Kapitel 19 - Das Tier im Inneren

Varaja humpelte zwar, aber sie konnte nicht zulassen, dass Marito von dieser Abscheulichkeit gefressen wird. Sie kreischte laut auf. Reddock beobachtete die Situation teilnahmslos, mit einem kleinen Grinsen. Der Wolf ließ sich von seinem Weg nicht abbringen. Varaja mobilisierte ihre letzten Kräfte und raste getrieben von ihrem Ehrgeiz dem Monstrum hinterher. "Marito!", fauchte sie kaum verständlich. Jensite wollte nicht mehr tatenlos zusehen, setzte seine Hände in Flammen und sprang in die Arena. "Misch dich nicht ein Mensch, das ist meine Beute", heulte Varaja gerade zu. Jensite blieb stehn, löschte seine Flammen und nahm einen Schritt zurück. Die Wildheit, der Tötungsinstinkt in Varaja drang durch die Luft. Jensite wollte sich dieser nicht  entgegenstellen. Sie beschleunigte weiter, sodass der Sand hinter ihren Pfoten in die Luft gewirbelt wurde. Die rechte Seite, die sie bereits angegriffen hatte, war ihr Ziel. Als sie nah genug dran war, sprang sie in die Luft, auf die Kehle des Wolfs zielend. Ein lauter Schrei ertönte als der Wolf von Varajas Fangzähnen erfasst wurde. Er fiel zu Boden. Varaja biss weiter in die Kehle, versuchte den Wolf wie ein Schaf zu zerfetzen. Dieser trat nun wie wild mit seinen Beinen herum, und erwischte Varaja mit seinem rechter Hinterbein. Diese flog ein weiteres Mal durch die Luft, wurde diesmal jedoch gegen die Mauern der Arena geschleudert. Sie richtete sich sofort wieder auf. Sie heulte laut auf und stapfte wieder auf ihren Feind zu. "Schnuffel, fass!", lachte Reddock bei diesem Anblick. Das Monster holte mit der linken Pfote aus und schmetterte sie gegen die heranstürmende Varaja. Die Wucht dieser Pfote, welche allein Varaja aufwog, warf sie einige Meter hoch in die Luft. Das Biest fing sie mit seiner Schnauze aus der Luft und begann auf ihr herumzukauen. Seine stumpfen, gewaltigen Zähne bohrten sich in ihr Fleisch und brachen ihre Knochen. Jensite und Ilona konnten diesen Anblick kaum ertragen. Varaja war kaum älter als die beiden, sie waren alle noch Kinder. Jeder Biss hatte ein lautes Wimmern von Varaja zur Folge. Selbst Marito, der in sicherer Entfernung war, hörte dieses schmerzverzehrte Jaulen. Er wusste, dass es seine Schuld war. Varaja versuchte bei Bewusstsein zu bleiben, doch jedes mal wenn sich die gelben Reißzähne, welche wohlgemerkt jeweils den Durchmesser eines Arms hatten, in ihr Fleisch stießen, spürte sie einen Schmerz, der schlimmer war als Tod. Nach einigen Sekunden, die sich jedoch anfühlten wie Stunden, spuckte der Wolf sie mitsamt ihrem Blut in den Wüstensand. Reddock lachte selbstgefällig. Er wirkte als hätte er seine Menschlichkeit schon lange weggeworfen.

Jensite sprang sofort zu Varaja und versuchte ihr irgendwie zu helfen. Aber was sollte er gegen solche Verletzungen tun? Er kniete sich über Varaja. Er begann schneller zu atmen. Seine Augen zuckten. Er flüsterte mit zitternder Stimme: "Varaja? Varaja? Mach die Augen auf, red mit mir! Varaja..." Einige Tränen liefen seine Augen herunter. Wieso konnte er sie nicht beschützen, als er die Chance hatte. Was war es, dass ihn so zurückhält. Marito hätte das schnell zuende gebracht. Aber Marito war nicht kampffähig. Und Jensite wusste, dass er nicht Marito war. Er war nicht der mutige Kämpfer, der kopflos jeden Kampf anstrebte. Er war jemand der nach der Situation handelte, ein Mensch seiner Umstände. Und diese Situation hatte er falsch eingeschätzt. Er ging zu Boden. Varaja bewegte sich ein wenig. Ihr blutbeschmiertes, weißes Fell war grau vom rauen Wüstensand. Jensite blieb regungslos in seiner Position. "Ein Kämpfer weint...nicht...", raunte Varaja. Sie versuchte sich aufzurappeln. "Bleib doch endlich liegen, Varaja! Willst du unbedingt sterben?!" "Wenn es Marito und dir Zeit verschafft. Ich kann diese Welt sowieso nicht retten, aber ihr zwei, ihr müsst es schaffen. Also spiele ich meinen letzten Trumpf aus. Meine zweite Form, noch wilder als diese. Kein Bisschen Schmerz. Kein Bisschen Gnade. Kein Bisschen Mensch." "Nein, du bist zu schwach für so eine mächtige Verwandlung." Sie seuzte. "Jensite, du bist nicht mein Boss..."

