Jily Oneshot#27: Hilf mir
„Suchst du jemanden?", fragte Marlene neben ihr flüsternd und mit spöttisch erhobenen Augenbrauen.
Erwischt zuckte Lily leicht zusammen, ließ ihre Augen jedoch unbeirrt weiter über die kleine Menge an Schülern wandern die vor Flitwicks Klassenzimmer auf den Beginn des Unterrichts warteten. Endlich trat jemand zur Seite, sodass sich eine Lücke auftat und sie James Potter sehen konnte, der mit dem Rücken an der Wand auf dem Boden saß, natürlich in Begleitung seines siamesischen Zwillings. Doch die zwei Rumtreiber wirkten nicht wie sonst gut gelaunt und feixend, sondern leisteten sich stumm Gesellschaft, die Augen auf den grauen Steinboden vor ihnen gerichtet, die arrogante Miene und Haltung gegen angespannte Gesichtszüge und gesackte Schultern ausgetauscht.
„Was ist denn mit den beiden los?", murmelte Lily ehrlich besorgt, was ihre Freundin natürlich sofort zu weiteren Sticheleien antrieb. „Uuhh, du wirst dich wohl nicht um den nichtsnutzigen, kindischen und nicht zu vergessen, arroganten Potter sorgen?"
„Dass er nichtsnutzig ist habe ich nie gesagt. Aber im Ernst, was ist los mit den beiden? Ich habe sie schon seit Tagen nicht mehr in der Großen Halle gesehen und schon eine Weile kein furzendes Kissen in meinem Bett gefunden."
„Vermisst du ihn denn?", erkundigte Marlene sich gespielt mitleidig, wurde durch Lilys steinerne Miene jedoch ernst. Lily wusste, dass sie ihr etwas vorspielte um vom Thema abzulenken, welches offensichtlich schlechte Nachrichten beinhaltete.
„Marlene, was ist los?"
Mit einem kurzen Blick auf die Trübsal blasenden Unruhestifter, zog sie Lily am Ellbogen etwas zur Seite und erzählte ihr mit gedämpfter Stimme:"Keine Ahnung, ob es sich um ein Gerücht oder um Fakten handelt, aber angeblich soll durch ein Leck im Aurorenbüro durchgesickert sein, dass jene Elitegruppe, die vor circa einer Woche nach Sibirien geschickt wurde, nicht wieder zurückgekehrt sein. Selbst der Zaubereiminister soll gegenüber seinen engsten Vertrauten zugegeben haben, dass der Suchtrupp, den man losgeschickt hat, bestenfalls ihre Leichen bergen werden."
Zum ersten Mal sah Lily ihre Freundin direkt in die Augen, es war ihr egal, dass diese ihre Furcht vermutlich direkt daraus ablesen konnte. „Und die Potters waren..."
„Das weiß ich nicht. Hör zu, ich hätte es dir gar nicht erzählen sollen. Seit Voldemort auf dem Vormarsch ist erfinden Leute ständig solche Geschichten um andere noch mehr zu verängstigen. Vermutlich haben sie bloß einen Kater."
„Ja, vermutlich.", sagte Lily ohne es selbst zu glauben. Während der gesamten ersten Stunde vermasselte sie sämtliche Antworten und Zaubersprüche, weil sowohl ihre Gedanken als auch ihre Augen auf die beiden Jungen in der letzten Reihe gerichtet waren, die größtenteils teilnahmslos dortsaßen.
Kurz nach Beginn der zweiten und letzten Stunde Zauberkunst, wurde die Tür aufgerissen, ohne auf eine Antwort auf das Klopfen zu warten.
„Minerva, was kann ich für dich tun?", fragte der kleine Professor trotz der Unhöflichkeit ihrer Hauslehrerin freundlich. Die Professorin schien einige Sekunden um Worte zu ringen, so etwas hatte Lily bei ihr noch nie beobachtet. Tiefe Empathie, aber auch sture Entschlossenheit zeichnete sich auf ihrem Gesicht auf, als sie die wohl am meisten gefürchteten Worte im gesamten Schloss aussprach:"Mr. Potter, würden Sie bitte mit mir kommen, ich muss etwas mit Ihnen besprechen."
