25. Mein Leben
Lily
„Lily?", ließ mich eine besorgte Stimme aufschrecken. Ertappt wandte ich meinen Kopf reflexartig in die Richtung der Stimme, und konnte James in Falten gelegte Stirn schon von hier sehen. Er war noch ein ganzes Stück entfernt, auf dem Trampelpfad um den See herum laufend, von den Bäumen versteckt. Meine roten Haare mussten mich mal wieder verraten haben. Solche scheiß Dinger. Manchmal wünschte ich mir einfach solche braunen Haare wie Hestia zu haben. Die waren schließlich normal und nicht so auffällig wie ne rote Ampel.
Nochmals strich ich mir vorsichtshalber über die Augen, ehe ich meinen Blick von dem nun bald bei mir seienden James wandte und mit gedankenverlorener Miene hinaus zum See starrte. Es wäre egal gewesen, ob ich gemeint hätte, ich wolle allein sein, oder ob ich wegrannte. Er würde bei mir bleiben oder zu hundert Prozent schneller sein als ich. Also ließ ich diese Anstrengung sein und legte mein Kinn, wie zuvor, wieder auf meine Arme, welche meine Knie noch immer umschlungen. Ich musste aussehen wie ein kleines bockiges Kind, welches mal wieder wütend war, weil es nicht das bekam, was es wollte. Und obwohl ich genau so saß wie damals, war der Grund ein anderer. Ja, ich war wütend. Wütend gewesen. Doch war ich nicht bockig wegen irgendwas. Ich war einfach wütend auf mich selbst. Und das ohne den wirklichen Grund zu kennen.
„Lily.", wiederholte die besorgte Stimme meinen Namen, nun deutlich näher. Er müsste hinter mir stehen, seinem Schatten zu urteilen. Und dann noch sehr nahe. Denn seine Stimme war leis und triefte nur so vor Besorgnis, doch konnte ich es deutlich wahrnehmen. Ohne eine Reaktion zu zeigen blickte ich stur weiter gerade aus und betrachtete die schwimmenden Enten. Wie sie von links, weg von dem Lärm und den spielenden Kindern, schwammen, und nach rechts, in weite Ferne ihr Ziel vor Augen hatten. Ruhe, einfache Ruhe.
James ließ sich neben mich plumpsen, doch sah ich, dass er deutlich unentschlossen war. Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, wie er seinen Arm hob, um mich zu umarmen, in der Bewegung jedoch inne hielt. Er war unsicher. Eindeutig. Denn auch wenn ich sein Gesicht nicht ganz betrachten konnte, erkannte ich seine andere Hand, welche gerade den Weg zu seinen Haaren fand. Fast hätte ich darüber geschmunzelt. Fast. Wenn seine Anwesenheit mich nicht wieder auf seine Worte von vorhin aufmerksam gemacht hätten.
Schlussendlich schien er es zu riskieren und legte seinen Arm vorsichtig um mich. Überlegend, ob ich ihn wegschieben sollte, hielt ich nun in meiner Reaktion inne, eben dies zu tun und beließ es dabei. Ich wusste, dass es ihn unglaublich verletzte, wenn ich seine Zuneigung nicht annahm. Dabei genoss ich doch die eingehende Wärme, welche von ihm ausging. Doch war auch ich mir unsicher. Genau deswegen blickte ich ihn nicht an. Ich wollte keinen Streit. Auch wenn das wahrscheinlich schon der Fall war. Dennoch würde ich als erster nichts sagen. Denn schließlich war er hier her gekommen. Also schien er ja reden zu wollen.
„Lily.", wiederholte er meinen Namen. Wie oft wollte er den noch wiederholen? Ich wusste, dass ich so hieß. Neben mir vernahm ich amüsiertes auflachen, was mich nun doch reflexartig, zu ihm wenden ließ. Verwirrt blickte ich ihn an. Was fand er denn jetzt witzig? An dieser Situation war rein gar nichts witzig.
