Kapitel 11 - Richtung Westen

Es war erst einige Stunden her, dass Jensite und Marito sich getrennt hatten. Der Frühling ging langsam zu Ende. Es wurde wärmer, die Welt war in voller Blüte. Über die Steppe wehte ein warmer, leichter Wind. Der Sommer würde bald kommen. Talion war schon von zwei Hochvasallen befreit worden, es blieben nur noch zwei übrig. Die Blumen blühten bunt in der Horizont, einige Tiere huschten durch das Gras. Jensite atmete tief die frische Luft der Steppe ein. Von so einer Idylle hatte er lange geträumt. Er wusste genau, dass sich die Mühen bereits gelohnt hatten, der Frieden kehrte wieder zurück. Jensite lächelte stumm. Varaja sah Jensite zufrieden an. Selten hatte sie einen Menschen so glücklich gesehen. Auch sie erfüllte dieser Anblick mit Freude. "Sie hätten nicht unter dem Fürsten geblüht", flüsterte Jensite sich selbst zu. Varaja pflückte eine Blume, die meeresblaue Blütenblätter hatte. Sie betrachtete die Blume. Die Schönheit, die Klarheit,  das Leben. Sie beide blickten stumm in den Horizont. 

"Weißt du, Varaja, ich wollte immer etwas von der Welt sehen. Ich wollte alle schönen Orte sehen.", erklärte Jensite. "Ich weiß, was du meinst. Seit sovielen Jahren wandere ich durch die Steppe, habe aber nur auf das geachtet, was ich jagen kann."  Sie wanderten wieter. Es wurde langsam abend, beide waren erschöpft. Sie kamen an einem kleinen Gasthaus, mitten in der Steppe an. "Der rasende Hase" stand in großen  Buchstaben über der hölzernen Tür. An einem kleinen Schild stand: "Betten frei!" "Wir werden heute Nacht wohl hierbleiben.", meinte Jensite, "Ich bin jetzt sowas von fertig." "Es wird auch schon spät, lass uns reingehen.", antwortete Ilona kühl. Jensite drückte langsam die Türklinke herunter. 
Ein hell beleuchteter Raum voller Tische, lachender Menschen und feierlicher Stimmung lag vor ihnen. Sie schritten langsam hinein. Jensite setzte sofort ein Lächeln auf. Ein älterer Mann sah verwundert zur Tür. Er stupste einen seiner Freunde an. Dieser starrte mit offenem Mund. Der ältere Herr rief durch das ganze Gasthaus: "Dieser Junge, der hat den Drachen und den Fürsten vertrieben!" Alle Leute hielten kurz inne und sahen zu den beiden, die überrascht in der Tür stehen blieben. Die Leute begannen laut zu jubeln. Ein junger Mann, mitte 20 lud die beiden an seinen Tisch ein. "Bestellt was ihr wollt, geht auf's Haus!" Jensite und Varaja waren fassungslos. Wurden sie hier als Helden gefeiert? "Wisst ihr, seit der Fürst weg ist, kann man von Darea und Karinea wieder hier hin kommen. Und eklige Trolle sitzen hier auch nicht mehr rum. Ich bin Tephin, mir gehört der Schuppen." "Ich bin Jensite, komme aus Darea" "Ich heiße Varaja" "Fühlt euch wie zuhause!" Tephin brachte den beiden eine Mahlzeit. "Können wir die Nacht hier verbringen, wir müssen morgen auch schon wieder weiter" "Selbstverständlich!" Tephin lachte herzlich. Wann hatten Jensite und Varaja das letzte mal ein so freundliches Lachen gehört. Zum ersten mal seit Wochen konnte Jensite sich wieder wirklich ernsthaft freuen. Keine Sorgen, keine Ängste. Varaja schien sichtlich auch froh zu sein. "Wisst ihr, Kinder, in schweren Zeiten ist ein bisschen Spaß und ausgelassene Stimmung Gold wert. Deswegen beitreibe ich 'den rasenden Hasen'. Die Menschen reisen quer durch die Steppe, um hier feiern zu können." Jensite grinste Tephin freundlich an. Den ganzen Abend saßen sie da und hatten eine schöne Zeit. Das hatten sie so dringend gebraucht.

Sie gingen in das Gästezimmer im Obergeschoss. Ein Zweibettzimmer. Sie legten sich in ihre Betten. "Weißt du Jensite, Tephin ist ein guter Mensch. Er weiß, was die Menschen in so bitteren Zeiten brauchen. Ihr ähnelt euch darin." Jensite lachte auf. "Varaja, stell dir vor, irgendwann wird es überall so sein. Die Leute werden endlich wieder in Frieden leben können. Wir sind nicht mehr weit davon ertfernt unser Ziel zu erreichen. Zwei von vier Hochvasallen sind gefallen, und wir werden immer stärker. Mit jedem Tag." Varajas Stimme nahm wieder einen ernsten Ton an: "Was denkst du, was machen die anderen gerade?" Varaja machte sich Sorgen. Haben es Marito und Ilona auch so schon wie sie beiden. "Marito ist zäh. Wahrscheinlich zerfetzen sie grade ein Monster oder sitzen am Lagerfeuer." Jensite musste bei dem Gedanken lachen. "Jensite, kann ich auch so stark wie du und Marito werden?", flüsterte Varaja. Jensite schaute fragend zu ihr herüber. "Ihr beide beeindruckt mich jedes Mal aufs Neue. Die Krabbe, die Hexe, das Ungeheuer. Alleine wäre ich nicht dagegen angekommen." "Ich weiß nicht", entgegnete Jensite unsicher, "Ich kann dir nicht erklären, wo ich meine magischen Kräfte hernehme. Und Marito, an den kommen scheinbar nicht mal Hochvasallen an. Ich bin ein Magier, aber er, er kämpft nur mit seinem Willen und seiner eigenen Stärke." Varaja sah an die Decke. "Willen und eigene Stärke...", dachte sie sich, "...sind es also. Ist es das, was mir noch fehlt?" Jensite löschte das Licht. "Guten Nacht," flüsterte er Varaja zu. "Dir auch" Sie schliefen ein.

Am nächsten Morgen standen sie zeitig auf, und bereiteten sich ihre Weiterreise vor. Tephin geb ihnen Taschen mit Proviant mit, wünschte ihnen viel Glück, und dass sie diese Reise gut überstehen. All die harten, bitteren Zeiten wurden von dieser einen Nacht getilgt. Sie schenkte Jensite und Varaja neue Kraft. Das Schicksal belohnte ihre Tapferkeit und ihren Einsatz. So marschierten sie weiter in den Westen. Das Gras verlor langsam sein Grün, die Bäume wurde kleiner und kahler. Blumen wuchsen keine mehr. Sie näherten sich dem Ödland. Jeder Schritt weiter Richtung Westen trübte den Himmel. Doch Jensite und Varajas Elan wurde nicht kleiner. Jeder Schritt Richtung Westen gab ihnen mehr Kraft für das, was ihnen bevorstünde. Sie kannten ihr Ziel, ihr Weg gab ihnen kein zurück. Jeder Schritt Richtung Westen bedeutete den Kampf für Friede und Freiheit. Sie blickten nicht zurück. Alles was hinter ihnen lag, war vorbei, die Zukunft zählte. Jeder Schritt Richtung Westen war ein Schritt nach vorne.

"Ich weiß, sie werden es schaffen. Ihr Blick, ihr Auftritt, alles deutet auf ihren Heldenmut hin.", murmelte Tephlin zu sich selbst, als Jensite und Varaja, den Strahlen der Morgensonne folgend am Horizont verschwanden.

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