Flitwicks Lächeln verschwand augenblicklich, alle ließen ihre Zauberstäbe oder Federn sinken um sich nach James umzuwenden. Niemand sprach es aus, dennoch wusste jeder, was diese Hiobsbotschaft bedeutete. In den letzten Wochen und Monaten waren Schulstunden, Mahlzeiten und Freizeitaktivitäten immer wieder davon unterbrochen worden. Und diese Schüler verschwanden dann für ein paar Tage, einige kamen gar nicht mehr zurück. Deshalb durften Gryffindor und Slytherins inzwischen nicht mehr miteinander unterrichtet werden, denn der Grund für den Tod eines Familienangehörigen war meist im jeweils anderen Haus zu finden.
Ohne jegliche Farbe im Gesicht, mit Tränen in den Augen und tonloser Stimme, wisperte James bloß ein Wort:"Nein. Professor, bitte..."
McGonagall schloss für einen Moment gepeinigt die Augen, vermutlich um nicht die Beherrschung zu verlieren. Lily wusste, dass sie eine Freundschaft mit der Familie pflegte und ihr unglaublich viel an ihren Schülern lag...auch wenn dies durch ihre harte, undurchdringliche Miene vielen unmöglich zu sein schien.
„James...Mr. Potter, wenn Sie bitte – "
„Ich sagte NEIN!", rief James, außer sich vor Wut und Trauer, warf seinen Sessel zurück und lief an ihr vorbei aus dem Klassenzimmer. Sirius, der ihm nachsetzen wollte, wurde von der Professorin aufgehalten. „Sirius, holen Sie ihn zurück, er muss sofort den Rest der Verwandtschaft benachrichtigen, ihren Orden vom Ministerium annehmen, das Testament vollstrecken und das Begräbnis organisieren. Wir können uns in dieser Zeit keine Schwäche erlauben!"
„Das ist keine Schwäche, sondern Menschlichkeit.", fauchte Sirius zurück, zügelte sein Temperament jedoch soweit, um ruhiger fortfahren zu können. „Ich kümmere mich darum. Lassen Sie James in Ruhe."
Besorgt musterte sie Sirius. „Ich bin sicher, dass Mr. Potter nichts dagegen einzuwenden hat, aber sind Sie in der Verfassung dies zu tun? Ich weiß, dass auch Sie ihnen sehr nahe standen."
„Haben Sie vergessen wo ich herkomme? Ich kann mich lange genug kontrollieren. Das lernt man bei den Blacks auf die harte Tour."
Trotz seiner sarkastischen Worte sah Lily seine zu Fäusten geballten Hände, hörte den Kloß in seinem Hals und fühlte seine Trauer.
McGonagall nickte knapp und führte ihn hinaus, wobei er sich noch einmal umdrehte und leise aber eindringlich in Lilys Richtung sagte:"Jemand muss sich um ihn kümmern bis ich wiederkomme. Ich weiß nicht was er anstellen wird."
Damit fiel die Tür ins Schloss.
Lily warf Marlene einen um Hilfe suchenden Blick zu. Sie zuckte mit den Schultern, als wollte sie sagen „wenn nicht du, wer dann?", obwohl ihre Gedanken vermutlich ebenso weit weg und düster waren wie ihre eigenen.
„Professor?", fragte Lily in die tiefe Stille des Raumes hinein, „hätte ich ihre Erlaubnis zu gehen? Ich sollte..."
„Natürlich, Miss Evans, gehen Sie, gehen Sie.", antwortete der Professor zerstreut.
