114. Auf ein Unglück folgt nicht selten ein nächstes

Lily

Nach dem Besuch bei James Oma hatte uns ihre Todesnachricht schnell erreicht. Ich war froh, dass James und ich kurz vorher noch einige Stunden mit ihr genießen konnten. Nicht zuletzt wegen James. Ihr Fortgehen zehrte sehr an ihm. Sie war schon immer eine zweite Mutter für ihn gewesen und vor allem in Hinsicht auf meine Person ein Unterstützer schlechthin.
Nicht zuletzt deswegen hatte James ihr als erste freudestrahlend erzählt, dass er Vater werden würde. Wie er seiner Großmutter diese Nachricht überbracht hatte, war die reinste Freude gewesen. Mir ist das Herz aufgegangen. Wie ein kleines Kind hatte er bei ihr gesessen, ihre Hand gehalten und gemeint, dass er Vater werden würde. Er hatte so sehr gestrahlt. Und seine Oma hatte mich angeschaut und gelächelt. Sie hatte schon zu unserem Besuch nicht mehr viel Kraft gehabt, sie war ein Schatten ihrer selbst gewesen.
Noch zu gut konnte ich mich an mein erstes Zusammentreffen mit ihr erinnern. Bei der Silvesterparty bei James zu Hause. Sie war so höflich, lieb, und süß gewesen. Sie hatte jeden Menschen wohlfühlen lassen. Und genau das hatte sie auch bei unserem letzten Treffen versprüht. Als James kurzzeitig aus dem Zimmer gegangen war, um ihr Wasser zu holen, hatte sie kurz die Kraft aufbringen können mit mir zu sprechen.
„Du machst ihn glücklich wie kein anderer es je geschafft hat. Glaube mir, wenn ich dir sage, dass du und dein Leben mit ihm schon immer sein Traum gewesen ist. Bitte hilf ihm weiter zu machen, dieses Leben weiterhin so zu lieben, auch wenn ich nicht mehr sein mag. Ich werde immer über euch wachen, vor allem über euren kleinen Spatzen. Ich wünschte ich könnte ihn sehen. Versprich mir, dass du sie beide immer so sehr mit deiner Liebe beschenken magst.", hatte sie mir in die Augen geblickt und hoffnungsvoll auf eine Antwort gewartet. Sanft hatte ich nach ihrer Hand gegriffen und ihr genau das versprochen. Es hatte mich verblüfft wie sie im Sterben noch so klare Gedanken fassen konnte, wie sie sich in genau diesem Moment nur an dem Glück von James interessierte. Ich hätte sie gern als Uroma für unser Kind gehabt. Doch hatte James das sicher noch viel mehr.

Die Todesanzeige hatte ihn erschüttert. Viele Tage hatte es gebraucht, ehe er wieder einigermaßen normal hatte essen können, arbeiten können, kommunizieren können. Und noch mehr Wochen würden ins Land gehen müssen, ehe er ihren Tod richtig verarbeitet haben würde.
Eben jene Stimmung lag auch im Hintergrund der Weihnachtsfeier. Mit Hestia, Remus, Anna und Sirius hatten wir uns dazu entschlossen mit Euphemia und Fleamont zu feiern. Es war ein Fest der Familie. Und gerade nach solchen Schicksalsschlägen schätzte man die Familie viel mehr.
Freudig hatten sie uns in Empfang genommen und beteuerten ihr Vergnügen über unser gemeinsames Weihnachten.
Gerade diese gemeinsame Zeit schweißte zusammen. Nicht nur wegen des trüben Gedanken über den Tod von James Großmutter, sondern auch wegen der Gewissheit, dass man immer auf den anderen zählen konnte. Es war ein Fest der Liebe, welches wir zelebrierten und genossen. So konnten selbst Sirius und James sowie ihre Eltern dem Tod eines Familienmitgliedes für kurze Zeit in den Hintergrund rücken lassen und sich amüsieren. Diese Gemeinschaftlichkeit schien zu Helfen, wie nichts zuvor geholfen hatte.

Doch leider folgte auf ein Unglück nicht selten ein nächstes. So kam es einige Tage nach der gemeinsamen Weihnachtsfeier und dem Ansatz des Verdauens über den einen Tod zu einer nächsten, erschütternden Nachricht. Wir hatten gerade freudig über meinem wachsenden Bauch gehangen und über den kleinen Wurm in eben jenem spekuliert und gelacht, als eine Eule die Schreckensbotschaft brachte.
Nach einem spontanen Kurzauftrag von Euphemia und Fleamont erhielten James und Sirius die Kunde, dass beide im Mungos liegen würden. Mit aufgerissenen Augen und von Furcht getränkter Stimme hatte James zu mir geblickt. Ich hatte nicht gewusst wo oben und unten war. Es war, als hätte in genau diesem Moment ein Dementor unser Haus betreten und alles Glück aus ihm gesaugt, bis keines mehr übrig geblieben war.
„Nicht schon wieder, ich kann das nicht mehr.", hatte ich seine erstickte Stimme vernommen, ehe er in meine Arme gesunken war. Der Tod seiner Großmutter war noch frisch, genauso wie ihr monatelanger Krankenhausaufenthalt. Und nun lagen in eben jenem seine Eltern. Ich wusste wie schwer der Umgang mit dem Tod war, hatte selbst viel zu sehr unter dem meiner Eltern gelitten. Doch nach einem Schicksalsschlag direkt den nächsten vorgesetzt zu bekommen war etwas anders.

