89. Wir
Lily
Abwartend saßen wir also nun im Bad und schauten auf das kleine Stäbchen auf dem Waschbecken. Tatsächlich hatte sich seit Langem mal wieder eine unangenehme Stille ausgebreitet, die ich nun jedoch in keinem Sinne gebrauchen konnte. Jeder hing seinen Gedanken nach, doch mit dem Willen die des anderen zu wissen. Denn das dieses kleine Ding dort noch mehr auf den Kopf stellen könnte, als es der Unfall meiner Eltern eh schon geschafft hatte, war uns beiden bewusst. Auch, wenn wir es nicht wahrhaben wollten.
„Was denkst du?", platzte es aus mir heraus, James angespannten Körper betrachtend. Seine Augen huschten zu mir, doch las ich bisher nichts als Verwirrung in ihnen.
„Wie meinst du?", hakte er nach und hinterfragte eine Frage, wo ich nicht einmal selbst erklären konnte, was ich hören wollte. Unruhig saß er noch immer auf der Badewannenkante, die Knie stetig auf und ab bewegend. Das mich genau das noch wuschiger machte, schien er nicht zu registrieren.
„Naja was du eben denkst. Jetzt gerade.", versuchte ich es erneut und konnte wohl kaum verbergen, dass ich so langsam mit den Nerven am Ende war. Die Beerdigung am heutigen Nachmittag war schon zu viel gewesen. Doch konnte ich nicht länger auf dieses Ergebnis warten. Ich wollte Gewissheit. Und ich spürte, dass James diese auch wollte. Nur wusste ich nicht recht, ob wir beide mit einem positiven Ergebnis zu recht kommen würden. Vielleicht nächste Woche, oder übernächste, doch nun?
„Keine Ahnung Lily. Wir haben uns beide nach Langem überlegen hierfür entschieden. Das wir nun jedoch hier hocken und auf so ein Stäbchen schauen hatte ich mir damals anders vorgestellt. Die Umstände sind einfach nicht die richtigen wie ich finde.", zuckte er trostlos mit den Schultern, doch wachsam auf meine Reaktion gespannt. Nur blieb diese aus. Ich nahm es hin. Ändern konnte ich nichts daran. An sich sah ich es genauso. Doch mein Blick huschte zu dem Test, der nun ein Ergebnis anzeigen müsste.
Still und gespannt griff ich nach dem dünnen Ding und nahm aus dem Augenwinkel wahr, wie James sich angespannt erhob und nochmals schwer ausatmete. Doch würde er dafür keinen Grund mehr haben, wenn er das Ergebnis wusste. Negativ. Ich wusste nicht recht was ich fühlen sollte. Einerseits Freude, Erleichterung? Immerhin hatte James kein Unrecht mit seinen Worten. Doch machte sich in meiner Brust viel mehr die Trauer und Enttäuschung breit. Wir waren jung, sehr jung und wollten eine Familie. Man könnte fast meinen wir zählten noch immer zu den leicht empfänglichen Jugendlichen, die wie auf Knopfdruck Eltern werden konnten. Doch hatte es bei uns nicht geklappt. Nach einer Woche, wo es des Öfteren hätte funktionieren sollen.
„Und?", riss mich James aufgeregte Stimme aus dem Sturm meiner Gedanken. Es war eigentlich ja schon blödsinnig sich nach nur einer Woche Gedanken über die eigene Fruchtbarkeit zu machen. Doch kam ich einfach nicht umhin. Es widersprach fast allen Fakten, die ich je in Bezug auf das schwanger werden gelernt hatte.
„Negativ.", murmelte ich und blickte nun in seine Augen. In die Augen, die die selbe Mischung der Gefühle ausdrückten, wie ich sie in mir fühlte. Freude, Erleichterung, doch auch Trauer und Enttäuschung. Er wusste ebenso wenig wie er reagieren sollte, wie ich. Es war einfach alles nicht so einfach, wie wir es uns vorgestellt hatten. Nicht so einfach wie es bei Merlins gepunkteter Unterhose nochmal sein sollte.
„Naja dann versuchen wir's weiter. Vielleicht ist es die nächsten Tage und Wochen ganz gut, das wir uns nicht darauf konzentrieren müssen. Dann kannst du dich ein wenig erholen. Und wenn wir wieder normal im Leben stecken, gehts weiter. Ich denke wohl kaum, dass das ein Hindernis sein dürfte.", lächelte er mich milde an, nun vor mir hockend und nach meiner freien Hand greifend. Er hatte ja schon recht. Nur ließ mich dieses Ergebnis noch nachdenklicher werden. Viel zu nachdenklich wie James wieder behaupten würde. Er war immer der positivere von uns gewesen. Immer nach vorn blickend, so wenig wie möglich hinterfragend. So würde man fröhlicher leben, hatte er einst gemeint. Vielleicht hatte er ja recht. Das Leben ging weiter. Ob nun mit oder ohne meine Eltern, ob nun mit oder ohne Schwangerschaft.
