104. Zeit für Zweisamkeit

James

Es war nicht einfach. Wenn ich ehrlich zu mir selbst war, dann war ich mehr als überfordert. Ich hatte das Gefühl wir lebten im Mungos. Und das zu so einer unpassenden Zeit. Nicht nur der Fakt, dass draußen Chaos herrschte, sondern auch der Punkt, dass ich jedes Mal nachdem ich die Augen schloss das Gefühl hatte überrumpelt zu werden, spielten eine Rolle. Bisher hatte ich Lily nichts gesagt. Sie hatte zu sehr mit sich selbst zu kämpfen. Ich wollte ihr nicht noch mehr aufbürden. Viel lieber würde ich mit ihr zur Normalität zurückkehren. Würde sie so viel lieber in meinen Armen sehen als im Bett neben mir, ihr so viel näher sein, sie küssen, unbedacht handeln. Doch hinderten mich nicht nur meine, bis jetzt tatsächlich weniger gewordenen Verbände daran, sondern auch der Gedanke im Hinterkopf, dass wir noch immer in einem Krankenhaus lagen. Meine physischen Schmerzen hatten deutlich abgenommen und auch Lily schien nach diesen wenigen Tagen wieder fit. Physisch jedenfalls. Mental hatten wir beide zu kämpfen. Besonders nachdem ich die erste Nacht bei klarem verstanden gegen 4 Uhr morgens aufgewacht war und die ersten kleinen Erinnerungen zurück gekommen sind. Ich hatte die gesamte Nacht nicht mehr schlafen können, doch erzählen wollte ich Lily nichts. Sie hatte mir erzählt wie schlecht sie die ersten Nächte geschlafen hatte. Doch seitdem ich wieder wach war schien es so, als könne sie endlich wieder durchschlafen. Ich wollte sie nicht wecken. Zumal es sonst am Tage immer unpassend war. Nie waren wir lang allein. Ich freute mich wenn unsere Freunde und meine Eltern vorbei kamen, keine Frage. Doch störte mich neben deren Anwesenheit auch die der Heiler und Schwestern. Ich hatte einfach das Gefühl keine Sekunde allein mit meiner Frau zu haben. Mit meiner Frau. Es war jetzt schon eine ganze Weile her das wir geheiratet hatten. Und doch schien es mir seitdem so, als würde alles anders, schlimm anders, geworden sein. Erst der Tod ihrer Eltern, ihre Selbstvorwürfe, dann jetzt die Gefangenschaft und schließlich diese Situation im Mungos. Bisher war nichts des wirklich normales Ehelebens auf uns zugekommen. Lediglich unsere Flitterwoche. Daran erinnerte ich mich wirklich gern zurück wenn ich abends wach lag und auf andere Gedanken kommen musste. Lily war für mich nie vollkommener gewesen. Jedenfalls schien es mir so.

„Du bist ja schon wieder so früh auf. Was ist denn los James? Wieso verschließt du dich mir so?", bemerkte ich jetzt erst die Anwesenheit Lily's neben meinem Bett. Es war dunkel, lediglich das kahle Licht des Mondes ließ mich die Konturen Lily's sehen. Am Rande ihres Schopfes erkannte ich das leichte Schimmern ihrer roten Haare. Ich wusste nicht wie spät es war. Vielleicht fünf Uhr? Doch sicher war ich mir nicht. Lediglich der Glockenklang der Muggelwelt um das Mungos herum ließ mich erkennen wie spät es war. Doch geläutet hatte dieser noch nicht.
„James. Alles okay? Du machst nicht den Eindruck als sei alles in Ordnung.", hatte sich Lily nun neben mich in das schmale Krankenhausbett gelegt und musterte mich eingehend von der Seite. Sie war so schön, so süß. Ich wünschte wir wären nicht hier. Ich wünschte ich wäre nicht von diesen grässlichen Erinnerungen geweckt worden. Ich wünschte das alles wäre nie passiert.
„James, rede doch mit mir.", flüsterte sie mir zu, berührte mit ihren zarten Lippen federleicht meinen Scheitel. Mit dem Windzug durch das offene Fenster flog auch der Markante Lilienduft umher, der mich schlussendlich zu ihr blicken ließ. Besorgnis erkannte ich in ihrem Blick, trotz der Dunkelheit. Pure Besorgnis.