„Du, du hast es gesagt. Also das was du Wahrscheinlich nur denken wolltest. Nur, naja, weiß ich nicht wie ich anfangen soll.", murmelte er und fuhr sich wiedermal nervös durchs Haar. Überrascht blickte ich nun in die Augen meines Freundes und erkannte zum einen Belustigung, aber zum größten Teil noch immer seine Besorgnis darin. Ach man, wie sehr hasste ich es, wenn er so schaute? Er sollte sich nicht so sehr um mich Sorgen machen.
„Ich, Lily. So wie du das alles verstanden hast, war das doch niemals gemeint.", begann er dann doch schließlich, doch wirklich aussprechen ließ ich ihn nicht. Seine Augen trieften schon fast vor Verzweiflung, nur verstand ich nicht weshalb. Ich sollte so schauen und nicht er.
„Ach, also liegt es wieder an mir oder was?! Dass man Worte so meint wie man sie ausspricht ist also nicht so? Das heißt wenn du nein sagst, meinst du eigentlich ja, weil ich das nein als nein falsch interpretieren würde?! James, ich bin nicht auf den Kopf gefallen. Ich bemerke, wenn man sich über mich lustig macht.", erwiderte ich sofort und blickte nun wieder auf den See. Bockig. Nun war ich wirklich die kleine, siebenjährige Lily Evans, welche rum zickte und bockig war.
„Man Lily, nein. Also ja. Also, ach man! Sirius ist ein Depp okay?! Und er weiß sich oft nicht verständlich zu...artikulieren. Ich kann total nachvollziehen, dass du dich angegriffen gefühlt hast. Sirius versteckt auch viel hässliches hinter seinen Worten, Ja. Aber diesmal meinte er es wirklich nicht so. Er war total fertig, weil er sich jetzt auch noch für unsere Distanz verantwortlich fühlt. Dabei hab ich mich auch nicht klar ausgedrückt. Weißt du, mir ging Tatze immer noch auf den Senkel. Und als er dann damit um die Ecke kam, wusste ich, dass er die Spitzen und unverständlichen Formulierungen nicht sein lassen würde. Ich war einfach genervt. Und deswegen hab ich auch so pampig mit dir geredet. In der Hinsicht, in der du Sirius Worte aufgenommen hast, stehen weder An, Hest, Moony, Peter, Sirius und ich dahinter. Um ehrlich zu sein wünschte ich mir, ich hätte das nicht alles so behindert gesehen, und auch gewartet. Aber das kann ich leider nicht mehr ändern, was mich eine ganze Zeit lang mehr als gestört hat. Hör zu, Sirius hat sich mal wieder über seine eigenen Gedanken lustig gemacht. Nicht im Ansatz über dich, oder das du gewartet hattest. Er war einfach mal wieder er und war behindert. Und vermutlich sieht das jetzt wieder so aus, als würde ich Tatze verteidigen und nicht hinter dir stehen. Aber so ist das nicht. Ich stehe immer hinter dir. Egal ob ich manches gut oder schlecht hei-", hielt er mal wieder eine seiner elend langen Ansprachen. Bei Merlin, wenn man den nicht unterbrach, dann redete der noch Stunden so weiter. Auch wenn ich noch immer wütend war drückte ich, dennoch nicht ohne die Augen zu verdrehen, meine Lippen einfach auf James'. Was wohl eher daran lag, dass ich wütend auf mich war. Und zwar, weil ich mir solch einen scheiß zusammen dachte. Klar waren Sirius Worte nicht verständlich, doch wusste ich auch, dass er total in Ordnung war und der letzte überhaupt, der verurteilte.
Doch diese Wut verflog auch schon, sobald James den Kuss erwiderte. Wieder durchfuhr mich dieses Kribbeln und Brennen. Es war nur ein kurzer, unschuldiger Kuss, doch veranstaltete mein Magen wieder eine Riesen Party. Mein Herz klopfte mal wieder wie wild, während ich mich wieder von meinem Freund löste. Dieser blickte mich mit einer Mischung aus Verwunderung und Freude an. Irgendwie sah das ja schon witzig aus. Und vielleicht, aber wirklich nur vielleicht, war das der Grund, weshalb ich kurz auflachte. Auch wenn sein Lächeln breiter wurde, erkannte ich trotz dessen noch immer seinen verwundeten Blick. Milde lächelnd, griff ich nach seiner Hand, welche nun in seinem Schoß lag und spielte mit seinen Fingern. Das tat ich öfter, wenn mir langweilig war oder ich einfach nicht wusste, was ich sagen sollte. James war die einzige Person, die mich verstand. Die mich verstand und akzeptierte wie ich war.
