Jily Oneshot#14: Ein letztes Mal

Ein letztes Mal. Dieser Gedanke verfolgte Lily in den letzten Tagen und Wochen wie eine dunkle Wolke. Ein letztes Mal James bei einem Quidditchspiel gewinnen zu sehen - 370:40, nimm das Slytherin - ein letztes Mal im See schwimmen, ein letztes Mal ein verkorktes Fläschchen mit perfekt gelungenem Zauber auf Slughorns Tisch stellen, ein letztes Mal von Alice aus dem Bett geworfen zu werden, ein letztes Mal die Bibliothek betreten...es gab unzählig viele. Die letzte Zeit war von erdrückender Melancholie gefüllt gewesen. Vor allem wenn sie an die vielen Dinge dachte die sie mit James in Hogwarts nie wieder tun könnte. Ihn zur Weihnachtszeit unter den Mistelzweigen küssen, ein Picknick auf dem Astronomieturm machen, in langweiligen Schulstunden Zettel schreiben...all die scheinbar banalen Dinge welche sie mit ihrer Zeit in Hogwarts verband würden zu Erinnerungen werden wenn Lily diese sicheren Mauern endgültig verlassen würde.

Mit einem Kissen holte Alice sie aus ihren Gedanken.
„Du hast schon wieder diesen sentimentalen Blick drauf. Sei doch froh, wir sind jetzt frei, keine McGonagall mehr die uns anmotzt, keine Prüfungen, keine vorgeschriebenen Schlafenszeiten..."
Lily fischte das Kissen aus ihrem Gesicht und blickte hinaus auf den See. „Ich weiß, dass hier nicht alles perfekt war, aber es gab Menschen die es zur schönsten Zeit meines Lebens gemacht haben, die ich unglaublich vermissen werde. Ich werde dich vermissen."
„Ach komm schon, du bist mich doch nicht los bloß weil wir nicht mehr im selben Schlafsaal wohnen. Ich werde dir noch lange auf die Nerven gehen.", lächelte Alice, blinzelte dabei jedoch ziemlich schnell. Wortlos umarmte Lily ihre beste Freundin fest, bis sie sicher war, dass ihre Augen wieder trocken waren. Alice, die Lily in all den Jahren noch nie weinen gesehen hatte, wischte sich energisch über die Wangen. „So, jetzt reicht es aber. Ich packe noch fertig, geh du schon mal runter. James wartet bestimmt schon." Lily wollte protestieren, kannte ihre Freundin inzwischen aber gut genug um zu wissen, wann sie alleine sein wollte. Lily drückte sie noch einmal, zog sich in Windeseile ihre Schuluniform an und versuchte dabei nicht daran zu denken, dass sie dies auch nie wieder tun würde. Schnell fuhr sich durch die Haare, atmete tief durch und ging in den Gemeinschaftsraum hinunter. Da es noch ziemlich früh war und die meisten noch in letzter Minute noch hektisch ihre Sachen zusammensuchten, war James der Einzige im Raum. Mit locker gebundener Krawatte, den Händen in den Taschen und bedrückter Miene stand er vor dem dunklen Kamin. Anscheinend schaffte nicht einmal er es der Bitterkeit des Abschieds zu entfliehen. „Weißt du noch wie du und Sirius in der fünften Klasse einen Wettbewerb daraus gemacht habt, wer einen Kältezauber länger durchhalten würde?"
James zuckte kurz erschrocken zusammen, entspannte sich dann jedoch wieder sobald er erkannte hatte dass es Lily war. Seine Mundwinkel zuckten. „Natürlich. Jeder musste eine Hand ins Feuer halten und wer sie zuerst hinausnahm hatte verloren. Verbrennungen dritten Grades und eine Woche Krankenflügel." „Oder als meine Freundschaft mit Marlene fast zerbrochen wäre weil sie mein Lieblingsbuch hineingeworfen hat weil ich ihr nicht zugehört, sondern gelesen habe." James lachte leise, doch es verebbte schnell. Eine lange Stille entstand, bis er sich endlich umwandte und fragte: „Wollen wir vor dem Abschlussessen noch einen Rundgang machen? Alles nochmal sehen, Erinnerungen austauschen, Lieblingsplätze besuchen...?"
„Ich wollte dich dasselbe fragen.", meinte Lily und hakte sich bei ihm unter.