„Ich kann seit Tagen nicht mehr richtig schlafen. Ständig sehe ich dich in diesem dunklen Keller bewusstlos in meinem Schoß und kann einfach nicht mehr schlafen.", flüsterte ich und merkte wie meine Stimme unerwartet früh brach. Es tat weh es auszusprechen. Denn irgendwie wurde es dadurch real. Es waren nun keine Träume mehr, es war die Realität die wir durchlebt hatten. Gerade das schmerzte so sehr.
„Du erinnerst dich wieder?", fragte meine Frau überrascht. Ich erkannte das Mitgefühl in ihrer Stimme. Den Schmerz den sie mir ungern zumutete. Reflexartig hatte sie mir ihre Hand auf die Wange gelegt, als würde sie sichergehen wollen, dass ich meinen Blick nicht abwandte.
„Stückweise Ja.", murmelte ich und griff nach ihrer weichen Hand an meiner Wange. Sie war angenehm warm. Wärmer als es in diesem Keller gewesen war. Auch an so etwas erinnerte ich mich. An die Kälte. Die Kälte des einsam Seins und der Hoffnungslosigkeit.

„Ach wieso sagst du denn nichts, James? Es wäre sicher besser wenn wir darüber reden würden.", erwiderte sie überzeugt und strich sanft mit ihrem Daumen meine Wange entlang. Wie lieb ich diese Zärtlichkeiten doch hatte. Viel zu selten hatten wir die Zeit für sowas gehabt. Es machte mich traurig, dass uns all das momentan verwehrt blieb.
„Was hätte ich das denn machen sollen? Entweder die Heiler waren da, haben ihre Untersuchungen gemacht oder unsere Freunde waren da. Wir haben kaum Zeit zu zweit. Du fehlst mir.", hauchte ich und merkte wie nur noch mein Herz zu sprechen schien, welches sich von Wort zu Wort mehr zusammen zog. Fester nahm ich ihre Hand in meine und sog allein diese kleine Berührung in mir auf, als wäre es das erste Wasser welches ich seit Langem bekommen hatte. Ich machte ihr keinen Vorwurf. Das konnte ich gar nicht. Sie hatte es nicht wissen können.  Und Zeit für Zweisamkeit war ja auch nicht gewesen.

„Wir finden immer Zeit. Du und ich finden immer Zeit, hörst du? Immer. Und wenn ich mitten in der Nacht aufgeweckt werde. Das ist mir egal. Wenn es dir schlecht geht, dann bin ich da. Dann reden wir oder schweigen uns an und liegen neben einander. Aber du stehst das ganz sicher nicht allein durch, hörst du? Wir sind doch ein Team, James.", legte sie ihre Stirn bestimmend an meine und schaute mir direkt in die Augen. Recht hatte sie ja. Irgendwie hätten wir sicher Zeit gefunden. Ich hätte es nur sagen müssen. Nur wollte ich nicht. Ich war vielleicht einfach nicht bereit, ich wusste es ehrlich nicht. Es war eigentlich auch nicht die Angst es ihr zu sagen. An sich hieß es ja etwas gutes, dass ich mich wieder erinnerte. Doch nur im allgemeinen.

„Okay?", hinterfragte sie, als ich ihr nur fortwährend stumm in die Augen geblickt hatte. Was eine absurde Situation eigentlich. Sonst war ich immer der gesprächigere gewesen. Doch irgendwie war mir  gerade überhaupt nicht danach.
„Okay.", nickte ich ihr entgegen und versuchte den dicken Kloß in meinem Hals hinunter zu schlucken. Es ging mir alles viel zu nahe. Ich hätte lieber einen größeren Abstand, eine größere Distanz zu alle dem gewahrt. Doch durch das aussprechen des Ganzen hielt ich diesen Abstand nicht mehr und alles schien auf mich einzufallen.
„Möchtest du drüber reden?", murmelte sie mir fragend entgegen, ließ mir die Entscheidung offen. Und darüber war ich froh. Sie drängte mich nicht, ließ es mir zu zu entscheiden was ich gerade wollte. Und gerade wollte ich nichts mehr als sie in meinen Armen zu wissen.

Kopfschüttelnd zog ich sie enger an mich heran, vergrub meinen Kopf an ihrer Halsbeuge und merkte wie eine Träne nach der anderen ihren Lauf nahm. Mir war es nicht unangenehm. Es war nur ungewohnt. Selbst für mich. Ich wusste nicht einmal weshalb ich weinte. Doch war das Wissen, dass Lily in meinen Armen lag, lebendig war und atmete beruhigend und angsteinflößend zugleich.

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