Sie stieß Jensite zu Seite. Sie war wieder auf ihrem Pfoten. Ihr weißes Fell begann silbern zu glänzen. Ihre Augen leuchteten nur noch blau. Ihre Klauen wurden länger. Die tierischen Züge verstärkten sich. Ihre Schnauze wurde unförmiger. Ihre Pranken massiger. Ihr Schweif länger. Sie war nicht mehr wiederzuerkennen. Sie sah nun mehr aus, wie das Monster, dass sie einst in der Steppe gejagt hatte. Ihr Körper wuchs weiter und weiter. Die Raubkatze, die Varaja nun verkörperte, war mindestens genauso gewaltig wie der Wolf. Varaja fauchte auf und stürzte sich auf den Wolf. Mit gewaltiger Kraft warf sie sich auf das Monster. Ein kräftiger Biss in die verwundete Kehle. Blut floss immer noch aus Varajas Wunden. Die Bestie warf Varaja wieder ab, doch diesesprang in unvorstellbarer Geschwindigkeit um den Feind herum. Wieder ein Sprung. Ein schmerhaftes Heulen. Eine Menge Sand in der Luft. Widerliche, plätschernde Geräusche durchdringen die Luft. Varajas Schnauze war mit Blut beschmiert. Der Kopf des Wolfs lag einige Meter von seinem Körper entfernt. Reddock stand das Entsetzen im Gesicht. Sein siegessicheres Lächeln wich einer verängstigen Miene. Er hob seinen eisernen Arm und peitschte perplex auf Varaja ein. Diese fiel zu Boden. Ihr Körper nahm innerhalb einiger Sekunden wieder menschliche Form an. Sie rührte sich nicht mehr. Jensite ging in langsamen Schritten zu ihr, hebte sie vom Wüstenboden auf und trug sie zu dem Teil der Tribüne, an dem sie bisher auf ihre Runde gewartet haben. Jensite vergoss eine weitere Träne, bevor sein eigentlich warmes Gesicht einen eiskalten, seelenlosen Ausdruck annahm.  "Jensite, ich übernehme den nächsten Gegner. Du kümmerst dich um den Anführer", flüsterte Ilona etwas unsicher. "Na gut. Dieses Schwein gehört aber mir. Ich werde ihm beibringen, was wahre Schmerzen sind. Ich weiß, dass Verletzungen zum Risiko gehören, aber diese Ratte geht zu weit." Ilona war von der Kälte in Jensites Stimme eingeschüchtert. Es war ungewohnt ihn so zu sehen. Sie nickte stumm.

Reddock rief sein zweites Monster, die Echse in die Arena. Ilona griff nach ihrem Degen und stellte sich dem Ungeheuer. Reddock schien plötzlich ernst mit diesem Galdiatorenkampf zu werden. Ohne weitere Umschweife begann er den zweiten Kampf mit einer simplen Handbewegung. Die Echse kreischte laut auf und Rauch stieg aus ihren Nasenlöchern auf. Jensite war währenddessen in die Wüste gegangen um Marito in die tribüne zu holen. "Komm, Marito", stöhnte Jensite, dessen Ausdruck noch etwas unheimliches ausstrahlte. Noch nie hatte Marito Jensite in so einem unangenehmen Zustand erlebt. Marito stützte sich an Jensite und sie betraten die Tribüne. Stumm beobachteten sie Ilona.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top