„Okay.", hauchte ich, erneut den Tränen nahe. Man sollte meinen, dass ich nach solch einem Tag genug der Tränen hatte. Doch löste das beengte Gefühl um die Brust wieder einmal das weinen in mir aus. Der dicke Klos hatte sich in meinem Hals festgesetzt wie eine Klette im Haar. Und die Trauer erfüllte meinen Körper wie das schwebende Gefühl, als ich auf Wolke sieben mit James flog. Es war ganz und gar nichts in Ordnung oder Okay. Nein, ich hatte meine Eltern verloren, konnte anscheinen nicht schwanger werden und führte meine frische Ehe gerade zum Abgrund, weil ich nicht acht auf meinen Mann geben konnte. Weil ich ihn vernachlässigte und immer wieder nur an mich selbst dachte.
„Hey, komm her. Hör auf dir schon wieder über alles Gedanken zu machen, Lils. Es war ein schlimmer Tag. Wollen wir uns auf die Couch legen und einen Film schauen? Ich kann Eis holen und dann kuscheln wir ein bisschen Ja?", nahm mich James verzweifelt in den Arm, wohl selbst nicht ganz im Klaren, wie er mit mir umgehen sollte. Ich verstand das, er wusste nicht weshalb ich wieder einmal diesen Heulkrampf schob. Ob nun wegen meiner Eltern, oder wegen des nie dagewesene Kindes. Doch ließ mich dieser Vorschlag und diese Geste nur noch mehr in Tränen enden. Er tat so viel. So viel damit es mir besser ging. Und ich erkundigte mich nicht einmal nach seinem Befinden.
„James ich...ich hab das Gefühl, dass ich das zwischen uns versaue.", schluchzte ich in seine Schulter, bemerkte jedoch wie er verwirrt auf mich blickte, als ich mich ein Stück löste.
„Was bin ich denn für eine, die immer nur nimmt, an sich selbst denkt und nicht einmal nachfragt wie es ihrem Mann geht. Du warst nur für mich da und hast alles andere hinten angestellt. Deinen Job, deine Freunde, dein Hobby, ja selbst deine Bedürfnisse. Und ich, ich sitze hier heulend und stell das wieder so dar, als bräuchte ich Bemitleidung. Ich...", liefen die Tränen über meine Wangen und die Sorge, dass ich wieder jeden und alles von mir stieß, machte sich kund. So langsam wusste ich nicht mehr was ich tun sollte. Ich hatte mich zusammengerissen, hatte stark sein wollen um weiter machen zu können. Doch hatte dieser Tag so vieles aufgewühlt, dass ich glaubte, dass selbst das nichts gebracht hatte.
„Lily jetzt hör doch auf damit! Du machst gerade eine schwierige Phase durch. Deine Eltern sind gestorben. Viel zu früh. Du hast eine riesige Stütze in deinem Leben von heut auf morgen verloren. Es ist ganz normal das du Zeit brauchst, das es dir dreckig geht und das du eben nicht einfach so weiter machen kannst. Und sei endlich still mit dem Gefasel, dass du mich vernachlässigst, oder sogar unsere Ehe zerstörst. In guten wie in schlechten Zeiten. Das gerade jetzt die schlechten zu erst angebrochen sind, heißt doch nicht das keine guten auf uns zukommen. Mir geht es auch nicht gerade super. Jedoch nicht weil du mich von irgendetwas abhältst, sondern weil es dir nicht gut geht. Weil du in alles zu viel hinein interpretierst, zu viel nachdenkst und die Augen vor der Wirklichkeit verschließt. Ich bin hier, mir geht es gut und ich liebe dich. Nur das zählt. Hörst du? Wie sind ein Team. Wie schaffen das. Und dann starten wir gemeinsam in die Fülle der guten Zeiten einer Ehe, die alles andere als am Abgrund dieser steht.", zwang er mich ihn anzublicken. Voller Willensstärke und unendlicher Überzeugung schaute er mich an. Alles was er sagte, sog ich auf, zwang ich mich zu verinnerlichen. Zitternd schluckte ich, versuchte den Klos im Hals zu beseitigen, wischte die Tränen beiseite und hoffte, dass keine nach kommen würden. Sie durften es nicht. Denn er saß hier vor mir, als das willensstarke Mitglied des Teams, das mich stark werden ließ.
„Okay.", nickte ich und wischte mir nochmals über die Wangen. Auch wenn meine Stimme noch immer leicht zitterte, hatte ich nun das Gefühl mehr Kontrolle über sie zu haben. Über meinen gesamten Körper.
„Das will ich sehen. Meine starke Frau. Und du bist stark, Lily. Also lass uns jetzt Eis holen und den Abend vor dem Fernseher genießen. Alles andere kann kommen, wenn es der richtige Zeitpunkt ist. Wir schaffen das gemeinsam. Uns trennt keiner.", drückte er nochmals bestätigend meine Hände und schenkte mir dieses liebevolle, stolze Lächeln, dass mich nur zu oft grinsen ließ. Er hatte recht, zusammen waren wir unschlagbar. Und es gab nichts anderes als ein wir.
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