Und so kam es, dass wir nun hier standen, erneut im St. Mungos, nur ein paar Tage nach dem Fest der Familie, und hofften, dass uns irgend ein Heiler mitteilen würde, was mit den Potters geschehen war. James war mittlerweile so aufgewühlt, dass er nicht mehr ruhig stehen konnte. Zusammen mit seinem besten Freund tigerte er durch die Gänge und erhoffe von jedem vorbeigehenden Heiler oder Angestellten eine Information zu erhalten.
Doch nichts, rein gar nichts, hatte man ihnen bisher mitgeteilt. Fröhlich waren die Flure geschmückt, weihnachtlich verziert, selbst die Heiler trugen noch Weihnachtsmützen. Doch eben jener Anblick bewirkte viel eher ein Lächerlich machen, als ein aufheitern in unseren Köpfen.

„James, bitte setzt dich für fünf Minuten. Ich weiß wie schwer diese Ungewissheit ist, aber ich möchte dich nicht von diesem glitzernden Boden hier aufwischen müssen, wenn du umkippst, ja?", hatte ich mich ihm in den Weg gestellt und meine Hände beruhigend auf seine Arme gelegt. Mir war bewusst das jeder andere der sich eben dies getraut hätte zur Seite geschubst oder angebrüllt worden wäre. Doch ich nicht. Nicht nur, weil ich vielleicht seine Frau war, sondern auch, weil ihm bewusst war, das ich nun im Doppelpack vor ihm stand. Und eben gerade dieser Fakt schien ihn jedes Mal daran zu erinnern, dass er einen kühlen Kopf bewahren sollte. Nicht musste, er würde durchaus trauern dürfen, so wie auch bei seiner Großmutter. Doch schien es sein innerer Sinn zu sein, der ihm mehr als jene Trauer verbat.

Resigniert nickte er, atmete tief durch und lehnte sich schließlich, als wir wieder saßen, gegen meine Schulter. Es musste einen lustigen Anblick bieten, immerhin war James um einiges Größer als ich. Doch scherte es niemanden von uns. Beruhigend hatte ich meine Hand auf seinen Oberschenkel gelegt und streichelte sanft über ihn, während ich seinen immer ruhiger werdenden Atem an meinem Nacken intensiver als sonst wahrnahm.
„Alles Okay bei euch?  Ich war eben so mit mir beschäftigt, ich...", begann er in mein Ohr zu flüstern. Wieder einmal eine Angewohnheit von der er nicht ablassen konnte. Er entschuldigte sich ohne Grund. Es schien fast so, als sähe er sich dazu verpflichtet der Ruhepol in unserer kleinen Familie zu sein.
„Es ist alles in Ordnung James. Wenn es nicht der Fall wäre, dann würde ich hier sicher einen der Heiler ansprechen können. Und du brauchst dich nicht dafür zu entschuldigen, dass dich das Befinden deiner Eltern, deiner Familie allgemein, momentan mehr beschäftigt hat, als ich. Ich bin hier um für dich da zu sein. Also kannst du auch einmal runter fahren und deinen Gefühlen freien Lauf lassen. Du brauchst nicht hart zu sein James, ja? Es ist in Ordnung mal die Nerven zu verlieren und zu weinen.", erinnerte ich ihn an das, was ich versuchte seit Wochen in ihn hinein zu Trichtern. Auch er war ein Mensch mit Gefühlen und Empfindungen, wo nicht immer alle positiv waren. Es war in Ordnung einmal auszurasten, verrückt zu werden oder in Selbstmitleid zu baden. Das ist das Los eines Menschen, der mit Liebe auf die Welt kommt.

Einmal mehr vergrub er seinen Haarschopf in meiner Halsbeuge, während ich schützend einen Arm um seinen Kopf legte, durch seine weichen Haare strich und ihn fest an mich zog. Es war ein stilles Einverständnis, ein verstehendes Nicken meiner Worte. Er wusste es, er wusste das ich da war und auch da bleiben würde, egal wie sehr er die Nerven verlieren würde. Dafür war ich da. Dafür war ich seine Frau. In guten wie in schlechten Zeiten. Und diese Umstände machten ihn nicht weniger liebenswürdig. Egal wie sehr er das manchmal zu glauben schien.

„Auch wenn ich noch nicht weiß was mit meinen Eltern ist und auch wenn ich weiß was wir zu dem Thema gesagt hatten, darf ich, wenn wir allein sind...", begann er flüsternd seine Frage zu stellen, eben jene die ich mir schon denken konnte, vor allem nach den Geschehnissen am Totenbett seiner Oma.
Nickend ließ ich ihn verstummen, gab mein leises Einverständnis.
„Natürlich.", hauchte ich in sein Haar und genoss die paar Sekunden der Intimität zwischen uns, während meine Hand reflexartig zu einem Bauch rutschte. Es war eine Sache, die er nicht zu fragen hatte. So wie es im Brief gestanden hatte und so verschlossen wie sich die Heiler auf dieser Station verhielten, war mir schon fast klar, dass es wohl kein heimkehren für seine Eltern geben würde. Doch die Stille Hoffnung existierte noch, der letzte Funke.

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