„James, du hast wieder zu viel sagen wollen.", begann ich schmunzelnd und blickte in das Gesicht meines wunderschönen Freundes. Grinsend verdrehte er die Augen, was mich gleich noch breiter lächeln ließ.
„Ich, ich hab überreagiert. Und ich weiß, dass ich mal wieder viel zu viel in Sirius Worte hineininterpretiert habe. Aber in dem Moment hatte sich irgendwas zusammengeschnürt. Ich wusste nicht warum, aber mich haben seine Worte irgendwie total getroffen. Zumal, zumal ich selbst schon, also vor unserem ersten Mal, daran gezweifelt habe, ob es wirklich solch eine gute Idee war, so lang zu warten. Ich hab's ja bei Hestia gesehen. Sie, sie hat mehr Erfahrungen und ist diesbezüglich viel selbstbewusster und offener, als ich. Zumal man in meinem Alter ja eigentlich kaum noch Leute findet, die noch Jungfrauen sind, wenn sie nicht streng kirchlich oder sowas sind. Ich...ich hatte Angst dem nicht gerecht zu werden, was man von mir erwartete. Was du von mir erwartet hast. Und als du dann auch noch gemeint hattest, ich soll es sein lassen...da, da hab ich mich so hintergangen gefühlt. Es war oder ist ja schließlich ein Thema, wo wir beide mit involviert waren. Irgendwie jedenfalls. Und obwohl du des Öfteren gemeint hattest, dass es total in Ordnung für dich wäre, war mein Kopf wieder so bescheuert und hat sich sonst was zusammengereimt. Es tut mir leid James. Ich bin so unglaublich anstrengend und nervtötend. Entweder ist alles Friede Freude Eierkuchen oder schrecklich stressig, nervig und einfach scheiße. Und dann renn ich weg. Ich renn ständig von meinen Problemen davon. Und ich bekomm's nicht weg. Das, das ist wie ein Abwehrmechanismus. So wie du, als du sarkastisch aufgelacht hast, bei unserem Streit. Ich, ich bekomm das nicht raus und ich bin so wütend auf mich selbst, dass ich mir ständig irgendwas unwahres zusammenreime und im Endeffekt euch immer nerve und Stress bereite. Ich...ich.", redete ich mir verzweifelt von der Seele, bevor mich James einfach still in die Arme zog. Er war irgendwie der einzige, dem ich mich richtig öffnete. Dem ich alles anvertraute und mit dem ich sogar über meine Gefühle sprechen konnte.
Enger schmiegte ich mich an ihn, vergrub meinen Kopf an seiner Brust und wollte im Moment einfach woanders sein. Ein anderes Leben führen, mit anderen Eigenschaften und Talenten. Richtigen Talenten. Kein auswendig lernen oder sowas. Eher sowas wie James. Eine Leidenschaft und etwas, woran man sich immer halten konnte.
James zog mich auf seinen Schoß und vergrub nun selbst seinen Kopf in meiner Halsbeuge. Lächelnd genoss ich die Gänsehaut, die sich ausbreitete, als ich seinen Atem an meiner Haut spüren konnte. Ich genoss seinen Duft und seine starken Arme um mir. Er gab mir immer solch ein Gefühl der Sicherheit. Bei ihm war ich ich und niemand sonst. Bei ihm konnte ich weinen, lachen, dumm sein. Einfach ich sein. Und er war immer da. Egal ob er was vorhatte, eine Abmachung einzuhalten hatte. Er war da. Und allein dieses Wissen war so aufbauend und krafspendend.