Ohne auf andere zu achten stürmte Lily augenblicklich hinaus, dorthin wo sie gehen würde, wenn sie eine solche Nachricht erhalten hätte. An einen Ort wo nur eine handvoll Menschen Zutritt hatte, man schreien konnte ohne gehört zu werden, es genug Dinge zu zerstören gab und man Dinge oder Abbilder der Verstorbenen fand.
Kurz darauf betrat sie den Gemeinschaftsraum der Schülersprecher, welchen sie wie erwartet vorfand. Trotzdem war sie nicht darauf vorbereitet. Die Bücher waren aus den Regalen gerissen worden, der Tisch umgeworfen, die Gryffindorflagge an der Wand entzweigerissen, das Sofa nur noch ein Haufen aus Federn und Schaumstoff, die Fenster zerbrochen. Und inmitten des Chaos saß James mit dem Rücken zu ihr, umgeben von tanzenden Staubpartikeln, die sich auf die glitzernden Scherben um ihn herum niederließen.
James wirkte so zerstörerisch wie ein Wirbelsturm. Zum ersten Mal hatte Lily Angst vor ihm und seinen Gefühlen, welche seinen Zauberstab in eine tödliche Waffe verwandelten. Dennoch ließ sie sich langsam neben ihn nieder, als würde sie sich einem scheuen Tier nähern, kniete sich neben ihn um ihm den Stab aus den klammen Fingern zu entnehmen. Er schien sie nicht wahrzunehmen, zumindest tat er nichts um sie zu stoppen. Nicht einmal, als Lily James ins Bad führte um seine Wunden an den Knöcheln auszuwaschen. Der plötzliche Schmerz schien ihn zurück in die Realität zu bringen.
Im selben Moment gaben seine Knie nach. Langsam rutschte er zu Boden, den Kopf in den Händen, vor- und zurückwippend, wie ein Kleinkind bei einem besonders starken Gewitter.
Also tat Lily intuitiv das, was sie früher getan hatte, wenn sie das krachende Donnern und zuckende Blitzen nicht mehr ausgehalten hatte. Sie drehte den Wasserhahn bis zum Anschlag auf, setzte sich vor James hin und nahm seine Hände sanft vor seinem Gesicht weg. „Wenn ich klein war und Angst hatte, habe ich immer irgendwo Wasser aufgedreht und die Augen geschlossen.", flüsterte sie leise in die Stille hinein. Nach kurzen Zögern sanken James' Lider mit den vor Tränen nassen Wimpern hinunter. „Ich habe mir vorgestellt, ich würde auf dem Grund eines Pooles sitzen, nur das plätschernde Wasser leistete mir Gesellschaft. Die Welt war leise und das Licht, welches sich in den Wellen brach, malte wunderschöne Muster auf die Fliesen. Es war friedlich, alles war so weit weg. Und plötzlich konnte ich atmen, Wasser floss in meinen Lungen, zirkulierte durch meinen Körper und ich atmete meine Sorgen in Form von kleinen Luftbläschen wieder aus, bis sie weg von mir an die Oberfläche ins Nichts verschwanden."
Augenblicklich wurde James' Atmung gleichmäßig, seine Schultern entspannten sich und die Tränen flossen langsamer. Erleichtert sank Lily in sich zusammen. Unwillkürlich nahm sie seine Hände in ihre, da ihr für den Moment die Worte ausgegangen waren. Doch genau als sie ihn berührte, riss er seine Augen erneut weit auf. Er zog seine zitternden Hände zurück, Schweiß bildete sich auf seiner Stirn und er flüsterte wie besessen vor sich hin. Lily versuchte vergebens ihn zu beruhigen. Stattdessen wurde er immer lauter, ging rastlos umher und raufte seine Haare.
„James, du musst dich setzen, ich kann dir helfen.", rief Lily ihm, inzwischen am Rande der Verzweiflung, hinterher. Sie wollte seinen Schmerz nehmen, aber sie machte es anscheinend bloß noch schlimmer.