Das Schloss war noch menschenleer, nicht einmal Mrs. Norris oder Peeves streiften durch die Gänge. Natürlich war Hogwarts viel zu groß um alles zu sehen, doch die wichtigsten Plätze waren dabei. Der Raum der Wünsche, der Astronomieturm, die Bibliothek, die Küche, die Große Halle, Klassenzimmer, allerlei Geheimgänge und Verstecke. Danach traten die beiden hinaus auf den sonnigen Hof, spazierten zum See um dem Kraken einen guten Morgen zu wünschen, schauten bei Hagrid und seinen Schützlingen vorbei, sogar zu den Gewächshäusern und zum Eulenturm kamen sie. Als Lily und James sich dem Quidditchfeld näherten, versagte seine Stimme abrupt. Anstatt etwas zu sagen, holte er kurzerhand seinen Besen aus der Kammer neben den Umkleiden. Noch immer schweigend nahm Lily hinter ihm darauf platz und klammerte sich an ihn noch bevor ihre Füße den Boden verlassen hatten. Lily war nie besonders versessen aufs Fliegen gewesen, doch heute riss sie sich zusammen und versuchte die - für ihren Geschmack etwas zu hohe - Aussicht zu genießen. Nach einigen Minuten wurde sie entspannter, legte ihren Kopf auf seine Schultern und atmete die sommerliche Luft ein, den vertrauten Geruch von James' Umhang, vermischt mit Blumen und dem Essen aus der Großen Halle. Apropos, Essen...Lily wollte den friedlichen Moment wirklich nicht zerstören, doch die Sonne stand schon hoch am Himmel und die Stimmen Hunderter Schüler wehten zu ihnen. Ehe sie den Mund öffnen konnte schien James schon verstanden zu haben und setzte zum Landeflug an. Noch etwas wackelig auf den Beinen machten sie sich auf den zur Großen Halle. Desto näher die beiden dem großen Tor kamen, desto langsamer wurde Lily automatisch. Jeder Schritt war eine Qual. Sie fühlte sich als würde mit jedem Zentimeter die Last der Trauer schwerer werden. Schließlich blieb Lily stehen und blickte zu den alten Mauern hoch die majestätisch über ihr aufragten. Ihr Blick fiel auf den Brunnen vor ihr. Bedächtig für sie mit den Fingerspitzen über den weißen Rand aus geschliffenem Marmor. Das Licht brach sich in dem Wasser darin. Ein Regenbogen entstand, bis hin zu der kunstvoll gehauenen Statue Merlins auf dessen Nase sich ein Buchfink niederlies. An dieser Stelle hatte James sie das erste Mal geküsst. Danach hatte Lily ihn zwar hineingestoßen und war wutentbrannt davongestürmt, doch es zählte trotzdem.
Ein Finger legte sich unter ihr Kinn und hob es sanft hoch, bis sie gezwungen war in James' braune Augen zu blicken. Sie wollte so viel sagen. Darüber dass es ihr leidtat dass sie so viel Zeit damit verschwendet hatte ihn zu verabscheuen. Dass sie für die schöne Zeit die sie zusammen verbracht hatten dankbar war. Dass James ihr die Angst vor der Zukunft nahm. Dass er der Grund war wieso sie es schaffte Hogwarts den Rücken zu kehren weil sie wissen wollte was mit ihnen passieren würde. All die Dinge, die Lily noch nie gesagt hatte, obwohl sie diese seit dem Tag fühlte, seit er ihr, triefend vor Brunnenwasser, nachgerannt war um sie daran zu hindern schon wieder wegzulaufen.
„Ich weiß.", sagte James leise. Mehr nicht. Doch es reichte. Er verstand sie, er hatte Lily schon immer besser gekannt als sie sich selbst. Diesmal küsste sie ihn vor dem Brunnen.
„Soll ich dich jetzt hineinwerfen? Du weißt schon, um der alten Zeiten willen.", grinste James. Lily lachte zum Ersten Mal an diesem Tag, während ihr eine Träne über die Wange rollte und in das Wasser tropfte. Die beiden sahen zu wie sie immer kleiner werdende Kreise zog.
„Wir sollten reingehen." James nahm ihre Hand und zusammen traten sie ein letztes Mal durch die Tore hinein in das Schloss und die Große Halle. Natürlich erregten sie einige Aufmerksamkeit weil das Schülersprecherpaar eigentlich nicht zum Abschlussessen zu spät kommen sollte. Lily ignorierte es, alles was in diesem Moment zählte war, sich den Moment einzuprägen. James neben ihr, Alice und Sirius die ihnen hektisch zuwinkten und auf die letzten freien Plätze neben ihnen deuteten, Remus der schmunzelnd den Kopf über seine kindischen Freunde schüttelte und Marlene die Siris nicht aus den Augen lassen konnte.