„Du nervst nicht. Und du bereitest mir auch keinen Stress. Ich liebe dich so wie du bist. Mit all deinen Ecken und Kanten. Denn das bist du. Ich will keine perfekte Freundin zur Frau, welche immer geradlinig und sicher durchs Leben geht. Ich will dich. Jemand kompliziert unkomplizierten. Du verstehst mich. Ich verstehe dich. Und das ist das wichtigste. Du sollst nicht auf Schritt und Tritt folgen und hören. Du sollst du sein, dein eigenes Leben führen. Mit mir gemeinsam führen. Und wenn ich das kann, ist es mir schnuppe ob du wegrennst, wenn du wütend bist, oder ob dein wunderschönes Köpfchen dir wieder unnötige Dinge einredet. Denn dieses wunderschöne Köpfchen gehört zu einer wunderbaren Person, die ich niemals in meinem Leben verlieren möchte. Egal wie viele Ecken und Kanten noch dazu kommen mögen.", flüsterte er mir ins Ohr. Erschaudernd nahm ich sie auf. Verinnerlichte sie und grinste wie blöd. Konnte jemand wirklich so süß sein? Träumte ich mal wieder einen meiner unglaublich unrealistischen Träume, oder war das Realität?
„Und was sind Eierkuchen?" Jap, eindeutig Realität. Herzlich darüber lachend hob ich meinen Kopf und grinste meinen Freund an, welcher noch immer fragend und verwirrt dreinblickte. Breit musste ich lächeln, ehe ich meine Lippen wieder auf seine legte. Mit jeglichem Gefühl, welches ich ihm gegenüber empfand, küsste ich ihn. Nahm die Gänsehaut auf und schenkte ihm ebenso welche. Ließ mich von meinem Herzschlag leiten, bis meine Lungen nicht mehr mitspielten.
„Ich liebe dich auch.", wisperte ich atemlos zurück, nahm das breite Lächeln James's wahr. Womit zum Teufel verdiente ich diesen Jungen? Er war mir nicht mal böse, machte mir mal wieder ein zuckersüßes Liebesgeständnis und brachte mich kurz darauf wiedermal zum Lachen. Dieser Junge war unglaublich.
„Eierkuchen, oder auch Pfannkuchen sind sowas wie Pancakes, nur in größer. Friede Freude Eierkuchen ist nur ein Sprichwort der Muggel. Hat eigentlich keine größere Bedienung. Vielleicht weil man so sehr grinst, wie der Eierkuchen rund ist. Aber das weiß ich nicht mit Sicherheit.", lächelte ich meinen Freund von unten her an. Die gesamte Zeit blickten wir uns in die Augen, wo ich Freude, Interesse und Faszination erkennen konnte. Irgendwie schon gruselig, wie ich das durch einen schlichten Blick in seine Augen wusste. Aber auch irgendwie romantisch. Egal, ich schweifte ab.
„Noch größer als Pancakes? Musst du mir mal zeigen!", meinte er begeistert, was mich herzlich lachen ließ. Er wusste echt wie ich gute Laune bekam. Und deswegen liebte ich ihn so sehr. Mit seiner Art war er jemand, der mich immer aufheitern und zum Lachen bringen konnte.
„Kann ich machen. Die sind aber dünner als Pancakes. Mir persönlich schmecken sie besser. Aber so viel unterschied ist da gar nicht.", lächelte ich ihn an. Begeistert von meiner Zustimmung nickte er, ehe er mir einen Kuss auf die Nasenspitze setzte. Um ehrlich zu sein hätte ich nie in meinem Leben gedacht, solch eine süße Beziehung zu führen. Aber anscheinend gab es ja wirklich Menschen, die so sehr zu einem passten, dass selbst die ganzen Klischees in den Büchern stimmten. Ich für meinen Teil lebte dieses Buch welches sich mein Leben nannte, viel zu gern. Besonders die bevorstehenden Kapitel, welche ich zusammen mit James erleben würde. Und wer weiß? Möglicherweise ja bis zum Ende des Buches Mein Leben.
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