach alle Leitungen durchgebrannt. Ihr Gesicht war so voller Schmerz, allein der Anblick hat mir wehgetan. Und ja, es war unfair von mir Schniefelus so zu behandeln, aber er hat ihr wehgetan, also hat er es nicht anders verdient. Mir ist dadurch auch klargeworden, dass er bestimmt nicht der Letzte war, der Lily aufgrund ihrer Abstammung als minderwertig bezeichnen wird. Doch das werde ich nicht noch einmal zulassen! Ich werde mich gegen jeden stellen, der sie verletzen will, egal ob es ihr passt oder nicht, egal welche Konsequenzen ich tragen muss. Verdammt nochmal, ich würde mich sogar vor Voldemort werfen um sie zu beschützen! Blöd nur, dass ich das erst realisiere, nachdem ich mich ihr gegenüber jahrelang wie der letzte Idiot benommen habe und sie mich jetzt hasst.

Atemlos starrte Lily die Zeilen vor sich an. Bereits vor zwei Jahren hatte James schon so etwas Ernstes niedergeschrieben. Sie hatte keinen Zweifel daran, dass er es ernst meinte, denn dies war sein Tagebuch, hier verstellte er sich für niemanden, es waren seine Gedanken und Gefühle. Schnell blätterte sie weiter, bis sie schließlich an der letzten beschriebenen Seite ankam. Der Eintrag war von heute, als hatte er ihn vermutlich in der Nacht oder am Vormittag geschrieben.

19. März 1978

Ich werde das hier vermutlich nie wieder entziffern können, weil ich es mit der linken Hand schreiben muss, denn Lily ist auf meiner Rechten eingeschlafen und ich möchte sie nicht wecken. Tja, da wären wir auch schon beim Thema: Lily Evans...mal wieder. Wie schafft dieses Mädchen es nur, ständig in meinem Kopf herumzuschwirren? Wie dem auch sei, ich weiß nicht einmal wirklich warum ich plötzlich angefangen habe zu schreiben. Es ist immerhin 3 Uhr nachts, was wohl auch der Grund für mein zusammenhangloses Gebrabbel ist. Aber ich konnte nicht schlafen und habe Lily einfach angeschaut ... creepy, ich weiß ... und hatte das Gefühl, ich musste meine Gedanken bezüglich ihr endlich aufschreiben, ansonsten begehe ich noch eine Dummheit, wie zum Beispiel ihr die Wahrheit zu sagen. Ziemlich idiotisch, schon klar. Ich meine, das Mädchen, in das ich seit einer gefühlten Ewigkeit verliebt bin, ist entgegen aller Erwartungen eine echte Freundin geworden, sie redet und lacht mit mir, sie feuert mich bei Spielen an, hilft mir bei meinen Hausübungen, wenn ich wegen Remus' kleinen pelzigen Problems den Anschluss verliere und schläft seit neuestem neben mir, weil sie sagt, dass sie dann keine Albträume hat. Und dennoch, kann ich, jemand, der später Auror werden, im Orden des Phönix mitwirken und Voldemort bekämpfen möchte, diesem Mädchen nicht sagen, dass ich absolut unwiderruflich in sie verliebt bin. Anscheinend ist es mir wichtiger eine sichere Freundschaft mit ihr aufzubauen, als alles auf eine Karte zu setzen und dadurch eine fünfzig-fünfzig Chance zu haben mit ihr zusammen zu sein...oder sie zu verlieren. Ich dachte, so ein Kram passiert nur in Büchern. Anscheinend hat Lily –

Lily würde wohl nicht so schnell herausfinden, was sie hatte, denn James stand mit vor Schreck geweiteten Augen und dem Tagebuch, welches er ihr aus der Hand gerissen hatte, vor ihr. Plötzlich verstand sie, was er damit gemeint hatte, als er schrieb, der Anblick ihres Schmerzes, würde auch ihm wehtun. Seine verletzliche Miene presste Lily die Luft aus den Lungen.
„Es tut mir so leid, James, ich hätte das alles nicht lesen dürfen, aber-"
„Mir ist egal, dass du es gelesen hast.", unterbrach James sie mit fester Stimme. Er holte merklich Luft. „Du weißt es jetzt – auch wenn es mir ein Rätsel ist, wie eine so schlaue Person wie du es nicht bemerken kann, wenn jemand der ihr nahe steht, in sie verliebt ist – aber ich kann es nicht ändern. Doch ich will mir nicht länger falsche Hoffnungen machen, also lass es uns das kurz und schmerzlos durchziehen. Wenn du nicht ebenfalls so über mich denkst, geh bitte einfach."
Seine rehbraunen Augen sahen sanft auf Lily hinab, die seinen Blick ruhig standhielt. „Und wenn ich so denke?", fragte sie leise.

„Dann bleib." Mit diesen Worten schloss James kurz die Augen, als könnte er es nicht ertragen, sie gehen zu sehen. Doch Lily blieb regungslos auf dem Bett sitzen. Sie wusste nicht, was passieren würde, wenn er die Augen öffnete und sehen würde, dass sie geblieben war. Lily hatte keine Ahnung, wie das alles hier ausgehen würde. Aber es fühlte sich richtig an und das war alles was zählte.

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Puh, endlich fertig! Ich habe wirklich noch nie so lange gebraucht um einen Oneshot zu schreiben. Normalerweise reicht ein halber Nachmittag dafür, aber diesmal habe ich es auf ganze vier Abende aufteilen müssen. Liegt vielleicht daran, dass ich immer erst so spät Zeit zum Schreiben habe, wenn mir die Augen schon fast zufallen. Aber egal, Hauptsache es gefällt euch...und wenn nicht, schaut nächsten Sonntag nochmal vorbei! xD

-Ginny <3

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