Vom Essen bekam Lily so gut wie gar nichts mit. Später würde sie nicht sagen können was sie gegessen hatte oder um was es in den Gesprächen ging. Sie wusste bloß dass James ihre Hand nicht einmal losgelassen hatte und dass sie sich fragte wie ein Mensch so überglücklich und todtraurig zugleich sein konnte.

Kaum war das Essen verschwunden, erhob Dumbledore sich um seine Abschlussrede zu halten bei der er die Lacher auf seiner Seite hatte. Durch das - zwar noch immer unmögliche - aber deutlich verbesserte Verhalten der Rumtreiber, erhielt Gryffindor den Hauspokal. Eine Premiere, denn seit Lily an der Schule war hatten die vier Jungs so viele Punkte verloren dass es stets nur für den zweiten Platz gereicht hatte. Lilys Jahrgang jubelte natürlich am lautesten während sie alle gegenseitig abklatschten, wobei Lily den ausgestreckten Mittelfinger von James in Richtung Slytherintisch geflissentlich übersah. Dumbledore lächelte der Gruppe warmherzig zu, ehe er um Ruhe bat und seine Rede mit den Worten „Nun kann ich mich endlich wieder meinem Schokopudding widmen, denn das Wort haben jetzt unsere beiden Schülersprecher Lily Evans und James Potter." abschloss.