„Du verstehst das nicht. Sie...sie sind nicht mehr da, Lily. Sie sind nicht mehr da und sie werden nie wieder zurückkommen. Ich kann mich nicht an ihre letzten Worte an mich erinnern, den letzten Brief von ihnen finde ich nicht mehr, Dad wird mich nie wieder Quidditch spielen sehen, ich kann Mum nie mein Abschlusszeugnis zeigen, sie werden dich nie kennenlernen, oder ihre Enkelkinder. Ich bin erst siebzehn, es ist zu früh, ICH WILL SIE ZURÜCK!" Inzwischen war seine Stimme zu einem Schrei erhoben worden, seine Faust erzeugte winzige Risse in der Wand, sodass seine Wunden wieder zu bluten begannen. Lily wagte es nicht mehr zu sprechen, sie kam sich völlig hilflos vor. Alles was sie wollte, war die Möglichkeit seinen Schmerz auf sich selbst zu übertragen, anstatt seine wutentbrannten Schreie mit anhören zu müssen, die sich wie Splitter in ihr Herz bohrten.
Plötzlich hörte es auf. Er schrie nicht mehr, stand bloß reglos da. Und atmete nicht mehr. Verzweifelt rang er nach Luft, von der er, obwohl sie im Überfluss vorhanden war, nicht mehr genug einatmen konnte, sein Atem ging kurz und stoßweise. Als er schließlich auf die Knie sank war Lily abermals sofort bei ihm.
„Was...passiert? Hilf...mir...", brachte er mühsam hervor.
„Ich...ich denke, du hast eine Panikattacke, dagegen hilft kein Zauber.", rief Lily verzweifelt. „Versuch...versuch an was Schönes zu denken. Freunde, Fam...eine schöne Erinnerung, als wolltest du einen Patronus heraufbeschwören!"
Verzweifelt schüttelte er den Kopf. „Ich kann nicht, ich kann einfach nicht."
„Dann versuch den Atem bewusst und kontrolliert anzuhalten, das kann eine Panikattacke stoppen"
Dadurch wurden seine Beschwerden noch schlimmer, die Zeitspanne in welcher er nicht atmen konnte, länger.
„Na gut, lass mich etwas versuchen." Mit diesen Worten küsste sie ihn, hektisch und unvorbereitet. Doch es funktionierte. Nachdem sie sich voneinander lösten hörten seine Hände auf zu zittern, sein Atem normalisierte sich.
„Wie hast du das gemacht?", flüsterte James.
„Du hast den Atem angehalten als ich dich geküsst habe, das hat die Attacke gestoppt...im Moment."
„Danke.", sagte er kaum vernehmlich. Alle Wut wich aus seinem Gesicht und machte der abgrundtiefen Trauer Platz, die er krampfhaft versucht hatte eingeschlossen zu halten. Die Art von Trauer, bei der sie sich nicht vor ihm fürchten musste, weil er der grausamen Wahrheit endlich ins Gesicht sah, anstatt zu versuchen sie durch körperlichen Schmerz zu verdrängen. Kraftlos sank er nach vorne bis Lily ihn in den Arm nahm. Endlich schien es tatsächlich möglich zu sein, etwas von seinem unerschöpflichen Schmerz zu nehmen, selbst wenn es im Moment nur wie ein Tropfen im Ozean war. Lily wusste, dass James sich von diesem Tag nie erholen würde. Allerdings wurde ich auch im selben Moment klar, dass sie bereit war Tag für Tag für ihn da zu sein, egal wie lange es dauern würde, wie viele andere Rückschläge es geben wird. Eines Tages würde alles gut sein und sie war fest entschlossen diesen Tag zusammen mit ihm zu erleben.
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Ich bin ja mal wieder sehr fröhlich unterwegs😅...dabei habe ich eigentlich allen Grund happy zu sein, weil ich heute ENDLICH Fantastic Beasts sehen werde😍. Wenn ihr den Film schon kennt, haltet euch mit Spoilern bitte noch ein wenig zurück😂.
-Ginny💚
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