Unter dem lauten Getöse der Gryffindors, Ravenclaws und Hufflepuffs betraten die beiden die Bühne. Normalerweise wäre Lily rot angelaufen, aber heute war kein normaler Tag, sondern der traurigste und zugleich schönste ihres Lebens. Sie drückte James' Hand noch einmal bevor sie ihn losließ und sich ihren Mitschülern zuwandte.
„Erstens: Guten Appetit Professor. Zweitens: Danke an alle Lehrer die beide Augen zugedrückt haben wenn die Rumtreiber wieder etwas angestellt haben, sodass ich es auch einmal erleben konnte den Hauspokal zu gewinnen." Erneutes Gekreische der Gryffindors unterbrach ihre Rede für einen Augenblick. „Drittens: Ich habe hierfür eine lange Rede vorbereitet in der ich über die Wichtigkeit der Bildung, Reife und so weiter sprechen wollte. Aber da ich mich damit wahrscheinlich selbst langweilen würde, erzähle ich euch lieber etwas das von Herzen kommt.
Sobald ich den Brief aus Hogwarts in den Händen gehalten habe, wusste ich, dass ich hier eine tolle Zeit haben würde. Als ich das erste Mal in diese Hallen trat und nach Gryffindor eingeordnet wurde, wusste ich dass es eine großartige Zeit werden würde. Als ich heute aufgewacht bin, ist mir klar geworden dass es eine perfekte Zeit war. Gespickt mit Problemen und Hindernissen, doch rückblickend gesehen zählen nur noch die positiven Erinnerungen. Wie viel ich gelernt habe, welche Freunde fürs Leben ich gefunden habe, die aufregenden Dinge die wir zusammen erlebt haben und vieles mehr. Ich würde es gegen nichts in der Welt eintauschen. Dennoch muss ich Hogwarts heute verlassen. Lange hatte ich vor diesem Tag Angst. Natürlich will ich noch immer nicht gehen, aber diese Angst hat sich in freudige Erwartung umgewandelt. Ich verabschiede mich heute nicht nur von einer Schule, einem Zuhause und Zufluchtsort, sondern auch von meiner Kindheit, die dank euch wunderschön war. Dafür-" Lily versuchte den Kloß in ihrem Hals hinterzuschlucken, doch er ließ sich nicht vertreiben. Wenn sie weiterreden würde, würde sie bestimmt in den Tränen ausbrechen und das wollte sie nicht, nicht vor den gaffenden Augen der Slytherins. James lächelte ihr verständnisvoll zu und nahm ihren Faden auf, so als wäre es ohnehin geplant gewesen.
„Dafür bin ich - sind wir - sehr dankbar. Genießt die Zeit hier und macht das Beste daraus. Es geht hier nicht nur um Prüfungen und Noten, es geht darum Erinnerungen zu schaffen an die man auch in zwanzig, dreißig Jahren schmunzelnd zurückdenkt und darum Menschen zu finden die man nie wieder missen möchte. Und darum Quidditch zu spielen. Ernsthaft Leute, macht euren Kapitän stolz und stellt nächstes Jahr eine passable Mannschaft zusammen, den Rekord von sechs Gesamtsiegen infolge können wir noch erweitern! Schaut zu dass ihr den Slytherins in den A-"
„Mr. Potter, ich gebe Ihnen noch mal Nachsitzen wenn Sie ihr Mundwerk nicht zügeln.", schaltete Professor McGonagall ein.
James, der diese Drohung sehr ernst zu nehmen schien, räusperte sich und setzte neu an: „- den Slytherins in den Armen liegen weil ihr euch so über den Sieg Gryffindors freut, meine ich natürlich. Wie dem auch sei, wir reden hier schon ziemlich lange, aber bevor ihr einschlaft, muss ich noch was loswerden. Und zwar möchte ich ein paar Leuten hier danken: Fangen wir doch bei denen an die es mir ermöglicht haben durch alle Prüfungen zu kommen: Professor McGonagall, weil mir beim Nachsitzen so langweilig geworden ist dass ich tatsächlich zu lernen begonnen habe. Moony, weil so ca. 99% meiner Hausaufgaben von ihm gemacht worden sind und er ganz nebenbei noch ein toller Freund ist, trotz seines kleinen pelzigen Problems." Lily sah wie Professor McGonagall sich eine Träne aus den Augenwinkeln wischte und Remus seinen Kopf auf den Tisch schlug. „Natürlich dürfen wir Wurmschwanz und Alice nicht vergessen weil sie trotz unserer Verrücktheiten mit uns befreundet blieben. So ich glaub das waren alle...", grinste James.
„Du bringst mich hier besser noch unter oder ich sagen allen dass du-"
„...doch da wäre noch Tatze, mein bester Freund, Partner bei allerlei Dummheiten und dem schlechtesten Ratgeber aller Zeiten. Ich mochte dich seit du an jenem ersten September vor sieben Jahren meine Haare in Brand gesetzt hast weil ich gesagt habe dass die Chudley Cannons besser sind als die Wimbourner Wespen."
„Ich würde es jederzeit wieder tun!"
James lachte, wurde dann aber ernst. „Und dann wäre da noch..." Er wandte sich Lily zu und nahm ihre Hände in seine. „Keine Sorge, es kommt kein zu Tränen rührendes Liebesgeständnis. Ich könnte es mir dennoch nicht verzeihen heute hier hinauszugehen ohne das zu sagen: du bist das tollste Mädchen der Welt und ich hätte noch Jahre weitergekämpft um dich endlich meine Freundin nennen zu können. Ich bin überglücklich mit dir an meiner Seite heute durch diese Tore gehen zu können und...Mist, jetzt wird es doch kitschig..."
„Halt doch einfach den Mund.", seufzte Lily lachend und zog ihn in einen stürmischen Kuss.
Die Halle explodierte. Selbst der eine oder andere Slytherin konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Dumbledore musste der Hauslehrerin von Gryffindor ein Taschentuch leihen. Sirius pfiff gellend.

„Auch gut.", dachte James zufrieden. „Es gibt bestimmt noch Möglichkeiten sie zu fragen." Mit den Fingern tastete er nach der kleinen Schachtel in seiner Tasche um sicher zugehen dass diese noch an ihrem Platz war.

Den beiden wurde die Ehre zuteil zuerst hinauszugehen. „Bereit?", fragte James. „Bereit wenn du es bist.", lächelte Lily. Gemeinsam stießen sie die Tore auf und traten hinaus. In einen neuen Lebensabschnitt und einer Schachtel die hoffentlich bald leer sein würde...

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